Transformation von Vietnam: Reformpolitik, Herausforderungen und Transformationswege
In: Politik
Inhaltsangabe: Einleitung: Seit der politischen Wende im ehemaligen Einflussbereich der Sowjetunion und der Auflösung des Rates für gegenseitige Hilfe (RGW) in den 80er Jahre sind die Staaten des östlichen Mitteleuropas sowie des östlichen und südöstlichen Europas, aber auch viele Staaten in Südostasien mit unterschiedlich ausgeprägtem Reformwillen bestrebt, die sozialistische Planwirtschaft zu überwinden und marktwirtschaftliche Strukturen aufzubauen. Dies gilt ebenfalls für Vietnam. Nach der Wiedervereinigung Süd- und Nordvietnams im Jahr 1975 wurde im ganzen Land die zentrale Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild eingeführt. Dieser Planwirtschaft hatte zusammen mit den Folgen des Krieges und mit den Auswirkungen der Außenpolitik Vietnams zur Wirtschaftskrise des Landes Anfang der 80er Jahre geführt: Geringe Produktivität, galoppierende Inflation, Armut, massive Arbeitslosigkeit, Hungersnot und Nullwachstum kennzeichneten die damalige Situation. So sah sich die vietnamesische Regierung gezwungen, einige Lockerungen in der Wirtschaft vorzunehmen (z.B. das Vertragssystem in der Landwirtschaft, die Erhöhung der Betriebsautonomie in der Industrie und Veränderungen in der Währungs-, Lohn-, und Preispolitik), um die Wirtschaftslage und damit die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Obwohl es dadurch zu Produktions-, insbesondere zu Reisproduktionssteigerungen kam und die Wirtschaft sich etwas erholen konnte, verbesserte sich die gesamte wirtschaftliche und soziale Situation jedoch im Wesentlichen nicht. Vielmehr führten die Währungs- und Preispolitik mit den Verzerrungen der zentralen Planwirtschaft im Rahmen der Wirtschaftlockerungen zu einer noch tieferen Krise, so dass die vietnamesische Regierung zu einem Umsteuern keine Alternative sah. 1986 wurde die wirtschaftspolitische Reformpolitik (Erneuerungspolitik, auf Vietnamesisch 'Doi Moi') eingeleitet, mit der Vietnam den Transformationsprozess von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft begonnen hat, der bis heute andauert. Ziel der Arbeit ist es, die Transformation in Vietnam darzustellen. Dabei werden die wichtigsten Reformschritte bzw. -maßnahmen und deren Ergebnisse dargestellt sowie gegenwärtige Probleme aufgezeigt. Darüber hinaus werden für die zukünftige Entwicklung Vietnams – insbesondere unter dem Aspekt der internationalen Integration – wichtige Herausforderungen, erzielte wirtschaftliche Erfolge sowie bestehende Defizite aufgezeigt und analysiert. In diesem Zusammenhang werden auch Entwicklungsmöglichkeiten für Vietnam aufgezeigt. Dabei wird auf die Transformationswege näher eingegangen. Somit ist der Transformationsprozess ebenfalls Gegenstand der Untersuchung. Bei dieser Untersuchung geht es auch darum aufzuzeigen, ob die seit der Reformpolitik 1986 eingeleitete Transformation von Vietnam auch wirklich eine Transformation darstellt, oder ob es sich nur um eine unvollständige Transformation handelt. Gang der Untersuchung: Diese Arbeit ist in vier Teile (Kapitel 2, 3, 4 und 5) unterteilt. In dem ersten theoretischen Teil werden neben der Begriffsdefinition die Notwendigkeit der Transformation und wichtige Reformschritte dargestellt. In dem zweiten Teil wird auf die Wirtschaft Vietnams vor der Reform näher eingegangen. Hierbei werden die Ursachen der tiefgreifenden Wirtschaftskrise Vietnams und einige Lockerungsmaßnahmen für die Wirtschaft im Zeitraum von 1981 bis 1986 aufgeführt. Der dritte Teil befasst sich mit der Transformation in Vietnam. Dabei werden die wichtigsten Reformschritte bzw. -maßnahmen und deren Ergebnisse sowie gegenwärtige Probleme in der Landwirtschaft, im Preissystem, in der Geld- und Finanzpolitik, in den Staatsunternehmen und in der Privatisierung sowie in der Außenwirtschaft dargestellt. Im letzten Teil der Arbeit werden wichtige Herausforderungen mit globalem Bezug, erzielte wirtschaftliche Erfolge sowie bestehende Defizite im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung Vietnams aufgezeigt und analysiert und damit im Zusammenhang stehende Entwicklungsmöglichkeiten dargestellt. Dabei wird auf die Transformationswege näher eingegangen. Abgerundet wird die Arbeit mit einer Zusammenfassung und einer Schlussbemerkung.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: ABKÜRZUNGSVERZEICHNISIII ABBILDUNGSVERZEICHNISIV TABELLENVERZEICHNISV 1.EINLEITUNG1 1.1PROBLEMSTELLUNG1 1.2GANG DER UNTERSUCHUNG2 2.THEORETISCHE GRUNDLAGEN3 2.1BEGRIFFSDEFINITION3 2.2NOTWENDIGKEIT DER TRANSFORMATION3 2.3WICHTIGE REFORMSCHRITTE5 2.3.1Reform im Preissystem6 2.3.2Stabilisierung des Geldwertes7 2.3.3Reform im Finanzwesen8 2.3.4Unternehmensreform und Privatisierung9 2.3.5Reform der Außenwirtschaft10 3.WIRTSCHAFT VIETNAMS VOR DER REFORM12 3.1DIE WIRTSCHAFTSKRISE VIETNAMS UND IHRE URSACHEN12 3.1.1Folgen des Krieges14 3.1.2Folgen der zentralen Planwirtschaft15 3.1.3Auswirkungen der Außenpolitik18 3.2WIRTSCHAFTSLOCKERUNGEN VON 1981 BIS 198619 4.TRANSFORMATION IN VIETNAM24 4.1REFORM DER LANDWIRTSCHAFT25 4.2LIBERALISIERUNG DES PREISSYSTEMS31 4.3SCHAFFUNG DER GELDWERTSTABILITÄT35 4.3.1Bekämpfung der Inflation35 4.3.2Reform des Finanzsystems38 4.4UNTERNEHMENSREFORM UND PRIVATISIERUNG43 4.4.1Reform der staatlichen Unternehmen43 4.4.2Förderung der Privatwirtschaft50 4.5REFORM DER AUSSENWIRTSCHAFT54 4.5.1Liberalisierung des Außenhandels und Exportförderung54 4.5.2Aufbau der Wirtschaftsbeziehungen mit 'nichtsozialistischen' Ländern und weltwirtschaftliche Integration56 4.5.3Förderung ausländischer Investitionen61 5.ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN64 5.1HERAUSFORDERUNGEN65 5.1.1Landwirtschaft65 5.1.2Armut und Einkommensunterschiede69 5.1.3Bildung, Gesundheitswesen und soziale Sicherung72 5.1.4Infrastruktur76 5.1.5Industriepolitik78 5.2ERFOLGE, DEFIZITE UND TRANSFORMATIONSWEGE81 6.ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSBEMERKUNG90 ANHANGVII LITERATURVERZEICHNISXXIII INTERNETQUELLENXXIXTextprobe:Textprobe: Kapitel 4, Transformation in Vietnam: Auf dem VI. Parteitag der KPV im Dezember 1986, dem sogenannten 'Reformparteitag', ergriff die neue Parteiführung die Initiative zu einer ideologischen und wirtschaftspolitischen Richtungsänderung. Neues Leitbild der Entwicklung sollte eine multisektorale Wirtschaft sein, in welcher der staatliche, der genossenschaftliche und der private Sektor gleichberechtigt nebeneinander existieren. Dies bedeutet, dass verschiedene Eigentumsformen an Produktionsmitteln in der gesamten Wirtschaft erlaubt sind. Die bis dahin vorgegebene zentrale Planung wurde in Frage gestellt, Subventionen an die Staatsbetriebe und das staatlich festgesetzte Preisgefüge sollten abgeschafft sowie die industrielle Entwicklung gegenüber der landwirtschaftlichen nicht mehr bevorzugt werden. Die Familienwirtschaft sollte gefördert und eine außenwirtschaftliche Öffnung angestrebt werden. Diese 1986 begonnene Reform konnte zu einem konsistenten Paket geschnürt werden, nachdem die vietnamesische Regierung Anfang 1989 ein binnen- und außenwirtschaftliches Liberalisierungs- sowie ein geld-, fiskal und strukturpolitisches Stabilisierungsprogramm auflegte. Die damit verbundenen Maßnahmen sollten einen effektiven Beitrag zur Lösung der akuten makroökonomischen Probleme leisten. Aus Sicht der Sozialpolitik sollte die Einführung der Reformen in erster Linie die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung für die eigene Bevölkerung gewährleisten und den Lebensstandard der gesamten Bevölkerung verbessern. In den folgenden Abschnitten werden die Reformschritte bzw. –maßnahmen und deren Ergebnisse dargestellt sowie gegenwärtige Probleme aufgezeigt. Reform der Landwirtschaft: Vietnam hat eine Bevölkerungsanzahl von rund 86 Mio. Menschen und eine Fläche von ca. 331.000 km2. Es ist vorrangig ein Agrarland. Bis 1986 war die Agrarproduktion naturabhängig und kaum diversifiziert. Die traditionelle Struktur der Produktion war bis dahin unverändert geblieben. Die Bauern hatten mit winzigen Parzellen, bescheidenster technologischer Ausrüstung und einer schmalen Palette von Produktionstätigkeiten (Feldbau, Viehzucht im Nebengewerbe und etwas Forstwirtschaft) zurecht zu kommen. Zudem produzierten sie überwiegend für den Eigenbedarf oder für den Austausch gegen andere für den eigenen Konsum benötigte Waren (Selbstversorgung der Subsistenzwirtschaft). Nach der Wiedervereinigung Vietnams 1975 war die Landwirtschaft im ganzen Land der Bodenumverteilung und der Kollektivierung ausgesetzt. Die Kollektivierung führte später zu Zwangsgenossenschaften bzw. zur Umwandlung der vietnamesischen Dörfer in landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (Kooperativen). Die Preise und Umsatzmengen der Bauern waren von nun an vom Staat festgelegt. Die Arbeit der Bauern wurde weniger nach Leistung, sondern mehr nach Sozial- und Klassengesichtspunkten bewertet und durch Zuteilung von so genannten 'Arbeitspunkten' belohnt. Die Zwangskollektivierung im Süden war allerdings, trotz des staatlichen Drucks, nicht weit fortgeschritten. Während im Norden 97% der landwirtschaftlichen Produktion kollektiviert waren, waren im Süden nur 20% der Bauernhaushalte in die Genossenschaften eingetreten. So wurden einige Agrarprodukte wie z.B. Reis vor allem von Kooperativen bewirtschaftet, während andere wie z.B. Eier, Fleisch, Fische, Obst und Gemüse überwiegend von privaten Bauern geliefert wurden. Das Ziel der Wirtschaftspolitik in den Jahren nach 1975, nämlich die Kleinproduktion in der gesamten Wirtschaft zu einer sozialistischen Großproduktion zu entwickeln, wurde bis dahin nicht erreicht (vgl. Kapitel 3.1.2). Auch Investitions- und Modernisierungsplanungen für den Agrarsektor waren wenig erfolgreich, obwohl einige Bewässerungsprojekte bessere Energie- und Wasserversorgungsmöglichkeiten auf den Feldern im Norden gebracht haben. Die Bevorzugung der industriellen Entwicklung gegenüber der Landwirtschaft führte dazu, dass der Staat hohe Investitionen für den Aufbau der Schwerindustrie, besonders für den Bau industrieller Großprojekte, getätigt hat. Dabei wurden die Erhöhung der Produktion von Konsumgütern und Exportwaren und insbesondere die Lösung der Ernährungsprobleme mit Hilfe der Landwirtschaft vernachlässigt. Daher wurde seit dem VI. Parteitag, vor allem seit den konkreten landwirtschaftlichen Reformbeschlüssen vom April 1988, die Entwicklung der Landwirtschaft bzw. der Agrarproduktion als erste Priorität angesetzt. Im Zentrum der Zielsetzungen standen dabei die Sicherstellung der Nahrungsmittelproduktion und die Beschleunigung des Produktionszuwachses. Demnach wurde die Landwirtschaft mit Produktionsmitteln und Arbeitskräften sowie mit besserer Infrastruktur versorgt (Dies reichte vom Ausbau von Straßenverbindungen über Elektrizitäts- und Telekommunikationseinrichtungen bis hin zur Modernisierung des Bewässerungswesens und zur Verbesserung der Gesundheitsvorsorge und der ländlichen Schulbildung). Hierbei ging es in erster Linie – neben quantitativen Zuwächsen – um mehr qualitative Effizienz. Dafür wurde ein Finanzierungsprogramm konkret festgelegt, so dass die staatlichen Ausgaben für landwirtschaftliche Investitionen im Jahr 1987 gegenüber dem Vorjahr (24,5%) auf 29% stiegen. Da es nun um die Produktivkräfte geht und nicht mehr um die Produktionsverhältnisse, wurde auf die Eigentumsverhältnisse mit dem Ziel der Schaffung von Kollektiv- und Staatseigentum nicht mehr Wert gelegt. Privateigentum an Produktionsmitteln erhielt jetzt den gleichen Rang wie genossenschaftliches und staatliches Eigentum.