In: Kultur und Gesellschaft: gemeinsamer Kongreß der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, Zürich 1988 ; Beiträge der Forschungskomitees, Sektionen und Ad-hoc-Gruppen, S. 667-669
Anhand von vier deutsch-amerikanischen Politikwissenschaftlern werden Formen einer emigrationsspezifischen Wirkungsgeschichte vorgestellt. Dabei geht es um das Feld der internationalen Beziehungen in der politischen Wissenschaft. Für die Position und den Einfluß von H. Kelsen wird festgestellt, daß er über die nationalstaatliche Begrenzung des Rechts und der Staatstheorie hinausging und das Völkerrecht über das Staatsrecht setzte. Seine Arbeit fand keinen Eingang in die Politikwissenschaft. Person und Werk J. Morgenthaus werden als Gegentypus dargestellt. Ein konservatives Menschenbild, konkrete Analysen der internationalen Beziehungen und der politischen Kultur brachten in seinem Fall eine enge Verknüpfung von Politikwissenschaft und politischem System. Der Kelsen-Schüler und dezidierte Liberaldemokrat J. Herz hielt an einer sehr viel positiveren Einstellung zur normativ-kritischen Dimension der Politikwissenschaft fest und brachte es gleichwohl zu einer markanten Position im amerikanischen Wissenschaftssystem. Die vergleichende Regierungslehre wird am Beispiel von K. Deutsch erläutert. Wissenstransfer und Akkulturation werden als entscheidende Begriffe für die sozialwissenschaftliche Erforschung der Formen und Inhalte der politikwissenschaftlichen Emigration betrachtet. (HA)
Beatrix Herlemann stellt in ihrem Beitrag die über die gemeinsamen äußeren Rahmenbedingungen für alle Emigranten hinausgehenden Besonderheiten der Asylantengruppen kommunistischer Flüchtlinge in den Niederlanden von 1933 bis 1945 dar. Auf der Basis von deutschem Quellenmaterial werden Organisation, Arbeitsweise sowie regionale Aktivitäten kommunistischer Emigranten in den Zusammenhang der Konzepte illegaler und antifaschistischer Arbeit von KPD und Komintern gestellt. Für die streng konspirativ arbeitenden Kommunisten war das Exil nur als vorübergehender Aufenthalt zur Reaktivierung für den erneuten Kampf in Deutschland geplant; dabei war die Arbeit an der deutsch-niederländischen Grenze besonders bzgl. der Aufnahme neuer (kommunistischer) Flüchtlinge und der illegalen Propagandaarbeit wichtig. Trotz der Schwächung der Untergrundarbeit der KPD in Deutschland gab es auch in den Niederlanden zu Beginn der 40er Jahre neue Organisationspläne; 1943 wurde die illegale KPD-Arbeit in den Niederlanden stark geschwächt, mit Flucht oder Hinrichtung der wichtigsten Funktionäre fand die Arbeit 1944 ein Ende, nachdem bereits 1940 die meisten deutschen Emigranten die Niederlande nach der deutschen Okkupation verlassen hatten. (KS)
Der Beitrag stellt die Planungsversuche jüdischer Organisationen zwischen 1933 und 1939 dar, die jüdische Auswanderung aus Deutschland in geregelte Bahnen zu lenken, und gibt eine Einschätzung ihres Erfolges. Verschiedene Organisationen waren mit teilweise unterschiedlicher Zielsetzung bemüht, die überstürtzten Auswanderungswellen nach 1933 einzudämmen und eine planmäßig vorbereitete Emigration durchzuführen. Hauptzielländer waren erst Palästina, das vor allem die zionistischen Verbände proklamierten, danach die Überseeländer. Die Hauptstütze der jüdischen Auswanderung wurde ab 1936 der in London gegründete Council for German Jewry. Die ab 1938 von den Nationalsozialisten betriebene Massenvertreibung erforderte eine Umorientierung der Organisationen, die einen langsameren Verlauf der Emigration und ein Aufenthaltsrecht für die nicht auswanderungsfähigen Juden in Deutschland erhofft hatten. Die zu bewältigenden Aufgaben konnten teilweise nicht erfüllt werden; dennoch beurteilt der Autor die Leistungen der Organisationen angesichts der nationalsozialistischen Vertreibungsstrategie und der Unbeständigkeit der Einwanderungsbedingungen der verschiedenen Zielländer als nicht unbeträchtlich. (BF)
Die Autorin geht von der Annahme aus, dass angesichts von Adornos eigener Emigration, für deren Verständnis sie vor allem die Minima Moralia zu Rate zieht, die These, dass von irgendeinem - und sei es auch nur intellektuellem - Zuhause allen Ernstes nirgendwo gesprochen werden kann, selbstverständlich und mehr als erklärungsbedürftig zugleich ist. Natürlich konnte Adorno ein Land, dessen Machthaber ihn zur Emigration gezwungen haben, nicht als sein Zuhause ansehen. Dafür war ihm eine Identifikation mit Land und Leuten auch vorher schon zu suspekt. Es wird die Meinung vertreten, dass er sich trotzdem nicht ohne Umstände von seiner Herkunft lösen wollte, sondern ihr noch in der äußersten Radikalität seiner Abgrenzung verhaftet blieb. Verbundenheit empfand Adorno bei aller Skepsis und Kritik aber auch mit dem Amerika, das ihm in einer lebensgefährlichen Lage immerhin nicht weniger als ein Asyl geboten hat. Es wird der Frage nachgegangen, warum aus diesem Asyl trotzdem kein neues Zuhause werden konnte. Adorno zufolge hing die jedes Verbundenheitsgefühl überschattende Erfahrung der Unzugehörigkeit mit der Weigerung mitzumachen so eng zusammen, wie umgekehrt der Konformismus mit der Bereitwilligkeit einhergeht, die Anpassung an neue Umstände flugs zu rationalisieren. Abschließend wird argumentiert, dass es der Gesellschaftskritik insofern nicht viel anders als dem Intellektuellen in der Emigration ergeht. Beide können es sich nur um den Preis der Selbstverleugnung in der Welt, wie sie nun einmal ist, einrichten und bequem machen. (ICG2)
In dem Beitrag von 1952 wird dargelegt, daß das Exil wegen der neuen Lebenssituation des Intellektuellen und seiner veränderten Rolle eine überaus schmerzliche Erfahrung und das Sich-Einfügen in eine neue kulturelle Umgebung ein äußerst schwieriges Problem sind. Verdeutlicht wird dies durch den Vergleich mit den Erfahrungen exilierter Intellektueller in anderen historischen Epochen. Die Ursache dafür wird in der Veränderung der Rolle und der sozialen Umgebung des Intellektuellen gesehen. Anschließend wird besonders auf die intellektuelle Emigration aus Deutschland nach 1933 eingegangen, wobei der Autor auf seine eigenen Erfahrungen zurückgreifend analysiert, weshalb die Integration der deutschen emigrierten Sozialwissenschaftler in den USA erfolgreich verlaufen ist. (RW)