Mengenproblematik: wenn individuelle Entscheidungsfreiheit (scheinbar) mit der Nachhaltigkeit in Konflikt gerät
In: Texte 2018, 113
In: Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
Viele Umweltzerstörungen werden auf privaten Konsum zurückgeführt. Dessen negative Auswirkungen entstehen oft in Folge zahlreicher einzelner, an sich harmloser Verbraucherentscheidungen, wie beispielsweise Flugreisen oder Fleischkonsum. Zum Umweltproblem entwickeln sie sich dadurch, dass zu viele bzw. eine zunehmende Zahl an Menschen konsumieren. Der vorliegende Bericht diskutiert das dergestalt beschriebene Problem unter dem Titel der Mengenproblematik. Er fragt, ob es aus Gründen der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit nicht eher geboten wäre, dass Umweltpolitik privaten Konsum viel stärker reguliert und inwiefern diese Eingriffe mit dem liberalen Freiheitsbegriff vereinbar sind. Dazu geht der Bericht in drei Schritten vor. Im ersten Teil setzt er sich konzeptionell mit dem Phänomen der Mengenproblematik auseinander und fragt nach dessen problematischen impliziten Annahmen, die er mit Blick auf ethische Konzepte von Gerechtigkeit, Freiheit und Verantwortung kritisch diskutiert. Im zweiten Teil führt er den Begriff des Nudging ein, das als ein Set von Politikinstrumenten gesehen wird, privaten Konsum zu steuern, ohne Vorgaben zu machen. Der Bericht stellt Erfahrungen mit diesen Instrumenten vor und beschäftigt sich mit deren Legitimität. Von besonderer Bedeutung ist die Vorstellung von Entscheidungsarchitekturen, die Konsum immer strukturieren. Diesen Gedanken greift der dritte Berichtteil auf. Er reformuliert die scheinbar individuelle Konsum- und Mengenproblematik als soziale Frage von Lebensstilen und -formen im Kontext von politischen Auseinandersetzungen um das Gute Leben und dem liberalen Freiheitsbegriff, der in einer nicht verkürzten Form zugleich Verantwortung impliziert. Der Bericht argumentiert dafür, dass Konsum immer eine öffentliche Angelegenheit ist, dass es sinnvoll ist, die Mengenproblematik nicht primär und ausschließlich am Ende bei den Verbrauchenden zu "privatisieren" sondern in gesellschaftliche Fragen einer Suffizienzpolitik einzubetten. Daher kann ethisch begründet werden, dass Konsum als Teil von Lebensformen Gegenstand von Umweltpolitik werden muss, damit die Mengenproblematik bearbeitet werden kann.