Selbstentwürfe von Frauenorganisationen zwischen Feminismus und Konstruktivismus am Beispiel des Zentrums für Frauen als Kriegsopfer, Zagreb
In: Frauen und Frauenorganisationen im Widerstand in Kroatien, Bosnien und Serbien, p. 95-114
Auf dem Hintergrund der Debatte um Judith Butlers Theorie vom sozial konstruierten Geschlecht und um den selbst bestimmten Auf- und Abbau von Geschlechtsidentitäten geht es in dem Beitrag um die Probleme, mit denen feministische Frauenorganisationen im ehemaligen Jugoslawien im Rahmen ihrer Strategieplanung konfrontiert sind. Thematisiert wird der Konflikt zwischen der Strategie, die an Frauen begangenen Gewalttaten öffentlich zu machen und deren Ursache in der patriarchalen Gesellschaftsstruktur zu verorten, und ihren Hilfsangeboten, die die betroffenen Frauen zu Opfern machen und das Bild der "schwachen Frau" zu verstärken, von dem man sich eigentlich distanzieren wollte. Nach einer kurzen Beschreibung einiger Problemkonstellationen im Spannungsfeld zwischen Konstruktivismus und Feminismus vor dem Hintergrund der Folgen von Krieg und Nationalismus in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens wird am Beispiel des Zentrums für Frauen als Kriegsopfer in Zagreb das Verhältnis zwischen "feministischen" Aktivistinnen und weiblichen Kriegsopfern beleuchtet. Dabei werden die Rollenmuster nicht als Wesenseinheiten verstanden, sondern als idealtypische Beispiele möglicher weiblicher Subjektpositionen, die im Rahmen der Arbeit von Frauenorganisationen angeboten werden und die sich im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Viktimisierung konstituieren. Auf der Grundlage von Interviews, Essays und Berichten wird untersucht, wie das Aufeinanderprallen dieser beiden Identifikationsmodelle widersprüchliche Deutungen des "Frau-Seins" produziert und dabei feststehende Kategorien aufbricht. Dabei wird klar, wie wichtig das Denken jenseits von sex/gender Linien ist: Frauen wehren sich gegen Verletzung und Unterdrückung nicht nur als Frauen, sondern vor allem als Menschen. (ICH)