Normalisierung auf Umwegen. Polen in den politischen Konzeptionen Willy Brandts 1939-1966
In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte: das zentrale Forum der Zeitgeschichtsforschung, Band 58, Heft 1, S. 35-68
ISSN: 2196-7121
Vorspann
Willy Brandts Kniefall vor dem Mahnmal im Warschauer Ghetto ist in die Geschichte eingegangen. Aber hat der deutsche Bundeskanzler sich wirklich für Polen interessiert? Wie intensiv und seit wann? Der Kölner Historiker Rainer Behring stellt diese Fragen und kommt zu einem irritierenden Befund: Brandts Blick nach Osten ging über Polen hinweg und richtete sich vor allem auf die Sowjetunion, die in seinen Augen lange keine Bedrohung für die Freiheit Polens darstellte. Das änderte sich erst 1947/48, als der Sozialdemokrat mit linkssozialistisch-revolutionärer Vergangenheit alle Illusionen über Moskau verlor. Polen gewann in Brandts Vorstellungswelt nun langsam eigenes Gewicht, auch wenn keine Rede davon sein kann, dass von solchen Einsichten ein gerader Weg zur Aussöhnung und zum Warschauer Vertrag von 1970 führte.