EU-Kandidat Türkei: wirtschaftliche Lage und Beitrittsvoraussetzungen
In: Grenzenlose EU: die Türkei und die Aushöhlung der politischen Union, S. 333-351
Die Verfasserin zeigt, dass die wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei einer hohen Volatilität unterliegt und durch verschiedene Wirtschaftskrisen gekennzeichnet ist. Aufgrund der zahlreichen Strukturprobleme kann ein langfristiges stabiles Wachstum trotz derzeitiger positiver Entwicklung nicht als gesichert angenommen werden: die makroökonomische Lage ist nach wie vor instabil, der Staatshaushalt bedarf einer dringenden Konsolidierung und die weit verbreitete Korruption behindert die Effizienz der Marktwirtschaft sowie das Vertrauen der Investoren. Es wird die These vertreten, dass die größten Hindernisse auf dem Weg zu einer funktionierenden Marktwirtschaft und ausreichender Wettbewerbsfähigkeit allerdings in der schlechten Qualität der öffentlichen Institutionen bestehen: die Justiz-, Bildungs- und Sozialsysteme weisen ernsthafte Mängel auf. Die politische Stabilität, die Absicherung von Verträgen und Eigentumsrechten und vor allem ein gut ausgebildetes Humankapital sind entscheidende Grundvoraussetzungen für private Investitionen und eine nachhaltig positive Wirtschaftsentwicklung. Die schwierige Arbeitsmarktsituation kann zu erheblichen sozialen Spannungen und einer Zunahme des West-Ost und Stadt-Land Gefälles führen. Die Arbeitslosigkeit, die vor allem unter Jugendlichen ein großes Problem darstellt, wird im Zuge der anstehenden Reformen tendenziell steigen. Das allgemeine Ausbildungsniveau ist niedrig, was die Integration der Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt zusätzlich erschwert. Weitere Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum und mehr Beschäftigung sind ein angemessenes Zinsniveau, ein ausgeglichener Staatshaushalt und Preisstabilität. In all diesen Bereichen sind weitere Fortschritte notwendig. Die Autorin argumentiert, dass die Bewältigung dieser Vielzahl an grundlegenden Problemen keine einfache Aufgabe und mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Um die notwendigen Reformen im Bildungssystem und allgemein zur Verbesserung der öffentlichen Leistungen durchführen zu können, werden umfangreiche Mittel eingesetzt werden müssen. Dies steht im Widerspruch zur dringenden Sanierungsbedürftigkeit der Staatsfinanzen. Rückschläge können in der türkischen Wirtschaftsentwicklung also nicht ausgeschlossen werden. Dies wird auch Auswirkungen auf die politische Situation des Landes haben. Eine merkliche Angleichung der Türkei an die EU Staaten wird in jedem Fall eine sehr lange Zeit dauern. Da die Türkei aus eigener Kraft die Unmengen an notwendigen Reformen kaum bewältigen können wird, wird eine erhebliche finanzielle Unterstützung durch die EU unumgänglich sein. (ICG2)