Krüsselbergs Gegenthese lautet: Jede wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung wird in ihrem Erfolg bestimmt und getragen durch die grundlegenden Wertmuster, die sich in den Familien der jeweiligen Gesellschaft ausbilden. Die Anforderungen, die die moderne Gesellschaft an das Wisen, an die Verlässlichkeit, an die Effizienz und Kreativität des Handelns ihrer Menschen stellt, sind in erster Linie Ansprüche an die Qualität der Bildung und der Erhaltung des Humanvermögens in den Familien. Mit der Übernahme der Verantwortung für die Bildung und Erhaltung von Humanvermögen, auf das alle anderen gesellschaftlichen Institutionen (Schule, Kirche, Arbeitswelt usw.) angewiesen sind, übernimmt die Familie eine unersetzliche Funktion für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung und die Förderung der Erhaltung von Wohlstand.
Die Diskussion reißt nicht ab. "Deutschlands Bildung hinkt hinterher". Andreas Schleicher, der Sprecher der OECD in Bildungsangelegenheiten, wirft den verantwortlichen Politikern vor, sie handelten "weitgehend visionslos". Dabei hat die PISA-Studie durchaus eine Reihe von Aktivitäten in deutschen Landen ausgelöst. Seine Kritik kann somit nur bedeuten, dass solche Aktivitäten ohne ein grundlegend richtungsänderndes Konzept erfolgen. Solche Befürchtungen hatte der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bereits 2002 geäußert: "Die öffentliche Debatte über die Folgerungen, die aus den Ergebnissen der PISA-Studie zu ziehen sind, lässt nach Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen zentrale Erkenntnisse der PISA-Studie außer acht, . diese Debatte bezieht sich fast ausschließlich darauf, wie schulisches Lernen besser zu organisieren und Lerninhalte und Leistungsstandards zu vereinheitlichen seien. Die PISA-Studie belegt jedoch in Übereinstimmung mit den Befunden früherer wissenschaftlicher Untersuchungen, dass die grundlegenden Fähigkeiten und Bereitschaften für schulische Lern- und lebenslange Bildungsprozesse der nachwachsenden Generation in den Familien geschaffen werden. Die Familie muss daher als die grundlegende Bildungsinstitution der Kinder und Jugendlichen anerkannt werden"( Wissenschaftlicher Beirat 2002, 9). In der politischen Szene gab es bislang keine nennenswerte Reaktion auf dieses Votum. Die konkrete Entwicklung bestätigte die vorweg von Experten geäußerte Befürchtung: Die Schulbürokratie übernahm es zu definieren, was (ihr) an Reformen notwendig zu sein schien. Familienpolitische Komponenten sind dabei nicht zu erkennen. In diesem Beitrag wird deshalb die Einbeziehung der Familien und ihres Leistungspotenzials in die schulpolitische Argumentation gefordert. Verlangt wird eine bildungspolitische Debatte, die die Familie als Bildungsinstitution respektiert und den Erfolg von Schule daran misst, inwieweit diese in der Lage ist, das familiale Handlungspotenzial zu stärken. Dies gilt vornehmlich für "die grundlegenden Fähigkeiten und Bereitschaften für schulische Lern- und lebenslange Bildungsprozesse der nachwachsenden Generation", wenngleich nicht allein für diese. Es muss von allen Akteuren erkannt und anerkannt werden, dass das Postulat des Familienbezugs bildungspolitischer Reformen die aktuelle Debatte um eine "visionäre" Perspektive anreichert, die die Vorstellungen über die Richtung, in die sich Reformschritte erstrecken sollen, grundlegend ändert. Erste Denkanstöße bezüglich der Dringlichkeit eines Perspektivenwandels lieferte der Fünfte Familienbericht (1994), der Bildung und Ausbildung unter dem Aspekt des Aufbaus und der Erhaltung von Humanvermögen analysierte. Dieser Linie folgten verschiedene Voten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen, nicht zuletzt das bereits genannte Gutachten zur PISA-Studie, aber auch die sozialen und wissenschaftlichen Orientierungen Heinz Lamperts (siehe vor allem dessen umfassendes Plädoyer für eine rationale Familienpolitik 1996). An diese Vorgaben knüpft der folgende Beitrag an. Er mahnt die Aufnahme der hier sichtbar werdenden familienorientierten Perspektive in die Politikdebatte über das Schulwesen an. Insbesonders erinnert er daran, dass eine wissenschaftlich fundierte Reformdiskussion vor jeglicher Maßnahmendebatte eine Klarstellung dessen verlangt, wo die konkreten Defizite des zu revidierenden Systems zu suchen sind und welche Reformziele verfolgt werden sollen. Es ist unabdingbar, sich dessen weitaus deutlicher als bisher zu vergewissern, dass die Familie als Bildungsinstitution die Voraussetzungen für den Erfolg aller folgenden Bildungsprozesse schafft, dass Bildung ein Kernelement einer demokratischen Gesellschaft ist und zugleich ein Garant für die Zukunftsfähigkeit einer solchen Gesellschaft. Vielleicht ist damit schon das wirklich Visionäre der Betrachtungsweise benannt, für die hier geworben werden soll. Aber es soll auch darauf verwiesen werden, dass ein Schulsystem schon allein deshalb zu kritisieren ist, wenn es sich nahezu jeglicher gesellschaftlichen Kontrolle entzieht. Auf welch relativ einfache, einsichtige Weise demokratischere Kontrollmöglichkeiten für das Schulsystem geschaffen werden könnten, wenn es ernsthaft gewollt würde, auf die Beantwortung dieser Frage werden die weiteren Erörterungen dieses Beitrags ausgerichtet sein. Das Ergebnis dieser Betrachtungen ist eine klare Empfehlung. Deren Motto lautet: Allen Eltern sollten durch die Schaffung eines Instruments, das ich "Anteilsrechte am Schulbudget" nennen möchte, eigenständige Kontrollund Verfügungsrechte im Bildungssystem eingeräumt werden. Gemeint sind Kontrollrechte, zunächst von Eltern, im Hinblick auf eine gesellschaftlich verantwortete schulische Leistungserfüllung.
Unter den außerfamilialen Systemen hat der Erwerbsbereich die stärksten Transferwirkungen für die Familie. Vor diesem Hintergrund beschreibt der Verfasser Veränderungen im Erwerbsleben, wo sich vor allem im Produktionssektor Qualifikationsanforderungen, Arbeitszeiten und Arbeitsformen grundlegend verändert haben. Hinzu kommt die Problematik der Arbeitslosigkeit. Eine Analyse der gegenseitigen Beziehungen zwischen Erwerbsleben und Familie zeigt, dass gerade der Familienbereich für den Erwerbsbereich unerlässliche Vorleistungen bereitstellt. Andererseits hat die Belastung von Familien durch Steuern und Beiträge in der Bundesrepublik die Grenze zur Verfassungswidrigkeit bereits überschritten. Eine Entlastung der Familien von dieser "Transferausbeutung" und von der Überlast an Steuern könnte über eine Stärkung des investiven Potenzials der Gesellschaft zu einer Stabilisierung der Beschäftigung führen. Dem Mittelstand kommt eine Schlüsselrolle für die Beschäftigungsentwicklung zu. Die stark überhöhte Wertigkeit der Erwerbstätigkeit diskriminiert andere Arten gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Eine Antwort hierauf kann das Leitbild eines vermögensgestützten Familienhaushaltseinkommens sein, das Grundmuster einer stabilen Lebensform für die Familienhaushalte der Zukunft skizziert. Hier geht es dem Verfasser um die Sicherung der Zukunft durch eine Politik des behutsamen Umgangs mit dem Humanvermögen als wichtigster gesellschaftlicher Ressource. (ICE2)
Zusammenfassung Dieser Beitrag fragt zunächst danach, welche Tatbestände Wilhelm Röpke auf seinen Weg zum Aufbau einer eigenständigen Lehre von der Politischen Ökonomie gebracht haben mögen. Kriegserlebnisse spielten dafür eine entscheidende Rolle. Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg führte Röpke zu der Erkenntnis, daß Kriege immer dann zum Ausbruch kommen, wenn es in einem Staat oder in mehreren Staaten zu einer ungewöhnlichen Machtanhäufung kommt und sich Gegenkräfte gegen solche Machtmonopole nicht entfalten können. Wenn es nicht gelingt, insbesondere den Leviathan des modernen Staates zu bändigen, werden Gesellschaften entarten. Im Krieg als überwuchernder Staatlichkeit gipfelt dann das Ausmaß an Unterdrückung, Entwürdigung und Ausbeutung des Menschen. Alle Sorge der Sozialwissenschaften muß sich deshalb darauf konzentrieren, zu gesellschaftlichen Ordnungsformen zu gelangen, die die Freiheit und Mündigkeit der Staatsbürger, ihre Unabhängigkeit von staatlicher Gängelung und ihr Selbstbestimmungsrecht gewährleisten. Eine weitere Bestätigung und Bekräftigung dieser Einsicht erfährt Wilhelm Röpke während der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Zug um Zug reifen seine Vorstellungen über "gute" Gesellschaftsordnungen bis hin zu seinen Konzeptionen eines "Dritten Weges", einer "Civitas Humana". Die bis heute noch gültige Botschaft Wilhelm Röpkes lautet: Politische Ökonomik muß die unaufhebbare Interdependenz von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gegenwartsnah stets aufs neue reflektieren, um für die Lebens- und Ordnungsformen "Maß und Mitte" bewahren zu können. Oder so provokativ formuliert, wie Röpke es selbst tat: Marktwirtschaft ist nicht alles! Aktuelle Fehlentwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft lassen sich - das wird für einige Beispiele gezeigt - ziemlich eindeutig als Folge von Verstößen gegen Grundprinzipien der Politischen Ökonomik Wilhelm Röpkes auslegen. Das spricht für ein hohes Maß an Zeitlosigkeit zentraler sozialwissenschaftlich relevanter Einsichten dieses Autors - und für die Nachhaltigkeit eines Bedarfs an Politischer Ökonomik.
In: Soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft: die Vervollkommnung einer "Sozialen Marktwirtschaft" als Daueraufgabe der Ordnungs- und Sozialpolitik ; Festschrift zum 65. Geburtstag für Heinz Lampert, S. 87-103
Der Autor diskutiert Grundlagenfragen der marktwirtschaftlichen Ordnungstheorie und beschreibt den sozialwissenschaftlichen Umgang mit ökonomischen und gesellschaftlichen Ordnungen. Er geht eingangs auf die Traditionen der Nationalökonomie und Politischen Ökonomik nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg ein und skizziert relevante Forschungsansätze zur Begründung einer freien und gerechten Gesellschaftsordnung. Anschließend faßt er die Rolle der Vermittlungsinstanzen 'Sprache', 'Regeln' und 'Verfassung' bei der Überbrückung der konstitutionellen Spannung zwischen den angestrebten Ordnungen und der sogenannten 'normativen Macht des Faktischen' zusammen. Um die Komplexität moderner Wirtschaftsgesellschaften zu veranschaulichen, stellt er ferner in einer Abbildung die sozialen, ökonomischen, personalen und politischen Rechte und Pflichten im Rahmen von Verfassung und bürgerlichen Grundrechten dar. Im letzten Teil seines Beitrages beschreibt er den 'Koordinationsansatz' in der Ordnungstheorie und die Denkmuster einer 'Offenen Gesellschaft', welche den Prinzipien einer sich ständig verändernden sozialen Umwelt gerecht werden. (ICI)
In diesem Versuch einer systematischen Rekonstruktion des Smithschen Werkes wird herausgearbeitet, daß die analytische Besonderheit des Werkes in der jeweils problemorientierten Verknüpfung der Frage nach dem zum Handlungszweck verfügbaren oder zu schaffenden Ressourcen und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die deren Aktivierung und wohlfahrtsfördernde Nutzung begünstigen, liegt. In dieser Sicht erscheint Smith als Autor, der menschliche Fähigkeiten in dem Sinne systematisch zuordnete, wie es heute unter dem Stichwort "Humanvermögen" geschieht: es ermöglicht eine Bestandsaufnahme menschlicher Ressourcen in Gestalt individueller Handlungspotentiale physischer, psychischer, sozialer und kultureller Art. Solche Potentiale gründen sich auf Gesundheit, auf Werthaltungen, Fertigkeiten und Wissenfonds. Sie sind das Ergebnis von Entscheidungen investiver Art. (GF2)
Die Studie versteht sich als Versuch eines soziologisch interessierten Ökonomen, in die aktuelle Debatte über die Relevanz soziologischer Theorieansätze für die Sozialpolitik die Bedeutung der ökonomischen Tradition zur Geltung zu bringen. Er bezieht sich explizit auf die Tradition der Volkswirtschaftslehre, die Ökonomie als Sozialwissenschaft mit sozialreformerischer Absicht betrieben hat. (Verein für Socialpolitik, Schmoller etc.) Das Konzept von 'Vermögenstheorie' das der Autor ausführt kann zugleich integrierende Funktion für andere Theorieansätze zur Sozialpolitik haben. 'Vermögen' wird dabei (nach der Bestimmung Erich Preisers) als Inbegriff von Gütern betrachtet, die in der Verfügungsgewalt einer Person stehen, es impliziert also ein Handlungspotential im Rahmen einer sozialen Umwelt. Vermögen und Eigentum sind Begriffe, die sowohl systemtheoretisch (in der Makroebene) als auch handlungstheoretisch (in der Mikroebene) verortet werden können. Der Denkansatz schafft die Voraussetzungen für die Analyse von Handlungspotentialen in komplexen dynamischen Systemen. Verteilungsprobleme beziehen sich immer auf Ziele gemeinschaftlicher und individueller Daseinsgestaltung. Verteilung ist damit eine gesellschaftliche Erscheinung, die nie ganz auf ökonomische Begriffe reduziert werden kann (Gunnar Myrdal). Verteilungskonzepte müssen kontextbezogen sein und zudem berücksichtigen, daß sich ihr Inhalt im Entwicklungsgang wandelt. Die wissenschaftliche Diskussion bezieht so die Frage nach den Sekundärwirkungen von Änderungen der Verteilung mit ein. Die Bestimmung der 'Lebenslage' in Orientierung an Standards der 'Lebensqualität' rückt so in den Vordergrund der verteilungspolitischen Debatte. Der Autor zeichnet den historischen Linienzug vermögenstheoretischen Denkens nach von Friedrich List bis Douglas G. Hartle, dessen Modell zur Bestimmung von Individualvermögen abschließend diskutiert wird, da es auf interdisziplinäre Verwendbarkeit hin konzipiert ist. (KA)