Thesis2009

Deutsch-russische Geschäftsbeziehungen: Analyse von Missverständnissen

In: Diplomarbeit

Abstract

Inhaltsangabe:Einleitung: Problemstellung und Zielsetzung: Mit der zunehmenden Internationalisierung des Wirtschaftslebens ist die Zahl der deutsch-russischen Geschäftskontakte rasch gestiegen. Doch mit der steigenden Effizienz stieg auch das Konfliktpotenzial, das mögliche Wettbewerbsvorteile vernichtet. Nach der Auflösung des Ostblocks und bei dem Versuch der Ost-West-Annäherung wurde die Basis des Ost-West-Gegensatzes nicht mehr wie vorher im Politisch-Wirtschaftlichen gesehen, sondern zunehmend im Kulturellen. Der Eiserne Vorhang und der Kalte Krieg wurden durch eine neue Grenze ersetzt, die den Namen Mauer in den Köpfen bekam. Das brachte die Herausforderung mit sich, die Reibungsverluste in den interkulturellen Verhandlungssituationen zu minimieren. Somit gewann auch das Thema Interkulturelles Lernen stark an Bedeutung. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die Missverständnisse, die im Rahmen deutsch-russischer Zusammenarbeit entstanden sind bzw. entstehen können. Beim Entwerfen des theoretischen Rahmens sowie bei der Analyse erhobener Daten wird von der Annahme ausgegangen, dass die Unterschiede in den Werteorientierungen der Interaktionspartner ein hohes Potential für Missverständnisse bergen. Dabei sind die Ursachen für die Missverständnisse nicht die kulturellen Unterschiede an sich, sondern vielmehr die Annahme, dass es diese nicht gibt. Die Forschungsproblematik beinhaltet somit zwei Ebenen: die Ebene der kulturellen Unterschiede, die für die Geschäftsbeziehungen zwischen Deutschen und Russen relevant sind, und die Ebene der daraus resultierenden Missverständnisse. Von daher werden für die theoretische Untermauerung des Forschungsproblems zwei theoretische Gebilde miteinander verknüpft. Das innere Theoriegebilde besteht aus den Theorien über die Werteorientierungen von G. Hofstede, E. T. Hall sowie F. Trompenaars. Den äußeren theoretischen Rahmen bildet die 'Mindful Identity Negotiation' - Theorie von Ting-Toomey. Der Ansatz von Ting-Toomey ermöglicht, die vielfältigen Aspekte der interkulturellen Problematik systematisch zu betrachten, und bildet eine Brücke zwischen den Kulturunterschieden und den daraus resultierenden Missverständnissen. Das gesamte Theoriegebilde dient als Basis für die Entwicklung des hier vorgestellten 'Mindful Identity Negotiation for Business' - Modells, anhand dessen die Analyse der Missverständnisse in den deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen vorgenommen werden soll. Untersucht wird lediglich jener Teilaspekt der zugrunde liegenden Theorie, der sich auf die Werteorientierungen bezieht. Anschließend dienen die Untersuchungsergebnisse der Konstruktion zweier Fallstudien, die ein Bestandteil des vorgeschlagenen bikulturellen Trainingskonzepts sind. Struktur dieser Arbeit: Den konzeptionellen Überlegungen von oben folgend, besteht diese Arbeit aus drei Teilen: dem Theorieteil, dem Untersuchungsteil und dem Anwendungsteil. Im Teil I werden zunächst die Schlüsselbegriffe erläutert. Der Abschnitt 3 stellt den theoretischen Rahmen dieser Diplomarbeit vor. Da die Bildung eines kulturspezifischen Kategorienrahmens für die Analyse der Missverständnisse in den deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen auf der 'Mindful Identity Negotiation' - Theorie von Ting-Toomey basiert, wird diese zuerst vorgestellt. Im Hinblick auf den Schwerpunkt der Untersuchung werden die Theorien zu den Werteorientierungen detailliert behandelt. Die kulturhistorische Verankerung der forschungsrelevanten Aspekte wird ebenfalls aufgezeigt. Im darauf folgenden Abschnitt wird die 'Mindful Identity Negotiation' - Theorie als neuer Kategorisierungsrahmen für die Analyse der Missverständnisse in den deutsch-russischen Geschäftsinteraktionen vorgestellt. Teil II dieser Arbeit widmet sich der eigentlichen Untersuchung. Im Abschnitt 4 wird das Forschungsdesign vorgestellt. Anschließend werden in den Abschnitten 5 und 6 die Ergebnisse präsentiert und die Untersuchungsmethode kritisch gewürdigt. Die Interpretation der Untersuchungsergebnisse mit abschließender Diskussion befindet sich im Teilabschnitt 7. Der letzte Teil dieser Arbeit besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Abschnitt. Der Theorieteil widmet sich der Konzeption des bikulturellen Trainings. Die im Rahmen der Konstruktion des Trainingsinstruments vorgenommene Validierung ergänzt den praktischen Teil dieser Arbeit. Am Schluss wird das Trainingskonzept (Ablauf) vorgestellt und gewürdigt. Im Schlusswort werden die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und die Implikationen für die weitere Forschung aufgezeigt.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: TabellenverzeichnisI AbbildungsverzeichnisII AnhangsverzeichnisIII AbkürzungsverzeichnisIV 1.Einleitung1 1.1Problemstellung und Zielsetzung1 1.2Struktur dieser Arbeit2 Teil I: Theoretischer Rahmen3 2.Begriffsbestimmung3 2.1Kultur und Interkultur3 2.2Geschäftsbeziehungen als besondere Art der Interaktion5 2.3Interkulturelle Kommunikation und Missverständnisse5 3.Theorien zur interkulturellen Forschung und die relevante Teile der Kulturgeschichte8 3.1'Mindful Identity Negotiation' - Theorie8 3.1.1Begründung der Theorieauswahl und die 'Identity Negotiation' - Perspektive8 3.1.2Modell der interkulturellen Kommunikation nach Ting-Toomey9 3.1.3Theorien zu den Werteorientierungen13 3.1.3.1Dimensionen nach G. Hofstede14 3.1.3.2Zeitorientierung nach E. T. Hall16 3.1.3.3Dimensionierung der Arbeitskulturen nach F. Trompenaars17 3.1.3.4Kritische Würdigung der Dimensionierungskonzepte18 3.2Historische Hintergründe20 3.2.1Kulturerbe Russlands20 3.2.2Kulturerbe Deutschlands22 3.3'Mindful Identity Negotiation for Business' - Modell23 3.3.1Flexibilität vs. Terminierung26 3.3.2Das geschäftsbezogene Rollenverständnis27 Teil II: Untersuchung31 4.Untersuchungsdesign31 4.1Überlegungen zur Auswahl der Forschungsmethode31 4.2Untersuchungsschritte32 4.2.1Auswahl der Stichprobe33 4.2.2Kategoriensystem und Kodierschema 134 4.2.2.1Analyseeinheiten34 4.2.2.2Einschätzungsdimension34 4.2.3Kodierschema 2: Sonderkategorie36 4.2.4Interviewleitfaden37 4.2.5Die Datenerhebung und -erfassung38 4.2.6Datenaufbereitung und Auswertungsschritte39 5.Ergebnisse der Untersuchung40 6.Kritische Würdigung der Untersuchungsmethode42 7.Interpretation und Diskussion der Ergebnisse44 7.1Potenzial für Missverständnisse aufgrund der Unterschiede in den Terminierungs- und Flexibilitätspräferenzen45 7.2Unterschiede im geschäftsbezogenen Rollenverständnis als Quelle der Missverständnisse46 7.3Sonstige Ursachen für die Missverständnisse in den deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen: Versuch einer Strukturierung51 7.4Zusammenfassung der Ergebnisse und Zwischenfazit53 Teil III: Interkulturelles Training54 8.Theoretische Vorüberlegungen zu interkulturellen Trainings54 8.1Trainingsziele55 8.2Cultur Assimilator und Critical Incidents56 8.2.1Möglichkeiten und Grenzen der Trainingsmethode56 8.2.2Fallkonstruktion: Methodische Vorgehensweise57 9.Validierungsverfahren58 9.1Vorgehensweise bei der Validierung58 9.2Validierungsergebnisse59 10.Trainingsablauf60 11.Kritische Würdigung des Trainingskonzepts61 12.Schlusswort und Ausblick62 Literaturverzeichnis64 Anhang74Textprobe:Textprobe: Kapitel 3.2, Historische Hintergründe: Die Erklärung der Tiefenstruktur einer Kultur bedarf einer historischen Fundierung. Anhand der historischen Eckdaten und Prozesse wird im Folgenden versucht, die Wurzeln der Werteorientierungen beider Kulturen abzuleiten. Kulturerbe Russlands: Bei der Ausformung der russischen Arbeitskultur haben neben den klimatisch-geografischen Bedingungen das Zarentum, die Ostkirche, das kommunistisch-sozialistische Ideologie- und Wirtschaftssystem sowie der momentan andauernde Transformationsprozess eine entscheidende Rolle gespielt. Seit dem 10. Jahrhundert (mit der Christianisierung) wurde Russland patriarchalisch und absolutistisch regiert. Zuerst der Großfürst und später der Zar verfolgten als Ziel die Unterordnung der Kirche und die Integration aller ethnischen Gruppierungen, um das Regieren des riesigen Landes zu erleichtern. Durch die osmanische Fremdherrschaft (1236-1480) war Russlands Entwicklung von der Europas abgespalten und somit blieb auch der durch das Bürgertum angetriebene gesellschaftliche Progress aus. Das Fehlen von Privateigentum und Bourgeoisie sind dabei die gravierendsten Folgen. Die Orthodoxe Kirche beeinflusste zusätzlich das (ökonomische) Denken und Handeln der Russen. Sie trägt nach Lyskow-Strewe Schroll-Machl folgende Züge: (1) Sie prägte ein Gott-Königtum und steht nie in Rivalität zum Staat; (2) Sie sieht das Leiden als natürlichen und zu akzeptierenden Bestandteil des Lebens an (was im Zusammenhang mit einer ausgeprägten Mystik eine demütige Akzeptanz der Welt, einen Fatalismus, eine unendliche Geduld und Opferbereitschaft zur Folge hat); (3) Sie lehnt das Recht als Bestandteil der religiösen Ethik völlig ab und 'ersetzt' es durch die Brüderlichkeit als wichtige Basis für das Zusammenleben. Die Fähigkeit zum Mitgefühl und zur Solidarität wird ebenfalls stark betont. 'Die Zaristische Autokratie ging nahtlos in die bolschewistische Diktatur über'. Der Totalitarismus, die Einparteienregierung sowie die Zentralverwaltungswirtschaft haben die russische Mentalität weitere 70 Jahre geprägt. Die Kommunistische Ära hat die kollektiven Organisationsmuster im russischen Alltag und das Massenbewusstsein in den Menschen tief verankert: Defizitäre Zustände und eine starke Bürokratisierung haben dazu geführt, dass die informellen Netzwerke, die immer schon schwer durchschaubar waren, noch mehr an Bedeutung zunahmen. Die Misstrauenshaltung, die sich in der Zeit der Massenrepressionen entwickelte, ist in vielen Bereichen des Geschäftslebens heute immer noch präsent. Die allgegenwärtige Kontrolle, die Willkür der Entscheidungen und Sanktionen bewirken eine Scheu vor möglicher Verantwortungsübernahme. Der Verzicht auf freie Meinungsäußerung und Kritik war zu dieser Zeit auch überlebenswichtig. Anstelle eigenverantwortlicher Entscheidungen und persönlicher Initiative war Konformität, das Warten auf die Anweisung 'von oben' oder die Hoffnung auf ein Wunder angesagt. Die absolute Isolation Russlands von den westlichen Kulturen während des Kalten Krieges führte zu einem Bild des Westeuropäers, das auf wenigen und eher ideologisch verzerrten Stereotypen aufbaute. Der Transformationsprozess in Russland ist aber außer durch wirtschaftliche auch durch zahlreiche mentale Barrieren behindert. Dem globalen Trend zufolge wird heutzutage auch Russlands Gesellschaft mehr und mehr individualistisch. Somit zeichnet sie sich heutzutage durch das Spannungsverhältnis zwischen pro- und contrawestlichen Wertemustern aus. Die sozialen und politischen Strukturen sind immer noch stark hierarchisch. Die während des Sozialismus eingepaukten Tugenden, 'bescheiden zu sein' und 'nicht auffallen zu wollen', hemmen auch heute noch die Entfaltungs- und Innovationskraft der russischen Arbeitskräfte und sorgen dafür, dass sie daher auf dem globalen Markt nicht konkurrenzfähig sind. Das an Personen gebundene Vertrauen äußert sich in der Tatsache, dass trotzt der geringen Identifikation mit dem Staat das Vertrauen in die 'Starke Hand' sehr hoch ist. Im Geschäftskontext stellt die Bürokratie einen Hauptrisikofaktor dar. Als Folge des Erodierens des Kontroll- und Sanktionsapparats verbreitete sich die Korruption. Unter diesen Umständen sind der Aufbau und die Pflege von informellen Kontaktnetzen zum Erfolgsfaktor Nummer 1 für das heutige Geschäftsleben geworden. Diese Mechanismen des informellen Tausches von Privilegien mit dem Ziel der Unsicherheits- und Konkurrenzreduktion tragen den Namen 'Blat'. Die heutige Entscheidungssituation ist durch Intransparenz, Ineffizienz, Instabilität und Unzuverlässigkeit der wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen gekennzeichnet und erschwert somit die langfristige Planung und macht sie somit schlichtweg unmöglich. Stattdessen sind Flexibilität, Erfindungsgeist und Kreativität gefragt. Kulturerbe Deutschlands: Nach Schroll-Machl haben insbesondere 'das lange Verharren in der Kleinräumigkeit der Territorialstaaten", 'die Lehren des Protestantismus" sowie 'mehrfache existenzielle Erschütterungen" die deutsche Arbeitskultur nachhaltig geprägt. Durch die Kleinstaatlichkeit war es leicht, die Pflichten der Bürger zu kontrollieren. Die Kontrolle ging dabei nicht nur von der Obrigkeit aus, sondern auch unmittelbar von den Nachbarn. Nur im Privaten entfiel sie. Die beruflichen und privaten Bereiche wurden dadurch streng getrennt. Das unter diesen Umständen entstandene enorme Pfichtbewusstsein wurde im Lauf der Zeit verinnerlicht. Bedingt durch die Enge des Staatswesens sowie eine absolute Isolation nach Außen entwickelte sich die Liebe zu Ordnung und Detail. Mit der zunehmenden Industrialisierung und Automation setzte sich eine strikte (monochrone) Zeitreglementierung durch. Im Gegensatz zu der von der Mystik durchdränkten Orthodoxie wurde beim Protestantismus sehr viel Wert auf Sachlichkeit und Rationalität gelegt. Der Stellenwert des Berufs war beim Protestantismus ebenfalls sehr hoch. Nach Luthers Aussage: 'Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott" waren die Menschen für ihre Lebensgestaltung selbst verantwortlich. Damit hat die protestantische Arbeitsethik von den Menschen vor allem Eigeninitiative, Disziplin und Entscheidungsfähigkeit erwartet. Im 20. Jahrhundert wurden die Verhaltensstandards in ganz Europa (und somit auch in Deutschland) gravierend verändert. Unter anderem haben sich die Machtgefälle zwischen (1) Männern und Frauen, (2) den älteren und jüngeren Generationen, (3) den europäischen Gesellschaften gegenüber dem Rest der Welt und insbesondere zu ihren ehemaligen Kolonien und (teilweise) (4) zwischen den Regierenden und den Regierten verringert. Nach dem Zusammenbruch 1945 bemühte man sich verstärkt um sachorientierte Arbeitsweisen und vermied es weitgehend, den Stellenwert der einzelnen Person zu unterstreichen. Überlebenswichtig erschien in der Aufbauzeit auch die Konzentration auf eine pflichtbewusste Rollenübernahme. Die kritische Grundhaltung der Deutschen zu ihrer Vergangenheit hat zur Revitalisierung und Demokratisierung der Nachkriegsgesellschaft entscheidend beigetragen. Zwischenfazit: Die kulturellen Unterschiede resultieren in unterschiedlichen Vorstellungen vom Wünschenswerten und beinhalten grundsätzlich ein vorhandenes Potenzial für Missverständnisse. Inwieweit diese Missverständnisse im Einzelfall lediglich zu Irritationen führen oder im Sonderfall sogar zu Konflikten eskalieren, hängt in starkem Maße ab von ihrer Wahrnehmung, die ihrerseits stark von den Vorkenntnissen über den anderen Kulturkreis sowie von der individuellen Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft abhängt.

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