Linksruck der Fakten
In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung: ZMK, Band 9, Heft 2, S. 108-119
ISSN: 2366-0767
450 Ergebnisse
Sortierung:
In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung: ZMK, Band 9, Heft 2, S. 108-119
ISSN: 2366-0767
In: Forum qualitative Sozialforschung: FQS = Forum: qualitative social research, Band 9, Heft 2
ISSN: 1438-5627
Dieser Beitrag illustriert die Möglichkeiten performativer Sozialwissenschaft am Beispiel des weltweit ersten Projektes öffentlicher multimedialer Erzählungen einer nationalen LGBT-Community (LGBT = Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender). Zumeist werden Stimmen aus dieser Community nicht gehört, verborgen oder unterdrückt, Bilder und Darstellungen bleiben oft stereotyp und diskriminierend – eben Konstruktionen "von außen". Viele, die dieser Gemeinschaft zugehören, haben soziale Exklusion und Marginalisierung erfahren, ihre Geschichten wurden ignoriert oder verzerrt. Ihr Leben und ihr Lieben wurde vielfach als "falsch" charakterisiert, "falsch" in medizinischer und moralischer Hinsicht. OurStory Scotland wurde initiiert, um die Geschichte(n) und die Erfahrungen von Menschen aus der LGBT-Community in deren eigenen Worten und mit deren eigener Stimme zu erforschen, festzuhalten und zu präsentieren. Hierzu werden Action Research und performative Socialwissenschaft verbunden. Der Ansatz ist partizipativ und emanzipatorisch; er legt das Wissen einer Community frei und entwickelt es zugleich in unterschiedlichen Weisen erzählerischer Performances. Hierzu wurden (Erzähl-) Methoden inspiziert, die für Mitglieder marginalisierter Gruppen und für deren Coming-out bedeutsam sein könnten. Die Erzählhandlungen, die dann für die Präsentation der eigenen Stimme(n) hinzugezogen wurden, kommen aus unterschiedlichsten Traditionen und gehören verschiedenen Gattungen zu. Hierzu gehören beispielsweise Einzeiler ebenso wie Niederschriften längerer Episoden, Oral-History-Interviews, Gruppenerzählungen, Geschichten, die mit und durch Bilder erzählt werden, Formen visuell-textlichen Coming-outs, "Supporting Stars"-Modelle als Alternative zu konventionellen Familienstammbäumen, Dramatisierungen und Ceilidh Dancing. Die Geschichten, die so entstanden sind, wenden sich gegen fixierte und stereotype Identität(en) und enthüllen die Zentralität des Erzählens für das eigene Leben. Sie illustrieren zugleich die Nützlichkeit eines performative action social research sowohl für eine Gemeinschaft, die über sich selbst forscht als auch für die Präsentation und Verbreitung dieser Forschung und ihrer Ergebnisse.
In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Heft B 50, S. 19-35
ISSN: 0479-611X
"Enthält die Kritische Theorie, die zur Auslösung des Krisenbewußtseins unserer Zeit beigetragen hat, auch eine krisenüberwindende Potenz? Eine konservative Neuinterpretation, die sich vor allem auf die Elemente einer 'negativen Theologie' stützt sowie auf Horkheimers These, daß soziale Gerechtigkeit zur Zerstörung der Freiheit führt, scheint eine bejahende Antwort nahezulegen. Im Gegensatz zu dieser 'positiven' Würdigung der Kritischen Theorie wird in diesem Beitrag folgende These begründet: Gerade in jenen von konservativen Denkern als krisenheilend gewürdigten Elementen der Kritischen Theorie, die in Adornos und Horkheimers 'Sehnsucht nach dem ganz anderen' auf den Begriff gebracht wird, liegt die Ursache dafür, daß die Kritische Theorie keinen Beitrag zu einer progressiven Lösung der Krise unserer Zeit zu leisten vermag. Denn solche Lösung erfordert sowohl ein neues Denken als auch eine neue Praxis. Aber gerade auf die Frage nach der Praxis bleibt die Kritische Theorie aus theorieimmanenten Gründen die Antworten schuldig, weil sie sich grundsätzlich weigert, das positive Ziel zu beschreiben und über den praktischen Weg zu einer besseren Gesellschaft auch nur nachzudenken. Das Praxisverbot der Kritischen Theorie war mitbegründet für den Antireformismus in der Akademischen Linken, der nur den rechten Gegenreformen zugute kam. Die Kritische Theorie ist daher auch ein Beispiel dafür, wie von einer progressiven Theorie konservative Wirkungen ausgehen können. Durch die Unfähigkeit, ihre emanzipatorischen Ansprüche praktisch einzulösen, ist die Kritische Theorie zu einem Ausdruck für die Krise kritisch-progressiven Denkens geworden. So wie die Entwicklung der Industriegesellschaft nicht mehr lange nur linear verlängert werden kann, so kann auch das kritisch-progressive Denken nicht mehr nur linear fortgedacht werden. Wenn von der kritisch-progressiven Theorie, für die die Frankfurter Schule nur eine wichtige Richtung ist, nicht weiterhin indirekt konservative Wirkungen ausgehen sollen, wenn die von diesen Theorien geleitete linke akademische Intelligenz einen Beitrag gegen die konservative und für eine progressive Krisenlösung leisten will, ist zunächst eine praxisbezogene Neuorientierung der progressiven Theorie notwendig. Erst wenn die Krise der progressiven Theorie praxisorientiert überwunden ist, kann diese Theorie einen Beitrag zur Lösung der Krise unserer Zeit leisten." (Autorenreferat)
In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Band 2, Heft 2, S. 152-158
ISSN: 0722-0189
Am Beispiel der Volkszählung, die als reinste und objektivste Form der quantitativen Erhebung empirischer Tatsachen gelten kann, zeigt sich der Wertcharakter quantitativer Sozialforschung sehr deutlich: jeder zählt, aber nicht jede(r) zählt gleich viel. Der die Familie nach außen vertretende Haushaltsvorstand ist von Amts wegen männlichen Geschlechts; seine Autoritätsfunktion ist auf keinen Fall mit der weiblichen Tätigkeit der Haushaltsführung zu verwechseln. Zwecks Aufrechterhaltung dieser "normalen", sozial anerkannten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wird im Einzelfall auf Präzision verzichtet. Diese "statistische Diskriminierung" unterscheidet sich insofern vom Vorurteil, als sie auf "rationalen" Überlegungen basiert. Diese Vorgehens- und Betrachtungsweise wird von der emanzipatorischen Sozialwissenschaft in Frage gestellt, deren Zielsetzung es ist, die bestehenden Meinungsstrukturen nicht nur zu erfassen, sondern bewußt darüber hinauszugehen und in den Meinungsstrukturen Einbruchstellen für Veränderungen und Alternativen zu entdecken. Diese Praxisrelevanz der Soziologie ist von der feministischen Sozialforschung aufgegriffen und weiterentwickelt worden. Eine Voraussetzung für diese spezifische Art der Forschung ist ihr Interesse und ihre Parteilichkeit für die Betroffenen. Sie sucht den Zugang zu Alltagsereignissen weniger über Theorien als über Erfahrungen. Innerhalb der sich als feministisch verstehenden Sozialwissenschaft kann zwischen einer integrativen und einer radikalen Richtung unterschieden werden. Die eher integrative Richtung geht aus von einer Kritik an der Einseitigkeit männlicher Sozialwissenschaft und demonstriert diesen Herrschaftsaspekt mit dem Ziel, alternative Inhalte, Vorgangsweisen und Konsequenzen anzustreben. Während sie die weibliche Dimension der Realität quasi auch sozialwissenschaftlich in Bewußtsein und Handeln umsetzen will, zielt die radikale Richtung, die vor allem in der italienischen und französischen Frauenbewegung vertreten wird, auf die absolute Negation der bestehenden Ordnung, auf die Revolution des Bewußtseins durch vollständige Veränderung der Machtverhältnisse. Damit ist auch die Ablehnung der Universitäten, des Wissenschaftsbetriebes und der Kultur verbunden. Beide "Schulen" treten normalerweise als Mischformen auf, was dem taktischen Aspekt einer Doppelstrategie geschuldet ist, die sowohl die Institutionen verändern und untergraben will und beim Gegner gleichzeitig auf Einsicht hofft. Die darin zum Ausdruck kommenden Widersprüche charakterisieren die gesellschaftliche Situation der Frau. (HH)
In: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium: sowi, Band 6, Heft 4, S. 170-174
ISSN: 0340-2304
Der im Gefolge der politischen Protest- und Reformbewegung der 60er Jahre erheblich verbreitete und in gewerkschaftliche Bildungskonzeptionen eingegangene Ansatz der Arbeiterbildung von O. Negt wird seit dem Eindringen restaurativer Formierungstendenzen in die Gewerkschaften zunehmend zurückgedrängt. Zentraler Differenzpunkt in der kontrovers geführten Diskussion ist die unterschiedliche Einschätzung der Rolle von Erfahrungen in politischen Lernprozessen. Der sog. Erfahrungsansatz Negts basiert auf der Vorstellung, daß die Erfahrungen der Arbeiter im Umgang mit der Klassengesellschaft bereits im Keim die Kräfte zur Überwindung dieser Gesellschaftsreform enthalten. Die gegenwärtige Kluft zwischen objektiver Klassenlage und historisch-vorfindlichem Bewußtsein muß durch politische Bildungsarbeit mit dem Ziel der Entwicklung von Klassenbewußtsein aufgehoben werden. Eine so verstandene Arbeiterbildung muß an den realen, d.h. materiellen und immateriellen Existenzbedingungen der Arbeiter anknüpfen, in denen nach Negt jene Elemente enthalten sind, die emanzipatorischen Lernprozessen Inhalt und Zielrichtung geben können, wenn sie auf das Ganze der Gesellschaft in seiner Entwicklung bezogen werden. Im Gegensatz zu mechanistischen Deutungen des Bewußtseins als kausalem Produkt objektiver Verhältnisse wird davon ausgegangen, daß die Arbeiter die objektiven Verhältnisse im Horizont ihrer eigenen Lebensweise verarbeiten und daß ihr Bewußtsein selbst Moment gesellschaftlicher Wirklichkeit ist. Mit der Methode des exemplarischen Lernens sollen sich so aus den vorpolitisch existierenden Formen des Klassenbewußtseins politische Alternativen und klassenbewußte Aktionen entwickeln können. Die orthodox-marxistischen Kritiker Negts argumentieren dagegen, daß eine Erkenntnis der Strukturen und Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine Aufarbeitung individueller Erfahrung unmöglich sei, da diese nicht erfahren, sondern nur gedanklich durchdrungen werden könnten. Das geschieht durch Bildungsmaßnahmen und Wissenszuwachs, bleibt also auf das kognitive Element des Arbeiterbewußtseins beschränkt. Die solchermaßen durch "Einsicht" herzustellende Kongruenz von objektiver Klassenlage und subjektivem Bewußtsein ignoriert die konkreten Arbeits- und Lebenszusammenhänge der Subjekte. Damit bleiben Bereiche der Wahrnehmungs- und Handlungssteuerung ausgeklammert, die für politisches Handeln konstituierend sind. (HH)
In: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium: sowi, Band 1, Heft 2, S. 17-20
ISSN: 0340-2304
Literaturbericht zu Helmut Fleischer: Umrisse einer 'Philosophie des Menschen'. Berlin 1967. (=Hochschulinformationen der Zentralstelle für Gesamtdeutsche Hochschulfragen 18 (1967) Nr. 2). Helmut Fleischer: Marxismus und Axiologie. In: The Journal of Value Inquiry 2 (1968), S. 249-268. Helmut Fleischer: Marxismus und Menschenwürde. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 22 (1968), S. 71-78. Die in den sozialistischen Ländern aus dem Marx'schen Ansatz 'weiterentwickelte' dialektisch-materialistische Wissenschaft von der Gesellschaft beansprucht die allgemeinen und die epochen-spezifischen Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft aufzudecken und die praktischen Nutzanwendungen aus ihnen zu ziehen. Die gesellschaftliche Entwicklung wird dabei als ein notwendiger Prozeß aufgefaßt, dessen Zwangsläufigkeit aus einer dialektischen Beziehung zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften erwachse. Die Individuen spielen in dieser Theorie keine entscheidende Rolle; sie sind nicht mehr als Objekte der gesetzmäßig sich entwickelnden Prozesse. Diese objektivistische Version des Marxismus wird zunehmend auch von marxistisch-leninistischen Theoretikern in Frage gestellt. Unter dem Ansatz einer marxistischen Axiologie oder Anthropologie interpretieren sie den Sozialismus als ein von Menschen gewolltes und angestrebtes Ziel, weil er ein höheres Maß an Befriedigung allgemeiner menschlicher Interessen zu gewähren scheint. Diese Neuinterpretation des Marxismus als Theorie einer emanzipatorischen Praxis wird am deutlichsten und ausführlichsten von Helmut Fleischer geleistet, der als treibende Kraft des gesellschaftlichen Fortschritts und als Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen nicht eine objektivistische Dialektik von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften bezeichnet, sondern die menschlichen Individuen mit ihren Bedürfnissen und Forderungen. Die 'Natur'-Grundlage des Projekts einer klassenlosen Sozialordnung ist eine - wissenschaftlich ermittelbare - geschichtlich herausgebildete Antriebs- und Bedürfnisstruktur bestimmter Gruppen von Menschen. Sozialismus in diesem Sinne meint Option für die harmonische Kooperation Gleichberechtigter als dem humansten Typus menschlicher Vergesellschaftung. Das praktische Hauptproblem des Sozialismus ist es, seine Optionen zu gesamtgesellschaftlicher Wirkung und Verwirklichung zu bringen. Er bedarf dazu eines Konsensus über die Wünschbarkeit seiner Optionen. Diesen Konsensus herzustellen, ist Sache einer - wissenschaftlich zu fundierenden - politischen Praxis. (HH)
In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Band 1985, Heft B. 31, S. 28-38
ISSN: 0479-611X
"Für die Dauer von fast einem Jahrzehnt (1965-1974) galt die philosophische Zeitschrift 'Praxis' mit ihrem breiten Mitarbeiterkreis ('Praxis-Gruppe') für viele Beobachter als 'lebendigstes Zentrum marxistischer Philosophie auf der ganzen Welt' (L. Kolakowski). Diesen Ruf brachte ihr der konsequent kritische Ansatz ihrer Beiträge, ihr breitgefächertes Themenspektrum sowie die undogmatische Offenheit ein, mit der auch Kontakt zur westlichen Wissenschaft gesucht und hergestellt wurde. Auf der dalmatischen Insel Korcula organisierten die 'Praxis'-Mitglieder alljährliche Sommertreffs, wo sich international bekannte Marxisten aus Ost und West zu Gesprächsrunden einfanden. Bei dem Versuch einer humanistischen Marx-Interpretation gerieten die 'Praxis'-Philosophen jedoch nicht nur in Gegensatz zur offiziellen marxistischen Theorie und Praxis der Ostblock-Staaten. Auch die in Jugoslawien herrschende Partei des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens begann ihre anfängliche Toleranz gegenüber der 'Praxis-Gruppe' aufzugeben und ergriff repressive Maßnahmen. 1974 verbot sie die Zeitschrift. Die Entstehung und das Verbot der 'Praxis-Gruppe' bieten daher ein Beispiel für die Möglichkeiten und Grenzen eines kritischen Marxismus in Jugoslawien. Dieser muß sich offensichtlich auf das Gebiet der Philosophie beschränken. Sobald die Kritik an den innerjugoslawischen Verhältnissen ansetzte, bekamen die 'Praxis'-Mitglieder Schwierigkeiten. Trotz dieser Schwierigkeiten mußten die humanistischen Philosophen und Wissenschaftler Jugoslawien jedoch nicht verlassen. In den letzten Jahren gelang es ihnen sogar, gewisse Positionen zu behaupten. So kommt auch heute noch der Theorie des Humanistischen Marxismus in Jugoslawien Bedeutung zu. Im Zentrum dieser Theorie steht der 'Praxis'-Begriff. Ihr Grundmotiv ist ein aktives Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt. Verhältnisse, die einer weiteren Entfaltung der Individuen entgegenstehen, werden als entfremdet bezeichnet; Theorien, die die Geschichte als Einbahnstraße definieren, abgelehnt. Menschliches Handeln, das den Namen verdient, impliziert Handlungsalternativen und orientiert sich an humanistisch-emanzipatorischen Werten. Auf politischen Gebiet heißt das: Reform der sozialistischen Gesellschaften Osteuropas in Richtung auf mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Für Jugoslawien steht die Forderung nach einer innerparteilichen Demokratisierung des BdKJ im Vordergrund." (Autorenreferat)
In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie: KZfSS, Band 31, Heft 3, S. 422-449
ISSN: 0023-2653
Der Aufsatz ist ein begriffsgeschichtlicher Beitrag zu den in Wissenschaft und alltäglicher Sprache vielschichtig und widersprüchlich gehandhabten Begriffen Kultur, Zivilisation und Alltag. Die Darstellung verfolgt zunächst diese drei semantischen Entwicklungslinien: 1. In der Begriffsgeschichte Kultur beginnt der Verfasser mit der Kulturauffassung der antiken Klassik. Der sprachliche und konzeptionelle Durchbruch des Begriffes Kultur im deutschen Sprachraum gelingt der Aufklärung. Er ist verknüpft mit politisch emanzipatorischen Hoffnungen. Der Anspruch dieses Kulturbegriffs konnte aber nicht gesamtgesellschaftlich, sondern nur sektoral in der bürgerlichen Kultur eingelöst werden. Damit änderte sich im 19. Jhd. der Blickwinkel von der Kulturkritik zur Gesellschaftskritik. Kultur wird hinsichtlich ihrer klassentrennenden und herrschaftsstabilisierenden Funktion durchleuchtet; die ehedem wegweisende Kulturidee sinkt in den neuen revolutionären Konzeptionen und in der bürgerlichen Kulturpraxis ab zu einer machtpolitisch gefärbten Folgekategorie. 2. Der Begriff Zivilisation wird bestimmt als Ausdruck des sozialhierarchischen Standesbewußtsein der Kultureigner, als Mittel zur differenzierenden Wertzuschreibung. Die Entwicklung des Begriffs wird verfolgt von den Römern übers Mittelalter bis zu den französischen Aufklärern. Im Begriff der Zivilisation als Gestaltungsmacht wird ein naturnotwendiges Prinzip gesehen, dem sich alles außerhalb der bürgerlichen Herrschaftssphäre zu unterwerfen habe. Deutsche Theoretiker blieben angesichts der mangelnden Vermittlung von Theorie und Praxis im Zivilisationsprozeß dem zivilisatorischen Fortschrittsoptimismus gegenüber skeptisch. Mit Marx und Engels wird der herrschaftsverdächtige Zivilisationsbegriff zu einer Ablehnungskategorie. 3. Das semantische Feld des Wortes Alltag wird aus dem Griechischen und Lateinischen übers Frühneuhochdeutsche bis ins Hochdeutsch der Neuzeit verfolgt. Diese Semantik wird derjenigen von Kultur und Zivilisation im 18. und 19. Jhd. gegenübergestellt. Für die Aufklärer war Alltag ein Ablehnungsbegriff, ein Sprachmittel zur Beschreibung der kulturlosen und niederen sozialen Realität. Im 19. Jhd. wandelten sich die der Alltagssemantik zugehörenden Worte aus dem Status von Ablehnungsbegriffen zu Modifikationsbegriffen, die auch auf die bürgerliche Kultur gerichtet sind. Unter dem Druck der soziokulturellen Verhältnisse, in denen eine restaurative Kultur und Zivilisation eine sozial gerechte Alltagskultur verhinderte, fand die systematische Forschung in der Alltag genannten Realität ihr vorrangiges Betätigungsfeld. Im abschließenden 4. Abschnitt werden unter dem Aspekt der Kategorien Kultur, Zivilisation und Alltag die kultursozialen Traditionen bei Max Weber und Georg Simmel erörtert. (HM)
In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Band 2, Heft 2, S. 54-62
ISSN: 0722-0189
Liebe und Gefühlsbeladenheit als Merkmale der modernen Kleinfamilie besaßen keinesfalls in allen Epochen und Kulturen Gültigkeit. Diese Erkenntnis beinhaltet, daß die gesellschaftlich proklamierte Zuständigkeit der Frauen für Liebe, die ihnen angeblich aufgrund ihrer Natur zukommt, historisch gewachsen und damit veränderbar ist. Die traditionelle Familiengemeinschaft, die durch Unterordnung unter die Gemeinschaft, ökonomische Nutz-Ehen, instrumentelle Sexualität, strenge Geschlechterrollen und großen emotionalen Abstand zwischen Mutter und Kind gekennzeichnet war, wurde erst ab Ende des 17. Jahrhunderts durch eine auf Emotionen und Liebesbeziehungen basierende Familienform aufgebrochen. Obgleich die These Shorters von der romantischen Liebe, der Mutter-Kind-Beziehung und der intimen Häuslichkeit als neuer Werte des familialen Zusammenhangs die mit diesem Wechsel verbundenen Phänomene beschreibt, führt seine Ausblendung des politischen und ökonomischen Kontextes zu einer ahistorischen Betrachtung der neuen Familienform, die scheinbar allen Familienmitgliedern gleichermaßen gerecht wird und die rigide Geschlechtsrollen-Fixierung abbaut. Eine Betrachtung der historischen Realität zeigt demgegenüber, daß die mit der Emotionalisierung der Familienbeziehungen verbundene veränderte Form der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau nicht zu einem Abbau, sondern zu einer Polarisierung der Geschlechtsrollen und zur Verkehrung des bürgerlichen Liebesideals in Beziehungsarbeit geführt hat. Das von den bürgerlichen Schichten ausgehende und im Verlauf des kapitalistischen Industrialisierungsprozesses allmählich auf das Proletariat übergreifende Liebes- und Familienideal - Zuständigkeit des Mannes für Beruf und Außenkontakte; Zuständigkeit der Frau für Familie und Innenwelt - markiert einen historischen Angelpunkt, an dem die Bedürfnisse des Obrigkeitsstaates, des Gesamtkapitals und des männlichen Proletariats zusammentreffen. Der Übergang von der bäuerlichen Familienökonomie, in der die Arbeit der Frau sozial anerkannt war, zu industrieller Fabrikfertigung und der Eingliederung der Frau in den kapitalistischen Produktionsprozeß war weder bruchlos und geradlinig noch uneingeschränkt emanzipatorisch für die proletarischen Frauen, die sowohl den Ansprüchen des Kapitalismus als auch denen des Patriarchats genügen mußten. Sie verstanden ihre außerhäusliche Arbeit als Zwischenstadium zur anerkannten Hausarbeit und ihren Verdienst als Zusatzverdienst zum Familieneinkommen. Die Nichtwertschätzung der unbezahlten weiblichen Hausarbeit geht einher mit der allmählichen Übernahme bürgerlicher Begrifflichkeiten durch breite Volksschichten. (HH)
In: Praxis international: a philosophical journal, Band 7, Heft 2, S. 199-204
ISSN: 0260-8448
A review essay on Rolf Zimmerman's Utopie-Rationalitat-Politik Zu Kritik, Rekonstruktion und Systematik einer emanzipatorischen Gesellschafts theorie bei Marx und Habermas ([Utopia, Rationality, Politics. Toward a Critique, Reconstruction and Systematics of the Emancipatory Theory of Society in Marx and Habermas], Freiburg/Munchen: Alber Verlag, 1985 [see lising in IRPS No. 44]). The political implications of recent criticisms of Jurgen Habermas's consensus theory of truth, specifically those of Zimmermann, are addressed. These criticisms point out the emptiness of a purely procedural conception of truth as consensus, & that consensus may be a necessary but not sufficient condition for true propositions. These objections do indicate some real difficulties in the relation of semantics & pragmatics in Habermas's theory. However, they do not have the political consequences some authors like Zimmermann wish to draw: ie, that no criteria of consensus have anything to do with politics, since this is an ill-advised inference from the sphere of knowledge to the sphere of the will. It is argued that this political objection is a serious misunderstanding of both democratic politics & of the consensus theory of truth. In science, a theory of truth does not work by picking out individual sentences as true; rather, it serves as a guide to epistemic practices. Similarly, rational consensus, arrived at through an ideal, counterfactual theory of practical truth, can have the same regulative function in political practice. Democracy requires just such a notion of practical truth. Modified AA
In: Internationale Politik und Gesellschaft: IPG = International politics and society, Heft 2, S. 160-175
"Demokratische Rechtsstaaten sind 'sozial' in dem Maße, wie sie allen Bürgern eine angemessene Teilhabe am nationalen Wohlstand ermöglichen. In den 1960er und 70er Jahren kamen mehrere kapitalistische Industriestaaten diesem Ziel nahe. 'Wohlstand für alle' stützte sich auf vier Säulen: (a) Vollbeschäftigung zu akzeptablen Löhnen (b) Absicherung gegen die Standardrisiken des Lebens (c) Einkommenshilfen für die von Armut bedrohten (d) unentgeltliche öffentliche Dienstleistungen (insbesondere Bildung). Heute steht die Aufrechterhaltung von 'Wohlstand für alle' vor vier großen Herausforderungen: (1) verschärftem internationalen Wettbewerb (2) Knappheit an hinreichend gut entlohnten Jobs, (3) der Alterung der Gesellschaft, (4) zunehmend unregelmäßigerem Arbeitsleben. Es geht aber nicht nur um materiellen Wohlstand, sondern auch um den Schutz der 'Lebenswelt' vor den Anforderungen des Marktes. Dies wird sowohl durch die Veränderungen des Arbeitslebens als auch durch die Erosion der traditionellen Familienfunktionen infrage gestellt. 'Wohlstand für alle' lässt sich angesichts aller vier Herausforderungen weiterhin (bzw. wieder) erreichen, wenn die wohlfahrtsstaatlichen Mechanismen sinnvoll angepasst werden. Angesichts verschärfter internationaler Konkurrenz gilt es, das Prinzip zu stärken, dass soziale Absicherung und Solidarität mit den Schwächeren keine Frage wirtschaftlicher Verkraftbarkeit, sondern politischer Prioritätensetzung ist. Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen verschleiern dieses Prinzip. Die Knappheit an 'gut' bezahlten Jobs ließe sich am besten durch beschleunigtes Wirtschaftswachstum beheben. Dieses ist anzustreben, aber Vollbeschäftigung ohne 'working poor' lässt sich auch bei langsamem Wachstum auf drei Wegen erreichen: (1) Zulassung eines Niedriglohnsektors durch Deregulierung des Arbeitsmarktes plus Einkommenshilfen bzw. Lohnsubventionen, (2) steuerfinanzierte Ausweitung staatlicher Beschäftigung, (3) Umverteilung der Arbeit. Keine der drei Lösungen ist freilich gratis zu haben. Die Alterung der Gesellschaft macht die Altersvorsorge teurer, ganz gleich welches Finanzierungssystem gewählt wird. Es liegt an den Bürgern, zu entscheiden, wie viel Vorsorge sie sich kollektiv oder individuell leisten wollen. Die 'soziale' Demokratie steht hier nicht auf dem Spiel. Die 'Entstandardisierung' des Arbeitslebens legt eine Entkopplung von sozialer Absicherung und Beschäftigung nahe. Im Interesse einer geschützten 'Lebenssphäre' wären ihr allerdings auch Grenzen zu setzen. Auch hier geht es nicht um ökonomische Notwendigkeiten, sondern um Prioritätensetzung. Die Erosion der traditionellen Familienfunktionen (weitgehend der emanzipatorischen Eigendynamik der Moderne geschuldet) lässt sich zumindest teilweise - durch durchlässigere Berufskarrieren (stärkere Anpassung der Arbeits- an die Lebenswelt) und öffentliche Kinderbetreuung kompensieren. Jeder der genannten Herausforderungen kann auf nationaler Ebene begegnet werden. Supranationale Lösungen sind evtl. hilfreich aber nicht notwendig. Die eigentliche Frage ist ob sich hinreichende politische Unterstützung für die notwendigen Anpassungsmaßnahmen mobilisieren lässt oder ob die Gesellschaft bereit ist, eine große Anzahl von Modernisierungsverlierern hinzunehmen. Die irreführende Ideologie 'Chancen- statt Ergebnisgleichheit' begünstigt Letzteres." (Autorenreferat)
Der vorliegende Bericht stellt ein Hilfsangebot für all jene zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGO) dar, die gerne diverser und inklusiver (DI) werden möchten. Dafür wurden verschiedene, kleinere Organisationen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft nach Beispielen und Gelingensbedingungen für ein gutes Diversitätsmanagement befragt, aktuelle Daten zum Diversitätsstand in der Zivilgesellschaft zusammengetragen und ein Modell entwickelt, das in den Handlungsfeldern Sensibilisierung, Empowerment, Teilhabe und Transparenz Methoden zur Umsetzung von DI an die Hand gibt und in der Anwendung der unterschiedlichen Aspekte von Diversität helfen kann. Im Ergebnis der Interviews und der Recherche sind folgende Punkte zentral: Nach wie vor gibt es zu wenig Diversität in der Zivilgesellschaft. Statistisch gesehen ist das Bild von Zivilgesellschaft noch von herkömmlichen Besetzungsstrukturen geprägt, d.h. die Führungspositionen sind von in der Regel nicht-behinderten, älteren, weißen Cis-Männern mit hohem Bildungsniveau und guter sozioökonomischer Herkunft besetzt. Auch das klassische Bild des Engagierten folgt diesen Kategorien. Viele Organisationen setzen sich für DI ein und sind sich auch der Intersektionalität bewusst, müssen aber häufig Akzente setzen. Es gibt teils große Unterschiede darin, welche Diversitätsdimensionen in der alltäglichen Praxis Berücksichtigung finden. Organisationen, die sich für emanzipatorische Themen engagieren oder einen Selbsthilfehintergrund haben, sind häufig diversitätsbewusster und ihnen gelingt es allgemein besser, Menschen diverser Hintergründe einzubinden. DI gelingt am besten im Zusammenspiel von Top down und Bottom Up und im holistischen Ansatz, d.h. im Zusammenspiel zwischen der Leitungsebene und Organisationsbasis sowie der Integration aller Organisationsbereiche. DI kostet Zeit, Wille und Geld, ist aber auch mit geringen Ressourcen machbar: Viele kleine Organisationen schrecken vor dem Thema Diversität zurück mit dem Hinweis, zu wenig Kapazitäten zu haben, um sich 'auch darum' noch kümmern zu können. Die Interviews zeigen jedoch, dass es möglich ist, auch mit kleinem Budget, dafür aber mit Willen zum Ziel zu gelangen. Es gibt immer mehr kostenlose Beratungsangebote, Tools oder open-source Programme und der Einsatz von externen Fachberatungen ist häufig in Relation zu anderen Kosten wie Personal oder Veranstaltungskosten plan- und überschaubar, auch für kleine ZGO. Insbesondere für kleinere ZGO gilt deswegen: Holen Sie sich Hilfe von außen! Externe unterstützen DI-Maßnahmen über den gesamten Prozess hinweg, indem sie Wissen und Tools mitbringen, aus einer neutralen Position bestehende Maßnahmen evaluieren und bei Konfliktfällen oder Übergriffen eine sichere Ansprechstelle bieten können. Für Organisationen mit kleinem Personalbestand bietet es sich an, externe Hilfestellung als Dienstleistung einzukaufen, da ein eigenes Diversitätsmanagement mit Personalstelle unrealistisch ist. Eine Frage des Willens: Mit der Studie wurde ein möglichst übersichtlicher Werkzeugkasten erstellt, gleichwohl muss die Entscheidung zur Anwendung jedoch aus der ZGO selbst kommen. Es gibt gute Argumente für ein Mehr an Diversität - es ist gerecht, rechtlich geboten und darüber hinaus für die Organisationsentwicklung und Nachwuchsgewinnung von großem Vorteil - diese Begründungen müssen aber nur nicht nur plakativ geäußert, sondern auch wirklich internalisiert werden.
In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung: ZMK, Band 7, Heft 2, S. 72-77
ISSN: 2366-0767
In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung: ZMK, Band 7, Heft 2, S. 64-70
ISSN: 2366-0767
In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung: ZMK, Band 9, Heft 2, S. 80-89
ISSN: 2366-0767