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Unter der Fragestellung »Wie weiter mit ...?« werden die Werke von acht der wichtigsten Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts neu und wieder gelesen. Können, sollen oder müssen wir deren Blick auf soziale Fragen und Probleme heute noch teilen? Eine der wesentlichen Aufgaben, die sich Max Weber gestellt hatte, war es, zu verstehen, wie sich die »traditionsbrechende Macht« des Kapitalismus durchsetzen konnte und wohin sich diese Welt entwickelte. Lebensführung und eine spezifische Form der Rationalisierung, also »Weltrationalisierung in Form asketischer Weltablehnung«, standen für ihn in einem schicksalhaften Zusammenhang. In immer neuen Variationen fand Weber die Paradoxie der tatsächlichen Wirkung eines Handelns gegenüber dem Wollen. Aber es reicht nicht, den Blick für - tragische - Paradoxien zu schärfen. Mit Max Weber lässt sich mehr erschließen. Denn er öffnet den komparatistischen Blick und er vergleicht auch das Unvergleichbare; er zeigt die unterschiedlichsten Rationalitäten, die keineswegs auf Berechenbarkeit und Rechenhaftigkeit reduziert sind, und er analysiert schließlich auch den Zusammenhang von Rationalität und Irrationalität. Ulrich Bielefeld, PD Dr. phil. ist Soziologe am Hamburger Institut für Sozialforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Nation; Kollektives Bewusstsein, politische Gesellschaft, Migration. 2003 erschien von ihm in der Hamburger Edition »Nation und Gesellschaft. Selbstthematisierungen in Deutschland und Frankreich« und zuletzt als Hg. zusammen mit Yfaat Weiss »Jean Améry - ... als Gast ohne jedes Engagement«, Paderborn 2014.

"Europa als Gesellschaft ist auf andere Verbindungen angewiesen als die Nation, auf Solidarität und Einigung statt Einheit und Souveränität. Wird gar Homogenität erneut zum Wert und Ziel erklärt, dann ist diese Gesellschaft infrage gestellt." (Autorenreferat)

Das Nichtmehrvorhandensein von Minderheitengruppen und die praktische Nichtexistenz von Ausländern sind für moderne Industriegesellschaften Kennzeichen einer extremen Ausnahmesituation. Der ökonomische Aufschwung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg basierte auf der Grundlage eines durch Arbeitsmigration immer wieder neu geschaffenen großen Arbeitskräftepotenzials. Vor diesem Hintergrund bekommt die Sprachpolitik der Mehrheitsgesellschaft eine besondere Bedeutung. Gleichzeitig blieb die Rückkehr der Arbeitsmigranten ein politisches Ziel, als ihr Verbleib in der Bundesrepublik schon eine politische Realität geworden war. Vielfältige Gemeinschaftsbildungen gehören zur Struktur einer nicht-homogenen Gesellschaft, genau so wie die damit verbundenen Konflikte. Anhand einer kurzen Fallbeschreibung zeigt der Verfasser, dass sich solche strukturell angelegten Konflikte verselbstständigen können, aber nicht müssen. (ICE2)

Die spezifische Konstruktion der Musik in Jean Paul Sartres frühem Roman "Der Ekel" (1963) geschieht aus der Perspektive des Hörers. Denn die Musik ist aus dem Blickwinkel des Musikers nicht "da" und selbst wenn sie als seiend gedacht und als notwendig erachtet wird, muss sie immer erarbeitet werden. Die Unmittelbarkeit der "reinen Situation" kann sich situativ für den Zuhörer ergeben, für den Musiker aber nur im Schatten und als Krönung der Erarbeitung. Sartre kombiniert dieses spezifische Verständnis der musikalischen Unmittelbarkeit des Seins vor allem mit der Stimme der Sängerin/Negerin. Auch für Jean Améry treten die Musiker an die Stelle der Musik und die Jazzkünstler sind seiner Meinung nach "die letzten Rebellen, die letzten echten Bohémiens". Die Musiker besetzen für Améry den Ort, der bei Sartre von der Musik eingenommen wurde. Sie sind Symbole eines Seins in Freiheit, Individualismus, Unmittelbarkeit, Auflehnung und Außenseitertum. Der vorliegende Essay setzt sich mit den von Améry im Jahre 1961 veröffentlichten Jazzporträts ("Im Banne des Jazz") sowie mit der Bedeutung der farbigen Sänger und der Gewalt kritisch auseinander. (ICI2)

Der Beitrag schließt den Sammelband ab, der sich mit der Sozialpolitik in historisch-soziologischer Perspektive beschäftigt. Thema des Beitrags ist der spezifische Prozess europäischer Vergesellschaftung. Gemeinschaft, Einheit, Teilnahme und Teilhabe sind ebenso wie Volk und Nation Projekte der Moderne, deren Übertragung auf die Gegenwart der europäischen Integration fraglos scheitern muss. Die Konsequenz aus den Überlegungen des Autors: Europa muss gemacht werden. Es ist in weit höherem Maße Vergesellschaftung als es die nationalen Gesellschaften waren. Die Entwicklung Europas als Gesellschaft reagiert auf das Scheitern von Gesellschaften, die sich als Gemeinschaften (miss-)verstanden haben. Europa unterscheidet sich dadurch, dieses (Miss-) Verständnis nicht zur Voraussetzung zu haben, und es verfällt der Kritik, sobald Kriterien der Gemeinschaft zur Voraussetzung von Gesellschaft erhoben werden. (ICB2)

Der Autor setzt sich aus soziologischer Perspektive mit dem Begriff der Improvisation auseinander. Soziologisch gehört der Begriff zunächst zu einer handlungstheoretischen Konzeption des Sozialen: Handeln beinhaltet situativ bedingte Reaktionen auf Unvorhergesehenes, Unerwartetes und manchmal auch auf Neues. In dieser Vorstellung und Beschreibung ist Improvisation die schnelle Antwort auf eine Unterbrechung des Regelhaften oder des durchschnittlich Erwarteten. Allerdings hat sich die Deutung der Improvisation als selbstverständlicher Bestandteil von Handlungen seit einiger Zeit verändert. Improvisation wird nicht mehr nur im Bereich des künstlerischen Handelns als spezifische Anforderung verortet und beispielsweise in der Musik- und Performancetheorie oder den Theaterwissenschaften reflexiv aufgegriffen. Sie entwickelt sich auch zu einer Beobachtungskategorie und zu einem Begriff in den Kulturwissenschaften und der Soziologie. Der Beitrag stellt Überlegungen zu Improvisation im Rahmen einer Handlungstheorie an und widmet sich insbesondere dem Bereich der Musik und betrachtet vor diesem Hintergrund die Begriffe Vertrauen und Notwendigkeit. (ICB2)

"Der Stuttgarter Bahnhof, so wird argumentiert, steht nicht vor allem für ein Transportproblem, sondern es wird über Bedeutung und Größe, Form und Weiterentwicklung der politischen Gesellschaft und der Demokratie verhandelt. Dies lässt sich aus dem Objekt der Erregung nicht allein erschließen. Die geäußerte Kritik betrifft neben technischen Aspekten des Transports die der Beteiligung. Mehrheitsbildung und Verfahren werden von vielen nicht mehr als ausreichende Legitimitätsgrundlage betrachtet. Die Struktur der Demokratie wird zum Problem der demokratischen Gesellschaft: das Volk bleibt unauffindbar, es muss dargestellt werden. Der 'Bahnhof' dient dazu, neben Mehrheit und Verfahren, neben Politikern und Aktivisten immer wieder ein Volk anzurufen, dessen Rolle als Zuschauer anerkannt werden muss." (Autorenreferat)

Der Autor begreift die Weltgesellschaft als system(at)ischen Zusammenhang von Gesellschaften, die als Nationalstaaten organisiert sind. Diese müssen sich als nationale Gesellschaften organisieren, falls sie eine Rolle in der Weltgesellschaft spielen wollen. Insofern ist die Weltgesellschaft heute keine "postnationale" Welt. Die Epoche der Weltgesellschaft beginnt, wenn sich das Modell des Nationalstaates "verweltlicht". In ihr hat die Nation ihre sakralen Weihen, der Nationalismus seine Geltung als politische Religion und die Nation als Volk oder Volksgemeinschaft ihren existenziellen Charakter eingebüßt. Erst durch diese Verluste und die mit ihnen verknüpften Formveränderungen kann der transformierte Nationalstaat zum Modell der politischen Einheiten der Weltgesellschaft werden. Postsouverän sind Nationalstaaten nicht deshalb, weil sie ihre Souveränität verloren, sondern weil sie sich die Fiktion der Souveränität zu Bewusstsein gebracht haben. Souverän konstituiert, haben sie auf Teile ihrer Souveränität in dem Bewusstsein verzichtet, dass die tatsächlichen Folgekosten eines Festhaltens an fiktiven Souveränitäten zu hoch ausfallen würden. Auch postsouveräne Nationalstaaten bleiben jedoch Staaten. Es handelt sich weiterhin um die Organisation von Macht im Modell der Monopolisierung von Gewalt und der legitimen, legalen Herrschaft, angewiesen auf Anerkennung. (ICA2)