Sammelrezension von: Dietrich Hoffmann/Karl Neumann (Hrsg.): Erziehung und Erziehungswissenschaft in der BRD und der DDR. 3 Bände. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1994-1996Bd. 1: Die Teilung der Pädagogik (1945-1965). 1994.358 S. Bd. 2: Divergenzen und Konvergenzen (1965-1989). 1995. 397 S. Bd. 3: Die Vereinigung der Pädagogiken (1989-1995). 1996.342 S.
"Wie die Menschen im geschlossenen Wissenschaftsbetrieb der DDR und in der Phase seines Aufbruchs, Umbruchs oder Zusammenbruchs agierten oder reagierten, ist auch über die Konstruktion recht abstrakter Wissenschaftlertypenverständlich zu machen. Gleichzeitig werden mit einer derartigen Typologie die Konturen des Wissenschaftlers in seiner spezifischen DDR-Gestalt nachgezeichnet. Die hier vorgelegte Typologie, die den Subkulturellen, den Reisekader, den Exoten und den Knechtseligen umfasst ist aber weniger ein Ergebnis rationaler Konstruktion als vielmehr Ergebnis eigener Erfahrung als DDR-Wissenschaftler und eher intuitiv gewonnen." Der Autor erörtert das Konstruktionsprinzip seiner Typologie. Abschließend konstatiert er: "Binnen weniger Monate verschwammen die Konturen der DDR-spezifischen Typen von Wissenschaftlern, und es verschwand der Wissenschaftler in seiner spezifischen DDR-Gestalt. Ein Wandel, ein Hinüberwachsen in eine neue Gestalt, ist gegenwärtig nicht erkennbar und auch nicht wahrscheinlich. Es handelt sich um keinen Typenwandel, sondern um einen Typenschwund, der dem Niedergang eines ganzen Berufsstandes gleichkommt." (DIPF/Orig./ah)
Am Beispiel des Wandels im Schulalltag in Marzahn zeigen die Autoren aus ihrer praxisnahen Sicht, dass die Schule zu den nur wenigen Institutionen der ehemaligen DDR gehört, die in der kollabierenden Gesellschaft funktionstüchtig blieben und ihren strukturellen Umbau nahezu unbeschadet überstanden haben. Sie schildern folgende Etappen: - letzte Phase im DDR-Bildungswesen, Pädagogischer Kongreß (Juni 1989), - plötzlich eintretende Unordnung, Zerbröckeln der staatlichen und politischen Führung der Schule (Herbst 1989), - frustrierendes Warten auf die Ergebnisse der ersten freien Wahlen der DDR-Volkskammer (Frühjahr 1990), - Beginn der Umstrukturierung des Schulwesens (Herbst 1990), - ab 1991 Neubeginn im Schulwesen: Neue Bildungsinhalte, neue schul- und verwaltungsrechtliche Bestimmungen, neue Leiter, neue Kollegien, neue Schulklassen, neue Umgebung mit meist noch ungenügenden materiellen Voraussetzungen. (DIPF/Sch.)
"Die Sprache, in der bildungspolitische Texte der DDR verfaßt sind, ist grundsätzlich doppeldeutig. Hinter dem Konzept der 'Herausbildung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten' ist ein politisches Konzept der Verfügbarkeit über das Individuum erkennbar. Die DDR-Schule scheiterte insofern, als sie diesem Verfügbarkeitskonzept nicht genügte. Der Grund dafür lag im Fehlen einer dem Verfügbarkeitsanspruch adäquaten Pädagogik, die aus systematischen Gründen unmöglich ist, sowie im Rückgriff pädagogischen Handelns auf naive Theorien und Stereotype. In diesem Rückgriff ist einerseits ein gegenüber politischen Ansprüchen subversives Moment der DDR-Schule zu sehen, andererseits ist er mitverantwortlich für die Kultivierung provinzieller Weltsicht resp. Fremdenangst und Ausländerfeindlichkeit. Die DDR-Schule war einer Harmonieverpflichtung ausgesetzt. Konflikte zwischen der politischen Führung der Schule, die die Verfügbarkeit über Individuen zu realisieren hatte, und dem sich auf naive Theorien und Stereotype gründenden pädagogischen Handeln wurden nicht thematisiert und bearbeitet, sondern stets mit Mitteln der Machtausübung zugunsten der Politik entschieden. Die Lehrer unterlagen in diesem Konflikt insofern, als sie den Schülern als Bezugspersonen verlorengingen. Der in der Schule nicht ausgetragene Konflikt führte zur Polarisierung in Lehrerkollegien und Schülergruppen. Er potenzierte sich im gesellschaftlichen Rahmen, weil er für die prinzipielle Unfähigkeit, Konflikte als aushandelbare und auszuhandelnde Interessenunterschiede wahrzunehmen und sie anders als durch Machtausübung zu bewältigen sowie für undifferenziertes, polarisierendes Schwarz-Weiß-Denken verantwortlich scheint." (Autorenreferat)