"Gegenwärtig arbeiten die U.S.-amerikanischen Streitkräfte an einem umfassenden Transformationsprozess, dessen programmatisch avanciertestes und einflussreichstes Konzept 'Network Centric Warfare' lautet. Das Konzept propagiert, wie man in Anlehnung an Luc Boltanskis und Ève Chiapellos Diagnose vom 'neuen Geist des Kapitalismus' formulieren kann, einen 'neuen Geist des Krieges'. In diskursanalytischer Beobachtung erweist sich dieser neue Geist in nicht unerheblichem Maße durch Naturvorbilder und naturwissenschaftliche Denkfiguren geprägt. Die Vordenker in den amerikanischen Stabs- und Beraterstellen lesen das Verhältnis von Natur und Krieg unter der Maßgabe komplexitätstheoretischer Konzeptualisierungen von Naturzusammenhängen und bestimmen es über drei Schlüsselkonzepte: Nichtlinearität, Ko-Evolution, Schwärmen. Mit diesen Konzepten wird ein radikaler Wandel des Kriegsverständnisses und des militärischen Selbstverständnisses motiviert. Nichtlinearität stellt die Konfliktanalyse, die Kriegs- und Feindmodellierung auf eine neue Dynamik des geostrategischen Feldes und der militärischen Operationen ein. Ko-Evolution mobilisiert für eine tiefgreifende, eben netzwerkförmige, Reform der Rüstungs-, Organisations- und Operationsprinzipien, um einem unterstellten permanenten Wandel der Operationsfelder adäquat zu begegnen. Mit dem taktischen Ideal des Schwärmens wird die an Bienenschwärmen ebenso wie an neuen Gegnern bewunderte Fähigkeit zur Selbstorganisation Maßgabe militärischer Doktrin und Disziplin; sie wird mithin zur Leitlinie der Formung eines neuen Soldatentypus. Der Rekurs auf Natur leitet folglich eine programmatische Rekonfiguration des Denkens des Krieges, der Organisationskultur und des einzelnen Soldaten an. In kultursoziologischer Lektüre erweist sich das Netzwerkkonzept in seinem militärischen Gebrauch weniger als analytisch-deskriptives Instrument, denn als Mobilisierungsmetapher. Eine Metapher, die nicht allein eine Anpassung an die, nun dynamisch gefasste, Natur des Krieges propagiert. Netzwerkförmige Rekonfiguration, so eine zentrale These des Vortrags, bedeutet, Organisationsstrukturen, Operationsweisen und Kohäsionsformen der neuen Gegner zu imitieren."
Der Verfasser analysiert die Gründe, warum es sinnvoll ist, sich mit der globalen Sozialpolitik zu befassen bzw. diesen Terminus zu verwenden. Vor diesem Hintergrund wird eine Präzisierung der Begriffsbestimmung und eine Darstellung der Felder globaler Sozialpolitik unternommen. Im Kontext der veränderten Bedingungen für das nationalstaatliche Handeln und für die bisher primär an den Nationalstaat gebundene Sozialpolitik wird die Entstehung einer neuen Form der politischen Regulierung auf globaler Ebene, der Global Governance untersucht. Nach der Auseinandersetzung mit den zentralen Akteure der globalen Sozialpolitik wird ein Überblick über die aktuellen Strategien globaler Sozialpolitik gegeben. Die Veränderungen in den Strategien der Entwicklungshilfe seit den 1990er Jahren werden mit Schwerpunkt auf die Weltbank und den Weltsozialgipfel dargestellt, die die Bedingungen für die Umsetzung einer umfassenden globalen Sozialpolitik schaffen können. (ICG2)
Thema des Beitrags ist ein spezieller Aspekt der sozioökonomischen Nutzung von Ressourcen des kulturellen Erbes für die Entwicklung eines kulturellen Tourismus unter besonderer Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsaspekts. Ziel der Untersuchung ist die Identifizierung der hauptsächlichen Hindernisse und Möglichkeiten einer strategischen Planung um die Nachhaltigkeit der Nutzung kultureller Ressourcen sicherzustellen und zu garantieren. Zur Erreichung dieser Zielsetzung entwickelt der Beitrag zwei Thesen und analysiert deren gegenseitige Beziehung. Die Thesen beziehen sich auf: 1) Hindernisse: das Fehlen einer allgemeinen Übereinkunft über die begriffliche Abklärung des Nachhaltigkeitsmanagements kultureller Ressourcen im Bereich Kultur und innerhalb kultureller Institutionen und Organisationen als Voraussetzung für eine bedürfnisorientierte Entwicklungsplanung; 2) die Orientierung an positiven Beispielen im Kulturmanagements, der Aus- und Fortbildung und der Wissensvermittlung, die dabei helfen, ein Bewusstsein für die Wichtigkeit dafür zu entwickeln, letztendlich zu Begriffsdefinitionen zu kommen, die allgemeine Zustimmung finden. Hierzu wird eine Fallstudie zur Internationalen Studienzentrale für die Erhaltung und Restaurierung von Kulturgut (ICCROM) vorgestellt. Forschungsmethode: deskriptive Studie; Fallstudie; empirisch. (IAB).;;;"The objective of the current article is one particular aspect of socioeconomic utilization of cultural heritage resources for developing cultural tourism - namely - the sustainability aspect of this utilization. The aim of the research is to identify what are the main hindrances and opportunities in front of strategic planning so as to provide and guarantee for the sustainability of cultural resources utilization. To achieve this aim, the article will develop two theses and will analyze the link between them. The theses relate respectively to: 1) the hindrance - the lack of commonly agreed upon clarification of sustainability management of cultural resources definitions themselves within the cultural field and within the culture related institutions and organizations so as to nerve the needs of development planning institutions; 2) the opportunities of using the past best practices experienced by cultural management institutions and organizations for training and dissemination of skills and knowledge supporting advocacy and raising the awareness about the finally agreed upon definitions." Forschungsmethode: deskriptive Studie; Fallstudie; empirisch. (author's abstract, IAB-Doku).
Digitalisierung und Mediatisierung bedingen gesamtgesellschaftliche Transformationsprozesse, die den Bereich der Bildung ebenso durchdringen, wie auch auf die professionelle Kompetenz von Lehrkräften wirken. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der medienbezogenen Ausgestaltung der universitären Bildung von Lehrkräften in Deutschland und formuliert Fragenkomplexe, die transdisziplinär, evidenzbasiert und nachhaltig beantwortet werden müssen. Ausgangspunkt dafür muss eine systematische Betrachtung erforderlicher medienbezogener Kompetenzen von (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern sein, die das Kernstück dieses Artikels bildet: Der Beitrag gibt einen Überblick über nationale und internationale Modellierungsansätze von Kompetenzen zum Lehren und Lernen mit und über Medien, um in der Folge drei zentrale Modelle (TPACK, DigCompEdu, M3K) detaillierter und vergleichend zu beschreiben und einen Ausblick auf eine transdisziplinäre Gestaltung der Bildung von Lehrkräften zu geben.
In Deutschland und Österreich hat die Professionalisierung im Bereich der Erwachsenenbildung/ Weiterbildung in den letzten Jahren vielfältige neue Impulse erfahren. Diese basieren auf der Tatsache, dass das Erwachsenenalter zunehmend zu einer dauerhaften Lernphase wird, wo Lernprozesse an unterschiedlichen Orten, in vielfältigen Kontexten und Settings sowie in verschiedenen Formen (formal, non-formal und informell) und mit diversen Zielsetzungen stattfinden. In der Folge kam es in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem wesentlichen Ausbau und einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Weiterbildungslandschaft, die neben den traditionellen Einrichtungen viele neue Institutionen, Anbieter und Lernorte hervorgebracht hat. Begleitet wird diese Entwicklung von einem grundlegenden Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik beider Länder. Induziert durch die Europäische Union und internationale Entwicklungen wird mit Blick auf Effektivität, Ergebnis- und Marktorientierung eine Um- und Neusteuerung des Erwerbs von Bildung, Qualifikation und Kompetenzen über die gesamte Lebensspanne angestrebt (Stichworte: lebenslanges Lernen, Outcome- und Lernergebnisorientierung, Bildungsstandards, Qualitätsentwicklung und -sicherung, Kompetenzorientierung, Europäischer Qualifikationsrahmen - EQR/Nationale Qualifikationsrahmen - NQR).
Die Verfasserin setzt sich zunächst mit der internen Unternehmensorganisation bei kleinen und mittleren Unternehmen im Kontext internationaler Projekte auseinander. Hier werden Defizite und Barrieren sichtbar, die nicht ohne weiteres durch für große Unternehmen entwickelte Konzepte beseitigt werden können. Kleine und mittlere Unternehmen müssen vor allem netzwerkfähige Organisationsstrukturen aufbauen und die Reflexivität ihrer Organisationsstrukturen steigern. Die Anpassung an länderübergreifende Strategien muss unter intensiver Beteiligung der Belegschaften geschehen. Hier knüpft die Verfasserin mit Überlegungen zu Veränderungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten im Bereich der Personalentwicklung an. Überkommene Regeln der Personalwirtschaft blockieren die Entwicklung der Globalisierungsfähigkeit der Belegschaft. Gestaltungsansätze zur Personalentwicklung sieht sie in einer breiten Qualifizierung der Belegschaften, einer Aktualisierung der Personalwirtschaft (Rekrutierung, Karrieremuster, Lohnpolitik, Arbeitsbedingungen, Konfliktmanagement), einer innovativen Arbeitsorganisation (Internationalisierung, Integration von Arbeits- und Lernprozessen) und der Nutzung der Informations- und Kommunikationstechniken. Auch auf dem Gebiet der Personalentwicklung, so das Fazit der Verfasserin, müssen kleine und mittlere Unternehmen andere Wege gehen als Großbetriebe. (ICE)
"This article analyzes different perspectives dealing with organizational change and the dissemination of ideas and practices between different contexts. Through an investigation into projects featuring cooperation between Swedish and Estonian civil society organizations, the chapter demonstrates how different concepts brought together can further our understanding of such processes." (author's abstract)
"Vergleichende Betriebsstrukturen zur Arbeits- und Produktionsorganisation haben in der Vergangenheit immer wieder große Unterschiede zutage gefördert. Auch bei gleichartiger Technik fand man ganz unterschiedliche organisatorische Lösungen. Dies galt selbst für die Werke desselben Herstellers an unterschiedlichen Standorten, erst recht natürlich im Werksvergleich unterschiedlicher Hersteller. Nationalspezifische Einflüsse sind dabei offensichtlich von großer Bedeutung." In diesem Beitrag werden Voraussetzungen und Entwicklungsmöglichkeiten diskutiert, die im Zusammenhang mit der Frage nach Konvergenz oder Differenz nationaltypischer Produktionsprofile stehen. Im ersten Schritt werden wichtige Differenzpunkte in der Produktions- und Arbeitsorganisation westlicher und japanischer Unternehmen, wie sie noch in den 80er Jahren weithin typisch waren, dargestellt. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse des International Motor Vehicle-Leistungsvergleich (IMPV) diskutiert, der Ende der 80er Jahre durchgeführt wurde. Zuletzt werden bei der Betrachtung des "Toyotismus" - als dem Grundtyp des aus dem Westen rezipierten erfolgreichen Modells Japan - diejenigen Faktoren eingekreist, auf die sich Überlegungen des westlichen Managements konzentrieren müssen, wenn sie für sich die Produktivitätspotentiale des japanischen Leitbildes erschließen wollen. (psz)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 5717-5728
"Mit dem Herauswachsen von wirtschaftlichem Handeln aus nationalstaatlich verfassten Räumen sind transnational operierende Unternehmen in den letzten Jahrzehnten zu mächtigen globalen Akteuren geworden. Gleichzeitig hat ihre öffentliche Reputation gelitten, weil sie oft für globales Umwelt- und Sozialstandard-Dumping verantwortlich gemacht werden. Insbesondere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werfen Unternehmen vor, dass sie die fehlende Kapazität von Nationalstaaten zu internationaler Marktregulierung für ihr privates Interesse an Shareholder Value-Maximierung ausnutzen - ohne Rücksicht auf ökologische und soziale gesellschaftliche Kosten. Aus dieser Situation heraus hat sich in den letzten Jahren eine transnationale Bewegung unter dem Label der 'Corporate Social Responsibility' (CSR) entwickelt, die eine Institutionalisierung von freiwilligem Engagement von Unternehmen zu ökologischer und sozialer 'Nachhaltigkeit' vorantreibt. Während die Politik- und Managementwissenschaften sich intensiv mit dieser Entwicklung beschäftigen, hat die Soziologie dem CSR-Konzept bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ziel des Vortrags ist es deshalb, 'CSR' als transnationale gesellschaftliche Institution zu betrachten und ihren Konstruktionsprozess zu analysieren. Mit Hilfe von Konzepten der sozialen Bewegungstheorie soll gezeigt werden, wie die Konstruktion von CSR durch eine transnationale CSR-Bewegungs-Gegenbewegungsdynamik getragen wird, in der sowohl Unternehmen als auch NGOs eine prominente Rolle als weltkulturelle Unternehmer zukommt. Ob Unternehmen lediglich Adressaten der Forderung nach sozialer und ökologischer Verantwortung sind oder als Aktivisten in der sozialen Bewegungsindustrie um CSR auftreten, ist demnach abhängig von ihrer symbolischen Positionierung: Bis Ende der neunziger Jahre befanden sich Unternehmen in einer überwiegend reaktiven Rolle, als NGOs nationalstaatlich orientierte Legitimationsmuster der Unternehmensverantwortung in Frage stellten. In der CSR-Bewegung der letzten Jahre hingegen verhalten sich Unternehmen dagegen zunehmend proaktiv, um ihre Legitimationskrise zu überwinden. Dazu passen sich Unternehmen symbolisch an den globalen Nachhaltigkeitsdiskurs an und werden auf diese Weise zu CSR-Aktivisten und zu Architekten der Institutionalisierung von transnationaler gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung." (Autorenreferat)
Vorwort Die Gesellschaft für Deutschlandforschung hat seit 1979 auf ihren Tagungen, soweit dies angängig war, immer wieder Probleme der Militärpolitik der DDR in den jeweiligen Themenkatalogen berücksichtigt. Erinnert sei hier nur an die in den Periodika der Gesellschaft veröffentlichten Beiträge von Jens Hacker (Die DDR im Warschauer Pakt), Walter Rehm (Militärtraditionen in der DDR; Die Kriegstheorie von Karl Marx), Fritz Birnstiel (Die Militärpolitik der DDR), Henning von Löwis of Menar (Militärisches und Paramilitärisches Engagement der DDR in der Dritten Welt) und Gerhard Ritter (Die Position von Karl Marx in der Militärpolitik der DDR). Nunmehr wurde in dieser Richtung ein Schritt weitergegangen. Auf der wehrwissenschaftlichen Tagung der Gesellschaft zur Erforschung der politischen Systeme in Deutschland (Korporatives Mitglied der Gesellschaft für Deutschlandforschung) in Münsterschwarzach am Main (5.-8. November 1984) stand diesmal allein ein wehrpolitischer Themenkomplex zur Debatte, der sich nicht nur auf die DDR beschränkte, sondern in einem erweiterten geographischen Bezugssystem Probleme behandelte, ohne dabei das Grundproblem Deutschland aus dem Auge zu verlieren. Das gewählte Generalthema: "Angst als Mittel der Politik in der Ost-West-Auseinandersetzung" entsprach der aktuellen politischen Situation, gegeben durch die Nachrüstung im Bereich des westlichen Verteidigungsbündnisses der NATO als Folge der sowjetischen Hochrüstung seit der KSZE-Konferenz in Helsinki und das damit im Zusammenhang stehende plötzliche Wiederaufleben der westlichen Friedensbewegung, die sich gute 30 Jahre zuvor in der Picasso'schen Friedenstaube ihr Symbol gegeben hatte. Kennzeichnend für diese Renaissance waren ebenso die Wohlorganisiertheit dieser Bewegung wie die gehäufte Herausgabe wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Untersuchungen in den Jahren 1983/84 über den totalen Nuklearkrieg mit den Alpträumen eines Nuklearinfernos. Dies war Anlaß genug, um sich zu fragen, warum die seit Jahrzehnten bestehende atomare Bedrohung überraschend in dieser Intensität in das Zentrum der Forschung gerückt wurde, warum eine Vielzahl von Massenmedien, die jahrelang diese Frage ignoriert hatten, damit begannen, die atomare Situation in aller Schärfe und bis zur Grenze des Unerträglichen zu dramatisieren. Als augenfällig zeigte sich ferner, daß trotz wirtschaftlicher Misere und ungelöster innenpolitischer sowie außenpolitischer Fragen man sich in der Bundesrepublik den Luxus einer hausgemachten Hitze in sogenannten Friedensdiskussionen und überbordenden Friedenskampagnen leistete, während in den westlichen Nachbarländern derartige Symptome weitgehend peripheren und sporadischen Charakter trugen. Die auffällige Hinnahme der unmittelbaren Bedrohung der Bundesrepublik durch die in der DDR und CSSR aufgestellten sowjetischen SS-20-Raketen einerseits, das aktive Nichthinnehmenwollen der Installierung des amerikanischen Waffensystems Pershing II zur Wiederherstellung des Kräftegleichgewichtes in Mitteleuropa durch die militanten Kreise der Friedensbewegung andererseits, mußte den Verdacht nahelegen, daß hier nicht allein genuine pazifistische außerpolitische Einflüsse mitbestimmend waren. Hieran ließen sowjetische Äußerungen keinen Zweifel. Das vitale Interesse der SU erforderte es, mit allen Mitteln, außer denen des Eingehens eines militärischen Risikos, die westliche Raketenstationierung zu verhindern. Gelang dies nicht, dann mußte sie ebenso die direkte Bedrohung des eigenen Territoriums bis zur Linie Leningrad-Moskau hinnehmen wie jenes Nahziel der Abkoppelung Westeuropas von den USA und damit dessen Erpreßbarkeit in weite Ferne gerückt sehen. Da sich eine militärische Lösung ausschloß, griff sie, wie so häufig in ihrer Geschichte, auf das Mittel des propagandistischen Einwirkens auf den Westen in Gestalt der sogenannten Volksdiplomatie zurück, d.h. sich unmittelbar über die Köpfe der gegnerischen Regierung hinweg an das Volk zu wenden, sei es an bestimmte soziale Schichten, sei es an in Opposition zur Regierung stehender Kräfte oder Einzelpersonen. Ein nach wie vor gültiges Konstituens der sowjetischen Volksdiplomatie stellt die Weisung der Kommunistischen Internationale aus dem Jahre 1924 dar, die folgendermaßen lautet: "Wir müssen sozusagen ein ganzes Sonnensystem von Organisationen und kleineren Komitees um die Kommunistische Partei herum aufbauen, die unter dem faktischen Einfluß unserer Partei (nicht unter einer mechanischen Leitung) stehen werden." Dementsprechend handelte auch die sowjetische Außenpolitik in der Frage der westlichen Nachrüstung. Die unverhüllte Übernahme sowjetischer Thesen und Parolen durch das linke Spektrum der Friedensbewegung, deren Umsetzung in einen gezielten, wenn auch hektischen Aktionismus, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß hier unmittelbare und mittelbare Beziehungen zu den sowjetischen und DDR-Propagandazentralen bestanden. Die sowjetische Kennzeichnung der westlichen Friedensbewegung als "Antikriegs- und Antiraketenbewegung" legte den Kern der Sache bloß, um den es letztendlich ging. Bei dieser Frage konnte die Sowjetunion nicht in innenpolitische Schwierigkeiten geraten, dafür aber die DDR, auf deren Territorium die SS-20- ihre Aufstellung gefunden hatte, und sich zudem über den Äther der Einfluß der bundesdeutschen Friedensbewegung bemerkbar machte, den es nun aufzufangen, zu kanalisieren und zu neutralisieren galt. Mit den Geistern, die die SU gerufen hatte, kam die Unruhe in die Bevölkerung der DDR, insbesondere in kirchlich orientierte Kreise der jungen Generation, die sich provokativ jenes Mottos auf Plakaten bedienten, das die Sowjetregierung einst als Aufschrift für eine der UNO geschenkte Plastik selbst gewählt hatte: "Laßt uns aus Schwertern Pflugscharen machen". Die sukzessive Ausschaltung dieser Gruppen aus dem öffentlichen Leben, damit die Durchsetzung des Anspruchs der DDR-Partei- und Staatsführung, daß es außer der "offiziellen Friedensbewegung" keine Duldung pazifistischer Randgruppen geben könne, die verstärkte Erziehung zum Haß in der NVA gegen den "imperialistischen Gegner", bewiesen nur zu deutlich die Schwierigkeiten, die die DDR mit der Auflösung des Widerspruchs hatte, einerseits dem westlichen Pazifismus Hilfestellung zuteil werden zu lassen, andererseits den als antisozialistisch deklarierten Pazifismus im eigenen Land vehement zu bekämpfen. Im "Kommunistischen Manifest" von Karl Marx und Friedrich Engels steht der einleitende Satz: "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus." Für die Jahre 1982 bis 1984 könnte auch der Satz stehen: "Ein Gespenst geht um in der Bundesrepublik Deutschland - das Gespenst der Angst vor der nuklearen Vernichtung." Das Phänomen der Angst, das in diesen Jahren in allen Spielarten vermittelt und indoktriniert wurde, das massenhafte Auftreten der Agitatoren der Angst und Angstkampagnen ließen deutlich werden, daß hier Angst als Mittel der Politik ins Spiel gebracht wurde. Dieses Phänomen der Angst als politisches Instrument in seiner praktischen Anwendung zu analysieren, aber auch eine Antwort darauf zu finden, wie ihm auf westlichem Boden im Sinne des "Was tun" begegnet werden kann, war die Aufgabe, die sich die Tagung in Münsterschwarzach stellte. Die weitgehend bundesdeutsche - nicht etwa europäische - Fixierung auf die Raketenstationierung mit den sie begleitenden Angstkampagnen ließen es nicht ratsam erscheinen, den Fragenkomplex isoliert, allein bezogen auf die beiden deutschen Staaten zu behandeln. Dies hätte zu einem Verrücken der Maßstäbe im internationalen Kontext geführt, wenn lediglich in eigenem "teutschen" Saft gekocht würde. Wie schaut es mit den Nuklearängsten der anderen Völker im Nachbarbereich aus, das war die Frage, die miteinzubeziehen, zu klären war, ob das Phänomen der deutschen Friedensbewegung ein spezifisch deutsches ist oder aber auch seine Entsprechung in den neutralen Staaten Österreich und der Schweiz sowie beim Bündnispartner Italien findet. Der Versuch, hierauf Antworten zu finden, liegt in den nachfolgenden Referaten vor, von denen jedes für sich sprechen soll. Leider mußte es sich der Herausgeber versag.