Ende des Nationalstaates?
In: Europa in der Welt - die Welt in Europa, S. 25-36
Der Beitrag stellt aus politikwissenschaftlicher Perspektive die nationalstaatliche Grundlage der EU dar und untersucht diese dann hinsichtlich ihrer Tendenzen zur Kooperation und Zusammenschlüssen. So orientieren sich die Ausführungen an dem Argumentationsstrang der Auflösung bisheriger klassischer Legitimitätsmuster der Nationalstaaten. Dabei geht es allerdings nur sehr eingeschränkt um die Zukunft des Nationalstaates, viel mehr um seine normative Orientierung - ob nämlich Nationalstaaten sich selbst auch weiterhin als unauflösbar definieren und sich primär an ihren Eigeninteressen orientieren werden oder ob sie bereit sind, ihren eigenen politischen Bestand infrage zu stellen, ihre bisherigen nationalen Grenzen als auflösbar zu betrachten und den Staat nicht, wie im klassischen Nationalstaatsdenken, quasi als außerkonstitutionell vorgegebene sakrosankte Größe wahrzunehmen. Der Staat wird hier als Zweckorganisation gesehen und an seinen Leistungen gemessen - der Orientierung seiner Politik an den normativen menschenrechtlichen Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates und seiner weltbürgerlichen Substanz. Nation steht in diesem Zusammenhang für das Partikulare (kollektive Kultur), mit dem sich Nationalstaaten voneinander abgrenzen und legitimieren, Überwindung oder Ende des Nationalen hingegen für das weltbürgerliche normative Fundament der Republik, des modernen Verfassungsstaates, für universal gültige individuelle Menschenrechte und für die Ableitung der Bürgerrechte aus der Natur des Menschen. Allerdings werden die europäischen Staaten, die eine lange nationalstaatliche Tradition haben, nach Ansicht des Autors nur sehr langsam in ein vereintes republikanisches Europa hineinwachsen. Allein auf die Kraft der wirtschaftlichen Integration zu vertrauen, wäre aber falsch. Im Gegenteil, ein Europa, das nur durch wirtschaftliche Interessen zusammengehalten wird, in dem gleichzeitig aber die alten, nationalen Vorstellungen und Ordnungen bestehen bleiben, würde bei ökonomischen und politischen Krisen wieder auseinandergesprengt werden. Deshalb kann der Nationalstaat nur durch den Aufbau einer europäischen republikanischen Ordnung überwunden werden, damit die europäischen Grundwerte und freiheitlichen Ordnungen der Republik ihre Ausstrahlungskraft behalten. (ICG2)