Der Beitrag zeichnet anhand einer Fallrekonstruktion das Wechselspiel von Prozessen gesellschaftlicher Öffnung und Geschlossenheit nach. Wie zu zeigen sein wird, schlagen sich in der Erwerbsbiographie von Sarah Steffan, einer solo-selbstständigen Geisteswissenschaftlerin, die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die mit der Hartz-IV-Gesetzgebung verbundene veränderte Sozialpolitik sowie aktuelle Umbrüche der Erwerbsgesellschaft drastisch nieder. Anhand der Rekonstruktion der biographischen Erzählung wird somit zum einen die Wechselwirkung von lebens- und kollektivgeschichtlichen Prozessen nachgezeichnet und freigelegt. Es wird die Frage verfolgt, welche kollektiven und lebensgeschichtlichen Ereignisse zum gebrochenen Erwerbsverlauf führen und wie sich die damit verbundenen Erfahrungen in ein Handlungsmuster übersetzen. Zum anderen wird mit diesem Beitrag das berufliche Projekt der Solo-Selbstständigkeit untersucht und in seiner biographischen Bedeutung analysiert.
In der vorliegenden Studie werden Subjektivierungsprozesse im Kontext von Schule und Behinderung erforscht. Die Arbeit verortet sich in den Disability Studies in Education und ist durch einen theoretischen Rahmen gekennzeichnet, der sich aus machtkritischen Überlegungen zu Subjektbildung, Schule und Fähigkeit zusammensetzt. Im empirischen Teil wird anhand von drei biographischen Fallrekonstruktionen untersucht, wie sich ableistische Normalitäten von Schule auf die Subjektivitäten junger behinderter Personen auswirken. Die vom Autoren nachgezeichneten schulischen Erfahrungsräume verweisen auf Praktiken von Peers und Lehrer*innen, die zwischen fähigkeitsbezogenen Normalisierungsimperativen und ermöglichender Unterstützung changieren. Anhand der biographischen Texte wird rekonstruiert, über welche Selbsttechniken Subjekte sich zu den schulischen Normalisierungsregimen in Relation setzen. Die Ergebnisse werden abschließend hinsichtlich ihrer Bedeutung für Professionalisierung im Bereich inklusive Bildung aufbereitet. (DIPF/Orig.)
Aufgrund steigender Zahlen rechtsextremer Jugendlicher wird es in der sozialarbeiterischen Praxis zunehmend notwendig, Handlungs- und Umgangsweisen zu entwickeln, um diesen Haltungen wirkungsvoll begegnen zu können. Konzepte der Sozialarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen ("akzeptierende" und "konfrontierende" Ansätze) fokussieren oft jeweils einseitig spezifische Bereiche des Problems und bleiben damit unzureichend. Die komplexen Wirkungszusammenhänge rechtsextremer Orientierungen, die sich sowohl aus biographischen Prozessen und der Familienvergangenheit als auch aus sozialen Rahmenbedingungen ergeben, werden weder erkannt, noch kann ihnen wirkungsvoll begegnet werden. In meinem Beitrag möchte ich anhand von Fallbeispielen aus meiner Untersuchung zur Gruppendynamik in rechten Jugendcliquen und der Zuwendung insbesondere von Mädchen und jungen Frauen zu diesem Spektrum (KÖTTIG 2004) die Begrenztheit der beiden häufig in der Sozialarbeit eingesetzten Konzepte diskutieren und aufzeigen, dass eine "ganzheitliche" – d.h. biographische – Perspektive zu tief greifenden Einsichten in rechtsextrem orientierte Haltungen und Aktivitäten führt. Auf der Basis des biographischen Fallverstehens können einerseits gezielte Ansatzpunkte für sozialarbeiterische Interventionen entwickelt und andererseits Selbstverstehensprozesse von weiblichen, aber auch männlichen Jugendlichen in Gang gesetzt werden. Solche Arten von Hilfestellungen unterstützen darin, politische Haltungen zu reflektieren, so dass ein Verbleiben in der rechten Szene unwichtig werden kann. Eine an der Biographie orientierte Herangehensweise ermöglicht dabei den Transfer zwischen sozialwissenschaftlichen Forschungsfragestellungen und der Einzelfallhilfe in der Sozialarbeit. URN: urn:nbn:de:0114-fqs080124 ; Because of the growing number of right wing extremist youths in Germany, it has become increasingly necessary in social work to develop forms of professional practice, which deal with the orientations of these adolescents in an effective way. Current ...
Mehr als 90% aller deutschen Unternehmungen sind Familienbetriebe und in etwa einem Fünftel davon vollzieht sich derzeit ein Generationswechsel. Trotz vielfältiger beruflicher Möglichkeiten in einer Multioptionsgesellschaft übernimmt fast die Hälfte der Kinder den Betrieb. Auf der Basis von acht narrativen Interviews wurde in der vorliegenden Arbeit eine biographietheoretische Analyseperspektive auf dieses soziale Phänomen gewählt: In welchen biographischen (Selektions-) Prozess ist die Entscheidung für oder gegen eine Übernahme des Familienbetriebes eingebettet? In fünf Fällen zeigt sich, dass die Position des Nachfolgers, die einem der Kinder von klein auf zugewiesen wurde, besonders strukturwirksam für die Betriebsnachfolge und die Beteiligten ist. Der Generationswechsel in diesen Familienbetrieben lässt sich als Übernahme einer Position charakterisieren. In drei weiteren Fällen zeigt sich, dass die jahrelange Konkurrenz um die Betriebsnachfolge für den Übernahmeprozess und die NachfolgerInnen eine wesentliche Rolle spielt. Der Generationswechsel in diesen Familienbetrieben lässt sich als gewonnener Wettkampf charakterisieren. Die vorgestellten Fallrekonstruktionen zeigen, dass das Thema Gerechtigkeit im Generationswechsel in kleinen Familienbetrieben ein strukturrelevanter Aspekt ist, der in einen lebenslangen Prozess eingeflochten ist und in Form eines Wettbewerbs oder durch das Einnehmen einer Position biographisch bearbeitet wird. Es wird auch deutlich, dass die lange Zeit in weiten Teilen Deutschlands vorherrschende, traditionelle Erbregelung Geschlecht und Altersrang in der Geschwisterfolge dienten als Gerechtigkeitskonzept in Auflösung begriffen ist. Ein Fazit der vorliegenden Untersuchung lautet aber, dass die beiden alternativen Gerechtigkeitskonzepte Interesse oder Leistung , die zunehmend zur Legitimation von Berufswahl und damit ebenso im Zuge der Betriebsübernahmeentscheidung herangezogen werden, auch Gefahren bergen. Daher wird abschließend die These vertreten, dass sowohl der positionale, als auch der wettbewerbsorientierte Generationswechsel in Familienbetrieben veränderte Anerkennungsverhältnisse benötigt, um die Wirksamkeit demokratischer Gerechtigkeitsprinzipien zu ermöglichen: Gegenseitige Wertschätzung der Generationen, Geschlechter und Geschwister für ihr So Sein , ebenso wie für ihre Leistungen und Interessen in jeder Lebensphase. Die Betriebsführung und die Ausrichtung des Betriebes nach der Übernahme sind Ausdruck der biographischen Arbeit der NachfolgerInnen. Durch ihre langjährige, alltägliche Erfahrung mit der Entgrenzung von Familienleben und Arbeitsleben, die nach der industriellen Moderne auch in anderen Arbeitsfelder wieder stärker Einzug hält, lassen sie sich als eine Art gesellschaftlicher Avantgarde beschreiben. Damit eng zusammenhängend können ihre Lebensgeschichten gleichzeitig als Seismographen für die Probleme in der Arbeitswelt gelten: Auf der einen Seite fördert die Erfahrung früher Konkurrenz in allen Lebensbereichen die Entwicklung psychischer Krisen, wie sie auch sonst im Arbeitsleben zu beobachten ist. Auf der anderen Seite fördert die frühe Erfahrung einer positionalen Zuweisung eine eher unflexible, wenig marktorientierte Haltung, die schlecht vorbereitet ist auf den Abbau des Anspruches auf Statuserhalt, wie er derzeit politisch forciert wird. Vor dem Hintergrund der vorgelegten Ergebnisse erscheinen vor allem solche systemisch orientierten, langfristigen Beratungs- und Begleitungsprozesse vorteilhaft, die vom bisher dominierenden Beratungsziel Erhaltung des Betriebes Abstand nehmen und stattdessen in einer dialogischen Zusammenarbeit mit den Akteuren eine neue Balancierung der Anerkennungsverhältnisse unterstützen. ; More than 90% of all German companies are family businesses and in one-fifth of them an alternation of generations is taking place at present. In spite of varied career possibilities in a multi-option society, almost half the children take over the company. Based on eight narrative interviews, a biography-theoretical analysis perspective on this social phenomenon has been selected in this thesis: In which biographical (selection-) process is the decision for or against a takeover of the family business embedded? In five cases it turned out that the position of the successor, assigned to one of the children from an early age, is particularly structural effective for the business succession and the persons concerned. The alternation of generations in this family businesses can be characterized as takeover of a position . Three further cases show that years of competition in the business succession play an essential role for the takeover process and the successors. The alternation of generations in this family businesses can be characterized as won contest . The introduced case reconstructions demonstrate that the theme justice in alternation of generations in small family businesses is a structure-relevant aspect interlaced in a lifelong process and biographical treated in terms of competition or by taking a position. It also becomes apparent that the traditional rule of succession gender and rank by age in birth order served as justice concept prevailing in wide parts of Germany for a long time is in the process of dissolution. A result of this research says that the two alternative justice concepts interest or achievement increasingly pulled up for legitimation of career choice, and so as well in the course of the business succession decision, also hold risks. Therefore, the concluding thesis is held that both positional and competition-oriented alternations of generations in family businesses need changed relations of acceptance to enable the effectiveness of democratic principles of justice: Mutual esteem among generations, gender and siblings for there so being , just as for their efforts and interests in every stage of life. The management and the orientation of the business after the takeover are an expression of the successor s biographical work. By long everyday experience with the dissolution of boundaries between family life and working life, which are entering increasingly into other fields of work after the industrial modernity, they can be described as a kind of social avant-garde. Closely connected with this, their life stories can be classified as seismographs for the problems in the working world: On the one hand the experience of early competition in all areas of life promotes the development of mental crises; observable in the working life as well. On the other hand the early experience with an assignment of a position promotes a more inflexible, less market-oriented attitude which is badly prepared for the reduction of the claim to status maintaining; as it is politically forced at present. Against the background of the presented results, mainly such systemic oriented, long-term processes of advice and assistance appear to be advantageous which are refraining from the prevailing purpose of advice preservation of the business . Instead of that they support a new balancing in the relations of acceptance by a dialogic cooperation with the actors.
Bauernopfer ? Bauerntäter ist eine biographische Annäherung an den Zweiten Weltkrieg mit Hilfe der Primärquelle Feldpostbrief. So wie Feldpostbriefe heute in Archiven vorliegen, geben sie wenig Hintergrundinformation über die Schreiber, ihre Erziehung, ihre schulische und berufliche Laufbahn, weshalb eine biographische Annäherung an das Thema aufschlussreicher ist. Mit meinen persönlichen biographischen Zugang ermögliche ich es die Briefe in jeglicher Hinsicht in einen historischen Rahmen einzuflechten, somit auch das Handeln eines "einfachen Mannes" im Krieg in einen umfassenden Referenzrahmen der Vergangenheit zu setzen. Persönliche Zeugnisse, wie Briefe und Fotos, reden die Sprache der Zeit und der Welt, aus der sie stammen. Die nationalsozialistische Zeit gewinnt somit Kontur durch die Rekonstruktion der Feldpostbriefe eines steirischen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Dabei sind mir Lücken der Quelle, wie die inneren und äußeren Zensur, oder die vermeintliche Realitätsabbildung, bewusst. Der Brief ist eine Konstruktion von Wirklichkeit unter äußeren und inneren zensierenden Bedingungen für jeweils eine Kommunikationspartnerschaft. Doch werden die Lücken mit meiner Forschungsmethode so gut wie möglich geschlossen. Denn für die biographische Rekonstruktion vom Hauptakteur und den Geschehnissen in seinem Heimatdorf Rettenegg, und seiner Gebirgsjägereinheit werden, neben den Feldpostbriefen, Quellen aus seinem Dorf sowie aus seiner Wehrmachtseinheit herangezogen. Mit dieser Herangehensweise kann ich meine zentrale Forschungsfrage beantworten, die der Wahrnehmung des Krieges eines "einfachen Soldaten"auf die Spur kommen will, denn den "einfachen Menschen" kommt man in der Kombination von Feldpostbriefen und den von mir verwendeten weiteren Quellen und der Sekundärliteratur sehr nahe. Meine Arbeit ist eine Fallrekonstruktion eines deutschen Wehrmachtssoldaten, sein Leben ist typisch und zugleich unverwechselbar. ; Pawn Sacrifice ? Pawn Perpetrator is a biographical approach to the Second World War with the use of fieldpost letters as the main source. To use fieldpost letters play an important role as a source to describe the Second World War?s "unmentioned". Not all the impressions of war could be provided with sense. That is why the "unmentioned" is particularly interesting. Sometimes one phrase in a letter is enough to show the writer?s attitude. Henceforth, letters are an important source in understanding the life of "ordinary soldiers", to get closer to their survival strategies, and to construe the "reference frame" of war. Fieldpost letters exist in archives today, but without any information about their writers, whether we speak of their education, their origin, or their social status and working background. Thus, my aim was to determine a biographical approach to using these difficult sources. Johann Posch will be the main character in the dissertation, and his fieldpost letters will be placed in a biographic and historical frame. Thereby I will break open the factitious separation between the military and the civil approach within the Second World War research. Soldiers? personal sources, such as pictures and letters, speak the language of their time. My main source has its limitations, i.e. the fact that soldiers create their own world (Gegenwelt) in their letters. Nevertheless, fieldpost letters remain an important source if they are embedded in a historical and social framework. Historians may draw a contemporary sense of the time in which the letters were written. My methodological approach in creating a biographical framework brings us close to a single soldier. With this approach I will answer my central research questions regarding life of an ordinary soldier and his family. Moreover, with my biographical reconstruction will complement the truth on war, giving an unknown soldier a face and a name, and his place in history. ; eingereicht von Ronald Posch ; Abweichender Titel laut Übersetzung der Verfasserin/des Verfassers ; Zsfassung in dt. und engl. Sprache ; Graz, Univ., Diss., 2013 ; OeBB ; (VLID)233770
Der bewaffnete Konflikt in Syrien seit dem Frühjahr 2011 hat in quantitativer Hinsicht eine der größten gewalt- und konfliktbedingten Fluchtbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg hervorgebracht. Die im Kontext des vielschichtigen, in seinem Verlauf zunehmend extrem gewalttätigen syrischen Bürgerkrieges flüchtenden Menschen, insgesamt etwa die Hälfte der syrischen Gesamtbevölkerung, suchten und suchen überwiegend innerhalb anderer Regionen Syriens oder in den unmittelbar angrenzenden Ländern Schutz, Sicherheit und soziale Teilhabe. Nur verhältnismäßig wenige von ihnen flüchteten in geographisch relativ weit entfernte Staaten (zum Beispiel in die "Europäische Union") beziehungsweise hatten die Möglichkeit und die Ressourcen, sich auf diesen Weg zu machen. Die vorliegende soziologische Studie behandelt mit den Fluchtmigrationen und Fluchterfahrungen von Menschen, die vor dem Hintergrund des gewaltsamen Konfliktes in Syrien zwischen 2014 und 2017 über den spanisch-marokkanischen Grenzraum um die Enklaven Ceuta und Melilla migriert waren, einen Ausschnitt dieses Migrationsgeschehens. Anhand einer Kombination von biographietheoretischen, figurationssoziologischen und zugehörigkeitstheoretischen Perspektiven erfolgt eine empirische Untersuchung zu den Fluchtverläufen, Lebenssituationen und Selbstpräsentationen von Geflüchteten aus Syrien im spanisch-marokkanischen Grenzraum um die Enklaven Ceuta und Melilla. Die ethnographische Forschung arbeitet Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus, wie Geflüchtete aus Syrien ihre Lebenssituationen in diesen spezifischen Transiträumen erlebt, gestaltet und dargestellt haben. Ein zentraler Befund dieser Studie ist, dass die Selbstdarstellungen meiner syrischen Gesprächspartner*innen in Ceuta und Melilla bezüglich ihrer Lebensgeschichten und Fluchtverläufe in erheblichem Ausmaß auf ihre gegenwärtigen Lebenssituationen im Flüchtlingslager und zudem auf die kollektiven, vermeintlich oder tatsächlich geteilten Erfahrungen bezogen waren. Der Fokus der Darstellungen auf die gegenwärtig als ausgesprochen prekär und fremdbestimmt wahrgenommenen Lebenssituationen sowie auf die Selbstthematisierung innerhalb der Rahmung eines Wir-Bildes als syrische Geflüchtete überlagerte deutlich die Thematisierbarkeit der individuell-konkreten Fluchtverläufe. Dadurch wurden auch die Unterschiede zwischen den Geflüchteten hinsichtlich ihrer Lebenssituationen in Syrien vor dem Konflikt und ihre divergierenden Konflikt- und Gewalterfahrungen tendenziell verdeckt. Demgegenüber zeigen die Fallrekonstruktionen die divergierenden Bedeutungen und Folgen von gewalt- und konfliktbedingten Transformationsprozessen für die Fluchtverläufe. Anhand von biographischen Fallrekonstruktionen zu den Fällen eines syrisch-kurdischen Geflüchteten, einer syrisch-algerisch-palästinensischen Familie und eines syrisch-turkmenischen Ehepaares wird herausgearbeitet, wie sich die Prozesse der Fluchtmigration vor dem Hintergrund unterschiedlicher lebensgeschichtlicher Verläufe gestaltet haben, in welcher Beziehung das Erleben des Konflikts und der Verlauf der Fluchtmigration zu den sich wandelnden Positionierungen in Figurationsgeflechten steht und welche Folgen für die gegenwärtigen Perspektiven und Zugehörigkeitskonstruktionen daraus hervorgehen. Die empirischen Ergebnisse werden gegenüber dem bestehenden Forschungsstand im Feld der Flucht- und Flüchtlingsforschung und unter Rückgriff auf Überlegungen der soziologischen und anthropologischen Perspektiven auf Gewalt und bewaffnete Konflikte diskutiert. Dies führte zu dem konzeptionellen Vorschlag, Fluchtmigrationen als Migrationsverläufe zu definieren, die sich im Kontext von gewaltverursachten und -verursachenden Prozessen gesellschaftlicher Ordnungsbildung und Transformation herausbilden und deren Gesamtverläufe, über die konkrete Fluchtkonstellation hinaus, integral mit diesen Prozessen verbunden sind. Diese Transformationen betreffen soziale Bindungen und Verflechtungen zwischen Individuen und sozialen Kollektiven, Konstruktionen von Zugehörigkeiten, lebens-, familien- und kollektivgeschichtlich aufgebaute Orientierungen. Flucht ist nicht nur als Reaktion auf kollektive Gewalt zu betrachten, sondern ist – und bleibt in ihrem Verlauf – mit Dynamiken gewaltbedingter Transformation verwoben. ; The armed conflict in Syria which began in 2011, caused one of the largest refugee movements in the context of collective violence and war since World War II. Those who fled during the complex, increasingly violent and militarized Syrian civil war – in total about half of the pre-conflict population – have predominantly looked for a place of refuge, security and participation chances in other regions within Syria or in neighboring countries. Relatively few people had the resources to migrate to comparatively distant countries (such as countries in the "European Union"). This sociological study focuses on the processes of "refuge migration" and the experiences of refugees who migrated in the context of the armed conflict in Syria via the Spanish-Moroccan border zone surrounding the enclaves of Ceuta and Melilla. Based on a combination of biographical and figurational approaches and the concept of belonging, I empirically reconstruct the migration, social situations and self-presentations of Syrian refugees in the Spanish-Moroccan border zone. My ethnographic research in the Spanish enclaves shows differences and similarities in the way Syrian refugees experience, deal with and present their social situation in these transit spaces of migration. A central finding of my study highlights that the refugees' presentation of their life stories and their escape from violence are heavily overlaid by their present preoccupations in the refugee camp and the presentation of shared – or supposedly shared – experiences of fleeing from war. The focus of their biographical self-presentations lay on their precarious and heteronomous current situation and the presentation of a homogenizing we-image as "Syrian refugees". These patterns of self-presentation obstructed speaking about their "individual" courses of flight from a war. This tended to cover up differences and social conflicts that existed in Syria before the war as well as diverging "individual" experiences of the war. Drawing on biographical case reconstructions, I contrast these findings by showing how war and armed conflict are processes of social transformation that have different meanings and different consequences for individuals and social collectives. The cases of a Syrian-Kurdish refugee, a Syrian-Algerian-Palestinian family and a Syrian-Turkmen married couple show how processes of "refugee migration" are interrelated with diverging life and collective histories. The interviewees' experiences during the armed conflict, as well as the courses of "forced migration" are inherently related to changing positions within networks of interdependency. This explains why the conflict has very different consequences for the refugees' present perspectives and constructions of belonging. My empirical results are discussed in the light of the state of the art in the field of refugee-studies and forced migration research. Drawing on perspectives from sociology and anthropology of violence and armed conflict, I conceptualize "refugee migration" as a certain type of migration: "Refugee migration" is a type of migration that is constituted in the context of social transformations and changes in the social order caused by, and causing, collective violence. Violence-based transformations are an integral part of the genesis and the overall trajectories of these processes of migration. These transformations affect social boundaries and figurations between individuals and groupings, constructions of belonging and patterns of biographical (re-)orientation. "Refugee migration" is not only a reaction to collective violence, but must be seen in its ongoing embeddedness in the dynamics of violence which structure the whole migration process.
Im Allgemeinen ist die Kennzeichnung "palästinensische Flüchtlinge" – mit einer Bezugnahme auf das Rückkehrrecht – denjenigen PalästinenserInnen vorbehalten, die im Kontext der Kriege von 1948 und 1967 geflohen sind oder aus ihren Häusern vertrieben wurden, aber auch deren Kindern, Adoptivkindern und Enkelkindern. Etwa ein Drittel dieser äußerst heterogenen Gruppierung lebt immer noch in den so genannten "palästinensischen Flüchtlingslagern", die in den 1950er Jahren durch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) gegründet wurden. Die Debatte über die BewohnerInnen der palästinensischen Flüchtlingslager ist nach wie vor in die Debatte über "die palästinensischen Flüchtlinge" eingebettet und wird somit weitgehend determiniert. Sowohl in den Medien als auch im wissenschaftlichen Diskurs ist diese Debatte oft durch vage, homogenisierende, harmonisierende, aber auch essenzielle und politisch aufgeladene Beschreibungen charakterisiert. Dabei basieren die umstrittenen Definitionen meist auf verwirrenden Konzepten, die sich typischerweise auf die administrativen Kategorien der UNRWA stützen und nicht in einen konkreten soziohistorischen Kontext eingebettet sind. Diese Doktorarbeit verfolgt das Ziel, - auf der Grundlage empirischer Daten – das homogenisierende Bild über die "palästinensischen Flüchtlinge", sowohl im sozialwissenschaftlichen Diskurs als auch in den Diskursen, die in den verschiedenen Gruppierungen von PalästinenserInnen und in den jeweiligen Familien in den Flüchtlingslagern im Westjordanland gepflegt werden, zu analysieren. Dabei wird empirisch fundiert aufgezeigt, in welchen Diskursen und kollektiven Gedächtnissen eine Homogenisierung vorgenommen wird. Des Weiteren werden die Konsequenzen dieser Homogenisierung dargelegt. Der theoretische und methodologische Ansatz orientiert sich an den Arbeiten von Bogner und Rosenthal, die die sozialkonstruktivistische Biographieforschung und die Figurationssoziologie von Norbert Elias verbinden. Die für die Datenerhebung und -auswertung angewandte Forschungsmethode basiert auf den von Rosenthal vorgestellten methodenpluralen Verfahren, in denen teilnehmende Beobachtungen, biographisch-narrative Interviews (mit dem Ziel von Fallrekonstruktionen), Experteninterviews, Familieninterviews und Gruppendiskussionen kombiniert werden. Im Zentrum der Arbeit stehen zwei familiengeschichtliche Fallstudien. Es handelt sich dabei um zwei muslimische Familien, die in zwei verschiedenen Flüchtlingslagern wohnen und signifikante Unterschiede im Hinblick auf ihre konkreten Erfahrungen im Kontext der Flucht von 1947/49, aber auch in den langfristigen historischen und transgenerationalen Konsequenzen zeigen. Diese Familien stellen zwei verschiedene Typen dar: Der erste Typus zeichnet sich vor allem durch das seit mehreren Generationen verfolgte sozio-ökonomische Etablierungsprojekt aus. Der zweite Typus hingegen repräsentiert eine Familie, die sich an parteipolitischen Organisationen oder an einem "Prestige-Projekt" im Sinne Max Webers orientiert. In transgenerationeller Hinsicht hat die ältere Generation, die sowohl im Dorf vor 1948 als auch danach im Flüchtlingslager eigene Erfahrungen macht, ein ambivalentes Verhältnis zu den vorherrschenden kollektiven Diskursen. Bemerkenswert ist die Wirkmächtigkeit kollektiver Diskurse, insbesondere des islamisch-orientierten Diskurses, der das Alltagsleben der Communities in den palästinensischen Flüchtlingslagern weitgehend bestimmt. Eine Konsequenz der Unterwerfung unter die wirkmächtigen kollektiven Diskurse in den palästinensischen Flüchtlingslagern ist, dass es den Interviewten oft nicht gelingt, ungehindert über ihre eigenen Erfahrungen zu erzählen. Dies erschwert es ihnen, die belastenden und teilweise traumatisierenden Erfahrungen in ihren Familien zu verarbeiten oder zu bewältigen. ; The label "Palestinian refugees" with reference to the right of return is generally reserved for those Palestinians who have fled or were displaced from their homes in the context of the wars of 1948 and 1967, but also for their children, adopted children and grandchildren. Approximately a third of this extremely heterogeneous grouping is still living in the so-called "Palestinian refugee camps" established in the 1950s by the United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA). The debate on the residents of the Palestinian refugee camps remains embedded in and shaped by the debate on "the Palestinian refugees" in general. This debate – in the media as well as in scientific discourse – is often characterized by vague, homogenizing, harmonizing, essentializing and politically charged descriptions. Mostly, the controversial definitions are based on confusing concepts which are typically grounded in UNRWA's administrative categories and are not embedded in a concrete socio-historical framework. This doctoral thesis uses empirical data to explore the homogenizing image of "the Palestinian refugees" in social science discourses, as well as in the public and private discourses that are maintained within different groupings of Palestinians and within the families concerned in the refugee camps of the West Bank. Furthermore, it examines in which discourses and collective memories homogenization takes place, and the consequences of this. The theoretical and methodological approach is inspired by the work of Bogner and Rosenthal, who integrate social constructivist biographical research following the tradition of Berger and Luckmann with Michel Foucault's discourse research and Norbert Elias's figurational sociology. The research method used for data collection and evaluation is based on Rosenthal's methods and consists of ethnographic participant observation, biographical-narrative interviews and biographical case reconstructions. The empirical findings of family-history case studies of two Muslim families living in two different camps show significant differences in their concrete experiences in the flight context of 1947/49, but also in the long-term historical and transgenerational consequences. These families represent two different types. The first type is characterized primarily by the socio-economic establishment project being followed since generations. The second type, in contrast, represents a family that is oriented on party political organizations or on a "prestige project" in Max Weber's sense. In transgenerational aspects, the older generation – with experiences in the village before 1948 and later in the refugee camp – has an ambivalent attitude to the dominant collective discourses. Remarkable is the strong influence of collective discourses, especially the Islamic-oriented discourse, which widely determines the everyday life of the communities in the Palestinian refugee camps. One consequence of submission to the predominant discourses in the Palestinian refugee camps is that the interviewees are often unable to freely narrate their own experiences, which makes it difficult for them to process (or cope with) the stressful and sometimes traumatizing experiences within their families.
Denunziationen waren wesentlicher Bestandteil des Alltags während des Nationalsozialismus und betrafen nahezu alle Aspekte des Lebens. Die exzessive Denunziationspraxis ist ein Charakteristikum des NS-Alltags. Im Unterschied zu anderen autoritären Regimen mussten Gestapo und Sicherheitsdienst kaum auf bezahlte Spitzel zurückgreifen, die Mehrheit ihrer Erfolge basierte auf der freiwilligen Mitarbeit der Bevölkerung. Während des Krieges wurden Denunziationen zu einem Massenphänomen. Das Phänomen der Denunziation fand in der österreichischen Geschichtsforschung zum Nationalsozialismus erst relativ spät Beachtung. Erstens wird der Kontext der Nationalsozialistischen Militär- und Strafjustiz umrissen. Jede auch nur annähernd kritische, humoristische oder einfach realistische Äußerung zur Erfahrungen in der Wehrmacht, an der Front, zur Kriegslage oder zu NS-Größen wurde unter dem Titel "Wehrkraftzersetzung" strengstens bestraft. Im Kriegsverlauf waren die Verfahrensregeln und die Gesetzesbestimmungen zunehmend außer Kraft gesetzt, die Verfahren beschleunigt und verkürzt worden: Die Angeklagten hatten kein Recht auf den Instanzenweg, sie hatten kein Recht auf einen Verteidiger (außer bei drohendem Todesurteil) und kein Recht auf ein Verfahren für Gnadengesuche. Zweitens werden Ergebnisse aus der quantitativen und qualitativen Auswertung eines geschlossenen Bestandes von Prozessakten des Militärgerichts der Außenstelle Wien vorgestellt. Mittels ausgewählter signifikanter und spannender Fallgeschichten zu Denunziation als sozialem Phänomen werden – detailreich ausgearbeitete – qualitative Mikro-Analysen vorgelegt: Dabei werden biographische und soziale Hintergründe, Motive, Interessen, Konflikte, sowie differente Reaktionsweisen der DenunziantInnen und der wegen »Wehrkraftzersetzung« angezeigten Soldaten sichtbar gemacht. In allen untersuchten Fällen zeigten sich denunziatorische Handlungen in unterschiedlichsten Facetten als komplexe kommunikative Verhaltensweisen: Individuelle Motive, private Konflikte vermischten sich mit politischen Inhalten. Drittens werden Sichtweisen von Akteuren (eines Denunzianten und zweier Deserteure) als Interpretationsergebnisse von lebensgeschichtlich-narrativen Interviews als ausführliche biographische und historisch kontextualisierte tiefenhermeneutische Fallrekonstruktionen vorgestellt. Besonders aufschlussreich erwies sich hierbei ein Interview mit einem Denunzianten, das mit den betreffenden Gerichtsakten konfrontiert werden konnte. Er hatte die Anzeige – den damaligen Normen gemäß bis heute als moralische Pflichterfüllung – in seinem Gedächtnis konserviert. ; Denunciations were an essential component of everyday life under Nazism and affected almost every aspect of life. During the war, denunciations became a mass phenomenon. In Austria the subject was noticed relatively late. The attention proceeds from a general definition of terms, to a specific interpretation on the basis of archive sources (Wehrmacht legal records) and then to individual case reconstructions on the basis of oral history interviews, that is to say, from a macro to a micro perspective.The closed holding relates to charges on the offence of Wehrkraftzersetzung (subversion of the armed forces), most of which were reported by former residents in the Ostmark at the central court, Vienna, in 1943-1945. Central to this are above all questions of social history and the history of mentality, such as the significance of social milieu (denunciation as "release" from class or interest differences, as a group phenomenon, etc.), and of gender (gender-differentiated behaviour, denunciation as "release" from conflicts concerning gender hierarchy), of generation, of political/ideological orientation, and of the significance of the social environment, the sphere of life and the locality. Of interest, however, are not just the historical conditions under the Nazi regime, but also the room for manoeuvre of men and women - in the military milíeu in the endphase of the war - and the communicative mechanisms that led to political denunciation.