Sucht nach Feinden
In: Feindschaft, S. 198-210
Abstract
Dass die Attraktivität des Nazismus keineswegs nur in seiner explizit propagierenden Doktrin, sondern auch in der Kraft seiner Emotionen, in den von ihm geweckten Bildern und Phantasmen liegt, ist eine Einsicht von Saul Friedländer, der der Beitrag anhand einer inhaltsanalytischen Arbeit an Ausschnitten aus einem Goebbels-Originaltext nachgeht, dem 1934 veröffentlichten "Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. Eine historische Darstellung in Tagebuchblättern". Dabei geht es um die Frage, ob Goebbels' Tagebuchveröffentlichung Aufschluss geben über zeittypische Bedürfnislagen, die uns die Zustimmung zum Nationalsozialismus verständlicher machen. Der Beitrag betrachtet einen psychischen Mechanismus, der in den Tagebüchern in Logik und Abfolge deutlich wiederkehrt: Idealisierung von Gegenwart und Eigengruppe und die manische Verleugnung von Problemen, dann Niederlage und Selbstwertkrise, Übersprung in die Feindprojektion und schließlich der Befreiungsschlag durch Destruktion. Das Tagebuch verdeutlicht, dass in die Wunschwelt von unendlicher Harmonie immer wieder Gefühle von Nichtigkeit und Depression eindringen und das Feindbild bewusst konstruiert werden muss. Es zeigt, wie wenig tragfähig die Positiv-Seite des Faschismus auch für die NS-Gläubigen selber war. (ICH)
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