Die Vermessung der Utopia des Thomas Morus durch Karl Kautsky
In: Politik als Wissenschaft: Festschrift für Wilfried Röhrich zum 70. Geburtstag, S. 133-150
Der Beitrag geht von dem "erstaunlichen" Sachverhalt aus, dass sich einer der führenden Köpfe der ersten Generation der marxistischen Schule, Karl Kautsky, in seinem Buch "Thomas More und die Utopie" nicht so sehr für die politökonomischen Aussagen, sondern vielmehr für Morus' Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft interessiert, die Marx mit keinem Wort erwähnte. War Marx' Erkenntnisinteresse die Rekonstruktion der historischen Genesis des kapitalistischen Wirtschaftssystems, so ging es Kautsky darum, Denkern und Akteuren auf die Spur zu kommen, die als Vorläufer des modernen, d. h. marxistischen Sozialismus in Frage kommen. Damit ist auch die entscheidende Frage gestellt, der der Aufsatz nachgeht: Trägt diese erste marxistische Analyse der Utopia von Thomas Morus wirklich zu ihrem besseren Verständnis bei? Kann Kautskys Utopia-Studie als ein Meilenstein in der langen Rezeptionsgeschichte dieser bedeutenden Schrift gelten? Wie angedeutet, sah Marx in diesem Text einen wichtigen Beleg für die "ursprüngliche Akkumulation des Kapitals" in England. Entsprechend ordnete er Morus als einen Vorläufer der bürgerlichen politischen Ökonomie ein. Kautsky dagegen erweiterte das Spektrum: Für ihn ist darüber hinaus die Utopia ein wichtiger Beleg früher Vorformen des modernen Sozialismus marxistischer Provenienz selbst: "Der Kommunismus Morus wird begründet mit einer Kritik der bestehenden und ökonomischen Zustände." (Kautsky) (ICA2)