Der Verfasser behandelt die Organisationsstrukturen der neuen sozialen Bewegungen und weist dabei vor allem auf Unterschiede zu den älteren politischen und sozialen Bewegungen und deren Strukturen und Entwicklungstendenzen auf der organisatorischen Ebene hin. Ausgehend von der verhaltenstheoretischen These der "Ressourcen-Mobilisierung" wird die allgemeine Struktur von Bewegungen und Bewegungsorganisation bestimmt, um diesen Ansatz dann auf die neuen Bewegungen in der Bundesrepublik anzuwenden. Es wird gezeigt, daß diese sehr vielfältig sind und unterschiedliche strategische Präferenzen, Formalisierungsgrade und innerorganisatorische Strukturen besitzen, die von der Einheitlichkeit bis zu heftigen Widersprüchen zwischen Basis und Organisationsrepräsentanten reichen. Die Ressourcenknappheit wird im Kontext der neuen sozialen Bewegungen als Gefährdung ihrer Zukunft betrachtet. (HA)
Die Verfasserin gibt einen Überblick über den jüngsten Protestzyklus der sozialen Bewegungen in Lateinamerika, der mit dem zapatistischen Aufstand 1994 seinen Anfang nahm. Dabei arbeitet sie die Charakteristika der aktuellen sozialen Bewegungen im Kontrast zu früheren Phasen heraus. Zu den Besonderheiten zählen für sie neben der Wiederkehr der Bewegungen im Agrarbereich die territoriale Verankerung vielen Bewegungen in den jeweiligen Stadtteilen sowie Versuche, autonome Strukturen aufzubauen. Als Trägerschaft der gegenwärtigen Bewegungen identifiziert sie insbesondere die Verlierer der neoliberalen Umstrukturierungen, die ausgehend von spezifischen Forderungen im Laufe des Protestzyklus ihre Anliegen verallgemeinerten. Bei der Beschreibung der alten und neuartigen Bewegungen stellt sie verschiedene analytische Perspektiven auf soziale Bewegungen vor und zeigt auf, dass eine Reihe von Annahmen insbesondere der Europäischen Bewegungsforschung für Lateinamerika nur bedingt zutreffen. (ICE2)
In: Gesellschaftliche Probleme als Anstoß und Folge von Politik: wissenschaftlicher Kongreß der DVPW 4.-7. Oktober 1982 in der Freien Universität Berlin ; Tagungsbericht, S. 199-212
Der Verfasser geht zunächst in allgemeiner Form auf den Unterschied zwischen sozialer Bewegung und formaler Organisation ein. Er stellt die Bedeutung des Institutionalisierungsgrades als zentrales Unterscheidungsmerkmal heraus und betont besonders die Rolle sozialer Bewegungen als sich auch durch das "Politikum der Form" manifestierende Opposition gegen die auf formalen Organisationen basierende soziale Ordnung. Im Anschluß daran werden im einzelnen Institutionalisierungstendenzen in der Bürgerinitiativ- und Ökologiebewegung, der Frauenbewegung, der Alternativbewegung, der Friedensbewegung und bei parlamentarisch orientierten Gruppierungen untersucht. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, daß eine einheitliche Tendenz zur Institutionalisierung in den neuen sozialen Bewegungen nicht besteht. Formalisierungstendenzen treten jedoch bei parlamentarisch orientierten Organisationen auf. (IB)
In: Bürgerbeteiligung und Bürgerinitiativen: Legitimation und Partizipation in der Demokratie angesichts gesellschaftlicher Konfliktsituationen, S. 447-475
In dem Beitrag wird ein Modell für Entstehung und Ablauf von Bürgerinitiativen vorgestellt, in dem diese als soziale Bewegungen interpretiert werden, d. h. Bürgerinitiativen werden als kollektives oppositionelles Handeln unter den gesellschaftlichen Bedingungen des Spätkapitalismus vorgestellt. Zunächst wird herausgearbeitet, daß unter dem Begriff der sozialen Bewegung ein Prozeß des Protests gegen bestehende soziale Verhältnisse verstanden wird, der bewußt von einer an Mitgliedern wachsenden Gruppierung getragen wird, die nicht formal organisiert zu sein braucht. Auf der Grundlage dieser Definition wird die Geschichte der sozialen Bewegung, deren Beginn auf etwa 1800 datiert wird, skizziert. Dann wird ein Modell der sozialen Bewegung entwickelt, das historisch-reale Bewegungen erklärt, sie untereinander vergleichbar macht und Gesetzmäßigkeiten aufweist. Als Ursachen sozialer Bewegungen werden soziale Krisen spätkapitalistischer Systeme identifiziert. Der Ablauf der sozialen Bewegung wird dann in mehreren Phasen dargestellt: (1) Propagierung von Krisenfolgen; (2) Artikulation des Protestes; (3) Intensivierung des Protestes; (4) Artikulation der Ideologie; (5) Ausbreitung der sozialen Bewegung; (6) Organisierung; (7) Institutionalisierung. In einer Schlußbemerkung wird erläutert, daß soziale Bewegungen soziale Tatbestände sind, die auf innergesellschaftlicher Ebene bisher oft fast nichts verändert haben, die aber, wenn sie international aufgegriffen werden, als Veränderungspotential ernst genommen werden müssen. (KW)
Soziale Arbeit ist historisch und bis in die Gegenwart hinein eng mit sozialen Bewegungen verzahnt, sowohl als Verbündete, zum Teil auch in Opposition zu diesen. Dieses Engagement findet seinen Niederschlag in Konventionen (Menschenrechte), Kooperationen (Weltkonferenzen) und Koalitionen (NGOs). Das Lehrbuch bietet einen Einblick in die Verbindungen sozialer Bewegungen und Sozialer Arbeit aus einer internationalen Perspektive. Es werden historische und theoretische Grundlagen vermittelt und mit Fallbeispielen aus der ganzen Welt praxisnah veranschaulicht. Ziel ist es, die Perspektiven einer "global social work profession and discipline" und damit die internationalen und politischen Dimensionen Sozialer Arbeit wieder stärker in den Vordergrund der Disziplin zu rücken. "Mit dem Band wird ein klares Statement zur politischen Verantwortung Sozialer Arbeit zum Ausdruck gebracht, das sich aus dem internationalen Kontext heraus auf den nationalen Rahmen herunterbrechen lässt. Insgesamt ist das Buch ein spannendes Brennglas und Kaleidoskop. Es zeigt die Verwobenheit einer kritischen Internationalen Sozialen Arbeit mit sozialen Bewegungen, es wirft Blicke auf eine kritische und politische Soziale Arbeit, die sich an der Seite der Unterdrückten, Diskriminierten, Ausgegrenzten und Rassifizierten sieht". Prof. em. Dr. Ronald Lutz, Fachhochschule Erfurt, Dezember 2022 "Die Herausgeberinnen legen einen Band vor, der die Diskurse zu Internationaler Sozialer Arbeit und sozialen Bewegungen nachhaltig wird anregen können und nachvollziehbar untermauert, dass Soziale Arbeit erforderlich international auszurichten ist. Der Band eröffnet weitreichende Möglichkeiten, diese wichtige Thematik in der Ausbildung Sozialer Arbeit nachhaltig zu implementieren". Dr. Jörgen Schulze-Krüdener, Universität Trier, Dezember 2022 "Der vorliegende Band widmet sich den massiven und komplexen Problemlagen unserer Welt, jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger, und auch nicht im Modus eines "Alarmismus", sondern aus diversen Perspektiven, inklusive der von nationalen und internationalen sozialen Bewegungen. Insbesondere soziale Bewegungen zeigen gesellschaftliche Missstände auf, und protestieren, sowohl solidarisch als auch dividierend, wenn Menschenrechte verletzt oder Desillusion, Angst und Hoffnungslosigkeit überhandnimmt; letztere Tendenzen können auch der Instrumentalisierung von rechten Bewegungen dienen. Manche emanzipatorischen Bewegungen wie etwa die Frauen- und Arbeiter:innenbewegungen sind historisch eng mit Sozialer Arbeit verknüpft. Andere – auch aktuelle soziale Bewegungen - sind in der internationalen Sozialen Arbeit präsent, müssen aber im deutschsprachigen Diskurs noch viel stärker Anschluss finden. Gleichfalls ist es notwendig, die Konzeptualisierung von Zivilgesellschaft, sozialen Bewegungen und Sozialer Arbeit kritisch zu durchleuchten und deren Aufgabe nicht, wie allzu oft im neoliberalen Kontext, "komplementär" zu Staat und Familie oder schlichtweg romantisch als positive soziale Veränderung zu betrachten. Vielmehr sollten wir angesichts der globalen multiplen Krisen eine kritische Soziale Arbeit einfordern, welche alternative politische Projekte im Kontext der Förderung von sozialer Gerechtigkeit selbstverständlich denken, gestalten und umsetzen kann und rechten populistischen Bewegungen sowie nationalstaatlicher oder europäischer Willkür nicht nur Grenzen, sondern Widerstand entgegenstellt. Für das Studium der Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum bietet dieser Band hierfür einen hervorragenden Einstieg". Prof. Dr. Tanja Kleibl, Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Sprecherinnen-Kollektiv der Fachgruppe Internationale Soziale Arbeit in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA), Dezember 2022
In dem Beitrag stellt der Autor eine Theorie der Friedensbewegung als sozialer Bewegung vor, bei der er auf einem von ihm entwickelten theoretischen Entwicklungsmodell aufbaut, das ein Instrumentarium schafft, mit dem der bewegungsintern-geschichtliche Ablauf beschrieben und erklärt werden kann. Nach Skizzierung einer Theorie der sozialen Bewegung (1) wird nach dem Entwicklungsstand der Friedensbewegung gefragt, mit dem die Grenzen der Friedensbewegung deutlich werden und eine Prognose über den weiteren Verlauf der internationalen Friedensbewegung im Bannkreis des Ost-West-Verhältnisses angedeutet werden kann (2). Mit der Frage nach der Betroffenheit, die zum Engagement in der Friedensbewegung führt, wird auf das Spezifische der Friedensbewegung verwiesen, zu der zwar die Ausläufer der großen Bewegungen der 70er Jahre gestoßen sind, die sich aber deutlich von diesen unterscheidet (3). Dafür lassen sich als Ursachen sozial-strukturelle Veränderungen anführen (3.1), die bei den Mittelschichten zur Infragestellung der kognitiven Erwartungen führen, die nun eine Betonung normativer Erwartungen bedingt (3.2). Anschließend wird dann die angesprochene Bewegung hervorgehoben (4). (RW)
"Die Bedeutung des Faktors Öffentlichkeit für Mobilisierungsprozesse sozialer Bewegungen wurde in der Literatur verschiedentlich hervorgehoben. Allerdings hat die bisherige Bewegungsforschung daraus kaum theoretische und forschungspraktische Folgerungen gezogen. Konzepte des Framing und der Opportunity Structure tragen der Öffentlichkeit indirekt Rechnung. Erst im Rahmen von Interaktionstheorien werden Massenmedien und Publikum als Referenzpunkte sozialer Bewegungen systematisch einbezogen. Auch wenn Bewegungen auf Öffentlichkeit angewiesen sind, um letztlich politische Entscheidungen und sozialen Wandel beeinflussen zu können, so werden sie - abhängig von Bewegungstypus, Bewegungsphase, Zielgruppen, Eigenschaften des Gegners und strategische Präferenzen - in höchst unterschiedlicher Weise auf Öffentlichkeit Bezug nehmen. Diese Unterschiede werden an den Kontrastfällen von alten und neuen, macht- und kulturorientierten sowie linken und rechten Bewegungen in Hypothesenform postuliert." (Autorenreferat)
"Die Wechselbeziehung zwischen Theorien gesellschaftlicher Entwicklung und der Praxis sozialer Bewegungen steht im Mittelpunkt der Analysen des Autors. Wo er auf der einen Seite einen Mangel an Theorien, die soziale Bewegungen ins Zentrum der Gesellschaftsanalyse rücken, konstatiert, sieht er auf der anderen Seite eine Nachfrage nach anspruchsvollen gesellschaftstheoretischen Konzepten mit übergreifendem Anspruch. Roth schlägt vor, diesen Leerraum mit Hilfe des Deutungsangebots der französischen Regulationstheorie zu füllen. Diese konzipiert mit einem ausgefeilten Begriffsapparat ein Phasenkonzept kapitalistischer Entwicklung, bei dem die in Krisenphasen immer wieder aufbrechende und in Stabilitätsphasen verfestigte Verbindung zwischen ökonomischen Akkumulationsregimes und institutionalisierten Regulationsweisen im Mittelpunkt steht. Wenn auch soziale Bewegungen nicht im Zentrum der theoretischen Arbeiten der Regulationsschule liegen, so betont Roth doch das Interpretationspotential, das sich aus deren nicht-deterministischem Marxismus und dem damit einhergehenden Bewußtsein für historische Kontingenz ergibt. Soziale Bewegungen erscheinen daher als Phänomene, die in Wechselwirkung mit der Krise des Fordismus ihre Themen und Strategien ausformen, aber nicht durch diese determiniert sind." (Autorenreferat)
Der Autor untersucht die Interdependenz zwischen der Veränderung der sozialen Schichtenstruktur (hoheres Ausbildungsniveau, Ausweitung der Dienstleistungsberufe, größerer Frauenanteil im Erwerbsleben etc.) und der Entstehung sozialer Bewegungen. Inwiefern wird durch strukturelle sozial-wirtschaftliche Veränderungen ein Potential geschaffen, das die Voraussetzung für Protest bildet? Der Autor kritisiert die verbreitete Annahme, daß die Abnahme von Proletarisierung gleichzeitig auch das Verschwinden gesellschaftsverändernder Potentiale bedeutet. Dagegen vertritt er die These, daß eher zu vermuten sei, daß Gesellschaftsveränderung andere Gestalten annimmt und daß bei aller Widersprüchlichkeit, gerade die Veränderung unserer sozialen Schichtungs- und Klassenverhältnisse soziale Millieus wachsen läßt,aus denen immer wieder Initiativen der Veränderung kommen können. (RW)