Das politische System der Schweiz
In: Die politischen Systeme Westeuropas, S. 567-606
Mit der Re-Ideologisierung der politischen Parteien (zunächst der Linken nach 1968, später der Bürgerlichen durch die Welle des Neo-Liberalismus und -Konservatismus), dem Entstehen der neuen Konfliktlinie von materiellen und postmateriellen Werten, mit den Neuen Sozialen Bewegungen und mit der abnehmenden Attraktivität und Zersplitterung der Parteien ist der Ausgleich schwieriger geworden. Bei geringem Wirtschaftswachstum und zunehmender Staatsverschuldung werden viele politische Probleme zu Null-Summen-Konflikten, die eher lösbar sind durch einfache Mehrheiten als durch konkordantes Verhandeln. Auch das schweizerische Sozialstaatsmodell steht unter Beschuss. Mit dem Verlust ehemaliger Standortvorteile wird nicht mehr der Stabilität und dem Ausgleich, sondern der internationalen Konkurrenzfähigkeit und Innovation durch Deregulierung das Wort geredet. Im Rahmen der Regierungsreform sollen die Erweiterung des Regierungskollegiums und das Kollegialprinzip überprüft werden. Schließlich hat sich die Gewichtung zwischen demokratischer und föderalistischer Entscheidungsregel wegen des relativen Bevölkerungsrückgangs in den kleinen Kantonen stark zugunsten der letzteren verschoben. Das kommt einer Abwertung des Demokratieprinzips (eine Person - eine Stimme) gegenüber dem Föderalismusprinzip (ein Kanton - eine Stimme) gleich, die sinngemäß auch für das Verhältnis von National- und Ständerat gilt. Dass Minderheiten dank föderalistischer Entscheidungsregeln demokratische Mehrheiten "aushebeln" können, liegt in der Natur der Sache. Trotzdem mehren sich heute die Stimmen, welche mit einer Neugewichtung der Standesstimmen (z. B. drei Stimmen für die großen, zwei für die mittleren und eine Stimme für die kleinen Kantone) auch die Wiedergewinnung eines Gleichgewichts zwischen demokratischer und föderalistischer Entscheidungsregel suchen, wie es bei der Gründung des Bundesstaats bestand. Abschließend wird diskutiert, ob die schweizerische Konkordanz ein Modell für andere Demokratien sein kann. (ICF2)