Open Access BASE1993

Die Handelspolitik der EG nach 1992: Die "Integrationsdividende" in Gefahr

Abstract

Die Handelspolitik der Gemeinschaft ist im Jahre Eins des Binnenmarktes deutlich ins Schlingern geraten. Drei Faktoren haben dazu beigetragen. Erstens mußten "Altlasten" aus der Vor-Binnenmarktzeit in Gestalt unterschiedlicher nationaler Handelspolitiken vereinheitlicht werden, um einen völlig ungehinderten innergemeinschaftlichen Warenverkehr zu verwirklichen. Zweitens hat in kurzer Zeit der Angebotsdruck aus verschiedenen Drittländern in den Produktgruppen, deren Standort in der Gemeinschaft seit langem gefährdet ist und die deshalb von Politikern als "sensibel" bezeichnet werden, deutlich zugenommen. Drittens sind fundamentale Unterschiede zwischen Mitgliedstaaten darüber aufgebrochen, welchen Beitrag die Gemeinschaft zur internationalen Handelsordnung leisten und wie die Handelspolitik auf Rezession und steigende Dauerarbeitslosigkeit reagieren soll. In der "Altlasten"-Frage zeigen die Beispiele "Kraftfahrzeuge aus Japan" und "Bananen aus Lateinamerika", daß sich in der EG Mehrheiten für protektionistische Politiken durchsetzen konnten. Die bisher getroffenen Maßnahmen sind allokationspolitisch schädlich und ordnungspolitisch verfehlt. Sie belasten die Konsumenten in den früher offenen nationalen Märkten (in erster Linie die deutschen Konsumenten), hemmen die Innovationsdynamik innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft, schaffen Präzedenzfälle für einen "managed trade" und lassen weltweit das Gespenst der Festung Europa aufleben. Dem rasch anwachsenden Angebotsdruck bei "sensiblen" Gütern begegnet die Gemeinschaft vorzugsweise zunächst mit präventiven Maßnahmen. Es werden Antidumpingverfahren angedroht, Mindestpreise gefordert und ein Exportwohlverhalten angeregt, bevor zu handelsbeschränkenden Maßnahmen gegriffen wird. Dabei spielt die Gemeinschaft in den bilateralen Konsultationen außerhalb des GATT ihre ganze Verhandlungsmacht als vielfach wichtigster Exportmarkt aus. Mittel- und Osteuropa, obgleich gegenüber anderen Drittländern klar bevorzugt, werden von der Prävention nicht ausgenommen. Dies beweist das Beispiel Stahl. Was die internationale Handelsordnung betrifft, so zeigt das Memorandum der französischen Regierung vom Mai 1993 zur Rolle der EG in der Uruguay-Runde und zur künftigen Handelspolitik der Gemeinschaft einen weitgehenden Bruch mit den Regeln der Multilateralität, der fortschreitenden Liberalisierung und der Nichtdiskriminierung zwischen Sektoren. Frankreich fordert eine Sonderstellung für Sektoren wie Landwirtschaft und Zivilluftfahrt, einen wirksamen handelspolitischen Schutz für die Gemeinschaft und einen stärkeren Einsatz bilateraler Instrumente. Würde sich die Gemeinschaft diese Forderungen zu eigen machen, dann würden die Erfolge aus vielen GATT-Runden zunichte gemacht. Setzt sich das fort, was 1993 an Restriktionen in der Handelspolitik sichtbar wurde, so wird die EG-Handelspolitik in Zukunft stärker bilateral ausgerichtet sein. Zudem wird die Gemeinschaft präventive Maßnahmen — gestützt auf ihre Verhandlungsmacht — einsetzen und die Interessen von Noch-Nicht-Mitgliedern (Mittel- und Osteuropa) stärker zu Lasten anderer Drittländer berücksichtigen. Der schwache Lichtblick, statt mengenmäßiger Beschränkungen verstärkt Zollkontingente einzusetzen, wird dann verblassen, wenn die Gemeinschaft, wie im Bananenbeispiel geschehen, derartige Kontingente mit Prohibitivzöllen versieht.

Languages

German

Publisher

Kiel: Institut für Weltwirtschaft (IfW); Kiel, Hamburg: ZBW - Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften, Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

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