Ökonomische Expertise
In: Merkur: deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Band 66, Heft 9/10, S. 845-856
ISSN: 2510-4179
Die Akzeptanz ökonomischen Wissens ist nach Meinung des Autors weitgehend davon abhängig, dass es eine konjunkturelle und strukturelle Bestätigung findet, sonst ist es in der politischen Kommunikation relativ wertlos. Diese Anfälligkeit der ökonomischen Expertise für ihre Umstände hängt mit ihrem grundsätzlichen Charakter zusammen, Wissenschaft und Kunstlehre zugleich zu sein. Das zeitweilige Scheitern der Sätze einer Kunstlehre, die als Wissenschaft zugleich den konjunkturellen und strukturellen Wandel plausibilisiert, der ihr eigenes Auf und Ab als Expertise begründet, ist geradezu eine Ironie des Faches. Sie kann sich für den Experten freilich als Tragik erweisen: Er muss seine Kunstlehre im Gestus des Überzeugten vortragen, kann dabei aber jederzeit von der Realität des ökonomischen Prozesses überholt werden. Ihrer tragischen Rolle als Helden auf Abruf sind sich die Experten wohl selten bewusst. Vielmehr herrscht eine politische Absicht oder Naivität vor, die vielleicht notwendig ist, um als Experte nicht zu verstummen. Die ökonomische Expertise geht also nicht unter, sondern passt zur Lage oder auch nicht. Das häufige Scheitern ihrer Ratschläge haben die Ökonomen zwar selbst immer wieder bemerkt, führten es aber weniger auf das strukturelle Problem als auf fehlerhafte Expertisen oder die Ignoranz der Politik zurück. Das Ansehen der Experten und die Bedeutung der Expertise haben unter diesem Auf und Ab insgesamt nicht gelitten, auch wenn die alte Aura, die zum Beispiel der "Rat der fünf Weisen" in den 1960er Jahren noch hatte, verflogen ist. (ICI2)