Anhand einer Literaturrecherche werden wissenspolitische und regulierungspolitische Fragestellungen unterschieden, die den Themenbereich der Beiträge strukturieren. In der wissenspolitischen Perspektive geht es um die inhaltliche oder kognitive Dimension. Wissen ist hier wissenssoziologisch als "wahrheitsgetriebenes Erkenntnisprodukt" zu verstehen, das auf die Herstellung von kollektiven Gewissheiten zielt. Im Zentrum steht dabei das Problem der generellen Unsicherheit von Wissen, konzeptualisiert als die Beziehungen zwischen Wissen und verschiedenen Formen des Nichtwissens. Wissenspolitisch formuliert stellt sich etwa die Frage nach der Gestaltungsmacht von Wissensbeständen, deren Wahrheitsgehalt prinzipiell zweifelhaft bleibt. Die regulierungspolitische Perspektive befasst sich demgegenüber mit Information und Wissen als handelbaren Gütern. Problematisiert werden in diesem Kontext nicht der Wahrheitsanspruch, sondern die Bedingungen und (Neben-)Wirkungen der Inwertsetzung von Information: Wie operiert ein Markt für Güter, deren Abgrenzung typischerweise unscharf, deren Entwicklung kumulativ und unendlich, deren Verbreitung nur unter hohen Kosten zu kontrollieren ist und die sich zudem nicht verbrauchen? Zum Schluss werden zusammenfassend die Beiträge des Bandes präsentiert. (ICF2)
"Ausgangsthese des Artikels ist, dass sich Unterschiede in nationalen Hochschulsystemen auf ihre Beziehungen zu verschiedenen Spielarten des Kapitalismus zurückführen lassen. Es wird deshalb am Beispiel der Kompetenzen von Hochschulabsolventen in Großbritannien und Deutschland untersucht, ob sich Komplementaritäten zwischen dem Bildungs- und dem Wirtschaftssystem zeigen. Auf der Grundlage einer international vergleichenden Studie (REFLEX) kann mit Hilfe deskriptiver Ergebnisse und einer Diskriminanzanalyse gezeigt werden, dass sich tatsächlich die zunächst theoretisch aus dem Varieties of Capitalism-Ansatz (VoC) abgeleiteten Unterschiede zeigen: Deutsche Hochschulabsolventen betonen stärker spezifische, britische eher generelle Kompetenzen. Auch die Passung zwischen Studium und Beruf ist in Deutschland sehr viel enger. Diese Befunde bestätigen erstens für den VoC-Ansatz, dass sich auch für das bisher weitgehend vernachlässigte Feld der Hochschulbildung die postulierten Komplementaritäten zeigen. Zweitens kann dieser Rekurs auf den Zusammenhang von Wirtschafts- und Hochschulsystem die vergleichende Hochschulforschung befruchten. Drittens sind die Ergebnisse auch politisch für die aktuelle Hochschulreformdebatte relevant." (Autorenreferat)
Während sich zahlreiche Studien auf die Verbreitung und Entwicklung verschiedener Formen des Zusammenlebens mit einem Partner konzentrieren, wird hier die soziale Selektivität des Zusammenlebens mit einem Partner gegenüber dem Leben ohne Partner untersucht. Dass die Neigung zum Eingehen partnerschaftlicher Beziehungen ebenso wie die zu ihrer Auflösung von bestimmten Bedingungen abhängt, ist zumindest in Bezug auf die Ehe vielfach belegt. Welche sozialen Strukturen daraus resultieren und in welcher Weise sich diese verändern, ist jedoch kaum bekannt. Im vorliegenden Beitrag wird dem für Westdeutschland auf Basis kumulierter Erhebungen des Mikrozensus nachgegangen. Ein logistisches Regressionsmodell wird vorgeschlagen, das die Altersabhängigkeit des partnerschaftlichen Zusammenlebens berücksichtigt und den Wandel der sozialen Selektivität anhand von Interaktionseffekten mit der Kohorte überprüft. Wie sich zeigt, hatten niedrig gebildete Männer, die mit geringen Erwerbs- und Einkommenschancen ausgestattet sind, schon immer eine reduzierte Chance des partnerschaftlichen Zusammenlebens. In den jüngeren Kohorten bildet sich ein solches Muster auch für Frauen heraus. Neben veränderten Grundlagen der Haushaltsproduktion werden veränderte Präferenzen und Gelegenheiten der Partnerwahl als Ursache hierfür diskutiert.
Main description: Die katholische Kirche ist weltumspannend strukturiert. Auf internationaler Ebene agiert sie durch den Heiligen Stuhl und verschiedene NGO, die mit ihr kirchenrechtlich verbunden sind. Anhand des Beispiels der Teilnahme der Kirche an der Arbeit der UNO wird die Einbeziehung der Kirche in die internationalen Rechtsbeziehungen untersucht. Marco Kalbusch zeigt, dass es sich dabei nicht um ein historisches Relikt, sondern um einen integralen Bestandteil des heutigen internationalen Rechtslebens handelt. Nach einer Bestandsaufnahme der internationalen Beziehungen der Kirche untersucht der Autor die Motive und die kanonischen Maßgaben für die Arbeit der Kirche in der UNO, gefolgt von einer völkerrechtlichen Untersuchung der verschiedenen Arten der Mitarbeit in den UNO-Organen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Kirche alle Möglichkeiten des Kirchen- und Völkerrechts nutzt, um ihrer geistlichen Mission auf internationaler Ebene nachzukommen. Dabei kommt der UNO als wirkliche universale Organisation eine besondere Bedeutung zu: die Kirche setzt sich hier in allen Arbeitsbereichen und Organen für die Grundwerte und Prinzipien der internationalen Gemeinschaft ein, die von der geistlichen Würde des Menschen hergeleitet werden.
Der Autor diskutiert kritisch das dominante Geschichtsverständnis über die Rolle der indigenen Gemeinschaften während der Stadtgeschichte von La Paz zwischen 1779 und 2005. Während die herkömmliche Geschichtsschreibung die indigenen Gemeinschaften als primitiv und grausam betrachtet, entsteht ein anderes Bild, wenn die Gemeinschaften als Subjekte der Geschichte dargestellt werden. Der Verfasser untersucht insbesondere die Rolle der Aymara-Führer und -Führerinnen bei den von ihnen initiierten Aufständen. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht der Autor die Spannung zwischen Anpassung und Widerstand der Aymara und weist auf die aktuellen Beziehungen der indigenen Volksgruppen zur Regierung Morales hin. Im Einzelnen erläutert der Verfasser folgende Entwicklungen: (1) Das koloniale La Paz und die große Rebellion der Kataris von 1780-1782; (2) das republikanische La Paz, die Wilkas und der Aufstand von 1899; (3) Vásquez, Llanqui, T'ulas, Machacas und andere: Aymara-Widerstand im 20. Jahrhundert; (4) Der Katarismus-Indigenismus und La Paz in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts; (5) neuere Soziale Bewegungen und die Aymara-Führerschaft. (ICB2)
Der Landtag von Baden-Württemberg repräsentiert als einziges Landesparlament die Bevölkerung eines Bundeslandes, dessen Gründung durch eine Volksabstimmung legitimiert wurde und das bislang die einzige erfolgreiche Länderneugliederung durchgeführt hat. Das im November 1953 erstmals konstituierte baden-württembergische Parlament stellte bis zur Wiedervereinigung 1990 das jüngste Landesparlament in der Bundesrepublik Deutschland dar. Der Zusammenschluss der drei Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Südbaden, die ihrerseits jeweils Neukonstruktionen nach dem Zweiten Weltkrieg waren, prägt die Politik des baden-württembergischen Landtags bis heute. Der Beitrag skizziert zunächst den historischen Hintergrund des baden-württembergischen Landtags und geht dann auf Parteien, Wahlrecht und Wahlen ein. Danach erfolgt ein Blick auf die politische und soziale Zusammensetzung des Landtags in Baden-Württemberg sowie auf dessen Struktur und Organisation. Schließlich betrachtet der Beitrag die Funktionen und Beziehungen des baden-württembergischen Landtags zur Landesregierung und die Auswirkungen der europäischen Integration. (ICB2)
"Die transkulturell vergleichende Politische Theorie bewegt sich im Spannungsfeld zweier entgegenstehender Bedenken: Sowohl kulturrelativistische als auch universalistische Einschränkungen beziehungsweise Fixierungen können ihr unterstellt werden: Im relativierenden Vergleich, der kulturelle Werte und Praxen gleich-gültig nebeneinander stellt auf der einen Seite und in einer Herangehensweise, die universelle Vergleichskategorien abstrakt anwendet auf der anderen Seite. Im Folgenden soll genauer diskutiert werden, welches Verständnis von Kulturrelativismus und Universalismus dem Konzept des transkulturellen Vergleichs, wie es von Fred Dallmayr entwickelt wurde, zugrunde liegt. Es wird der Frage nachgegangen, welche Verkürzungen auftreten können und wie eine erweiterte Verhältnisbestimmung gedacht und konzeptualisiert werden kann. Für diesen Anspruch wird eine Vermittlungskonstellation vorgeschlagen, in der repressive Aspekte auf beiden Seiten herausgearbeitet werden können, ohne dabei auf die Konzepte von Kulturrelativismus und Universalismus in ihrem produktiven Sinne zu verzichten. Das ermöglicht es, empirische und normative Zugänge in der transkulturell vergleichenden Politikwissenschaft in Beziehung zu setzen. Im Anschluss daran wird die transkulturell vergleichende Politische Theorie auf ihren normativen Gehalt hin überprüft, um schließlich einen möglichen Maßstab für Kritik zur Diskussion zu stellen." (Autorenreferat)
Der Autor nimmt die Beziehungen zwischen Gewalterfahrung und Zivilgesellschaft in den Blick. Er befasst sich mit der Repräsentation des Bombenkriegs gegen das Deutsche Reich im kollektiven Gedächtnis. Der Autor geht davon aus, dass dieses Gedächtnis durch ein spezifisch zivilgesellschaftliches Ensemble kommunikativer Institutionen erzeugt und reproduziert wird. Die verbreitete Auffassung, dass "der Bombenkrieg" einem Thematisierungstabu unterliege, erweist sich dabei als zu kurz gefasst. Vielmehr lässt sich am Beispiel der Erinnerungspraktiken und Erinnerungsnarrativen in Hamburg und Dresden zeigen, dass es in deutschen Erinnerungsdiskursen zwar eine Menge Inkohärenzen, falsche Abstraktionen und schiefe Analogien gibt, jedoch nichts, das die Diagnose einer pathologischen Verdrängung rechtfertigen würde. Insbesondere erscheint die Verwirklichung des von rechtsradikalen Kreisen im Dresdner Fall verfolgten Gegenprojektes unwahrscheinlich, in der Zivilgesellschaft eine Zentrierung der Weltkriegserinnerung auf den Bombenkrieg zu erwirken. So lange die Frage nach der Bedeutung des Bombenkrieges mit der Frage verknüpft bleibt, was die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und der SS-Einsatzgruppen bedeuten, so lange sind die Hürden für eine solche Neuordnung der Weltkriegserinnerung zu hoch. (ICB2)
Vor dem Hintergrund einer geistesgeschichtlichen Verortung des Verhältnisses von Demokratie und Freiheit in Liberalismus, Konservatismus und demokratischem Sozialismus wird der Frage nachgegangen, in wie weit veränderte Erwartungen an die Demokratie und ein gewandeltes Verständnis von Freiheit die Beziehung von Demokratie und Freiheit verändert haben und ob hieraus neuartige Gefährdungen oder gar Bedrohungen für Demokratie und Freiheit entstanden sind. Die unterschiedlichen Vorstellungen von Freiheit werden mit der Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit akzentuiert. Die positive Freiheit ermöglicht politische Teilhabe, und die stärksten Demokratie gefährdenden Effekte gehen von einer Nichtinanspruchnahme dieser positiven Freiheit aus. Beide Freiheitsverständnisse stehen in einer dynamischen Wechselbeziehung. Die Kraft der Zurückweisung des gesellschaftlichen Konformitätsdrucks, auf die sich die negative Freiheit gründet, erwächst aus dem aktiven Gebrauch der Freiheit. Vor diesem Hintergrund erfährt das sozialdemokratische Projekt egalitärer Teilhabechancen eine Neuakzentuierung dahin gehend, dass es nicht nur darum geht, Zugänge zu bahnen, sondern auch darum, darauf hinzuweisen, dass diese auch gegangen werden. (ICE2)
Die große Depression der 30er Jahre bedeutete in mehrfacher Hinsicht eine tiefe Zäsur in der Entwicklung der Beziehungen zwischen den kapitalistischen Industriemetropolen des industrialisierten "Nordens" und den Ländern des agrarisch strukturierten "Südens". Sie beendete bzw. unterbrach die seit Jahrzehnten zu beobachtende Ausweitung des Exportes überseeischer Rohstoffe, verschlechterte die Terms of Trade für die vornehmlich agrarischen Regionen des "Südens" und stellt das auf Primärgüterproduktion und Export ausgerichtete Wirtschaftskonzept der meisten asiatischen Kolonialökonomien ebenso grundsätzlich in Frage wie das Modell exportorientierten Wachstums der souveränen Staaten Lateinamerikas. In dem Beitrag geht es darum, einige Konsequenzen der Weltwirtschaftskrise für die bäuerliche Bevölkerung in Ländern Lateinamerikas und Asiens zu skizzieren und möglichen Zusammenhängen zwischen depressionsbedingten Notlagen und folgenreichen Aufständen verschiedener Bauerngruppen nachzuspüren. Der Beitrag wirft dabei einen Blick auf Mexiko, Vietnam und El Salvador. Am Ende des Beitrags erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ein kurzer Ausblick (ICA2)
Der Beitrag behandelt die Gestaltung von Familie und Partnerschaft in Biografien beruflich erfolgreicher Migrantinnen. Auf der Basis von Daten einer qualitativen und rekonstruktiv angelegten Studie über Bildungsaufstiege und erfolgreiche Bildungs- und Berufsverläufe von Migrantinnen der ersten und zweiten Generation in Deutschland stellen sie zunächst die Entwicklung individueller Handlungskompetenz in benachteiligten Lebenslagen unter der Verschränkung von Geschlecht, Migration und sozialer Herkunft dar und diskutieren die Dynamik familiärer Beziehungskonstellationen. Anhand des Materials zeigen sie die fördernden und unterstützenden Potenziale im familiären Sozialisationsprozess von Migrationsfamilien auf, die in gegenwärtigen Bildungs- und Integrationsdiskursen pauschal als "bildungsfern" bezeichnet werden. Welche Handlungsmuster die Migrantinnen in ihren Bildungs- und Berufsbiografien hinsichtlich der eigenen Partnerwahl, Eheschließung und Familiengründung sowie der Aushandlungsprozesse in der Beziehung zeigen, wird exemplarisch an drei Fallstudien aufgezeigt. Migrantinnen erweisen sich hierbei als aktive Gestalterinnen ihrer Paarbeziehungen, in denen die Anerkennung weiblicher Bildungs- und Berufsanstrengungen zu einem stabilisierenden Moment der Partnerschaft beruflich erfolgreicher Migrantinnen wird. (ICE2)
Das national und international wirkende Konkurrenzprinzip in der heutigen Gesellschaft ist nach Meinung des Autors zwar sehr effektiv und schafft den Reichtum, mit dem die Menschen leben. Aber wer alles unter Konkurrenzprinzipien betrachtet, zerstört immer mehr hergebrachte soziale Strukturen: Familie, Kirche, Verein, Milieu, Gewerkschaft, Betrieb und Partei. Sie werden ersetzt durch momenthafte und zum Teil monetarisierte soziale Beziehungen: Bedarfsgemeinschaft, Kita, Demo, Projektgruppe, Fitness-Center oder Einkaufscenter. Dies wird zwar als Befreiung, Individualisierung und Differenzierung bezeichnet, bedeutet aber gleichzeitig Vereinsamung und Ungeschütztheit insbesondere für die Schwachen. Hier muss sich jede Person entscheiden: Mehr soziale Geborgenheit oder noch mehr Wohlfahrt. Denn der Staat kann die untergehenden, sozialen Strukturen nur ungenügend ersetzen, da er alles generell und nach dem Gleichheitsprinzip nur ungerecht und unangemessen regeln kann, wie zum Beispiel die aktuellen Hartz-Diskussionen zeigen. Der Autor wirft vor diesem Hintergrund die Frage auf, ob die Politik die Gesellschaft steuern kann, und setzt sich am Beispiel der Stadtplanung im Nachkriegs-Frankfurt mit den Strukturen eines reflexiven Konservatismus kritisch auseinander. (ICI2)
Die spezifische Wirkung des organisierten und formalisierten Diskurses liegt vor allem in zwei Entwicklungen: Einerseits führt der Charakter politischer Selbstverpflichtung, der hinter den Deklarationen steht, auf nationaler Ebene dazu, dass politische Entscheidungen, die mit der alternden Bevölkerung befasst sind, diese Deklarationen nicht einfach kommentar- und folgenlos ignorieren können. Andererseits wird die Zahl jener Menschen zunehmend größer, die in ihrer wissenschaftlichen, politischen und kulturellen Arbeit die Bedachtnahme auf die Strategie der Europäischen Wirtschaftskommission (UNECE) einfordern. Mit diesen beiden Wirkungen wird der politische Diskurs über das Alter einerseits stärker zielorientiert und damit aus einer gewissen Beliebigkeit herausgeführt, die bisher vorherrschte, andererseits "reguliert" er spezifische Formen der Wissensproduktion und Wissensorganisation (z.B. heute schon nationale Altenpläne, Monitoringprozesse, Wirkungsanalysen und Evaluationslogiken). Es geht hier ganz präzise im Foucaultschen Sinn auch um Macht als Wirkung von Verhältnissen und Beziehungen, um etwas, das zirkuliert, das nie hier oder dort lokalisiert ist, das nie wie ein Gut oder wie Reichtum angeeignet wird, sondern über eine netzwerkförmige Organisation ausgeübt und von den Individuen zugleich erfahren und getan wird. (ICB2)