In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, p. 2326-2336
"Der Vortrag beschäftigt sich mit dem Themenfeld Bioethik. Fokussiert wird dabei der Diskurs zur Stammzellenforschung der erst vor kurzem neuen Auftrieb gewonnen hat. Die Positionen in diesem Diskurs laufen quer zu bewährten Explanans der Politikfeld- oder Diskursanalyse. Weder kann man Positionen an wirtschaftlichen Interessen noch gar an (partei-)politischen Überzeugungen fest machen. Die Fragen der Bioethik durchschneiden gewohnte Koalitionen wie dies in ähnlichem Ausmaße nur noch bei Fragen des Schwangerschaftsabbruches der Fall war. Kann von einem sich anbahnenden 'Kulturkampf' gesprochen werden (Hintze 2001) oder geht in den Kampf zu ziehen für eine 'Forschung ohne Fesseln' (Schröder 2005)? Viel interessanter ist es, den Diskurs aus professionssoziologischer Sicht als einen Kampf um gesellschaftliche Deutungsmacht zu verstehen. Aber auch hier handelt es sich nicht um einen Kampf verschiedener Professionen um Definition und Lösung gesellschaftlich wahrgenommener Problemlagen, als vielmehr um einen Kampf des Professionalismus (Freidson) gegen den Pluralismus als politischer Ordnungszusammenhang. Deutlich wird dies an den im Diskurs offenbarten Legitimationsmustern professioneller Argumentation und den darin enthaltenen Vorstellungen vom Diskurs als solchem und von demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen. Anhand der Interpretation von narrativen Interviews mit 20 Mitgliedern des Deutschen Nationalen Ethikrates werden diese Legitimationsmuster einer professionalistischen Argumentation dargestellt und einer wissenssoziologischen Analyse unterzogen. Deutlich wird dabei, dass sich der professionalisierte Diskurs nicht nur als eine Methode der Generierung gleichsam unpolitischer, 'natürlicher' Problemgenerierungen darstellt, sondern sich zudem mit demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen nur schwer vereinbaren lässt. Der Deutsche Nationale Ethikrat dient dabei als Bühne dieses gesellschaftlich stark politisierten Schauspiels." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, p. 4716-4725
"Der Sozial- und Gesellschaftstheorie ist es keineswegs äußerlich, welchen Begriff des (menschlichen) Lebens sie zugrunde legt. Aus impliziten oder expliziten anthropologischen Annahmen resultiert je ein anderes Bild des Sozialen; sind je andere Phänomene für Vergesellschaftung grundlegend; hat die Gegenwartsgesellschaft je einen anderen Charakter; erscheint das Spannungsverhältnis von Leben und Gesellschaft je anders; wird je eine andere Gesellschaftskritik notwendig. Zu beobachten sind gegenwärtig mindestens drei Anthropologien, die in soziologischen Theorien vorausgesetzt sind: unter Rezeption der vitalistischen Lebensphilosophie die Historische Anthropologie bei Foucault, Deleuze, Agamben; unter pragmatistischer Rezeption der Evolutionsbiologie die Soziologische Anthropologie bei Mead und Claessens; unter Transformation des deutschen Idealismus die Philosophische Anthropologie bei Scheler, Plessner und Gehlen. Die theoriegeschichtlich-systematische Rekonstruktion der konträren Anthropologien macht Vorentscheidungen in Gesellschafts- und Sozialtheorien explizit. Die Konzeptionen menschlichen Lebens differieren bereits in der Entscheidung, von wo aus der Blick auf den Menschen ansetzt: Historische Anthropologie setzt an der konstruktiven Unerschöpflichkeit des Menschen bis in seine organische Natur hinein an (historisches Apriori); Soziologische Anthropologie setzt an der Mitwelt, der kollektiven symbolischen Interaktion an, die bereits im subhumanen Leben als Soziales angelegt ist (soziologisches Apriori); Philosophische Anthropologie setzt an der (auch sozialkonstitutiven) Verschränkung von organischer Natur und Kultur an. Die systematische Rekonstruktion erlaubt im zweiten Schritt eine reflexive Konzeption des Sozialen und eine reflexive Analyse der Gesellschaft. Aus der Voraussetzung einer vitalistischen Anthropologie ist eine Kritik 'biopolitischer' Vergesellschaftung möglich; aus der Voraussetzung einer anticartesianischen Anthropologie eine Sozialtheorie der Expressivität, Materialität und Körperlichkeit; aus der Voraussetzung einer anti-individualistischen Anthropologie eine Theorie, die die Bedeutung der Sozialisation in den gesellschaftlichen Diskurs einbringt." (Autorenreferat)
"Es gibt den Leib. Und: Ohne den Leib gibt es keine Innovationen. Genauer: Ohne den Leib gibt es weder soziale Praktiken des Innovationsmanagements noch solche des Innovierens, Produzierens, Konsumierens etc. Das sind die Antworten, die ich auf die Frage nach einer Zusammenfassung des Themas meiner Arbeit in zwei, drei Sätzen geben würde". Mit diesen Worten beginnt der Autor seine umfangreiche Studie, deren Gegenstand seit einigen Jahren wieder im Zentrum betriebs- und volkswirtschaftlicher Diskussionen steht: Innovationen und deren Management. Gefragt wird dann nach den Möglichkeiten, Anlässen und Orten zur "schöpferischen Zerstörung" (Schumpeter): Wie weiß man, wann (und wo) es sich lohnt, statt auf den gewohnten Standardablauf auf die Erkundung des Neuen und dessen - oft aufwändige - Implementierung zu setzen? Die geforderte Revision erfolgt aus einer phänomenologischen Perspektive. Einerseits müssen Modellierungen sozialen Handelns, sozialer Ordnung und sozialen Wandels neu konzipiert werden; andererseits muss bei der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen berücksichtig werden, welche leiblichen Akteure in welcher Art von Interaktion mit ihrer Umwelt diese Erzeugnisse hervorbringen und nutzen. In der Arbeit wird die Relevanz leiblicher Praxis und sozialer Praktiken insbesondere für die Entwicklung von Produkten, Technologien und Dienstleistungen demonstriert. Die gewonnenen Erkenntnisse werden dann auf die Gestaltung wirtschaftlichen Handelns übertragen. Anhand von Modellen aus der Hirn- und Kognitionsforschung sowie an konkreten Fallbeispielen wird deutlich gemacht, was es heißt, wenn Menschen einen Sachverhalt oder eine neue Idee verstehen: "Verstehen kann nicht auf den Verstand oder eine andere mentale Entität reduziert werden - man muss es am eigenen Leib erfahren". (ICA2)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, p. 4236-4242
"Der theoretischen Konzeption der Ad-hoc-Gruppe entsprechend präsentiert sich der Vortrag zweigeteilt. In einem ersten, konstruktionstheoretischen Teil werden Ergebnisse einer laufenden Studie vorgestellt, die sich mit der Legitimationsdebatte um den jüngsten Irak-Krieg beschäftigt. Das soziologische Interesse an diesem Phänomen gilt der Verwendung der Denkfigur des Perspektivwechsels bzw. der Perspektivenreziprozität in moralischer Absicht. Es wird gezeigt, wie die vorgestellte und fiktiv eingenommene Perspektive der irakischen Zivilbevölkerung von zwei bestimmenden Teilnehmern an genannter Debatte - den Christlichen Kirchen auf der einen sowie der US-amerikanischen bzw. britischen Regierung auf der anderen Seite - inhaltlich sehr unterschiedlich bestimmt wird und dass deren jeweilige Konstrukte mit kulturell überkommenen Deutungsmustern eng verknüpft sind. Die empirischen, auf soziohistorische Bedingungen abzielenden Ergebnisse decken auf, welche Reziprozitätsvorstellungen den von diesen Gruppen vertretenen Deutungsmustern des der Christlichen Nächstenliebe bzw. des Militärischen Humanismus zugrunde liegen. Im zweiten, konstitutionstheoretischen Teil wird der Versuch unternommen, Rückschlüsse von der empirischen auf die protosoziologische Ebene zu ziehen. Im Rückgriff v.a. auf die Lebensweltanalyse von Alfred Schütz sowie auf die Philosophische Anthropologie Helmuth Plessners wird dargelegt, wie die empirischen, materialen Phänomene in universale, formale Strukturen des Sozialen eingebettet sind. Diese Analyse zielt auf anthropologische Bedingungen, auf Bedingungen der Möglichkeit, welche konkrete historische Anwendungen der Reziprozitätsformel vorstrukturieren. Mit Plessner wird argumentiert, dass die Figur des Perspektivwechsels als eine anthropologisch bedingte sich aufweisen lässt; mit Schütz, dass sie in ihrem 'Vollzug' bestimmten Strukturgesetzen folgt, wie sie sich aus den universalen Strukturen subjektiver Orientierung in der Welt ergeben." (Autorenreferat)
Der Artikel verbindet Walter Benjamins Konzept des dialektischen Bildes und Gilles Deleuze's Konzept des Zeit-Bildes, um einen Ansatz zur Nutzung des Films als Instrument historischer Forschung zu entwickeln. Der Gedankengang wird unter anderem anhand der Filme "Die Patriotin" von Alexander Kluge und "Shoah" von Claude Lanzmann entwickelt. Film als historische Forschung grenzt sich sachlich gegenüber der Nutzung von Film als historischer Quelle, der Filmgeschichte oder der populärwissenschaftlichen Vermittlung von Geschichte im Film dadurch ab, den Forschungsprozess selbst im Film zu verorten und damit den in der Forschung gewonnenen Erkenntnisgewinn als medienspezifisch auszuweisen. Darum steht dieser Ansatz der Vorstellung von Geschichte als einem gegebenen Gegenstand, der aufzufinden wäre entgegen und beruft sich auf einen Begriff von Geschichte als Praxis der (spezifisch historischen) Aneignung von Gegenwart. Die dem Medium Film eigene Form der Wissensproduktion und die Aneignung der philosophischen Begriffe von Deleuze aus der Perspektive der kritischen Theorie erweist sich für einen solchen Ansatz kritischer Geschichtswissenschaft als besonders produktiv.
'Der Beitrag geht der These nach, dass es insbesondere die im Pragmatismus bereits angelegte und in der Sozialtheorie von Anselm L. Strauss soziologisch ausgearbeitete, besondere Fassung des Verhältnisses von Perspektivität und Prozessualität ist, die die Leistungsfähigkeit des pragmatistisch-interaktionistischen Ansatzes ausmacht, und dass dieses Potential gerade durch die spezifischen Themen und Probleme der neueren Wissenschafts- und Technikforschung im Kontext der 'Science and Technology Studies' (STS) zur Entfaltung kommt und so Anstöße auch in Richtung auf die allgemein-soziologische Theoriebildung geben kann. Dazu wird zunächst das soziologische und sozialphilosophische 'Erbe' des pragmatistischen Interaktionismus rekapituliert, also vor allem die Bezugspunkte im klassischen Pragmatismus und in der Chicagoer Soziologie. Die daraus gewonnen theoretischen und methodischen Positionen werden auf zentrale Fragen der aktuellen Wissenschafts- und Technikforschung (heterogene Kooperation, Faktenstabilisierung, Handlungsbeteiligung von Artefakten) bezogen und abschließend auf ihr allgemein-theoretisches Potential befragt.' (Autorenreferat)
'Politikbegriffe und Methodenbegriffe bedingen einander: Wo sich politologische Forschung auf die Suche nach 'dem Wirksamwerden von Politik' außerhalb der Institutionen und Foren klassischer enger Politikdefinitionen begibt (ins Feld des Populären/ Populären und Alltäglichen), muss sie zu neuen methodischen Herangehensweisen finden. In den Cultural Studies hat sich in dieser Hinsicht, wenn auch aus anderen Gründen, das Postulat ethnographischer Forschung durchgesetzt. Die Implikationen wie auch Schwierigkeiten dieser Forderung für unser Fach gilt es in diesem Beitrag zu beleuchten. Zunächst werden in dieser Hinsicht einige politikrelevante Traditionslinien ethnographischer Theorien in den Sozialwissenschaften rekapituliert. Daran anschließend versucht der Aufsatz die Umsetzung der theoretischen Prämissen an Hand eines konkreten Untersuchungsfelds, dem Bereich der Jugendkulturen, exemplarisch aufzeigen. Darüber hinaus wird die Verbindung einer Rekonzeptualisierung 'des Politischen' und ihre Auswirkungen auf ethnographische Praxis am Beispiel einer möglichen Forschungsagenda zu 'jugendlichen' regierungs- und globalisierungskritischen Protestformen in Österreich dargelegt.' (Autorenreferat)
Die Arbeiten des 2009 verstorbenen Filmemachers Gerhard Benedikt Friedl sind Ausnahmeerscheinungen im österreichischen Dokumentarfilm. Oft übersehen und gerade wegen ihrer ganz eigenen Form und Ästhetik nicht einfach einzuordnen, treffen sich seine Filme wie Knittelfeld (1997) oder Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikt begangen? (2004) an den Schnittstellen von Essay, Dokumentarfilm und Fiktion. "Termitenkino" nannte dies Alexander Horwath in Referenz an den US-amerikanischen Filmkritiker Manny Farber (vgl. S. 37). Geschichte, Politik, Ökonomie und Landschaft werden in Friedls Filmen bearbeitet und mittels eines präzisen Einsatzes von Bild- und Tonmontagen umgegraben. So ist es bemerkenswert, dass sich das vom Österreichischen Filmmuseum und Synema unter Redaktion von Volker Pantenburg herausgegebene Gerhard Friedl – Ein Arbeitsbuch dem oft zu bemängelnden Hang zu interpretatorischen Monografien entzieht und Friedls Werk als eine Materialsammlung präsentiert. Diese Sammlung besitzt als biografisches wie filmhistorisches Format viele Vorteile. Sie schafft es, durch die Kompilation von Interviews, Exposés, Schriftwechseln und den journalistischen Texten Friedls nicht nur einen Einblick in seine sehr eigenwillige Idee vom Filmemachen zu geben, sondern darüber hinaus Friedls wenn auch nur kurze Entwicklung von seinen ersten Filmen als Studierender an der Hochschule für Film und Fernsehen in München bis zu seinen späten Projektentwürfen, zu skizzieren. Die nur zum Teil fertiggestellten Projekte Friedls verweisen auf mögliche Film- und Videoarbeiten an der Grenze zur bildenden Kunst und äußern ebenfalls Friedls wachsendes Interesse am Spielfilm. Besonders die Kritiken und Essays Friedls sind von einer Haltung geprägt, die Dokumentarfilm als Prozess eines Denkens in Bildern versteht. Diese theoretische Ausrichtung Friedls, die auch in seinen Filmen immer an einer Lücke, an dem Dazwischen der Bild- und Tonebenen, interessiert ist, verdeutlicht sich in dieser Materialsammlung. Das Buch ist damit ein wirkliches "Arbeitsbuch", welches die Möglichkeit bietet, sich mit Friedls Werk und Bilddenken eingehend zu befassen und darüber hinaus dazu auffordert, mit den formulierten Ideen und Begriffen weiterzuarbeiten. Während seines Studiums der Philosophie in Wien schrieb Gerhard Friedl für den Falter. Diese frühen Filmkritiken sind oft von einer etwas ungelenken und doch philosophisch geschulten Fahrigkeit. Im Hang zum Theoretisieren, in einem gezielt lässigen Stil des Auslassens, sowie einem vereinzelten Fall ins Polemische, wirken die Texte manchmal etwas zu gewollt kritisch. Trotzdem merkt man, wie Friedl versucht, den besprochenen Filmen eine Sozialkritik abzuringen. Inwiefern kann Film Ausdruck einer sozialen Realität sein, könnte die Frage lauten, welche sich anhand von Friedls Ausstellungstexten und Artikeln für die Zeitschrift Camera Austria entfaltet. In der Auseinandersetzung mit US-amerikanischer Dokumentarfotografie zeigt sich einerseits Friedls Interesse an einer Vermittlung dokumentarischer wie fiktionaler Elemente als Strategien der Repräsentation des Wirklichen. Hier äußert sich seine sehr spezifische Auffassung des Dokumentarischen als "dokumentarische Fiktion" (S. 47). In der Auseinandersetzung mit den Fotografien Jeff Walls kann man andererseits ein weiteres Motiv seiner späteren Filme entdecken: ein Interesse an künstlerischen Arbeitsprozessen, sowie gegenüber der Frage, inwiefern Kunst dem Verständnis von Arbeit etwas hinzufügen kann. Dabei äußert sich Friedls Überzeugung, dass die Produktion von Kunst "[…] den utopischen Aspekt im Gegenwärtigen umkreist" (S. 53). Auch in der im Magazin vierte hilfe. Illustrierte Theorie für das Dienstleistungsproletariat erschienenen Rezension "Arbeit und ihre Nation" versucht Friedl, in Auseinandersetzung mit Harun Farocki und Jean-Luc Godard Bilder von Arbeit zu hinterfragen. Es wird deutlich, dass Friedl Fotografie und Film generell als ein "Ver-orten" versteht. In dem Text "Vordergrund macht Bild gesund" formuliert Friedl etwa eine kleine Filmtheorie des Hintergrunds im dokumentarischen Film, der laut Friedl zwischen zwei Polen verlaufe: einerseits als Eroberung oder Diebstahl von Bildern des Wirklichen und andererseits als Rückschreiten in die Vergangenheit. Der Hintergrund bleibe so entweder ein unbeachtetes Hinten oder eine Reserve des Nicht-Erinnerten; des Nicht-Erzählten (S. 67). Diese von Friedl etwas krude Überlegung zum Verhältnis von Bildvorder- und Bildhintergrund – von Einstellung und Kamera – wird vielleicht erst richtig in der Auseinandersetzung mit seinen Filmen verständlich. Die Beschäftigung mit Friedls filmischen Arbeiten macht zunächst den Einfluss seines Studiums in München deutlich – insbesondere jenen der Seminare Helmut Färbers, welchem Friedl 2007 einen Text widmete. In "Ein Herangehen von Helmut Färber" schreibt Friedl von einer besonderen Prägung, die von Färbers Seminaren ausgegangen sei, welche sich auch in der Betrachtung seiner konkreten Arbeit am Film zeigt: "Kamera und Schneidetisch haben eine gegenseitige Zugehörigkeit." (S. 75) Dabei geht es besonders um ein von Färber gelerntes Sicheinlassen auf die Bilder, darum, diese als konkrete Dinge oder Gegenstände wahrzunehmen und aus ihnen eine Kritik der Bilder oder besser eine Kritik mit Bildern abzuleiten. "Es ist Teil der Vereinbarung, sich auf das Sichtbare einzulassen. Das Sichtbare meint hier beides. Die Dinge, die in der Welt sind; die Dinge, die wir im Kino sehen." (S. 76) Der Wunsch, jene kritischen Potentiale der Bilder herauszuarbeiten, oder anders formuliert: die Idee einer mit Bildern vollführten Kritik, wird, jenseits von Friedls ersten Arbeiten MDW (1992) und AVID (1994), insbesondere in Knittelfeld sichtbar. Es zeigt sich eine Tendenz zu strenger Bildkomposition, welche sich nicht nur in dem im Arbeitsbuch veröffentlichten Drehbuch zu Knittelfeld schon andeutet, sondern die darüber hinaus durch das Gespräch mit Friedls damaligem Kameramann Rudolf Barmettler deutlich wird. Überaus produktiv für eine filmtheoretische Auseinandersetzung mit Friedls Filmen erscheinen auch Barmettlers Aussagen zum Kameraschwenk, der in Friedls Filmästhetik ab Knittelfeld eine besondere Rolle einnimmt. Denn trotz einer eher als chaotisch beschriebenen Produktionsweise schien Friedl sehr genau zu wissen, wie seine Filme eine Einstellung vorzunehmen haben – auch wenn er nicht immer in der Lage war, dies zu kommunizieren, wie es die damalige Produktionsassistentin Ivette Löcker im Interview beschreibt. Diskussionen über die Position der Kamera, die Einstellung, Länge und das Ziel des Kameraschwenks waren ein mühsamer Prozess in der Arbeit an Friedls Filmen (vgl. S. 121). Dass sich das Produktionsteam dabei vereinzelt als Landvermesser*innen ausgeben musste, um fehlende Drehgenehmigungen zu rechtfertigen, scheint in Anbetracht der Filme und ihrer die Orte abtastenden Bilder eine passende Anekdote. Das "Ver-orten" und "Ver-messen" durch den Einsatz von Schwenks zeugt von der Fähigkeit der Kamera, "dass man mit einer Bewegung etwas zusammenbringt" (S. 127) – eine "Anti-Montage" im Raum, die es erlaube, verschiedene räumliche Situationen in einer Einstellung sichtbar zu machen. Der Schwenk gebe dem Schauplatz etwas Sequenzielles, so Friedl: "Ein Schwenk ist interessant, weil er fast eine Form von Schriftlichkeit hat" (S. 141) – eine Operation, die im Vorfeld einer Planung, einer "Lektüre des Ortes", bedarf. Man könne nur filmen, "[…] was man verstanden hat. Man muss Orte beobachten, sehen, wo die Leute herkommen, wo sie hingehen, wie schnell sie es machen, und warum langsam zu anderen Zeiten" (S. 142). Der Arbeitstitel des Amerongen-Projekts, "Tote Arbeit", verdeutlicht das schon zuvor beschriebene Interesse an Bildern von Arbeit und Ökonomie. Ausgehend von der Geschichte der Industriellen-Familie Flick möchte Friedl laut Projektbeschreibung Orte der Wirtschaft, der Schwerindustrie und des Finanzkapitals in assoziativen Bildern sichtbar machen, wobei Friedl den Film hier als Ausdruck eines Spannungsverhältnisses sieht, "das Sichtbare […] als eine Äußerung des Unsichtbaren zu begreifen" (S. 158). Anhand der für das Arbeitsbuch zusammengetragenen Materialen zu Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikt begangen? ergibt sich noch ein weiteres wichtiges Moment in Friedls Werk: das stetige Auseinander- und Zusammenfallen von Bild und Ton – von lakonischem Kommentar und komponierten Schwenkmontagen. In einem Brief an den WDR-Filmredakteur Werner Dütsch, welcher nach Knittelfeld auf Friedl aufmerksam wurde, bezeichnet Friedl das Verhältnis von Bild und Ton für Zuschauer*innen als scheinbar zufällig oder beliebig. Gerade darin liegt das Konzept in Friedls Arbeit mit Ton: in der Herstellung von "singulären, nicht-linearen Momenten" (S. 138). Die E-Mails zum Film zeugen von einem schwierigen Produktionsprozess. Rudolf Barmettler verließ das Projekt kurz nach Beginn – Friedl drehte selbst weiter, teilweise mit Kamera-Assistent Frank Stürmer, und auch der Schnitt dauerte länger als geplant. Nach mehreren Fristverlängerungen der Abgabe beim WDR erschien der Film dann aber doch. Bemerkenswert ist ein E-Mail, das Friedl 2006 nach einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Dokumentarische Positionen" an Nicolas Wackerbarth schickte. Hier bezieht sich Friedl auf Walter Benjamins Idee einer operativen Literatur – einer Literatur, die politisch einem Zweck bzw. einer Wirkung verpflichtet ist. Dieses Konzept des Operativen – eines spezifischen strategischen Einsatzes des Films – sieht Friedl in Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikt begangen? verwirklicht. Gerade durch die Arbeit mit Techniken der Verschiebung und der Assoziation entstehe so ein operatives Gefüge, das jedoch auch ein "produktives Publikum" (S. 196) benötige. Friedls Vorstellung eines operativen, handelnden Films erinnert stark an den von Harun Farocki in den frühen 2000er Jahren für zweckgebundene maschinelle Bildproduktion entworfenen Begriff der "operativen Bilder". In den zusammen mit der Künstlerin Laura Horelli erarbeiteten Projekten The Frontier Owners (2009) und Shedding Details (2008) äußert sich, nach einer gemeinsamen Residenz in den USA, ein ambivalentes Verhältnis von Gerhard Friedl zur Bildenden Kunst. Einerseits schien er angezogen von der theoretischen, recherchebasierten Arbeitsweise, gleichzeitig zeugt insbesondere das im Buch geführte Interview mit Horelli von einer Unsicherheit und Ablehnung gegenüber den Präsentationsmöglichkeiten von Film und Video in der Bildenden Kunst, wie ebenfalls eine gescheiterte Vorführung von Shedding Details auf der Venedig-Biennale 2009 zeigt. Die Skripte und Notizen zu den zwei unvollendeten Filmprojekten Panik von 94 (2005–2008) und Buffalo, New York (ab 2008) bieten wiederum thematische Anschlüsse an Friedls vorherige Arbeiten. Die intensiven historischen Recherchen zu Arbeitskämpfen, industrieller Produktion und den Verstrickungen von Politik und Wirtschaft erscheinen als vielversprechende Projektentwürfe. Die sehr spezifische Suche nach passenden Bildern von Orten – dem "Ver-orten" – wird hier nochmal besonders deutlich. Die den Band begleitenden Produktionsfotografien und zusammengesetzten Schwenks aus Friedls Filmen geben von dieser Suche nach Bildern einen besonders gelungenen und anschaulichen Eindruck. Für eine gegenwärtige filmwissenschaftliche Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Dokumentarfilm und experimentellen Erzählformen stellt das Arbeitsbuch nicht nur eine "Materialbiografie" zur Verfügung, sondern es ist darüber hinaus eine wichtige Fallstudie für die Identifikation einer Tendenz im Dokumentarfilm, die, mit Harun Farocki gesprochen, die Bilder achtet, indem man sie anstrengt. Hier bietet sich ein Anschluss der Praxis Friedls an Theorien zum politischen Landschaftsfilm, sowie dem auch durch Jacques Rancières Filmtexte populär gewordenen Begriff der "dokumentarischen Fiktion" an. Dabei ist die Stärke des Buchs gerade, dass diese theoretischen Interpretationen ausbleiben und durch die Versammlung der Materialien eingehend gezeigt wird, wie man Filmtheorie und Filmwissenschaft auch ausgehend von der Praxis des Filmemachens selbst denken kann.
Der 2017 erschienene Sammelband, herausgegeben von Timo Storck und Svenja Taubner, nähert sich der populären Genre-TV-Serie mit Ansätzen aus unterschiedlichen Disziplinen. Neben den im Titel genannten Serien finden sich Texte über jüngere US-amerikanische Produktionen wie The Americans (Anna Tuschling und Till A. Heilmann), Girls (Rolf und Jan Schröder) und True Detective (Birgit Däwes). Aber auch Beiträge zu älteren Produktionen wie CSI (Lorenz Engell), Sex and the City (Nülüfer Aydin, Katharina Dinhof, Caroline Elz und Sarah Stepanovsky) und Supernatural (Christian Sell und Svenja Taubner) sind hier versammelt. Ausnahmen von den überwiegend in den USA produzierten Serien bilden die deutsche Lindenstraße (Bernhard Strauß), die österreichische Serie Vorstadtweiber (Jutta Menschik-Bendele) und die italienische Serie Gomorrha (Isolde Böhme). Da nicht im Einzelnen auf jeden der zwanzig Beiträge eingegangen werden kann, wird diese Rezension nur einen Gesamteindruck und die Lektüre einiger Texte zusammenfassen. Beim Durchblättern fällt besonders die Gestaltung des Bandes auf, zumindest der an Lektüre von akademischer Literatur gewohnten Rezensentin. Die Inhaltsangabe der einzelnen Aufsätze erscheint vor dem Hintergrund einer Kinosaalabbildung. Auf der Leinwand ist eine Szene der im Text besprochenen Serie zu sehen. Die darauffolgende Seite zeigt jeweils ein DVD-Cover, versehen mit Copyright-Angaben. Auf jeder zweiten Seite gibt es im linken oberen Feld, neben der Angabe der Seitenzahl einen etwa passfotogroßen Screenshot zu sehen. Darüber hinaus finden sich viele Farbabbildungen (genau 70). Zitate aus den Serien sind in doppelter Schriftgröße rot gedruckt, andere längere Zitate visuell mit durchgehenden Linien abgesetzt. Der Band ist also auffällig bunt gestaltet für ein inhaltlich akademisches Buch, oft jedoch mit wenig Erkenntniswert, wodurch sich der Eindruck einer Werbeschaltung nicht vermeiden lässt. Die tatsächliche Werbung des Springer-Verlags auf den letzten Seiten legt nahe, dass der Band, aufgrund der ähnlichen Cover-Gestaltung, Teil einer nicht näher benannten Reihe ist. Somit ist anzunehmen, dass nicht die Herausgeber*innen selbst, sondern der Verlag für die Gestaltung verantwortlich ist. Die Auswahl der Serien beruhe auf dem persönlichen Zugang bzw. der Vorliebe der Autor*innen, wie im Vorwort zu lesen ist. Die Motivation des Bandes wird wiederum mit zwei Gegebenheiten begründet: Zum einen die Beobachtung der Herausgeber*innen, dass Serien dem Film in vielerlei Hinsicht den Rang ablaufen. Zum anderen gaben Veranstaltungsreihen, wie z. B. "PsychoanalytikerInnen kommentieren Filme" den Impuls, Psychoanalytiker*innen über Fernsehserien schreiben zu lassen. Dieser wurde dann um einen transdisziplinären Ansatz erweitert, so dass auch Autor*innen aus der Sozialpsychologie, Medien- und Kulturwissenschaft, Amerikanistik, Philosophie und Forensik angefragt wurden. Die Herausgeber*innen Timo Storck und Svenja Taubner haben wie die Mehrzahl der Autor*innen einen psychoanalytischen Hintergrund. Taubner ist psychologische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin, sowie Direktorin des Instituts für Psychoasoziale Prävention am Universitätsklinikum Heidelberg. Storck ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin. Dementsprechend wird bereits in der Einleitung auf die methodologische Schwerpunktsetzung der Psychoanalyse und psychoanalytische Filmtheorie eingegangen. Diese wird in den einzelnen Beiträgen freilich unterschiedlich angewandt. Für die Herausgeber*innen beinhaltet eine psychoanalytische Perspektive, die eigene Reaktion auf eine Serie zu betrachten und zu befragen "und sie so zum Ausgangspunkt einer Interpretation über Beziehungen zu machen"[1] (S. 5). Das Ergebnis sei nicht, etwas über das individuell Unbewusste auszusagen, sondern "potenziell über gesellschaftlich Unbewusstes" (ebd.), wobei hier auf einen ethnopsychoanalytischen Ansatz Bezug genommen wird. Dabei verstehen Storck und Taubner die Psychoanalyse als Ergänzung anderer theoretischer Zugänge, wie die der Medienwissenschaft, Kulturwissenschaft und Psychologie. Der Psychoanalytiker Ralf Zwiebel beschreibt seinen methodischen Zugang in den einleitenden Bemerkungen seiner Interpretation von In Treatment als einen Dialog zwischen Filmkunst und Psychoanalyse. Da die Serie In Treatment explizit Psychotherapie thematisiert – jede Episode zeigt eine Sitzung des Therapeuten Paul Weston – begreift Zwiebel die fiktiven Personen in der Serie als Repräsentant*innen eines Typus von Therapeut*in bzw. Patient*in und deren Problematiken wie Narzissmus oder Alterskrise. Er betont ausdrücklich, dass er sich nicht ausschließlich auf das Narrativ der Serie bezieht, sondern visuelle Komponenten, räumliche Gestaltung und filmtechnische Aspekte wie Verdichtung und Zuspitzungen ebenso miteinbezieht. Und obwohl die Serie von Psychoanalytiker*innen, wie Zwiebel selbst, als Anschauungsmaterial benutzt wird, geht es ihm nicht darum, wie realistisch die Therapie in der Serie dargestellt[2], sondern um die Frage, welches Bild von Psychotherapie vermittelt wird. Svenja Taubner bezieht sich in ihrem Beitrag "'We are the walking dead' – neue Formen des Altruismus in einer Zombiewelt" auf die Psychologie und Evolutionstheorie, um ihre Hauptthese zu erläutern, dass in der Serie The Walking Dead die Frage nach dem 'Survival of the Fittest' neu gestellt und Egoismus antagonistischem Altruismus gegenübergestellt wird. Die Frage an sich scheint gut gewählt, ließe sich jedoch politischer stellen und auch anders beantworten. Meiner Ansicht nach setzt sich die Ideologie des Überlebens des Stärkeren im Verlauf der Serie weit stärker durch, als es die Autorin beschreibt. Taubner demonstriert vor allem anhand des Hauptcharakters Rick Grimes, wie verschiedene Spielarten eines empathischen bis pathologischen Altruismus durchgespielt werden. Obwohl dieser alle sieben Staffeln überlebt, könnte man daraus ebenso folgern, dass er dies nicht wegen, sondern trotz seines Altruismus tut. Politisch ist nicht nur fragwürdig, dass dieser durch seine Funktion als ehemaliger Polizist als vermeintlicher Retter auftritt, sondern auch, dass die Evolutionstheorie einfach umgeschrieben wird. Denn laut Taubner wird "auf der Grundlage der Idee einer Multi-Level-Selektion das Überleben einer kooperierenden Gruppe" (S. 45) gegenüber 'egoistisch' handelnden Gruppen oder Gruppenmitgliedern gesichert. Das Narrativ der Serie vermittelt jedoch, dass es in einer regierungs- und scheinbar staatenlosen Gesellschaft[3] zwingend (An-)Führer geben muss. Es werden immer neue Diktatoren (wie der 'Governor') generiert, die das Publikum faszinieren oder abstoßen zu vermögen. Die Serie zeichnet entsprechend kein anarchistisches oder hierarchieloses Gesellschaftsmodell. Da aber gerade Zombiefilme oftmals Allegorien gesellschaftlicher Zustände produzieren, ist in dieser Hinsicht meiner Einschätzung nach die Serie reaktionär und stellt die altruistische Position auch als nervend dar, wie Taubner richtig bemerkt. Etwas strittig erscheint mir auch der Beitrag der Amerikanistin Birgit Däwes, die sich mit den ersten beiden Staffeln von True Detective auseinandersetzt. Da sie explizit einen semiotischen und intertextuellen Ansatz verfolgt, erstaunt es, dass Däwes nicht auf aktuelle philosophische Referenzen wie Ray Brassier oder Eugene Thacker eingeht, die selbst in dem Wikipedia-Eintrag zur Serie erwähnt werden. Stattdessen bezieht sie sich lediglich auf kanonischere Werke von Ambrose Bierce und Robert W. Chambers aus der Zeit um die Jahrhundertwende, die auch buchstäblich in der Serie zitiert werden. Zudem weist sie auf "vielgestaltige Grenzüberschreitungen" (S. 320) hinsichtlich Genres (hard-boiled detective fiction und andere klassische Detektiverzählungen wie denen von Edgar Allen Poe und Arthur Conan Doyle, sowie den Film noir und Alfred Hitchcock), Zeitebenen, Räumlichkeiten und gesellschaftlichen Normen hin. Auch ihre Kritik an der "Behandlung der Frauenfiguren" und der "ethnischen Repräsentation" (S. 230) bleibt oberflächlich, ebenso wie ihr Ausblick, der sich schlicht damit zusammenfassen lässt, dass aus (Lebens-)Zeitgründen die Ära der komplexen Quality-TV-Serien vorbei sei und im kleinen Format die Zukunft der Serie liege. Interessanter erscheinen mir die Beiträge, die sich eingehender mit der Signifikanz von 'race' und 'gender' in Serien auseinandersetzen, wie etwa Timo Storcks Beitrag zu Mad Men, Christine Kirchhoffs Analyse von Grey's Anatomy und Ulrike Kadis Interpretation von Masters of Sex. Mad Men zeige, so Timo Storck, dass Rassismus in den USA nicht nur ein Problem von 'rednecks' und 'white trash' in den Südstaaten sei, wie man sie in der ersten Staffel von True Detective sehen kann. Die Serie lege Rassismus vielmehr als Norm offen. Die zeitliche Verortung in den 1960ern habe keinen nostalgischen, sondern einen verfremdenden Effekt. Diese Verfremdung und Distanz sorge nicht nur dafür, dass Mad Men eine Identifikation des Publikums mit den Charakteren verunmöglicht, sondern schlägt sich auch in der Darstellung der Geschlechterverhältnisse nieder. Storck beruft sich (wie auch Ulrike Kadi in ihrem Beitrag) auf Jacques Lacans Formulierung "Es gibt kein Geschlechterverhältnis", um die Nicht-Beziehung zwischen den Geschlechtern in Mad Men zu thematisieren. Lacan wendet sich mit diesem Satz gegen die Illusion, dass sich Männer und Frauen gegenseitig ergänzen und somit gegen ein bestimmtes heteronormatives Liebesideal. Mad Men zeige dementsprechend vielmehr die verfehlte Beziehung zum 'Anderen', Masters of Sex dagegen die Versuche der Sexualwissenschaft dieses 'Fehl' mit Sinn, Bedeutung und Sprache zu füllen, wie Kadi analysiert. Es finden sich mehrere solcher Korrespondenzen in dem Band, sei es die zwischen Psychoanalyse und Film- und Medientheorie oder jene zwischen Co-Autor*innenschaften. Neben der genannten Formulierung Lacans, die in zwei Beiträgen aufgegriffen wird, werden auch in anderen Beiträgen Polaritäten und duale Ordnungen thematisiert: um die duale Geschlechterordnung und deren Subversion geht es auch in den Texten zu Girls und Sex and the City. Der Beitrag "Married. With a Mission" behandelt die Dualität von Privatem und Politischem in The Americans, die Polarität von Privatem und Beruflichen ist Thema in "Die ewig jungen Ärzte" von Christiane Kirchhoff. Das charakteristische Unterlaufen der Opposition von Gut und Böse im sogenannten Quality-TV steht im Fokus der Interpretation von Dexter (in dem Beitrag des forensischen Psychiaters Philipp Masing) und von Breaking Bad. Andreas Hamburger und Bettina Hahn folgen dabei dem bereits angesprochenen filmpsychoanalytischen Ansatz, das Unbewusste des Publikums zu analysieren, wobei sie die Serie als Langzeit-Psychoanalyse begreifen. Gerade der Fokus auf psychoanalytische Perspektiven hebt den Sammelband von vielen anderen Publikationen ab, sowohl von denen, die sich mit Fernsehserien befassen, als auch von denjenigen, die lediglich eine repräsentierte Psychoanalyse thematisieren. [1] Ein Beispiel für diesen Zugang wäre ein Kommentar zur Rede vom "binge watching". Es wird dabei auf den Begriff des "binge eating" aus der psychiatrischen Nosologie verwiesen, einem Symptom, bei dem die Betroffenen die Kontrolle über ihr Essverhalten verlieren. Timo Storck/Svenja Taubner: "Einleitung, oder Previously on TV", S. 2. [2] Zu einem solchen Vergleich zwischen Realität und Fiktion vgl. u. a. Brett Karr: "Dr. Paul Weston and the bloodstained couch". In: International Journal of Psychoanalysis 92, 2011, S. 1051-1058. [3] Scheinbar deshalb, weil das Publikum kaum etwas über den Zustand der Welt jenseits des Radius einer Gruppe von Überlebenden um Rick Grimes herum erfährt.
Inhaltsangabe: Einleitung: Angenommen, die Menschen würden sich mit ein wenig mehr Respekt – nur einem Quantum mehr Liebe, Aufmerksamkeit und Fürsorge begegnen. Wie einfacher wäre wahrscheinlich das Leben miteinander – und um wie viel unbeschwerter könnte man seinen Alltag verrichten. Die Menschen haben es selbst ihn ihrer Hand… Anmerkung des Verfassers, Juli 2010. Das Leben der Menschen eines Industriestaats im 21. Jahrhundert ist gekennzeichnet von einer grundlegenden Schizophrenie: Auf der einen Seite soll man flexibel und innovativ sein, sich ständig verändern und grundsätzlich bereit sein, neues zu lernen. Auf der anderen Seite werden die traditionellen, moralischen Ideale hochgehalten als hätte sich die Gesellschaft nicht verändert. Man ist regelrecht gezwungen, sich dem Sog der Gesellschaft anzupassen, wenn man ein Teil von ihr sein – und bleiben will… In dieser Arbeit soll untersucht werden, aus welchem Grund laut einiger Studien die Lebensqualität der deutschen Bevölkerung im internationalen Vergleich niedriger ist, als dies nach dem Maßstab 'Wohlstand' zu erwarten wäre. Unterschiedliche Entwicklungsindikatoren wie der HDI (Human Development Index), und das Bruttoinlandsprodukt spiegeln aus ökonomischer Sicht den Wohlstand einer Nation wider. Anhand dieser Indikatoren befindet sich Deutschland im Bruttoinlandsprodukt auf dem vierten Platz und im HDI auf dem zweiundzwanzigsten Platz. In Anbetracht dessen, dass weltweit 182 Staaten existieren (Stand: April 2010), befindet sich Deutschland somit im oberen Bereich. Dennoch besagen unterschiedliche Studien, dass die BRD im Punkt der Lebensqualität eine eher enttäuschende Platzierung einnimmt, wie es eigentlich von unserer augenscheinlichen Lebensqualität zu erwarten wäre. Dieses Missverhältnis dieser Untersuchungsergebnisse bildet das Kernthema dieser These. In den Grundlagen dieser wissenschaftlichen Arbeit soll vorerst analysiert werden, welche Faktoren zur Lebensqualität und zum Entstehen von Glücksgefühlen maßgeblich sind. Ebenso sollen Modelle aufgezeigt werden, die konzipiert wurden um die Einflüsse der Lebensqualität verständlicher darzustellen. Im Hauptteil sollen Erhebungen zur Untersuchung der Lebensqualität innerhalb einiger, ausgesuchter Länder mit den Untersuchungsergebnissen Deutschlands verglichen und ausgewertet werden. Welche entscheidenden Faktoren sind für eine verminderte Lebensqualität der deutschen Bevölkerung maßgeblich? Welche Rollen nehmen hierbei beispielsweise die Gesundheit, die Spiritualität und vor allem der Wohlstand ein? Gibt es zur Messung hierfür auch andere, individuelle Orientierungshilfen? Vor allem; Warum befinden wir uns laut einiger Studien zur Ermittlung der Lebensqualität im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld? Hierbei sollen auch Wohlstandsparadoxe diskutiert werden. Warum liegen in der Lebenszufriedenheit Staaten vorne, deren Großteil der Bevölkerung es an dem Niveau des Wohlstands mangelt, wie er in Deutschland herrscht – obwohl doch das Bruttonationaleinkommen schon von jeher darüber Auskunft geben soll, wie gut situiert die Gesellschaft in der jeweiligen Nation ist. Ebenso sollen ableitend die Minderungsfaktoren der Lebensqualität der deutschen Bevölkerung aufgeführt werden. Im Schlussteil sollen durch diverse Maßnahmen politische Instrumente erläutert werden, durch die laut renommierter Glücksforscher die Lebensqualität einer Gesellschaft gesteigert werden kann. Vor allem: was kann die Wirtschaft dazu beitragen. Was kann außerdem jeder Einzelne dafür tun um seine eigene, individuelle Lebensqualität zu steigern? Diese wissenschaftliche These fundamentiert auf Aussagen von Ökonomen und Soziologen, auf Studien, Interviews und Umfragen. Es soll ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass 'Lebensqualität' einem sehr subjektiven Werturteil unterliegt da jeder Mensch unterschiedliche Kriterien in die Messung seiner eigenen Lebensqualität einfließen lässt. Auch Studien zu Glücksforschungen beziehen sich in internationalen Vergleichen auf Ergebnisse einzelner Untersuchungen welche im Ergebnis repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sprechen; Demnach wurden Lebensqualitätsfaktoren mit einbezogen die allgemein gehalten wurden und zu internationalen Vergleichen angewendet werden konnten. Daher kann auf Grund dieser eben genannten Subjektivität niemals die tatsächliche Lebensqualität jedes einzelnen Menschen mit einbezogen werden. Ebenso wenig wird es in dieser wissenschaftlichen Arbeit möglich sein, dem Begriff 'Lebensqualität' eine feste Definition zuzuordnen da jeder Mensch seine eigene Vorstellung von seiner Lebensqualität hat. In der Hinführung soll genauer darauf eingegangen werden. Im gesamten Verlauf dieser Arbeit wird von statistischen Analysen ausgegangen die teilweise über mehrere Jahre hinweg erhoben wurden. Weiterhin muss erwähnt werden, dass Lebensqualität wohl – wenn auch schwer international vergleichbar - nicht in Zahlen darstellbar ist. Da hinzukommend dem Begriff 'Lebensqualität' keine feste Definition zuordbar ist, werden auch philosophische Aspekte einzelner Autoren in dieser wissenschaftlichen These eine Rolle spielen. Das Ziel dieser Arbeit jedoch ist es zum Einen die Gründe zu interpretieren, warum die deutsche Bevölkerung auf der Skala Lebensqualität (Glück) niedriger liegt als auf der Wohlstands-Skala (BSP) und es soll versucht werden aufzuzeigen, welche gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Gestaltungsmöglichkeiten es gäbe, diesen Zustand zu verändern.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: I.Inhaltsverzeichnis II.Abbildungsverzeichnis 1.Einführung1 2.Grundlagen4 2.1Herkunft und Definition des Begriffs 'Lebensqualität' aus wissenschaftlicher Perspektive4 2.2Warum Lebensqualität nicht mit Wohlbefinden und Wohlstand einhergeht: Das Easterlin-Paradoxon7 2.3Ist Glück messbar?12 2.4Glücksfaktoren – der Ursprung unserer Lebensqualität14 2.5Glücksmodelle18 2.6Wie das Klima die Lebensqualität des Menschen beeinflusst23 2.7Das Bruttonationaleinkommen als Indikator der Lebensqualität24 2.8Untersuchung der Lebensqualität27 2.8.1Lebensqualität versus Lebenserwartung27 2.8.2Indizes zur Untersuchung der Lebensqualität28 2.8.2.1Human-Development Index28 2.8.2.2Net Economic Welfare29 2.8.2.3Happy-Planet-Index29 2.8.2.4Bruttonationalglück30 2.8.2.5World Database of Happiness31 2.8.3Fazit der Indizes31 3.Erhebungen der World Database of Happiness34 3.1Vorstellung der Instrumente der World Database of Happiness34 3.1.1Revised NEO Personality Inventory34 3.1.2Gallup World Poll35 3.1.3Fraser Institute35 3.1.4Heritage Foundation35 3.1.5Failed State Index36 3.1.6Estes' Indizes36 3.1.7World Bank Indikatoren36 3.1.8Weitere Untersuchungen37 3.2Vergleich der Erhebungen37 3.2.1Erläuterung zur Vorgehensweise37 3.2.1.1Bestimmung der Vergleichsnationen37 3.2.1.2Einteilung der Einflussgrößen in Hauptgruppen41 3.2.2Auswertung42 3.2.2.1Anmerkungen zur Auswertung42 3.2.2.2Auswertungsergebnisse43 3.2.2.2.1Altersverteilung der Nationen43 3.2.2.2.2Ängste43 3.2.2.2.3Bildungskennzahlen44 3.2.2.2.4Drogenkonsum44 3.2.2.2.5Ernährungsverhalten44 3.2.2.2.6Ethische Zusammensetzung der Bevölkerung45 3.2.2.2.7Freiheit45 3.2.2.2.7.1Pressefreiheit45 3.2.2.2.7.2Juristische Freiheit45 3.2.2.2.7.3Politische Freiheit45 3.2.2.2.7.4Individuelle Freiheit45 3.2.2.2.7.5Unternehmerische Freiheit46 3.2.2.2.8Freizeitgestaltung47 3.2.2.2.9Korrelationen47 3.2.2.2.10Allgemeine Lebenszufriedenheit48 3.2.2.2.11Medizinische Kennzahlen 48 3.2.2.2.12Regierungseffektivität49 3.2.2.2.13Religionskennzahlen49 3.2.2.2.14Sicherheitsbefinden und Kriminalität 50 3.2.2.2.15Technologieindex50 3.2.2.2.16Toleranz der Bevölkerung 50 3.2.2.2.17Versorgungssicherheit51 3.2.2.2.18Vertrauen51 3.2.2.2.19Wirtschaftskennzahlen51 3.2.2.2.20Wohlstand52 3.2.2.3Tabellarische Darstellung der Erhebungen der World Database of Happiness52 3.2.3Kritik an der World Database of Happiness57 3.2.4Fazit der Auswertungen59 4.Strategien für eine glücklichere Gesellschaft62 4.1Die Rolle der Politik62 4.1.1Nachhaltige Vermittlung moralischer Werte63 4.1.2Der Statuswettlauf65 4.1.3Mobilität68 4.1.4Ernährung vs. Lebensqualität69 4.1.5Abkehr von der aktuellen Marktform72 4.1.5.1Dualwirtschaft73 4.1.5.2Gerechte Marktwirtschaft I – Erbschaftssteuer74 4.1.5.3Gerechte Marktwirtschaft II – Geldreform75 4.1.5.4Gerechte Marktwirtschaft III - laboristische Unternehmungen78 4.1.5.5Überlegung einer demokratischen Planwirtschaft79 4.1.6Anmerkung zur Marktreform80 4.2Die Rolle der Wirtschaft81 4.3Die Rolle des Menschen84 5.Fazit90Textprobe:Textprobe: Kapitel 2.8.2, Indizes zur Untersuchung der Lebensqualität: Human-Development Index: Der Human-Development Index (HDI), ein Index der menschlichen Entwicklung ist ein Parameter zur Messung der Lebensbedingungen, verschiedener Staaten im Vergleich. Er wurde im Jahr 1990 das erste Mal vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) vorgelegt – bis dahin war es üblich, die Länder am Pro- Kopf-Einkommen zu messen. Über das Bruttoinlandsprodukt hinaus berücksichtigt der HDI außerdem die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt und den Bildungsstand.79 Laut des HDI befindet sich Deutschland in der Rangliste der Lebensqualität weltweit auf Platz 22 – schlechter schneidet innerhalb der EU nur Portugal ab (Stand: Oktober 2009). Allerdings bilden die geringen Indikatoren zur Messung der Lebensqualität Anlass zur Kritik an der Aussagekraft des HDI. Demnach sind Grund für das schlechte Abschneiden der deutschen Gesellschaft die niedrige Rate eingeschriebener Studenten und Schulbesucher, wobei letzteres nur halb so stark gewichtet wird für die Gesamtstatistik wie die Alphabetisierung – und der Alphabetisierungsgrad in Deutschland liegt bei 99%. Net Economic Welfare: Durch die Erstellung des Net Economic Welfare soll das Defizit des Vorangegangen Punktes gezielt behoben werden. Anstatt auf rein wirtschaftliche Daten zurückzugreifen, sollen ebenso immaterielle Werte herangezogen werden. So stellte Paul Samuelson das Net Economic Welfare (NEW) als 'korrigierte Version des Bruttonationaleinkommen' vor. Bei der Berechnung dessen werden Sozialkosten wie verschmutzte Gewässer und verdreckte Luft zu messen – irrelevant dessen, ob sie den Verursachern angelastet werden. Diese werden anschließend vom Bruttonationaleinkommen subtrahiert. Außerdem werden nach dem NEW Faktoren wie der längere Weg zum Arbeitsplatz, Kosten für Müllabfuhr und Verbrechensbekämpfung, Verkehrsregelung und andere städtische Dienste mitberücksichtigt und wirken sich wohlstandsmindernd aus; somit ergibt der Wohlstandsindex Samuelsons geringere Wohlstandsunterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung als in der Statistik des Bruttonationaleinkommens. Happy-Planet-Index: Der Happy Planet-Index wurde 2006 von der New Economics Foundation eingeführt. Er bezieht – im Gegensatz zu den anderen Indizes – die Nachhaltigkeit einer Bevölkerung mit ein. Diese wird durch die Auswertung des Ausmaßes des Ökologischen Fußabdrucks analysiert, kombiniert mit der Lebenszufriedenheit und Lebenserwartung der jeweiligen Bevölkerung. Demnach befindet sich die USA auf Platz 114 – obwohl es sicher nicht daran liegen könne, dass die US-amerikanische Bevölkerung übermäßig unglücklich sei. Hier schlägt die extrem hohe Umweltbelastung zu buche, die durch die US-amerikanische Bevölkerung ausgeht. Auch andere Staaten – die in anderen Indizes die obersten Plätze belegen – wie zum Beispiel Dänemark, landen im Happy-Planet-Index nur auf Platz 105. So belegen laut des Happy Planet Index ausschließlich Entwicklungs- und Schwellenländer die ersten 40 Plätze, Deutschland rangiert auf Platz 51. Bruttonationalglück: Mit der Philosophie des Glücks hat sich nun auch ein ganzer Staat befasst. Das Königreich Bhutan schaffte unter König Jigme Singye Wangchuk im Jahr 1974 den Index Bruttonationalprodukt schlichtweg ab und ersetzte ihn mit dem Bruttonationalglück. So wird das Bruttonationalglück als fixe Messgröße betrachtet – jede öffentliche Investition oder politische Gesetzesänderung wird erst abgewogen, ob sie tatsächlich dem öffentlichen Gemeinwohl dient. Wie wird vorgegangen in diesem buddhistischen Staat von der Größe der Schweiz mit gerade einmal 800.000 Einwohnern? Mit einem Fragenkatalog, der in etwa 290 Seiten enthält gehen Mitarbeiter des Superministeriums Centre for Bhutan Studies von Haus zu Haus. Tobias Pfaff half bei der Erforschung des Glücks in Bhutan und versteht seine Arbeit als 'Entwicklungshilfe für Europa'. Bildung, Wohlbefinden, Gesundheit, Staatsführung und Lebensstandard stehen somit im Mittelpunkt – man könne so unabhängig von den westlichen Staatskrisen bleiben, da sich der Großteil der Bevölkerung selbst versorgt und somit von Importen unabhängig ist. Als Wachstum wird in Bhutan verstanden, was sich die Menschen wünschen, diese seien Umwelt, Kultur und Tradition. Der Ausdruck 'Bruttonationalglück' ist dem Ausdruck 'Bruttosozialglück' äquivalent.
Aus der Einleitung: Diese Arbeit hat die Darstellung des Fremden in ihrer Entwicklungstendenz durch Beispiele der Chinaforschung in Deutschland mit den Sichtweisen der Forscher, den Diskursen und Methoden in der Vergangenheit und Gegenwart zusammengestellt und diskutiert. Im Rahmen dieser Arbeit wurden Fremdheitsprofile Chinas, der Chinesen und der chinesischen Kultur in der deutschen Forschungsliteratur (im weitesten Sinne) untersucht. In der Forschung über China sind verschiedene kulturrelativistische und kulturalistische Ansätze verbreitet, die zwar fruchtbare Möglichkeiten bieten, sich China als fremder Kultur zu nähern, jedoch sollten nach Meinung der Verfasserin Kultur bezogene Erklärungen gesellschaftlicher (politischer oder ökonomischer) Vorgänge nicht überschätzt werden. Die Darstellungen Chinas als fremdes Land sind meist xenophob oder xenophil motiviert. Während sich die Chinaforschung mit chinesischer Kultur beschäftigt, findet kaum eine theoretische Reflexion über den Begriff Kultur statt. Ebenso wenig, wie über den Begriff der Kultur reflektiert wird, findet in der Forschung eine Reflexion über die Forschungsmethoden statt, besonders den Kulturvergleich und das Kulturverstehen. Traditionell wurde ein Kulturvergleich oft in der Weise vorgenommen, dass das Chinabild als positives oder negatives Gegenbild zum Westen entworfen wurde. Diese Kontrastierung wird der Wirklichkeit Chinas nicht gerecht. Auch wenn diese Kontrastierung des Westens mit einem einseitgen, entweder positiven oder negativen Chinabild heute durch vielfältige andere Chinadarstellungen ergänzt wird, ist es nötig, sich über den Kulturvergleich Gedanken zu machen. Wie dies aussehen könnte, wurde in der vorliegenden Arbeit gezeigt. Das Ziel der Forschung sollte sein, die Möglichkeiten des Kulturverstehens - sowohl der fremden als auch der eigenen - zu erweitern. Zu diesem Zweck sollte in der kulturtheoretischen Fremdheits- bzw. Chinaforschung eine verstärkte Reflexion über Begriff und Konzept des Kulturverstehens stattfinden, aber auch die Reflexion über das Spannungsverhältnis von Eigenem und Fremdem könnte in der Forschung noch vertieft werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Inhalt3 Einleitung8 1.Absicht und Methode der Arbeit8 1.1Gegenstand und Ziel der Untersuchung8 1.2Das Textkorpus9 1.3Aufbau und Gliederung der Arbeit11 1.4Zur Methode der Untersuchung13 2.Forschungsbericht: China als fremdes Land und fremde Kultur14 2.1Chinaforscher in der Geschichte16 2.2Chinaforscher in der Gegenwart19 2.3Die Sinologie21 2.4Die außeruniversitäre institutionelle Chinaforschung25 2.5Chinabilder in den Massenmedien27 2.6China-Reiseführer31 2.7Kulturtheoretische Kritik der Forschung33 1.Kapitel: Dokumentation. Fremdheitsprofilierungen Chinas in verschiedenen Diskursen zwischen 1949 und 200537 1.1Historischer Rückblick: Vorstellung über China als Fremde in der Geschichte37 1.2Chinaprofilierungen zwischen 1949 und 200538 1.2.1Zeit übergreifende Profile38 1.2.2Zeitspezifische Profilierungen39 1.2.2.1Von der Gründung der Volksrepublik bis Ende der 1960er Jahre39 1.2.2.21970er bis Anfang der 1980er Jahre40 1.2.2.3Anfang der 1980er Jahre bis 198941 1.2.2.41990 bis 199742 1.2.2.5Nach 199743 1.2.2.6Aktuelle Diskussionen45 1.2.3Profilierung in der gegenwärtigen Chinaforschung: Interessen und Themen47 1.2.3.1Politische China-Profilierung51 1.2.3.1.1Politisch-strategische China-Analysen51 1.2.3.1.2Über das Dilemma zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen53 1.2.3.1.3Über die Situation der Menschenrechte56 1.2.3.1.4Über die Situation der Rechtsstaatlichkeit58 1.2.3.1.5Über die "Angemessenheit" der "westlichen Demokratie" und der Menschenrechte für China61 1.2.3.1.6Über die Möglichkeit und Perspektive einer "chinesischen Demokratie"62 1.2.3.1.7Traditionalismus und Nationalismus in China67 1.2.3.2Ökonomische China-Profilierung69 1.2.3.2.1Wirtschaftliche Interessen an China70 1.2.3.2.2Volkswirtschaftliche Analyse73 1.2.3.2.3Über den Einfluss von Chinas Erfolg auf Deutschland bzw. den Westen75 1.2.3.2.4Regionale Ungleichheit statt Ganzheit76 1.2.3.2.5Wirtschaftspolitische Analyse77 1.2.3.2.6Markterschließung, Investitionsberatung und Management-Training85 1.2.4China in der kulturwissenschaftlichen Forschung94 1.2.5Kulturanthropologische Profilierung: "die Chinesen"96 1.2.5.1Zum chinesischen "Volkscharakter"98 1.2.5.2"Die heutigen Chinesen"101 1.2.5.3"Ethnische Chinesen" - ein neuer Diskurs gewinnt an Bedeutung104 2.Kapitel: Xenologische Kritik an den Vorstellungen von China als kultureller Fremde107 2.1Grundlegende xenologische Annahmen107 2.2China als das "Fremde" und das "Eigene" in den Fremdheitsprofilen111 2.2.1Rätselhafte Fremde und xenophobe Profilierungen111 2.2.2"Schöne Fremde"112 2.2.3"Das Fremde als das aufgefasste Andere"114 2.2.4Das Fremde und das Eigene116 3.Kapitel: Kritik an den kulturtheoretischen Vorstellungen von China als fremder Kultur123 3.1Vorstellungen von chinesischer Kultur in den Fremdheitsprofilen123 3.2Umarbeitung chinesischer Kultur in konsistente Orientierungsmuster für die interkulturelle Wirtschaftskommunikation125 3.3Eindeutige und widerspruchsfreie Entitäten und "kultureller Kern"128 3.4Traditionalistische Klischees statt Dynamik und Wandel129 3.5Chinesische Kultur: Selbstgärung ohne Umwelt?136 3.6Einheit statt Vielfalt der chinesischen Kulturen137 3.7Universalität versus Partikularität der kulturellen Merkmale138 4.Kapitel: Kulturrelativistische und kulturalistische Ansätze in den Fremdheitsprofilierungen141 4.1Kulturrelativismus141 4.2Kulturalismus148 4.3Überlegungen zum Kultur vergleichenden Profilieren der Fremde154 4.3.1Analyse konkreter Beispiele: "Gesicht", "Beziehung" etc.154 4.3.2Theoretische Überlegungen zum Kulturvergleich167 4.3.2.1Übersetzbarkeit und kontextuelle Rekonstruktion169 4.3.2.2Stereotypenforschung170 4.3.2.3"Interkulturalität" statt "Interkollektivität"172 4.3.2.4Gegenstand des Kulturvergleichs: Differenzen, Gemeinsamkeiten und "Kulturbegegnungen"174 4.3.2.5"Kulturthemen" - Phänomenologie des Kulturvergleichs178 4.3.2.6Motive, Zielsetzung und Anspruch183 5.Kapitel: Kulturverstehen - Erkenntnisse über fremde Kulturen und Länder aus Fremdheitsprofilierungen186 5.1Epistemisches aus der Fremdkulturfoschung186 5.2Interkulturelle Hermeneutik187 5.2.1Hermeneutische Forschung187 5.2.2Hermeneutik und Xenologie: Verstehen und Interpretation der Fremde188 5.2.3Hermeneutik der Interkulturalität194 6.Kapitel: Ergebnisse und Zusammenfassung206 7.Quellen- und Literaturverzeichnis211Textprobe:Textprobe: Kapitel 1.2.3.2.5, Wirtschaftspolitische Analyse: Ein wichtiges Stichwort zur Analyse der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist die 'sozialistische Marktwirtschaft'. Sie ist zugleich ein wichtiges Stichwort der wirtschaftspolitischen Profilierung Chinas. Eine vergleichende Darstellung der deutschen und der chinesischen Wirtschaftsordnung wurde 1995 bei einer gemeinsamen Tagung der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften Beijing und dem Forschungsinstitut für Philosophie Hannover von Wissenschaftlern aus beiden Ländern begonnen. Die Ergebnisse mündeten in dem Buch Sozialistische Marktwirtschaft - soziale Marktwirtschaft: Theorie und Ethik der Wirtschaftsordnung in China und Deutschland. Vor einer Rekonstruktion der vergleichenden Profilierung chinesischer Wirtschaftsordnung in dem oben genannten Buch ist eine Betrachtung der zentralen Begriffe geboten, um die Vergleichbarkeit beider Wirtschaftsordnungen zu durchleuchten. Dabei auf die Anwendung jener klassisch-politisch definierten Begriffe "Sozialismus" und "Kapitalismus" zu verzichten, ist sicherlich ratsam, da die wirtschaftliche Ordnung in der Praxis schon längst nicht mehr so zu kategorisieren ist, wie sie von der marxistischen Theorie dargestellt wurde - falls sie es überhaupt jemals gewesen ist. Aus der Perspektive der modernen wirtschaftspolitischen Analyse sind die Wirtschaftsordnungen in zwei Hauptkriterien einzuteilen: Koordinationsverfahren und Eigentumsordnung. In Bezug auf die Eigentumsordnung fächert sich die abnehmende marktwirtschaftliche Ordnung auf der Skala vom Priorität-Gewähren des Privateigentums über das Priorität-Gewähren privaten und öffentlichen Eigentums bis zum Priorität-Gewähren öffentlichen Eigentums. In Bezug auf das Koordinationsverfahren nehmen marktwirtschaftliche Elemente ab: von der marktmäßigen Vereinbarung über die Kombination der marktmäßigen Mechanismen mit Lenkungsmaßen bis zur Verwaltungswirtschaft. Die Koexistenz der Prioritäten des öffentlichen und privaten Eigentums bzw. der marktmäßigen bzw. planungsmäßigen Lenkungsmaßnahmen sind in beiden Systemen, der deutschen und chinesischen Wirtschaftsordnung, präsent. Trotz quantitativer Unterschiede in der gegenwärtigen Setzung der verschiedenen Prioritäten verlaufen die Entwicklungen in beiden Systemen in die gleiche Richtung: Es gibt immer mehr Privatisierung und mehr marktmäßige Koordination. Der entscheidende qualitative Unterschied liegt in der rechtsstaatlichen Ausgangsbasis. So markiert nach Peter Koslowski der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" in China den Versuch, die Wandlung von einer Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft zu vollziehen und dabei "Elemente des Sozialismus weiterhin gültig sein zu lassen", z. B. autoritäre Elemente. Der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" markierte und markiert in der Bundesrepublik Deutschland den Versuch, eine freiheitliche Ordnung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft zu verwirklichen, die dem Leitbild der Marktwirtschaft und ihrem Gedanken der liberalistischen Privatrechtsautonomie verpflichtet ist, aber auf soziale Elemente insofern zurückgreift, als sie eine Sozialversicherung und gewisse Elemente der Umverteilung, etwa durch die Besteuerung und Transferzahlung, für die Sicherung einer freiheitlichen Ordnung für unabdingbar hält. In Bezug auf die wirtschaftspolitische Lage Chinas spricht Barbara Krug von einer "Koexistenz von plan- und marktwirtschaftlichen Strukturen" und einer "Situation 'institutioneller Schwäche', indem keines der Wirtschaftssysteme seine jeweiligen Sanktionen oder Anreize voll entfalten kann". Gemeinsam hat China laut Krug mit allen sozialistischen Ländern am Anfang der Reformen das "Fehlen von privater Ersparnis, handelbaren Produktionsfaktoren, Vertragssicherheit und Durchsetzbarkeit von privaten Eigentumsrechten". Speziell an China sei die institutionelle Schwäche auch in Bereichen, wo private Unternehmen zugelassen und erwünscht seien: Das Fehlen von Mittlerinstitutionen, z. B. "Banken, die Informationen potentieller Handelspartner generieren sowie Ersparnis poolen", "Anwälte, die die Vertrauenswürdigkeit potentieller Partner garantieren oder bindende Verträge aushandeln" sowie Dienstleistungen wie z. B. die Werbewirtschaft. Aus diesen Gründen schätzt Krug die Situation in China als "Situation der Unsicherheit und des Risikos" ein, was Unternehmensgründer ihrer Meinung nach einkalkulieren müssen. Dass die klassische Bezeichnung und das Verständnis von 'Sozialismus' oder 'Kapitalismus' immer mehr an ihrer ursprünglichen Bedeutung in Interdependenz zum gesamten politischen System verliert, zeigt auch der Wandel in der Bezeichnung der chinesischen Wirtschaftsordnung: Man verabschiedet sich von der "sozialistischen Marktwirtschaft" und spricht nun vom "Kapitalismus" als einem Merkmal der chinesischen Wirtschaft. Dieter Kuhn, Professor für Sinologie in Würzburg, fasst diese marktwirtschaftliche Entwicklung in China wie folgt auf: "Wenn wir die jüngsten Erklärungen und Planungen zu weiteren Reformen der Wirtschaft (vor allem im Kreditwesen, bei Investmentfonds und für Hightech-Unternehmen) in der Volksrepublik China betrachten, dann kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass der chinesische Premierminister Zhu Rongji um eine privatwirtschaftliche Anpassung an internationale Gegebenheiten bemüht ist. Da dies nicht um jeden Preis geschehen kann, bleibt abzuwarten, wie sich der Wettbewerb zwischen den chinesischen und dem amerikanischen Kapitalismus, der auch in den Vereinigten Staaten selbst und in British Columbia in Kanada bereits begonnen hat, entwickeln wird." Kuhn spricht vom "chinesischen Kapitalismus und seinen Besonderheiten". Die Grenzen der Demokratisierung, "bis zu denen sich der chinesische Kapitalismus auf den Kapitalismus des freien Marktes nach amerikanischem Modell politisch und wirtschaftlich einlassen kann", liegen nach Kuhn wegen den demographischen Bedingungen in der begrenzten Demokratisierung Chinas und im traditionalistischen chinesischen "Netzwerk", einer Art Wirtschaftsstruktur und –Kultur der "ethnischen Chinesen" mit Bezug auf die zwischenmenschliche Beziehung und mit "Familienbetrieben" als "Kern". Hier ist eine starke kulturalistische Argumentationsweise zur Unterstützung der These der institutionellen Rahmenbedingung der Wirtschaft zu erkennen. Verstärkt wird diese Argumentationsweise durch die Idee des chinesischen Sonderweges, der sich notwendigerweise aus kulturellen und gesellschaftlichen Gründen ergeben hat. Für das demographische Problem auf dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt, in der Verkehrspolitik und auch in der Sozialversicherung sieht Kuhn für den chinesischen Kapitalismus den Ausweg darin, Lösungen zu suchen, "die für China tauglich sind": "Die Regierung Chinas muss (...) eigene, auf China bezogene Strategien entwickeln, um das wirtschaftliche und demographische Problem des Landes zu lösen. (...) Es gibt bereits viele Indikatoren, die nahe legen, dass eine kapitalistische Struktur in der zukünftigen Wirtschaft in
Die liberale Demokratie steht weltweit unter Druck. Sie wird durch antiliberale Bewegungen und Parteien ebenso herausgefordert wie durch autoritäre Regimes. Der Liberalismus als parteiübergreifende Strömung ist in die Defensive geraten und wird oft mit Marktradikalismus, sozialer Kälte und ökologischer Ignoranz assoziiert. Die namhaften Beiträger*innen zeigen, dass der Liberalismus als Denkrichtung nicht tot ist. Sie stellen in ihren Essays Ideen und Ansätze für neue liberale Konzepte zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit vor: vom Klimawandel über Globalisierung und digitaler Revolution bis hin zu transnationaler Migration und zur zunehmenden Systemkonkurrenz zwischen Demokratien und autoritären Regimen.