Abstract Der Beitrag untersucht Sozialstaatsdebatten in Frankreich in den Politikfeldern Gesundheit und Pflege. Hierbei wird nach Ähnlichkeiten und Unterschieden in der Konstruktion eines ,alten' und eines ,neuen' Risikos gefragt. Die Untersuchung führt Ansätze ideenorientierter Forschung fort: Semantische Verschiebungen im Verantwortungsdiskurs werden über einen längeren Zeitraum systematisch analysiert. In einem zweiten Schritt werden Prozesse der Zuschreibung und Aushandlung von Verantwortlichkeiten in der Parlamentsarena untersucht. Hier zeigt sich die Zunahme einer Logik aktivierender Eigenverantwortung in den Gesundheitsdebatten. Im Pflegediskurs wird die Suche nach neuen Formen kollektiver Verantwortung erkennbar. Für beide Felder gilt, dass die Dualisierung des franzosischen Wohlfahrtsstaates zwischen Logik der Sozialversicherung und Logik der steuerfinanzierten bedarfsgeprüften Leistungen mit Prozessen der Umdeutung des Verantwortungspringips einhergeht.
Die Sozialversicherung in Belgien bleibt zusammen mit der Justiz eine der Hauptkompetenzen auf föderaler Ebene, selbst wenn diese Kompetenz mehr und mehr mit der regionalen und der kommunalen Ebene geteilt wird. So haben die Regionen verstärkte Mitbestimmungsrechte in der Arbeitsmarktpolitik erhalten, und die Gemeinschaften sind an der Arbeitsvermittlung wesentlich beteiligt. Der Gesamtstaat verwaltet jedoch weiterhin die Gebiete des Arbeitsrechts und die Arbeitslosenversicherung. Gleiches gilt für den Bereich der Gesundheitsversicherung, in dem die Selbstverwaltung auf nationaler Ebene im Reichsinstitut für Krankheit und Invalididät gestärkt und ausgeweitet wurde. Trotz verstärkter Ausrichtung der Sozialversicherungsverwaltung auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit ist in Belgien der Wettbewerbsgedanke in Form eines Wettbewerbs zwischen Trägern nicht präsent. Dies ist eine Gemeinsamkeit, die Belgien mit Frankreich teilt. Aufgrund der spezifischen Trägerstruktur (Trennung zwischen paritätisch verwalteten Sozialversicherungsträgern und gewerkschaftlichen Auszahlungskassen/Hilfskassen) wird hier über die Globalverwaltung auf der Finanzierungsseite Effizienzdruck hergestellt. Vermehrter Wettbewerb innerhalb der Sozialversicherung entsteht über die Schaffung eines 'Effizienzdenkens' der einzelnen Sozialversicherungsträger im Rahmen der mit dem Staat geschlossenen Verträge und in der Möglichkeit einer positiven und negativen Sanktionierung der vom Träger erreichten Ergebnisse. Wettbewerb existiert somit in Belgien zwischen den Zweigen im Sinne eines effizienten Umgangs mit den im Globalbudget vorhandenen und zu verteilenden finanziellen Mitteln. Auf Ebene der Auszahlungsstellen ist insbesondere im Gesundheitsbereich mit den letzten Reformen versucht worden, die Hilfskassen stärker in die Finanzverantwortung einzubeziehen. (ICB2)
Die Untersuchung der sozialen Selbstverwaltung in Frankreich zeigt, dass seit der umfassenden Strukturreform der Sozialversicherungsverwaltung im Jahre 1996, in der versucht wurde, die Selbstverwaltung in einem neuen 'Gewand der vertraglichen Steuerung' weiterzuführen und mit einer verstärkten Begleitung durch das Parlament auszustatten, nach 2000 eine Kehrtwende eingetreten ist. Diese scheint dem Schlagwort der Governance eine neue Bedeutung zuzuweisen: Durch technokratisch-administrative Kompetenzdelegation bei gleichzeitigem Machtverlust der sozialpartnerschaftlich besetzten Gremien soll das Problem der steigenden Defizite gelöst werden. Dabei geht es in den neueren Reformen nicht mehr um Fragen legitimer Repräsentation, sondern um die Einrichtung einer professionellen und handlungsfähigen Verwaltung vor dem Hintergrund eines neuen Effizienzpostulats. Der Verstaatlichungstrend bezeichnet dabei insbesondere eine Bewegung der Dekonzentrierung in Form einer Delegation von Aufgaben an nicht-autonome staatliche Unterbehörden im Gegensatz zu einer Dezentralisierung von Aufgaben an autonome oder teilautonome Entscheidungsträger. In diesem Sinne kann auch die Abkehr von der Selbstverwaltung interpretiert werden. Es handelt sich um eine staatlich angeleitete Verwaltung, die mit Beratungsgremien 'geschmückt' ist. (ICB2)
Die Selbstverwaltung überlebt, und sie überlebt als korporatistische Selbstverwaltung dort, wo sie historisch stark verankert war und durch starke Gewerkschaften gestützt wurde. Dies ist insbesondere in Österreich, Luxemburg und Belgien der Fall. Auch in Deutschland ist eine Persistenz der korporatistischen Selbstverwaltung zu beobachten. Von den vier Ländern mit einer Fortführung der korporatistischen Selbstverwaltung ist es jedoch das Land mit den schwächsten Gewerkschaftsstrukturen. Die soziale Selbstverwaltung ist hier am wenigsten positiv konnotiert, während der Sozialwahlen kommt es zu einer pejorativen öffentlichen Kommunikation, bei sinkender Wahlbeteiligung sofort zur Skandalisierung. Den Gewerkschaften gelingt zwar eine Verteidigung ihrer Monopolstellung in den Selbstverwaltungsgremien, allerdings nur um den Preis einer Schwächung der Selbstverwaltungskompetenzen angesichts von Vermarktlichung und Etatisierung der Sozialversicherungsverwaltung. Gewerkschaftliche Stärke ist eine hinreichende und notwendige Bedingung für den Erhalt der korporatistischen Selbstverwaltung. Voraussetzung ist allerdings auch, dass die Gewerkschaften selbst die Beteiligung an der Sozialversicherungsverwaltung als eine wichtige dritte Säule - neben der Einflussnahme auf Makro-Ebene und der betrieblichen Sozialpolitik ihrer sozialpolitischen Aktivitäten betrachten. Wo sich Gewerkschaften wie in den Niederlanden auf die Durchsetzung von betrieblichen Sozialleistungen konzentrieren und wo es zusätzlich zu diesen betriebs- bzw. branchen-korporatistischen Arrangements auch noch zahlreiche Einflussmöglichkeiten über korporatistische Gremien auf der Makro-Ebene gibt, erscheint die Sozialversicherungsverwaltung als ein weniger bedeutendes Feld. Der Makro- und der branchenbezogene, zudem von Seiten der Arbeitgeber angetriebene Korporatismus, aber auch die Parallelität von Arbeitnehmer- und Bürgerversicherungen standen von Anbeginn einer starken Verankerung der korporatistischen Selbstverwaltung entgegen, so dass diese notwendige Bedingung für ihre Fortführung nicht gegeben ist. Die sozialpolitischen Konsolidierungs- und Kürzungspolitiken der vergangenen Dekaden sowie der sukzessive Umbau der alten Arbeitnehmer- in Bürgerversicherungen mit vergleichsweise hoher Steuerfinanzierung haben noch weiter dazu beigetragen, dass die Beteiligung an der Sozialversicherungsverwaltung als gewerkschaftliches Handlungsfeld an Bedeutung verloren hat. (ICB2)
Das Buch beruht auf einem Forschungsprojekt, das dank einer Förderung durch die Fritz-Thyssen-Stiftung am Zentrum für Sozialpolitik in Bremen durchgeführt worden ist. Zur Analyse der Entwicklung der sozialen Selbstverwaltung in acht Ländern greift dieses Buch auf Konzepte der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung, der Verbändeforschung und der Verwaltungsforschung zurück. Mit der Politik- und der Verwaltungswissenschaft werden zwei Disziplinen zusammengeführt, die ansonsten gerade auf dem Gebiet der Sozialpolitikforschung nur wenig wechselseitige Bezüge aufweisen. Schließlich ist beabsichtigt, die Entwicklung der sozialen Selbstverwaltung zu erklären. Dazu dienen zum einen die Länderstudien, die Erklärungsfaktoren in ihrer narrativen Darstellung des historischen Prozesses bereitstellen. Diese Faktoren beziehen sich jedoch nur auf den jeweiligen nationalen Fall, sie bilden plausible Erklärungen, wenn man nur dieses eine Land betrachtet. In einem abschließenden Vergleich wird eine Erklärung auf der Basis der Analysen aller acht Länder geliefert, unter Nutzung des gerade für Vergleiche mit kleinen Fallzahlen geeigneten Ansatzes der Qualitative Comparative Analysis. (ICB2)