Wendepolitik und Kräfteverhältnisse in den Niederlanden
In: Blätter für deutsche und internationale Politik: Monatszeitschrift, Band 31, Heft 7, S. 857-869
ISSN: 0006-4416
Ausgehend von der Bestätigung der konservativen Regierung Lubbers durch die Parlamentswahlen von Mai 1986 wird in dem Beitrag die Wendepolitik in den Niederlanden analysiert. Da der niederländische Sozialstaat seit den 60er Jahren zu den vorbildlichsten in der Welt gehört und außerdem politische Einmütigkeit über die Beibehaltung herrschte, wird die Frage gestellt, wie und unter welchen politischen Bedingungen der Angriff der christdemokratisch-liberalen Politik auf die sozialen Errungenschaften möglich geworden ist. Die Veränderung in den politischen Kräfteverhältnissen wird untersucht. Dazu wird die Entwicklung des niederländischen Wohlfahrtsstaates seit dem Zweiten Weltkrieg nachgezeichnet, die auf die Entstehung eines breiten gesellschaftlichen Konsenses - genannt "Konkordanzkonjunktur" - zurückzuführen ist. Die Entwicklung der Transformation von der Konkordanz- in eine progressiv-keynesianische Konjunktur bis 1982 wird herausgearbeitet, wobei als eigentlicher Wendepunkt die Übernahme der Regierungsgewalt durch das neue christdemokratisch-rechts-liberale Kabinett 1982 gesehen wird. Als Inhalt der Wendepolitik wird herausgearbeitet, daß an die Stelle der politischen Norm der solidarischen und sozial gerechten Gesellschaft die Rationalisierung der staatlichen Organisation und das Diktat der Marktfreiheit gestellt werden. Der Erfolg dieser Politikstrategie wird eingeschätzt. Die politischen Kräfteverhältnisse der Wende werden analysiert, um dann festzustellen, daß trotz der Tendenz zu einer zweigeteilten Gesellschaft durch Wirtschaftskrise und Sozialabbau ein Ende der Wende höchst unwahrscheinlich ist. (KW)