Bitte nachschärfen
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NRW will Machtmissbrauch in der Wissenschaft per Gesetz bekämpfen. Gut so. Doch wenn die Landesregierung die Betroffenen wirklich besser schützen will, muss sie mehr liefern als in ihrem Eckpunktepapier. Ein Gastbeitrag von Leila Dedial, Sophia Hohmann und Jana Lasser.
Hauswand in Hamburg. Foto (zugeschnitten): Sebastian Bartoschek, CC BY 2.0.
IM WINTERSEMESTER 2023/2024 hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in einer Pressemitteilung deutlich gemacht, dass auch Maßnahmen gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft im "Hochschulstärkungsgesetz" berücksichtigt werden sollten.
Nun liegt jedoch ein Eckpunktepapier für die geplante Novelle vor, das genau an dieser Stelle noch nicht liefert. Hinzu kommt: Es offenbaren sich im Papier Schwächen im Verständnis
von Machtmissbrauch an Hochschulen sowie im Schutz von Betroffenen.
Es ist richtig und wichtig, dass eine gesetzliche Grundlage für die Bekämpfung von Machtmissbrauch geschaffen werden soll: Die aktuellen rechtlichen Möglichkeiten sind auch in Nordrhein-Westfalen
nicht ausreichend, um Machtmissbrauch im Wissenschaftssystem präventiv und sanktionierend zu begegnen. Das haben nicht erst die vielen verschiedenen bekanntgewordenen Fälle der vergangenen Jahre
gezeigt. Wir begrüßen es daher sehr, dass sich die nordrhein-westfälische Landesregierung dieser Verantwortung bewusst ist und Pionierarbeit in der Entwicklung von gesetzgeberischen Maßnahmen
leisten möchte.
Im Eckpunktepapier heißt es indes: "Bei dem Thema Machtmissbrauch in wissenschaftlichen Kontexten handelt es sich nicht um ein besonderes strukturelles Problem der Hochschulen, sondern um ein
individuelles Versagen Einzelner, die ihre Machtposition missbräuchlich ausnutzen. Der gesetzgeberische Ansatz muss dieser Problemdiagnose entsprechen."
Unsere Problemdiagnose ist eine andere: Machtmissbrauch hat Ursachen, die dem Wissenschaftssystem inhärent sind. Ungeachtet dessen sind es Individuen, die ihre Macht missbrauchen, weil ihnen
dieses Handeln durch Strukturen wie extremen Abhängigkeiten und prekären Beschäftigungsbedingungen ermöglicht wird. Deshalb ist es entscheidend, dass die geplanten Maßnahmen Machtmissbrauch als
systemisches Problem adressieren. Gleichzeitig kommt es darauf an – und dies benennt das Eckpunktepapier treffend – dass das geltende Recht so ergänzt wird, dass Hochschulen in ihren
Möglichkeiten, auf Täter*innen zu reagieren, gestärkt werden.
Ein zu eng gefasstes Verständnis
von Machtmissbrauch
Wesentlich für die Bekämpfung von Machtmissbrauch ist außerdem die Anerkennung seiner Vielfalt. Die im vergangenen Jahr in NRW medial diskutierten Fälle zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der
Ausprägungen, die Machtmissbrauch an Hochschulen hat. Ein so eng gefasstes Verständnis scheint jedoch auch im Eckpunktepapier durch: So werden vorwiegend sexuelle Belästigung und Diskriminierung
in Lehr-Lernkontexten adressiert, während etwa die vom extrem hierarchisch organisierten System begünstigte Ausbeutung von befristet und abhängig beschäftigten Wissenschaftler*innen
(Promovierenden, Post-Doktorierenden) und studentischen Beschäftigten durch ihre Betreuer*innen unerwähnt bleiben.
Auch bezieht Machtmissbrauch weitere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Ableismus und Klassismus sowie deren Verschränkung mit ein und geht über Lehr-Lern-Kontexte und die im Entwurf genannten
Statusgruppen hinaus. Dass derart gelagerte Fälle bisher in Nordrhein-Westfalen nicht medial aufgegriffen wurden, heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Auf unserer Website können Fallbeispiele
anonym eingereicht werden: Eines davon beschreibt die komplexen Herausforderungen internationaler Studierender. Ein anderes handelt davon, wie ein Lehrstuhlinhaber sein Lehrdeputat jahrelang
unerlaubt an seine Mitarbeiter*innen delegiert hat und gewalttätig wird, als er auf Widerstand stößt. Die Gesetzgebung muss Betroffene stärken, sich als Betroffene erkennen zu geben, und darf
bestimmte Formen des Machtmissbrauchs durch eine Engführung nicht ausschließen, unsichtbar machen oder gegeneinander ausspielen.
Im Fokus der Maßnahmen müssen die Personen stehen, für die der Hochschulraum nicht sicher ist. Ausgehend von der Frage, wie Betroffene gestärkt werden können, müssen konkrete Handlungsoptionen
entwickelt werden, die Betroffene durch eigens geschaffene Strukturen schützen, begleiten, entlasten und entschädigen. Im Eckpunktepapier werden zwar weisungsunabhängige Ansprechpersonen benannt,
die Hochschulen "für Fragen im Zusammenhang insbes. mit sexueller Belästigung zum einen und der Antidiskriminierung zum anderen" einrichten können. Diese Stellen dürfen die Parteilichkeit für die
Hochschule – so wie sie aktuell bei vielen Anlaufstellen gegeben ist – aber nicht weiter fortschreiben, sondern müssen als parteiische Stelle für die Betroffenen agieren.
Betroffene nicht nur auf dem Papier,
sondern de facto schützen
Machtmissbrauch muss auch präventiv bekämpft werden, indem Personen mit viel Macht für ihre Position sowie die Konsequenzen ihres Handelns sensibilisiert werden. Die Eignung von Führungspersonal
an Hochschulen spricht auch das Eckpunktepapier an, verfehlt aber eine Orientierung hin zu einer Auswahl, die nicht nur auf wissenschaftliche "Exzellenz", sondern auch auf Führungseignung und
-qualitäten abstellt.
Es bleibt die Schlussfolgerung, dass die Landesregierung nachschärfen muss, wenn sie die Hochschulmitglieder nicht nur auf dem Papier, sondern de facto schützen will. Dafür ist wesentlich die
Vielfalt von Machtmissbrauch in der Wissenschaft mitzudenken und die Prävention von Machtmissbrauch voranzutreiben. Macht wird dort missbraucht, wo sie in großer Fülle gebündelt einzelnen
Personen zur Verfügung steht und ihr Missbrauch kaum Konsequenzen hat. Um Machtmissbrauch effektiv zu verhindern, müssen deshalb die systemischen Komponenten des Problems adressiert werden.
Leila Dedial, Sophia Hohmann und Jana Lasser engagieren sich im Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft e.V.
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