Koexistenz der Religionen: die Grenzen der Interkulturalität erfordern ein neues Konzept
In: Merkur: deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Band 65, Heft 6, S. 487-495
ISSN: 2510-4179
Der im Westen vorherrschende Kulturrelativismus wollte die Feindseligkeit des Islamismus kaum wahrhaben, weil sie seinem Paradigma von der Irrelevanz von Kultur und Religion zuwider lief. Erst ganz allmählich sind die Europäer bereit, Christenverfolgungen in islamischen Ländern zur Kenntnis zu nehmen. Das liberale Paradigma einer grenzenlosen Toleranz ist in sich widersprüchlich, weil es letztlich doch eine verbindliche moralische Norm enthält: Respektiere die Andersheit des Anderen. Damit sind der Beliebigkeit ethischer Normen Grenzen gesetzt. Die von der Postmoderne wiederholte Toleranzregel der Aufklärung enthält eine implizite Grenzsetzung: Recht auf Toleranz hat nur der selbst Tolerante. Auch eine postmoderne Ethik darf nicht auf Gegenseitigkeit und Verbindlichkeit verzichten, die das minimale konsensuale Fundament jeder noch so radikalen Pluralität bleiben müssen, wenn diese selbst Bestand haben soll. Für den Spagat zwischen Freiheit und Wehrhaftigkeit bedarf es sowohl freiheitsbezogener als auch freiheitsbegrenzender Gesetze. Auch wenn die Glaubensinhalte des Islam mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind, hat er ein Recht auf Schutz seiner Freiheit. Freiheitsbezogene Gesetze könnten das einigende Band einer von Vernunft getragenen gesetzlichen Ordnung über eine plurale Wirklichkeit knüpfen. (ICF2)