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Wie erging es Menschen mit Behinderungen in der DDR? Was erlebten die Bewohner von Kinder- und Jugendheimen? Vom BMBF finanzierte Forschungsvorhaben sind solchen Fragen nachgegangen. Doch spätestens 2025 droht vielen Projekten das Aus.
Der ehemalige Geschlossene Jugendwerkhof Torgau ist heute eine Gedenkstätte. Kann die wissenschaftliche Forschung zu "DDR-Spezialheimen" fortgesetzt werden? Foto: PeterBraun74 / CC BY-SA 4.0.
DEN GESCHLOSSENEN JUGENDWERKHOF TORGAU haben viele seiner früheren Bewohner auch Jahrzehnte später nicht vergessen. Der Forschungsverbund "DDR-Spezialheime" gab ihnen die Gelegenheit, ihre teilweise traumatischen Erlebnisse in autobiographischen Interviews mit Wissenschaftlern zu berichten – und damit zur historischen Aufarbeitung eines vorher kaum bekannten Kapitels ostdeutscher Geschichte beizutragen. Zur Erforschung der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in Spezialheimen gehörten genauso Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern und eine aufwändige Analyse von Akten, Dokumenten und Literatur. Doch jetzt ist Schluss. "Wir hätten einen Antrag auf eine Förderverlängerung stellen können", sagt die Dresdner Sozialpädgogik-Professorin Cornelia Wustmann. "Aber nur um zwei Jahre und mit 50 Prozent weniger Fördermitteln. Das hat für uns nicht zusammengepasst mit dem Aufwand des neuen Antrags und den unsicheren Aussichten auf Erfolg."
14 Forschungsverbünde umfasste die 2018 gestartete BMBF-Förderlinie zur DDR-Forschung in ihrer ersten Programmphase. Drei bis vier Jahre Projektfinanzierung, die ungewöhnliche Kooperationen ermöglichte zwischen Hochschulen, Forschungsinstituten, Schulen, Museen, Opferverbänden und Gedenkstätten – wie im Falle von Torgau die des Geschlossenen Jugendwerkhofs. Das Spektrum der Forschungsthemen reichte von Fluchtversuchen und dem Grenzregime über die DDR-Umweltpolitik im Vergleich zu Westdeutschland bis hin zum medialen Erbe der DDR.
Nach erfolgreicher Begutachtung, versprach die Richtlinie von 2017, könne eine "Weiterförderung um bis zu zwei Jahre erfolgen". Doch, kritisiert die CDU-/CSU-Fraktion im Bundestag, in Wirklichkeit habe das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die DDR-Forschung jetzt drastisch gekürzt. So sehr, dass etwa das Torgau-Projekt freiwillig ausstieg und andere unfreiwillig aussortiert wurden.
Nicht einmal mehr Zeit für die Arbeitslos-Meldung
Gern weitergemacht hätte etwa das Verbundteam um Sebastian Barsch. Unter dem Kürzel "DisHist" haben Wissenschaftler der Uni Kiel und der Universität der Bundeswehr München den Alltag von Menschen mit Behinderungen in der DDR erforscht. "DisHist" war das erste Projekt der Förderlinie überhaupt, so dass es auch als erstes seinen Verlängerungsantrag stellen konnte. Der zunächst positiv begutachtet wurde, vom Projektträger DLR kam sogar die Nachricht, dass die Mittel für DisHist bereits im Haushalt eingeplant seien.
Doch dann begann vergangenen Sommer die Hängepartie für diese und weitere geistes- und sozialwissenschaftliche Förderlinien. Das BMBF verwies auf die "besonderen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg". Zwei Wochen vor dem geplanten Förderbeginn zum 1. September 2022 erhielten Barsch und seine Mitstreiter die vorläufige Absage inklusive Hinweis, dass die DLR-Nachricht noch keine Zusage bedeutet habe. Wenn es Geld gebe, dann aus haushalterischen Gründen frühestens im Jahr 2023.
Die knappe Absage bedeutete, dass die betroffenen drei Projektmitarbeiter nicht einmal mehr ihre Arbeitslos-Meldung fristgerecht hätten einreichen können, sagt Barsch. Bis zur endgültigen Ablehnung vergingen weitere sechs Monate. Die Summe der Anträge in der Förderlinie habe die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel überstiegen, teilte das DLR mit, daher würden nur die von den Gutachtern am besten bewerteten Projekte gefördert.
Der Umfang der Kürzungen ist unklar
Im BMBF-Fördertitel für die Geistes- und Sozialwissenschaften insgesamt sind 2023 mit 108 Millionen Euro sogar knapp drei Millionen mehr vorgesehen als 2022, wobei nicht extra ausgewiesen wird, wieviel davon dieses Jahr in die DDR-Forschung fließt. BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg betonte Ende April auf eine parlamentarische Anfrage der Unionsfraktion hin, die Finanzierung der Verlängerungsphase entspreche der bereits bei Ausschreibung im Jahr 2017 "vorgegebenen Maßgabe einer degressiven Förderung".
Was das BMBF nicht sagt: wie viele der 14 Verbundprojekte bereits nicht mehr dabei sind. Über den Förderumfang in der zweiten Phase können aktuell "noch keine konkreten Angaben gemacht werden, weil das Auswahl- und Bewilligungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist", teilt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage mit.
"Das BMBF muss dringend für Aufklärung sorgen", sagt der zuständige Berichterstatter der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Lars Rohwer. Die Verunsicherung in der DDR-Forschungscommunity sei groß. Denn abgesehen von der Ausgestaltung der zweiten Projektphase drohe 2025 endgültig die Abbruchkante, wenn die bisherige, noch unter CDU-Forschungsministerin Wanka beschlossene Förderlinie auslaufe. "Es ist nachvollziehbar, dass jede Ministerin ihre eigenen Schwerpunkte setzt, aber Frau Stark-Watzinger muss endlich sagen, was das für die DDR-Forschung bedeutet." Und zwar so rechtzeitig, dass die erneute Unsicherheit nicht zu einem weiteren Verlust wertvoller Forschungsmitarbeiter führe.
Die BMBF-Sprecherin sagt, über eine etwaige Fortführung der Förderung der DDR-Forschung nach 2025 könne zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage getroffen werden.
Cornelia Wustmann sagt, für historische Forschung gebe es immer ein Zeitfenster. Man könne nicht zu früh starten, weil dann die nötige Distanz noch nicht da sei. Und wenn man zu lange warte, seien irgendwann die Zeitzeugen nicht mehr da. "Eigentlich", sagt sie, "müsste jetzt gerade die Hochphase der DDR-Forschung beginnen."
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Auf gewaltige 47,4 Milliarden Euro beziffern die Kommunen den Sanierungsbedarf. Doch wenn es um Schul- und Unigebäude geht, fehlt in "Doppel-Wumms"-Deutschland das Geld. Und der Wille.
Erst mussten fast alle zu Hause lernen, dann gab es Wechselunterricht: So startete das neue Schuljahr an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Kerpen. Foto: Screenshot von der Website.
NEIN, SAGT THOMAS MARNER, diese Misere habe keiner vorhersehen können. "Das war ein absolut unsachgemäßer Bauablauf." Marner ist Erster und Technischer Beigeordneter der Stadt Kerpen bei Köln, und seit August musste er einen zerknirschten Brief nach dem anderen an die Eltern der Willy-Brandt-Gesamtschule und der Realschule im selben Gebäude schreiben. Über dramatische Wasserschäden und Schimmelfall. Die Anordnung von Distanzunterricht, Wechselunterricht und das Verfrachten mehrerer Schulklassen in die Turnhalle.
Kerpen ist kein Einzelfall. Überall in Deutschland zerbröseln Schulen. Und mit ihnen die Grundlage für eine solide Bildung, für Wissenschaft, für Innovationen, für Wirtschaftskraft. Zig Milliarden Euro müssten für die Sanierung von den Kommunen aufgebracht werden. Doch es liegt nicht allein am Geld, dass Renovierungen verschleppt, Sanierungen vertagt und Bauarbeiten über Jahre und Jahrzehnte gestreckt werden. Das zeigen Beispiele wie der Willy-Brandt-Schule in Kerpen und der Kurt-Schumacher-Grundschule in Berlin-Kreuzberg.
In Kerpen stammt das Schulgebäude zu großen Teilen aus den 70er Jahren, besonders dringend mussten die Flachdächer über den Fachräumen für Musik und Naturwissenschaften saniert werden. In den Sommerferien legten die Dachdecker los – und hätten dann alle Lichtkuppeln auf einmal entfernt, anstatt sie einzeln auszutauschen, sagt Marner. Als nächstes begann der Regen. Wasser strömte ein, durchnässte Räume, Mobiliar und Ausstattung – mehrere Male. So genau wisse sie das nicht, sagt Kristiane Benedix, die stellvertretende Schulleiterin der Willy-Brandt-Schule. Aber die Feuerwehr sei mindestens einmal gekommen.
"Es war wie in Corona-Zeiten", sagt der Vater eines Achtkässlers
Kurz darauf die nächste Hiobsbotschaft: Tests ergaben, dass sich Schimmelsporen ausgebreitet hatten, vor allem in die angrenzenden Gänge und dort in die Zwischenräume der abgehängten Holzdecken. "Praktisch alle Schüler und Lehrer beider Schulen mussten da durch, das konnte ich nicht verantworten", sagt Marner. Weshalb er die Sperrung des Gebäudes anordnete.
"Es war wie in Corona-Zeiten", sagt Markus Rixen, dessen Sohn in die achte Klasse geht. "Distanzunterricht für fast alle Klassen. Angekündigt von einem Tag auf den nächsten." Doch das war nur der Anfang. Der Ausnahmezustand an der Willy-Brandt-Schule würde sich bis zu den Herbstferien fortsetzen.
Auf gewaltige 47,4 Milliarden Euro beziffern die deutschen Kommunen im jährlich erhobenen Kommunalpanel der KfW-Bankengruppe den aktuellen Sanierungsbedarf an ihren Schulen. "Wenn in Kommunen das Geld knapp ist, werden anstehende Bauinvestitionen mit als erstes aufgeschoben", sagt KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. "Gebäude schreien halt nicht, wenn sie erst ein Jahr später saniert werden."
Und wenn dann endlich saniert wird, geht mitunter noch schief, was schiefgehen kann. Nur noch episch zu nennen ist der Super-Gau, der die Schüler, Eltern und Lehrkräfte der Kurt-Schumacher-Grundschule in Berlin-Kreuzberg 2012 ereilte. Von einem Tag auf den anderen wurde das Haus nach einer Brandbegehung geschlossen. Kinder und Kollegium saßen im Hortgebäude fest, ohne Mensa, ohne Sporthalle, ohne Fachräume, für mehr als ein Jahrzehnt. So lange dauerte es, bis auch nur der erste Bauabschnitt fertig war.
Eltern twitterten vom Schul-"BER Kreuzberg"
"Leider hat man sich damals für eine Sanierung entschieden, der Neubau wäre schon längst fertig", sagt Schulleiterin Anna Vonhof. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg habe "versäumt, ausreichende Bausubstanzuntersuchungen durchzuführen", urteilte 2019 der Landesrechnungshof.
Auf Twitter machte die Schule als "BER Kreuzberg" Karriere, weil eine Elternvertreterin diesen Skandal nicht mehr hinnehmen wollte und öffentlich machte. "Mittlerweile hat die erste Generation von Schülern die Kurt-Schumacher-Grundschule verlassen, ohne jemals einen Fuß in das Schulgebäude oder die Turnhalle gesetzt zu haben", schrieb sie. Und weiter: Über Jahre hätten die Bauarbeiten geruht, mehrfach seien "Firmen insolvent gegangen, hätten den Auftrag gekündigt oder wurden gekündigt", kann man auf der "BER- Kreuzberg"-Website nachlesen.
Inzwischen ist die Elternvertreterin längst weg, doch die Geschichte eines öffentlichen Komplett-Versagen geht weiter. Der zweite Gebäudeteil soll angeblich bis 2026 fertig sein, doch, sagt Schulleiterin Vonhof, "dafür müssten die Arbeiten am zweiten Bauabschnitt erstmal beginnen. Doch da passiert gar nichts." Sie richte sich darauf ein, dass es bis weit nach 2026 dauern werde, "das sagt mir zwar bei den Behörden keiner so, aber die Erfahrungen der letzten Jahre sprechen dafür."
Andy Hehmke ist seit Ende 2021 Stadtrat für Schule, Sport und Facility Management im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, womit er nach eigenen Worten "letztlich die politische Verantwortung" trage, dass der zweite Bauabschnitt bald fertig werde. Allerdings räumt er ein, dass bereits eine Verzögerung eingetreten sei, statt Sommer soll nun Ende 2026 Fertigstellung sein. Die Schule sei informiert worden, im Januar treffe er sich in großer Runde vor Ort mit Schulleitung, Elternvertretung und Hochbauservice.
Seit Beginn der Berliner Schulbauoffensive laufe vieles anders als früher, versichert Hehmke, jetzt gebe es bei großen Sanierungen zunächst ausführliche Bedarfsprogramme mit Beteiligung der Schule, gegebenenfalls Machbarkeitsstudien und Bausubstanzuntersuchungen. "Damals war all dies nicht der Fall. Die Schließung kam völlig unerwartet. Es war kein Geld vorhanden. Der Bezirk versuchte damals, mit wenigen Mitteln schnell zu reagieren und stellte erst im Prozess fest, was hier eigentlich an Problemen vorhanden ist."
Für nichts geben Kommunen mehr aus als für ihre Schulen, trotzdem wächst der Sanierungsstau
Die Erhebung der KfW-Bankengruppe zeigt, dass die deutschen Kommunen gegenwärtig für nichts mehr ausgeben als für ihre Schulen. 12,1 Milliarden Euro sind es dieses Jahr, 28 Prozent aller geplanten Investitionen. Trotzdem reicht das nicht einmal, um den Sanierungsstau nicht noch weiter wachsen zu lassen: um 800 Millionen Euro gegenüber 2022.
Hinzu kommt, dass die Not der Schulen sehr ungleich verteilt ist: 47 Prozent der Kommunen sehen keinen oder nur einen geringen Investitionsrückstand. 39 Prozent bezeichnen ihn als nennenswert. Und 13 Prozent als gravierend. "Aus den Daten können wir nicht ableiten, ob diese 13 Prozent die besonders armen sind", sagt KfW-Volkswirtin Köhler-Geib. Das sei indes eine valide Vermutung. "Denn eine angespannte Haushaltslage ist eines der wichtigsten Investitionshemmnisse für Kommunen."
Welche Schulen dann zuerst dran sind mit der Sanierung und welche warten müssen, hat womöglich zudem noch mit dem gesellschaftlichen Druck zu tun, den die Eltern machen können – oder eben auch nicht. Anna Vonhof will darüber nicht spekulieren, doch fest steht: 269 der 288 Schüler der Kurt-Schumacher-Schule stammen aus Familien, in denen Deutsch nicht die erste Sprache ist. Und auch an der Willy-Brandt-Schule in Kerpen gibt es sehr viele sozial benachteiligte Familien.
Geld, sagt KfW-Chefvolkswirtin Köhler-Geib, sei in jedem Fall nur ein Problem, und welche Rolle die angeblich so knappen Kapazitäten bei Handwerkern und Baufirmen spielt, lasse sich kaum einschätzen. Worüber die Kommunen bei Umfragen neben der Finanzlage aber stets als erstes klagten, sei der dramatische Personalmangel in ihren Verwaltungen. "Viele Investitionsvorhaben scheitern daran, dass es keinen gibt, der sie betreuen und umsetzen kann."
Der Schul-Stadtrat verweist auf "mehr Bürokratie bei gleichzeitigem Fachkräftemangel"
Fragt man den Kreuzberger Schul-Stadtrat Hehmke, warum es schon wieder Bauverzögerungen gibt an der Kurt-Schumacher-Schule, verweist er zunächst auf neues EU-Recht, das noch aufwändigere und zeitraubende europaweite Ausschreibungen vorsehe. Und dann ebenfalls auf die Personalnot: Mehrere Stellen im Hochbauservice seien nicht besetzt, und es gebe kaum oder gar keine Bewerbungen bei Ausschreibungen. "Mehr Bürokratie bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Dies sind die Gründe."
Auch Thomas Marner von der Stadt Kerpen sagt: "Jahrzehntelang hat uns das Geld gefehlt, jetzt fehlt uns ganz massiv das Personal."
Wer darunter leidet, sind vor allem die Schülerinnen und Schüler, 1200 an der Willy-Brandt-Schule. Am ersten Schultag Anfang August durften nur die 12. und 13. Klassen kommen und wurden im Kerpener Gymnasium unterrichtet. Die Klassen 5 bis 11 mussten komplett zu Hause bleiben. "In der dritten Schulwoche", berichtet Kristiane Benedix, "haben wir dann für die Jahrgänge 8 und 9 Wechselunterricht begonnen", im tageweisen Wechsel. Die restlichen Jahrgänge seien in Präsenz, teilweise in Fachräumen beschult worden.
So lange dauerte es, bis die Behörden zumindest den Anbau aus den 90er Jahren für schimmelfrei befunden hatten. Nochmal zwei Wochen später, nachdem weitere Gebäudeteile "freigetestet" waren, wie Benedix das nennt, gab es wieder für alle täglich Unterricht. Doch kamen die sechs achten Klassen, insgesamt über 150 Schüler, komplett in der Turnhalle unter, voneinander nur mit Planen getrennt, bei Temperaturen von teilweise über 30 und Frischluftzufuhr nur über die Lüftungsanlage. Die Mensa wurde zum Lehrerzimmer umfunktioniert. Bis zu den Herbstferien waren immer noch 13 Klassen- und Kursräume und fast alle Fachräume gesperrt.
Markus Rixen gehörte zu den Eltern, die sich das nicht gefallen lassen wollten von der Stadt. Er habe sich einen Anwalt genommen, erzählt er, "nachdem die Stadt Kerpen zuvor die Erstattung der uns durch das Homeschooling entstandenen Kosten abgelehnt hat, da laut NRW-Gesetzgebung kein Anspruch auf Präsenzunterricht bestehe." Das stimme jedoch nicht, sagt Rixen. "Laut Anwalt darf Distanzunterricht nur im Pandemiefall angeordnet werden, im Falle einer großen Naturkatastrophe oder bei Erkrankung zu vieler Lehrer. Nicht aber, weil die Stadt ein Sanierungschaos nicht in den Griff bekommt." Sechs Wochen nach Schuljahrsbeginn durften die Achtklässler dann in ihre Klassenräume zurückkehren.
Warten, bis die Versicherung zahlt?
Thomas Marner von der Stadt sagt, er könne keine rechtliche Grundlage für den Distanzunterricht nennen. "Aber aus gesundheitlichen Gründen hatte ich schlicht keine andere Wahl." Davon habe er auch die Schulaufsichtsbehörde und die Bezirksregierung sofort informiert.
Frustrierend sei, sagt Fritzi Köhler-Geib von der KfW, dass die Kommunen in den vergangenen Jahren nah daran gekommen seien, den Sanierungsstau in den Schulen endlich zu verkleinern. "Doch jetzt hat sich ihre Finanzlage drastisch verschlechtert, wozu die Wirtschaftslage ebenso beiträgt wie steigenden Kreditzinsen und die Zunahme der zu betreuenden Geflüchteten. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an den Klimaschutz und die Digitalisierung stark an." Die Schlussfolgerung der KfW-Chefsvolkswirtin: "Ohne zusätzliche Finanzmittel von den Ländern und dem Bund werden viele Kommunen das nicht schaffen können."
An der Willy-Brandt-Schule öffnete elf Wochen nach den Sommerferien die Mensa wieder. "Endlich", steht auf der Website. Ihre große Sorge, sagt Kristiane Benedix, seien jetzt die naturwissenschaftlichen Fachräume – also da, wo das Wasser eingedrungen sei. Im letzten Brief, den Thomas Marner an die Eltern geschrieben hat, hieß es, die Stadt arbeite "mit Hochdruck" an deren Wiederherstellung, "doch hier sind wir aber sehr stark abhängig von der Versicherung des Verursachers, bedeutet hier haben wir die zeitliche Abwicklung nicht alleine in der Hand." Kristiane Benedix sagt, das mache ihr Sorgen, weil sie keinerlei Zeitplan habe.
Thomas Marner sagt, es gehe hier um einen Millionenschaden. Er fürchtet, dass man ohne Freigabe der gegnerischen Versicherung den Anspruch verwirke. Deshalb müsse man leider abwarten, doch sei er optimistisch, dass man sich bald einig werde. Im Übrigen sei er der Meinung, "dass man Biologie oder Physik zur Not auch mal eine Weile theoretisch und ohne praktische Experimente unterrichten kann."
Markus Rixen sagt: Er frage sich, warum die Stadt einerseits ihren Bildungsauftrag beschwöre, anderseits aber nicht das Geld aus ihrem Haushalt vorstrecken wolle. "Mir fehlt hier in einem großen Maße auch das Schuldbewusstsein der Verantwortlichen der Stadt Kerpen."
Dieser Beitrag erschien in kürzerer Fassung zuerst im Tagesspiegel.
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Bekommt man ein Kind während der Doktorarbeit, besteht gesetzlich die Möglichkeit, zwei Jahre länger von der Universität beschäftigt zu werden.Warum passiert das so selten?
WENN LEONIE RUDOLFS von ihrer Erfahrung mit der Personalabteilung der Freien Universität (FU) erzählt, kehrt die Wut zurück. Rudolfs, die eigentlich anders heißt, ist 36, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern im Grundschulalter, promoviert in Bildungswissenschaft.
Sie sei nach Auslaufen einer Projektstelle während ihrer Promotion davon ausgegangen, die Uni ermögliche ihr die Weiterqualifizierung, erzählt sie. "Doch obwohl meine Professorin mich als ihre Mitarbeiterin einstellen wollte, hat man mir einen Arbeitsvertrag verweigert." Die FU habe den Fall "über Monate verschleppt".
Mindestens zwei weiteren jungen Wissenschaftlerinnen mit Kindern an der FU ist es genauso gegangen: Sie befanden sich mitten in ihrer Promotion, ihre Professor:innen wollten sie unbedingt haben, das Geld für die Stelle am Lehrstuhl war da – doch die Personalabteilung sagte: Rechtlich ausgeschlossen. Das Problem ist, das stimmte womöglich gar nicht.
Wie kann das sein? Die Antwort beginnt mit dem langen Wort Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Es regelt zurzeit, dass nach sechs Jahren befristeter Beschäftigung bis zur Promotion an deutschen Unis Schluss ist. Mit Doktortitel gibt es nochmal sechs Jahre, spätestens dann muss eine Dauerstelle her. Per Zeitvertrag ist die Weiterarbeit sonst allenfalls noch auf einer drittmittelfinanzierten Stelle möglich.
Es gibt aber Ausnahmen, etwa zählt die sogenannte "familienpolitische Komponente": Für jedes minderjährige Kind können laut einem Paragrafen des WissZeitVG akademische Arbeitgeber zwei Jahre an die maximale Befristungszeit dranhängen. Die Betonung auf Können – eine Verpflichtung per Gesetz dazu gibt es bislang nicht.
Rudolfs hatte sich auf ihre mit der Professorin abgesprochene – erstmals haushaltsfinanzierte – Doktorandenstelle gefreut. Im Januar 2023 sollte es losgehen, ein nahtloser Übergang von ihrer bisher drittmittelfinanzierten Stelle. Ihre Chefin reichte den Antrag bei der Personalabteilung im August 2022 ein, doch dann passierte über Monate nichts. Kein Wort von der Personalabteilung, trotz mehrerer Nachfragen. Rudolfs meldete sich vorsorglich arbeitssuchend.
Verzögert über Monate
Selbst als ihre Professorin die FU-Verwaltung per Fristsetzung zum Handeln aufforderte, gab es keine Antwort. Dafür sickerte irgendwann informell durch, dass das nichts werden würde mit der Stelle. Im Januar 2023, Rudolfs hätte längst angestellt sein sollen, kam von der Personalabteilung ein Zweizeiler, die Einstellung auf einer Haushaltsstelle sei nicht möglich. Ohne jede Begründung.
Eine Nachfrage bei der Pressestelle der FU zeigt, dass dort die horrende Bearbeitungszeit und Nicht-Kommunikation, die Rudolfs so frustriert hat, nicht bestritten wird. "Bedauerlicherweise" gebe es derzeit "allgemein Verzögerungen bei der Bearbeitung von Einstellungsvorgängen und Personalanträgen". Schuld seien "demografische Veränderungsprozesse und Folgen des Fachkräftemangels". Man steuere aber bereits dagegen an.
Und wie ist das nun mit der familienpolitischen Komponente? Die lasse sich bei Neueinstellungen bedauerlicherweise rechtlich nicht umsetzen, betont die Pressestelle. Beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hierzu nachgehakt, teilt eine Sprecherin mit, man könne sich zu Einzelfällen nicht äußern.
Grundsätzlich aber gelte: Falls an eine Drittmittelbefristung eine Qualifizierungsbefristung anschließt, "greifen die Verlängerungen der Höchstbefristungsgrenze aufgrund der familien- und behindertenpolitischen Komponenten." Ein neuer Vertrag wäre also kein Hinderungsgrund – zumal der alte wie der neue Arbeitgeber in Rudolfs’ Fall FU heißen sollte.
Dort gibt man sich verwundert. "Wir sind bislang von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen." Und auf welcher Grundlage genau? "Wir wissen, dass auch andere Universitäten unsere Rechtsauffassung zu haushaltsfinanzierten Anschlussverträgen nach Drittmittelbeschäftigung teilen und das so handhaben", lautet die Antwort nur. Die Sprecherin ergänzt aber, man werde die Rechtslage jetzt noch einmal prüfen.
Alles nur ein mögliches Missverständnis? Wer mit Anna-Thekla Jäger spricht, kann daran seine Zweifel bekommen. Jäger ist 35, Mutter von zwei Kitakindern und promoviert ebenfalls an der FU. Wie Rudolfs wollte sie in Absprache mit ihrem Professor von einer Drittmittelstelle auf eine Haushaltsstelle wechseln und parallel die Verlängerung in Anspruch nehmen – was die Personalstelle abgelehnte.
Ein Gespräch mit der Verwaltung sei dann, wie Jäger sagt, "frustrierend, ermüdend und wenig transparent verlaufen", woraufhin sie "die große Trommel gewirbelt" habe. Jäger sprach mit der Frauenbeauftragten, mit dem FU-Familienbüro, sie bekam eine Broschüre der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in die Hand gedrückt, in der explizit stand: Folgt auf einen Drittmittelvertrag eine Haushaltsstelle zur Qualifizierung, "kann die familienpolitische und behindertenpolitische Komponente zur Anwendung kommen". Doch jedes Argumentieren mit der Rechtslage laut Broschüre hätte sie gegenüber der FU-Personalstelle als vergeblich empfunden, sagt Jäger, woraufhin sie es gar nicht mehr versuchte. Während Leonie Rudolfs berichtet, sie habe die Broschüre sogar an die Personalabteilung geschickt.
Die Gewerkschaft vermutet denn auch bei vielen Hochschulen in Deutschland Methode hinter der zurückhaltenden Anwendung der freiwilligen Verlängerungsoptionen, zu denen auch der Nachteilsausgleich bei Behinderungen zählt. "Viele Arbeitgeber lehnen beide Komponenten grundsätzlich ab", sagt der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller.
In der Regel keine Verlängerung
Tatsächlich belegte eine vom BMBF in Auftrag gegebene unabhängige Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vergangenes Jahr: 42 Prozent der befragten Personalabteilungen bundesweit antworteten, "dass es diese Fälle bei ihnen nicht gebe". Und die Autoren kommentierten: "Der hohe Wert überrascht." In einer repräsentativen Stichprobe kam die Studie auf lediglich 1,1 Prozent aller befristeten Wissenschaftlerarbeitsverträge bundesweit, die aufgrund der Kinderbetreuungs-Verlängerungsoption liefen.
Und wie viele davon gibt es an der FU? Aktuell zwölf, sagt die Sprecherin – von rund 1000 Arbeitsverträgen.
Die GEW fordert für die bevorstehende WissZeitVG-Novelle unter anderem, aus der Kann- eine Muss-Bestimmung zu machen, also, sagt Andreas Keller, "einen Anspruch auf Vertragsverlängerung bei Kinderbetreuung, Behinderung/chronischer Erkrankung, Pflege Angehöriger und Nachteilen aus der Coronapandemie".
Anna-Thekla Jäger und Leonie Rudolfs hatten Glück. "Ich habe zeitnah eine andere Drittmittelstelle gefunden, da kann ich jetzt bis Herbst 2025 weitermachen, allerdings auf einem Forschungsprojekt, das nicht meins ist", sagt Jäger. Auch Rudolfs berichtet, ihre Professorin habe gewirbelt – und erreicht, dass sie noch einmal für anderthalb Jahre auf Drittmittelstellen arbeiten kann. Was dann kommt, wisse sie noch nicht. Was sie wisse, sagt Rudolfs: So eine Geringschätzung will sie nicht noch einmal erleben.
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Der BMBF-Haushalt soll 2024 um 1,16 Milliarden schrumpfen. Schaut man sich den Plan genauer an, entsteht trotzdem der Eindruck, die Ministerin habe sich erstaunlich gut geschlagen. Allerdings gibt es eine große Ausnahme: Vor allem beim BAföG-Titel wird gekürzt.
Foto: Pxhere.
ERST AM MITTWOCH soll der Haushaltsentwurf der Bundesregierung ins Bundeskabinett gehen. Doch mir lag das Papier bereits vor. Demnach sind für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für das kommende Jahr 20,300 Milliarden Euro vorgesehen: rund 507 Millionen Euro weniger, als in der mittelfristigen Finanzplanung vom August 2022.
Nimmt man als Referenzwert die Soll-Ausgaben des laufenden Jahres, ergibt sich zwar ein noch größerer Rückgang um 1,162 Milliarden Euro, was rund 5,4 Prozent entspräche (während der Bundeshaushalt insgesamt um 6,4 Prozent schrumpfen soll). Doch übertreibt dieser Vergleich das tatsächliche BMBF-Minus. Denn der Großteil dieser Differenz, 700 Millionen Euro, erklärt sich aus dem Wegfall der Energie-Einmalzahlung an Studierende und Fachschüler.
Mit einem blauen Auge davongekommen?
Hat Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) also gut verhandelt, hat sie die Connections zu ihrem Parteifreund Christian Lindner so erfolgreich genutzt, dass das BMBF beim Zeitenwende-Sparhaushalt entgegen der Unkenrufe mit einem blauen Auge davonkommt?
Auf den ersten Blick: ja. Ein Weniger von rund 500 Millionen Euro entspricht einem Minus von 2,4 Prozent. Das muss aus einem so großen Haushalt herauszuholen sein. Einerseits. Andererseits sind von den (ohne Einmalzahlung) 20,762 BMBF-Milliarden in diesem Jahr ein Großteil gebunden, das heißt: Sie werden durch Vereinbarungen vor allem mit den Bundesländern auch nächstes Jahr fällig, zum Teil sogar mit einem garantierten Aufwuchs.
Rechnet man zum Beispiel den Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken" (2023: 1,94 Milliarden, 2024: 2,05 Milliarden), die Zahlungen an die vier großen Forschungsorganisationen Max Planck, Helmholtz, Fraunhofer und Leibniz (2023: 5,73 Milliarden, 2024: 5,86 Milliarden) und an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (2023: 2,04 Milliarden, 2024: 2,08 Milliarden) zusammen, sind allein durch diese Posten 2023 rund 9,71 Milliarden Euro verplant, 2024 sind es sogar rund 9,99 Milliarden.
Das wird weder den Hochschulen noch den Forschungsorganisationen reichen, um die Inflation auszugleichen, und doch sind sie durch die garantierten Aufwüchse in einer privilegierten Lage. Addiert man noch die Exzellenzstrategie und das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (400 Millionen bzw. 121 Millionen in beiden Jahren) hinzu, ist mit gut 10,51 Milliarden Euro mehr als die Hälfte des BMBF-Haushaltes im nächsten Jahr gebunden. Und der Resthaushalt des Ministeriums verringert sich (Energie-Einmalzahlung wieder rausgelassen) von 10,53 auf 9,79 Milliarden.
Das bedeutet: Die kleinere Hälfte des BMBF-Haushalts muss das komplette Minus und den Zuwachs der anderen (größer werdenden) Hälfte tragen. Wobei diese Darstellung noch simplifiziert ist, denn auch diese Spar-Hälfte enthält weitere nicht kürzbare Posten, etwa die den Akademien ebenfalls zugesagte jährliche Erhöhung um drei Prozent. Das heißt immer noch nicht, dass Stark-Watzinger schlecht verhandelt hat, es zeigt nur, unter welchen Zwängen ihr Ministerium 2024 und vor allem dann 2025 steht.
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, an wie vielen Stellen die Ministerin voraussichtlich nicht sparen wird, zumindest nicht auf der Ebene der Haushaltstitel und Titelgruppen. Bei der besonders diskutierten Förderung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung etwa soll es eine leichte Aufstockung um 1,5 auf 107 Millionen Euro geben (was das für einzelne Förder-Schwerpunkte bedeutet, bleibt freilich abzuwarten); die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) wächst wie versprochen um 23,5 auf 81 Millionen.
Die Stiftung "Innovation in der Hochschullehre" bekommt nur scheinbar weniger (110 statt 150 Millionen), tatsächlich steuern von 2024 an die Länder vereinbarungsgemäß die übrigen 40 Millionen bei. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) springt um 43 auf 190 Millionen, sogar die immer noch nicht gegründet Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) wird um 28,8 auf 78,8 Millionen aufgestockt, wobei 35,4 Millionen davon (Vorjahr: 15 Millionen) bis zur Aufhebung durch den Haushaltsausschuss gesperrt sind.
Bei einem Posten dürften die Bildungs- und Wissenschaftsminister der Länder aufmerken: Sie hatten die Fortsetzung der Ende 2023 auslaufenden Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) gefordert, Stark-Watzinger hatte das abgelehnt. Trotzdem stehen 2024 immerhin 52,3 Millionen Euro in dem bisherigen QLB-Titel, der einen neue Bezeichnung trägt: "Professionalisierung pädagogischer Prozesse". Dahinter verbergen sich allerdings neben QLB-Ausgaberesten die aus EU-Mitteln finanzierten "Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten" (50 Millionen), die bislang im Titel der Nationalen Bildungsplattform (siehe unten) untergebracht waren. Von der Planung eines QLB-Nachfolgeprogramms also tatsächlich keine (haushalterische) Spur.
Gespart wird vor allem am Bafög-Titel
Wo aber wird denn dann – abgesehen von Posten, die ohnehin abgeschmolzen werden sollten – am kräftigsten gespart? Die eindeutige Antwort: vor allem beim BAföG. Für die Studierenden sind 1,37 Milliarden und damit 440 Millionen weniger als 2023 vorgesehen – und bei den Schülern 551 Millionen, 212 Millionen weniger. Auf den zweiten Blick muss man allerdings auch hier differenzieren: Die eingeplanten Ausgaben orientierten sich laut BMBF an wissenschaftlichen Prognosen (wohl vor allem des Fraunhofer-Instituts für angewandte Informationstechnik (FIT), was Schüler und Studierende im kommenden Jahr erfolgreich beantragen werden – auf Grund der geltenden Rechtslage.
Was zwei aufschlussreiche Schlussfolgerungen zulässt. Erstens: Finanzministerium und BMBF preisen offenbar ein, dass die von Stark-Watzinger als so großzügig gepriesene BAföG-Erhöhung vom vergangenen Jahr verpufft – und die Zahl der Empfänger nach einer zwischenzeitlichen Stagnation sogar wieder zurückgehen könnte. Zweitens: Obwohl dies so ist, wird keine sichtbare Vorsorge getroffen für die dringend nötige weitere Anhebung der Bedarfs- und Fördersätze in 2024, denn dafür müsste es wie in der Vergangenheit üblich einen Puffer geben.
Sollte es nächstes Jahr bei geltender Rechtslage doch mehr BAföG-Bezieher geben und sollten diese mehr beantragen als Geld im Haushalt vorhanden, muss und wird das BMBF zwar zahlen (und zur Deckung zur Not wiederum anderswo einsparen müssen, falls das Finanzministerium nichts nachschießt). Klar ist allerdings auch: Die Erhöhung der Fördersätze und erst recht die versprochene große BAföG-Reform noch in dieser Legislaturperiode würde massiv zusätzliches Geld erfordern.
Weniger für Lebenswissenschaften
Ansonsten sind 2024 Rückgänge etwa der Förderung der Lebenswissenschaften (-151 Millionen) vorgesehen, darin ist laut BMBF neben Umschichtungen ein Konsolidierungsbeitrag von 37 Millionen Euro enthalten. Umgekehrt gibt es aber zum Beispiel einen deutlichen Zuwachs bei der Titelgruppe "Nachhaltigkeit, Klima, Energie" (+96 Millionen), was, wie das Ministerium auf Nachfrage erläutert, im Wesentlichen auf den zu finanzierenden Neubau des Forschungsschiffs Polarstern II zurückgeht.
Insgesamt sollen rund 2,69 Milliarden Euro in die sogenannte missionsorientierte Forschung fließen, im Vorjahr waren es mit 2,67 Milliarden vergleichbar viel. Die Zahlungen für die viel kritisierte Nationale Bildungsplattform sollen um fast 98 auf noch 106,5 Millionen sinken, was laut BMBF – neben der erwähnten Umbuchung der Digitalen Kompezenzzentren – auf die langsamere Projektentwicklung zurückzuführen sei und keine Auswirkungen auf die fachliche Umsetzung habe.
Bleibt die Frage: Wo ist die von Lindner für 2024 erstmals versprochene zusätzliche Bildungsmilliarde? Die Antwort: Sie kommt. Allerdings wohl erst zur Hälfte. 500 Millionen sind eingeplant, was insofern keine Überraschung ist, weil Stark-Watzinger das "Startchancen"-Programm, für das sie die Bildungsmilliarde vorgesehen hat, (trotz zwischenzeitlich heftiger Kritik aus den Ländern) erst im zweiten Halbjahr 2024 starten will. Sie sagt, ein früherer Beginn sei konzeptionell nicht zu schaffen.
Dass die Sache ganz offensichtlich auch haushälterische Gründe hat, ist freilich daran zu sehen, dass man den Rest der Bildungsmilliarde 2024 natürlich auch für Anderes ausgeben könnte, Anlässe gäbe es genug. Eingeplant sind die 500 Millionen nicht im BMBF-Haushalt, sondern sie stehen wie angekündigt "vor der Klammer" – im Einzelplan der Allgemeinen Finanzverwaltung. Und auch wenn ich die Zusatz-Bildungsmilliarde wiederholt als unzureichend kritisiert habe, vor allem im Vergleich zu all den Bildungs-Versprechungen im Ampel-Koalitionsvertrag, ist es in der Konsequenz doch ein Erfolg für Stark-Watzinger, dass zumindest der Einstieg 2024 gelingt.
Allerdings, unken viele in der Koalition, werde sich 2024 noch als vergleichsweise einfacher Haushalt herausstellen, die richtige Bewährungsprobe – auch für das BMBF – stehe 2025 an. Dann müsse Stark-Watzinger nochmal Farbe bekennen: Was wird aus der BAföG-Reform? Kommt der – bereits auf 2025 – verschobene Digitalpakt 2.0, und wieviel frisches Geld macht der Bund dafür locker?
Letzteres würde zwar wie beim Digitalpakt 1.0 nicht über Stark-Watzingers Budget abgewickelt, doch eng genug wäre das auch so: Im neuen Finanzplan der Bundesregierung, der ebenfalls am Mittwoch beschlossen werden soll, steht der BMBF-Haushalt für 2025 mit 20,56 Milliarden Euro – was 260 Millionen mehr als 2024 wären, aber satte 540 Millionen weniger als noch im August 2022 vorgesehen. Und von den 260 Millionen würden etwa 80 Prozent gleich wieder in die weitere Dynamisierung von Zukunftsvertrag, Max Planck, DFG und Co fließen. Wie soll das gehen? Vorerst aber gilt: Ihre Priorität für Bildung und Forschung hat die Ministerin in schwieriger Zeit verteidigt – wenn auch, siehe vor allem das BAföG, mit Abstrichen bei der Bildung.
Dieser Artikel erschien in etwas kürzerer Fassung zuerst im Tagesspiegel. Zuletzt habe ich ihn am 05. Juli 2023 aktualisiert.
BMBF, Studentenwerk, Bundestagsopposition Wer sagt was zum Haushaltsentwurf?
Der Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion für Bildung und Forschung, Thomas Jarzombek, kommentierte, die Ankündigung einer Bildungsmilliarde hätten viele in der Ampel wohl falsch verstanden: "Es wird nun eine Milliarde gekürzt und nicht ergänzt." Stark Watzinger habe den vielversprechenden Ankündigungen der vergangenen anderthalb Jahre keine Taten folgen lassen. "Für Bildung und Forschung fehlt es jedoch derzeit spürbar an Rückhalt im Kabinett. Anspruch und Realität klaffen weit auseinander." So seien die Kürzungen beim BAföG ein "Offenbarungseid" für die Koalition. "Auf Basis einer unabhängigen wissenschaftlichen Berechnung wird deutlich, dass sich Bundesministerin Stark-Watzinger bei der Wirkung ihrer BAföG-Reform völlig verschätzt hat." Auch um die angekündigte große Strukturreform des BAföG, die eigentlich in diesem Jahr kommen sollte, sei es seit Monaten "erstaunlich still" geworden in der Koalition.
Der parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Jens Brandenburg (FDP), sagte, trotz sehr schwieriger Ausgangslage würden Bildung und Forschung weiter gestärkt. "Wir setzen weiterhin auf wichtige Investitionen in Zukunftsthemen wie Energieforschung, Innovation und Transfer und bringen zentrale Schwerpunkte wie das Startchancenprogramm zur Realisierung." Zugleich warnte er, auf eine Konsolidierung des Haushalts müssten alle Ressorts gemeinsam hinwirken. "Das gilt auch für künftige Haushaltsjahre. Der Einzelplan 30 darf dabei nicht über Gebühr belastet werden." Bildung und Forschung seien tragende Säulen vieler zukunftsorientierter Projekte dieser Bundesregierung."
Vergleicht man die neue mittelfristige Finanzplanung mit der vom August 2022, soll das BMBF 2024 und 2025 auf insgesamt 1,04 Milliarden Euro verzichten. 2026 kehrt der Ansatz mit 21,2 Milliarden dann zur alten Planung zurück, 2027 sind (neu) 21,150 Milliarden vorgesehen.
Unterdessen kommentierte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerk, Matthias Anbuhl, angesichts der geplanten Kürzungen, die BAföG-Versprechen der Bundesregierung drohten zu implodieren. "Die groß angekündigte Strukturreform und BAföG-Sätze, die zum Leben reichen – all das wird nun womöglich Lindners Rotstift geopfert." Das sei fatal, denn mehr als ein Drittel der Studierenden lebe prekär. "Dieser Gruppe steht das Wasser finanziell bis zum Hals. Lässt die Ampel-Koalition sie im Stich?"
Anbuhl forderte eine Ministerin, die auch im Gegenwind für die Studierenden kämpfe. "Und wir brauchen ein Parlament, das seine Kompetenzen nutzt und den Finanzminister beherzt korrigiert." Studienabbrüche aus Geldmangel könne sich dieGesellschaft nicht leisten. "Diese jungen Menschen sind die künftigen Lehrkräfte, Ärzt*innen und Ingenieur*innen, die wir so händeringend brauchen."
Die bildungspolitische Sprecherin der linken Bundestagsfraktion, Nicole Gohlke, sagte, die Bundesregierung schieße mit ihren Haushaltsplänen "den Vogel ab. Eine Kürzung beim BAföG wird für viele junge Menschen ein Studium unerschwinglich machen und die soziale Spaltung des Bildungssystems weiter vorantreiben." Die letzte BAföG-Erhöhung sei innerhalb kürzester Zeit von der Inflation aufgefressen aufgefressen worden. "Fast 40 Prozent der Studierenden sind armutsgefährdet. In einer solchen Situation ausgerechnet beim BAföG zu kürzen, ist fatal." Auf den KfW-Kredit, laut Gohlke "die einzige Alternative zum BAföG", fielen gerade fast acht Prozent Zinsen an, ergänzte die Linken-Politikerin. "So treibt die Bundesregierung viele Studierende in die Armutsfalle."
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Fachgesellschaften und Wissenschaftler aus aller Welt schreiben Protestbriefe an die Max-Planck-Gesellschaft, nachdem diese sich von dem australischen Ethnologen getrennt hatte.
NACH ANTISEMITISMUS-VORWÜRFEN hatte sich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Anfang Februar von dem australischen Gastprofessor Ghassan Hage getrennt, laut MPG-Pressemitteilung im Einvernehmen. Seitdem ist es ruhiger geworden um Hage, zumindest in den deutschen Medien. In der internationalen Wissenschaftsszene verursacht der Fall dagegen weiter Aufregung. Zahlreiche Unterstützungsbekundungen für Hage in den vergangenen Wochen zeigen eine Dimension der internationalen Debatte über Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, die im deutschen Kontext gelegentlich weniger wahrgenommen wird.
So hat die Provost der Universität von Melbourne, Hages Heimathochschule, dem forschungsstarken Ethnologen gerade erst in einem Schreiben an seine gesamte Fakultät der universitären Rückendeckung versichert. "Akademische Freiheit ist grundlegend für unsere Werte und Regeln", schrieb Nicola Phillips. "So, wie wir sie in der Vergangenheit aktiv verteidigt haben unter anderen Umständen, so tun wir es jetzt wieder in diesem Fall." Hage sei ein respektierter Kollege und Gelehrter mit internationaler Reputation.
Phillips‘ Schreiben ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Max-Planck-Gesellschaft die Beendigung von Hages Aufenthalt am Max-Planck-Institut in Halle ebenfalls mit Verweis auf die "Grundwerte der MPG" begründet hatte, mit denen viele der "von Ghassan Hage in jüngerer Zeit über soziale Medien verbreiteten Ansichten" unvereinbar seien.
Unter anderem hatte der in Beirut geborene Wissenschaftler Israel als "sich überlegen fühlender Schläger" bezeichnet, dessen Ende als jüdischer Staat prognostiziert und laut WELT am Sonntag in einem inzwischen gelöschten Post geschrieben, "die Zionisten mit ihrer Siedlergewalt" würden zu "den wilden Bestien des Westens". Laut Zeitstempel noch am Tag des Hamas-Überfalls auf Israel schrieb Hage in seinem Blog ein Gedicht, das in der Feststellung kulminierte: "Die Palästinenser, wie alle kolonisierten Völker, beweisen noch immer, dass ihre Fähigkeit zum Widerstand endlos ist. Sie graben nicht nur Tunnel. Sie können über Mauern fliegen."
Die Erklärung der Max-Planck-Gesellschaft
Der inzwischen nach Australien zurückgekehrte Forscher bestritt, während er in Deutschland war, ein Antisemit zu sein, und betonte auf "X", die Autoren, von denen er am meisten gelernt habe, seien fast alle Juden gewesen. "Und hier lebe ich nun inmitten der Kulturen, die den Judenhass, das Verbrennen jüdischer Bücher und Geschäfte, das Einsperren von Juden in Konzentrationslager und deren massenhafte Ermordung zu einer makabren Kunstform erhöht haben, und muss mir moralische Vorträge anhören, wie man sich nicht antisemitisch verhält."
Nachdem zuerst die WELT am Sonntag über Hages Posts berichtet hatte, geriet die MPG zunehmend unter Druck. Nach tagelangem Schweigen veröffentlichte die MPG schließlich eine Mitteilung, in der sie den Abschied von Hage verkündete. "Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Diskriminierung, Hass und Hetze haben in der Max-Planck-Gesellschaft keinen Platz."
Derweil hat eine vor drei Wochen gestartete Online-Petition zu Hages Unterstützung inzwischen über 3.500 Unterzeichner gefunden, viele davon aus englischsprachigen Ländern und nicht wenige, die nach eigenen Angaben Juden und sogar Verwandte von Holocaust-Überlebenden sind.
Briefe von Fachgesellschaften und Wissenschaftlern aus aller Welt
Fachgesellschaften und Wissenschaftler aus aller Welt haben sich in öffentlichen Briefen an MPG-Präsident Patrick Cramer gegen Hages "Entlassung" bzw. deren Begründung gewandt, darunter die Australische Anthropologischen Gesellschaft, die Britische Gesellschaft für Nahost-Studien und die Europäische Gesellschaft für Sozialantrophologie.
Auch der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie sprang Hage in einer Erklärung zur Seite und betonte die "unbedingte Notwendigkeit, Antisemitismus, Rassismus, und Islamophobie in Deutschland und weltweit zu bekämpfen". Dies lasse sich jedoch nicht durch "die Überwachung von Wissenschaftler:innen, ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihrer persönlichen Stellungnahmen erreichen". Auseinandersetzungen um den Israel-/Palästina-Konflikt ließen sich nicht ausschließlich mit den Mitteln der Antisemitismustheorie oder -kritik einordnen.
Über 50 israelisch-jüdische Wissenschaftler von Wissenschaftseinrichtungen in aller Welt, auch einige, die an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten arbeiten, schrieben ebenfalls an Cramer "in Unterstützung" Hages und "in Protest gegen die Anschuldigungen gegen ihn". Es sei bekannt, dass Hage ein Unterstützer des Boykotts israelischer akademischer Institutionen und Teil der BDS sei. "Obwohl viele von uns nicht einverstanden sind mit den Methoden dieser Bewegung, erkennen wir an, dass sie nicht die Diskriminierung individueller Juden oder Israelis vorgibt, und wir können versichern, dass Professor Hage auch nicht diese Form der Diskriminierung praktiziert."
Mehrere israelisch-jüdische Wissenschaftler hätten das "Privileg des Austausches und der Debatte" mit ihm gehabt, "und uns ist immer mit Respekt, Freundlichkeit und einer professionellen Antwort begegnet worden." Weiter schrieben die Unterzeichner an MPG-Präsident Cramer: Inmitten einer Zeit der Polarisierung, des tiefen Misstrauens, nationalistischer Radikalisierung und der Verfolgung kritischer Stimmen "appellieren wir an Sie, sich nicht auf das brutale Mundtotmachen kritischer Stimmen einzulassen und die akademischen Werte unvoreingenommener Evaluation und des fairen Umgangs aufrechtzuerhalten".
MPG-Präsident Cramer will die Diskussion in den Max-Planck-Sektionen abwarten
Die Liste an Stellungnahmen zugunsten Hages ließe sich fortsetzen, er selbst hat sie auf seinem X-Account dokumentiert. Nicht weniger lang ist – vor allem in Deutschland – die Liste seiner Kritiker und all derjenigen, die eine weitere Aufklärung von der MPG fordern, etwa seit wann sie von Hages Äußerungen gewusst habe und warum sie nicht früher eingeschritten sei. In jedem Fall aber zeigen die internationalen Wortmeldungen zu seiner Unterstützung, warum die international so stark vernetzte MPG sich so schwertut, einen kommunikativ geradlinigen Umgang mit Fällen wie dem Hages zu finden.
Entsprechend hat die MPG auch auf alle Briefe und Erklärungen zur Unterstützung Hages bislang nicht reagiert. Auf Anfrage sagte eine Sprecherin, Präsident Cramer werde erst die Diskussion in den Fächer-Sektionen der Forschungsgesellschaft in der neuen Woche abwarten "und dann entscheiden, wie wir antworten". Unterdessen kündigte Hage vor dem Wochenende an, gerichtlich gegen die MPG vorgehen zu wollen, "hier geht es um viel mehr als mich“.
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Antisemitismus-Streit in Halle: Max-Planck-Gesellschaft trennt sich von Gastprofessor Ghassan Hage
Nach mutmaßlich antisemitischen Äußerungen eines Wissenschaftlers geriet die Max-Planck-Gesellschaft seit dem Wochenende unter Druck, klar Stellung zu beziehen. Der Forscher selbst betonte, er sei kein Antisemit. Jetzt reagiert die Forschungsorganisation. (07. Februar 2024) >>>
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Über zwei Drittel der promovierten Forschenden spielen mit dem Gedanken, aus der Wissenschaft auszusteigen. Der Ampel-Koalitionsvertrag versprach ein Bund-Länder-Programm für besser Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Was ist daraus geworden?
Bald keiner mehr da? Foto: Brian Penny, Pixabay.
ES SIND BESORGNISERREGENDE ZAHLEN. Laut dem neuen "Barometer für die Wissenschaft", erhoben vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), haben 71 Prozent aller befristet beschäftigten Postdocs in den vergangenen zwei Jahren ernsthaft den Ausstieg aus der Wissenschaft erwogen. Und nur noch 16 Prozent der Promovierenden haben als Berufsziel die Professur. Die Ergebnisse "sollten alle Beteiligten aufhorchen lassen", kommentierte Lambert T. Koch, Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV). Politik und Hochschulen müssen ihre Hausaufgaben machen. Teil der Lösung können verlässlichere und planbarere, aber auch gegenüber außerhochschulischen Märkten attraktive Karriereperspektiven sein."
Wer wissen will, warum Deutschlands Wissenschaft im Wettstreit um die knappen Fachkräfte zu unterliegen droht, wie international, findet seine Antworten nicht nur in Umfragen, sondern mitunter auch auf dem früheren Twitter. Am Sonntag zum Beispiel berichtete die Politikwissenschaftlerin Federica Genovese unter der Überschrift "Eine kurze akademische Geschichte" über ihre Erfahrungen mit einer deutschen Wissenschaftseinrichtung.
"Deutschlands Verlust ist unser Gewinn"
"Juli 2022“, begann Genoveses "X"-Thread: "Ich werde ermutigt, mich für einen Job in Deutschland zu bewerben. Ich bewerbe mich."Damals war sie Associate Professor an der University of Essex, eine Karriereposition auf dem Weg zur Vollprofessur, die es in Deutschland bislang kaum gibt.
Im Februar 2023, schreibt Genovese weiter, habe sie dann eine "semi-kryptische E-Mail" erhalten, die sie einlud, mehr Bewerbungsunterlagen zu senden als Voraussetzung, auf die Bewerbungs-Shortlist zu kommen. Im Großen und Ganzen dieselben Unterlagen, die sie schon 2022 gesendet habe, "aber ja, okay, in Ordnung."
Im März 2023 folgte die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Als Genovese aus familiären Gründen um einen anderen Termin oder alternativ um ein Online-Interview gebeten habe, um die Kinderbetreuung zu organisieren, lautete die Antwort des Berufungskommitees, das Gespräch gehe nur persönlich und eine Nichtbestätigung des vorgeschlagenen Termins sei gleichbedeutend mit einer Absage Genoveses. "Ich sage ab."
Seitdem erhielt sie eine Vollprofessur in Essex und wechselte vor wenigen Wochen an die Universität Oxford. Jetzt, genau ein Jahr später, erreichte die Wissenschaftlerin ein weiterer Brief aus Deutschland mit der Information, dass die Ausschreibung gescheitert sei, also keiner berufen wurde – wegen Bedenken hinsichtlich der Geschlechterrepräsentation. "Der Vorhang fällt", schreibt Genovese in ihrem inzwischen hunderttausende Male gelesenen Post – woraufhin ein Wissenschaftler aus Oxford kommentierte: "Deutschlands Verlust ist unser Gewinn."
Die WissZeitVG-Novelle hängt seit Sommer 2021 in der Ressortabstimmung
Unterdessen stellt sich nicht der Eindruck ein, dass alle wissenschaftspolitisch Verantwortlichen den Ernst der Lage bereits erkannt haben. Zwar trommeln seit Jahren unter dem Hashtag "#IchbinHanna" junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für bessere Karrierebedingungen und gegen die Rekord-Befristungsquote unter Postdocs. Der Druck reichte, dass SPD, Grüne und FDP im Ampel-Koalitionsvertrag versprachen, das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das die Beschäftigungsregeln vorgibt, zu ändern.
Doch schon die Erstellung eines diesbezüglichen Gesetzentwurfs führte zu einem monatelangem Hin und Her zwischen den Koalitionspartnern und am Ende zu einem Ergebnis, das seit Mitte 2023 in der Ressortabstimmung zwischen den beteiligten Ministerien festhing. Haupt-Streitpunkt: Die FDP von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger wollte erst nach vier Jahren eine verbindliche Entfristungszusage für Postdocs, SPD und Grüne hingegen früher, um eine frühere Karriereplanbarkeit zu ermöglichen. Als sich das BMBF im Referentenentwurf vom vergangenen Juni einseitig auf die vier Jahre festlegte, zeigte sich derselbe DHV-Präsident Koch, den die jüngsten Wissenschaftsbarometer "aufhorchen" lassen, damals per Pressemitteilung "erleichtert". Und zwar, dass das BMBF die vier Jahre anstatt der drei Jahre bevorzugt hat.
Am Sonntag wurde bekannt, dass der Gesetzentwurf jetzt zeitnah, voraussichtlich bereits am 27. März, ins Kabinett soll, nachdem sich die Ressorts geeinigt haben. Wobei die Einigung im Kern nur bedeutet, dass der Streit ins Parlament verschoben wird – also wohl weitergeht. Unterdessen wächst der Frust in der "#IchbinHanna"-Community weiter.
Angesichts der Wissenschaftsbarometer-Zahlen wundert noch mehr, dass das BMBF ein weiteres im Koalitionsvertrag angekündigtes Vorhaben aussitzen könnte. Von einem "Bund-Länder-Programm" war darin die Rede, das "Best-Practice-Projekte für 1) alternative Karrieren außerhalb der Professur, 2) Diversity-Management, 3) moderne Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen fördern" sollte. Also im Kern genau das, woran es in Deutschlands Wissenschaft hapert: attraktive Jobs und Aufstiegsmöglichkeiten, mehr Betonung von Chancengerechtigkeit und Vielfalt – und, siehe Genovese, moderne Verwaltungs- und Berufungsverfahren.
Vom geforderten Dauerstellen-Programm hat in der GWK noch keiner gehört
Verhandelt werden müsste ein solches Programm in der sogenannten "Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz" von Bund und Ländern, der GWK, doch wurde eine entsprechende Initiative vom BMBF nicht einmal angekündigt bislang. Gerade erst traf sich die GWK in Bonn, inklusive vertraulichem Kaminabend mit Stark-Watzinger. Doch von einem solchen Programm: noch immer kein Wort.
Obwohl das Ministerium inzwischen sogar unter explizitem Zeitdruck steht: Bis September, legte der einflussreiche Haushaltsausschuss des Bundestages vergangenen Herbst fest, muss Stark-Watzinger über eine mögliche Bund-Länder-Vereinbarung für ein befristetes Programm zum Ausbau wissenschaftlicher Dauerstellen neben der Professur berichten. "Da zum aktuellen Zeitpunkt noch kein Konzept zu Dauerstellen im Mittelbau vorliegt und auch keine Entwicklungen erkennbar sind, mussten nun wir Abgeordnete im Haushaltsausschuss tätig werden", begründete der grüne Haushaltspolitiker Bruno Hönel damals die Ungeduld der Koalitionsfraktionen, die durch die Verzögerungen beim WissZeitVG noch verstärkt wurde. Zugestimmt hatten bei dem sogenannten Maßgabebeschluss übrigens auch die FDP-Abgeordneten.
Vor September trifft sich die GWK-Minsterrunde jetzt nur noch einmal: im Juli. Und das BMBF? Betont, wie wichtig attraktive Karriereperspektiven für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seien, damit Deutschland an der Spitze von Forschung und Innovation bleibe. Und verweist neben dem Tenure-Track- und Professorinnenprogramm auf die – ebenfalls festhängende – WissZeitVG-Reform als Beispiel für die "wichtigen Beiträge", die das BMBF hierzu leiste. Auch eine Art von Zirkelschluss.
Und was ist mit dem geforderten Bund-Länder-Programm? Das BMBF habe "einen Beratungsprozess mit Expertinnen und Experten von Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und außeruniversitären Forschungseinrichtungen initiiert und wird dem Haushaltsausschuss auf Basis dieser Gespräche zur Umsetzung des Maßgabebeschlusses berichten." Außerdem erarbeite der Wissenschaftsrat Empfehlungen zu Personalstrukturen in der Wissenschaft, die voraussichtlich Ende 2024/Anfang 2025 veröffentlicht würden.
Ob das den Haushaltspolitikern reichen wird? Haushaltspolitiker Hönel kommentiert auf Anfrage, er begrüße es ja, wenn aktuell Gespräche mit Fachverbänden stattfänden. Doch müsse das BMBF jetzt zeitnah Gespräche mit den Ländern aufnehmen, die zentral für die Ausgestaltung dieses Programms seien. "Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft sind eine Frage des Respekts und der Wertschätzung gegenüber unseren Wissenschaftler*innen, sie werden aber auch zunehmend zu einem relevanten Standortfaktor für den Wissenschafts- und Technologiestandort Deutschland."
Sonst heißt es künftig häufiger: Deutschlands Verlust ist der Gewinn für andere.
Dieser Beitrag erschien in leicht gekürzter Fassung zuerst im Tagesspiegel. Ich habe ihn außerdem vorm Erscheinen hier im Blog aktualisiert.
In eigener Sache: Es geht so nicht mehr
Dieser Blog hat sich zu einer einschlägigen Adresse der Berichterstattung über die bundesweite Bildungs- und Wissenschaftspolitik entwickelt. Doch wirtschaftlich steht die Idee seiner freien Zugänglichkeit vor dem Scheitern.
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Das BMBF reagiert auf parlamentarische Anfrage der Union, die Zweifel an der Pakttreue geäußert hatte – und buchstabiert die Finanzplanung für die nächsten Jahre aus.
KLEINE ANFRAGEN sind ein wichtiges parlamentarisches Instrument der Opposition, um die Regierung zu kontrollieren. Und manchmal sind sie zugleich die Gelegenheit für eine ehemalige Regierungsfraktion, ihre eigenen Verdienste hervorzuheben: indem sie Zweifel formuliert, dass ihre Nachfolger die Verantwortung ähnlich ernst nehmen, wie sie selbst es nach eigener Meinung getan hat. Im Falle der Kleinen Anfrage, die der CDU-Politiker Thomas Jarzombek für die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion zum sogenannten Pakt für Forschung und Innovation (PFI) auf den Weg gebracht hatte, trifft beides zu.
Der PFI, den Bund und Länder 2005 vereinbart und seitdem immer wieder erneuert haben, garantiert den großen außeruniversitären Forschungsorganisationen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) regelmäßig sichere Aufwüchse ihrer Grundbudgets. In der laufenden – bereits der vierten – mehrjährigen Paktphase drei Prozent – Jahr für Jahr, und das, wie 2019 festgelegt, diesmal für einen exzeptionell langen Zeitraum bis 2030.
Im Gegenzug verpflichteten sich Max Planck, Helmholtz, DFG und Co auf die Erreichung der im PFI vereinbarten forschungspolitischen Ziele (wissenschaftliche Exzellenz, Talentförderung, Transfer etc.) – wobei sie viel Freiraum bei der Umsetzung haben. Und auch wenn sie über ihre Performance transparenter als früher Rechenschaft ablegen müssen, so droht ihnen doch kaum Ungemach, wenn sie hinter den Erwartungen zurückbleiben. Aber das ist eine andere Geschichte.
"Erstmals kein klares Bekenntnis mehr zum PFI"?
Das Besondere an der Pakt-Garantie ist, dass die Bundesregierung sie auf so lange Zeit gar nicht wirklich geben kann – sondern immer nur unter dem Vorbehalt der jährlichen Haushaltsbeschlüsse des Bundestages. Anlass zur Sorge gab aus Sicht der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion jetzt, dass im Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 "erstmals kein klares Bekenntnis mehr zum PFI" zu finden sei, wie es in der Kleinen Anfrage heißt.
Eine Interpretation, die man durchaus als nicht zwingend bezeichnen kann, zitiert die Fraktion doch selbst den – auf den ersten Blick eindeutigen – Wortlaut im Regierungsentwurf: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) "bleibt ein zuverlässiger Partner von Bildung, Wissenschaft und Forschung und stärkt nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Hierzu tragen maßgeblich der Pakt für Forschung und Innovation sowie der Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken bei, die beide dynamisiert sind und damit jährliche Aufwuchs gewähren."
Auf den zweiten Blick fehlt in der Formulierung allerdings die genaue Angabe in Prozent, wie hoch der jährliche Aufwuchs sein soll – im Unterschied etwa zu den Haushalten 2020 und 2021 (die noch unter Unions-Regierungsbeteiligung entstanden und im Fragetext entsprechend gewürdigt werden). Hinzu kommt, dass das BMBF nach Veröffentlichung der Regierungsaufstellung für 2024 tatsächlich unter Druck geriet, was den PFI anging. Aber nicht, weil im Entwurf die versprochenen Zuwächse fehlen, sondern gerade weil sie abgebildet sind, während das Gesamtbudget des Ministeriums schrumpft.
Wenn die Pakt-Ausgaben schneller wachsen als der BMBF-Haushalt
Dynamisch wachsende Budgets für die Forschungsorganisationen, während in der Bildung (Beispiel BAföG-Titel) gekürzt werden muss? Insofern könnte den PFI-Organisationen also wirklich Ungemach drohen in den nächsten Jahren, wenn die PFI-Überweisungen weiter schneller zulegen sollten als der Ministeriumshaushalt. Und hier kommt das erforderliche klare Bekenntnis der Bundesregierung ins Spiel, das die CDU-/CSU-Opposition bislang vermisste laut ihrer Kleinen Anfrage.
Zur Wahrheit gehört indes, dass ein Sprecher von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf meine Anfrage hin schon Mitte Juli betont hatte, das BMBF stehe zu den mit den Ländern vereinbarten jährlichen Steigerungen für den Pakt für Forschung und Innovation und für den Zukunftsvertrag. Aber klar, eine Aussage der gesamten Bundesregierung war das noch nicht.
Genau das aber ist die jetzt veröffentlichte Antwort auf die Kleine Anfrage der Unionsfraktion, auch wenn sie im BMBF federführend formuliert wurde. Und sie lässt keinen Spielraum mehr für Interpretation, so eindeutig ist sie – inklusive Seitenhieb in Richtung Vorgängerregierung: "Die Bundesregierung leistet die vereinbarten PFI-Aufwüchse trotz der bereits in der 19. Legislaturperiode absehbaren finanziellen Herausforderungen. Die in der 19. Legislaturperiode vorgelegte Finanzplanung hatte einen niedrigeren Plafond vorgesehen, als dies unter den nun weitaus schwierigeren Rahmenbedingungen der Fall ist."
Also: Ja, nicht nur Stark-Watzingers Ministerium, sondern die gesamte Bundesregierung steht zu den Aufwüchsen. Und betont zugleich, dass die mittelfristige Finanzplanung zu Zeiten von BMBF-Chefin Anja Karliczek (CDU) weniger Geld fürs Forschungsministerium vorsah. Subtext: Die alte Regierung ist Versprechungen eingegangen, ohne deren Ausfinanzierung sicherzustellen. Was wir jetzt nachgeholt haben.
Warum der Bund nicht genau
drei Prozent mehr überweist pro Jahr
Als Retourkutsche nicht ungeschickt– allerdings ähnlich einseitig wie die Eigenlob-Formulierung in der Kleinen Anfrage. Denn dass eine alte Regierung sich vor einer anstehenden Bundestagswahl bei der mittelfristige Finanzplanung zurückhält, um der Prioritätensetzung ihrer Nachfolger nicht vorzugreifen, ist eingeübte parlamentarische Praxis.
Für 2024 liefert die Bundesregierung in ihrer Antwort die Haushaltsansätze für alle fünf PFI-Organisationen und die jeweiligen Steigerungen im Vergleich zu 2023 mit. Dabei erklärt der im BMBF formulierte Text auch nachvollziehbar, warum das Plus bei keiner Organisation drei Prozent erreicht und das PFI-Versprechen trotzdem erfüllt wird.
Einerseits, weil nur die 2019 für jede Organisation vereinbarten Sockelbeträge mit drei Prozent pro Jahr angehoben werden und nicht seitdem hinzugekommene Sonderfinanzierungen. Anderseits, und das ist 2024 neu, weil von jetzt an über sieben Jahre hinweg die Länder jedes Jahr etwas mehr zum Aufwuchs beitragen müssen. Hintergrund: Die damalige Große Koalition hatte sich für die Jahre 2016 bis 2020 darauf eingelassen, das 3-Prozent-Plus allein zu tragen, was die über Jahrzehnte angestammten Finanzierungsschlüssel zwischen Bund und Ländern verändert hatte. Zu diesen Schlüsseln soll es nun bis 2030 zurückgehen, wodurch der Anstieg auf Bundesseite geringer ausfällt.
Zu den Haushalten 2025 und 2026 gibt die Bundesregierung indes keine konkreten Zahlen im Detail an, sondern verweist darauf, dass die mittelfristige Finanzplanung ein regierungsinternes Planungsinstrument sei, verbunden mit der Zusicherung: "Die gemäß dem PFI vorgesehenen Steigerungen des Bundes in Höhe von jährlich drei Prozent sind in den Ansätzen des Regierungsentwurfs sowie der Finanzplanung enthalten."
Unabhängig davon, ob bislang Zweifel an der Pakttreue berechtigt oder doch ein wenig aufgebauscht waren, nach der Kleinen Anfrage haben es die Forschungsorganisationen nun schriftlich, dass die Ampel sich für die nächsten Jahre committed hat zu den drei Prozent und Stark-Watzinger damit den Rücken stärkt. Ob ein solches Commitment in Zeiten knapper Kassen Sicherheit genug bietet, müssen die Präsidenten der Pakt-Organisationen freilich selbst entscheiden.
Schutzwall nur für die Wissenschaft?
Für die Union ist die Antwort des Ministeriums immerhin Anlass, auch die Regierung ein bisschen zu loben, vor allem aber wieder sich selbst. "Ich finde es wichtig, dass sich die Bundesregierung auf unsere Nachfrage hin jetzt klar zu den Verpflichtungen aus dem PFI bekannt hat", sagt Jarzombek, der bildungs- und forschungspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. Die geplante Kürzung des BMBF-Etats im kommenden Jahr könnten viele Menschen als Prioritätensetzung der Ampel nicht nachvollziehen und hielten sie für falsch. "Umso wichtiger war es im Rückblick, dass wir 2019 auf Drängen der unionsgeführten Bundesregierung mit den drei Wissenschaftspakten gewissermaßen einen Schutzwall um unsere Wissenschaft errichtet haben." Und Jarzombek zeigt sich überzeugt: "Ohne diesen Schutzwall wären die von der Regierungskoalition jetzt geplanten Kürzungen in Bildung und Forschung voraussichtlich noch größer ausgefallen."
Noch ist der Regierungsentwurf nur ein Entwurf. Die Regierungsfraktionen werden in den parlamentarischen Haushaltsberatungen das letzte Wort haben. Zuletzt war viel koalitionsinterne Unzufriedenheit zu hören und die Sorge, die versprochene BAföG-Reform werde dem Rotstift geopfert. Gut möglich also, dass in den nächsten Wochen vor allem der genauso nötige Schutzwall um den BMBF-Bildungsetat zur Sprache kommen wird.
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Ein Gespräch über gute Hochschullehre zwischen Innovationsförderung und Grundfinanzierung – und die Arbeit einer Stiftung, die der Lehre zu mehr Anerkennung verhelfen soll.
Cornelia Raue ist Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Innovation in der Hochschullehre. Die gelernte Buchhändlerin und ausgebildete Organisationsberaterin arbeitet seit 20 Jahren im Wissenschaftsmanagement. Foto: David Außerhofer.
Frau Raue, zu Anfang eine dumme Frage: Warum braucht Hochschullehre eigentlich "Innovation"? Haben gute Lehrende es nicht zu allen Zeiten verstanden, ihre Zuhörer zu packen und ihnen das begreifbar zu machen, worauf es ankam?
Das ist keine dumme Frage, es stimmt ja, was Sie sagen. Nur sollte ausgezeichnete Hochschullehre kein Zufall sein und nicht vom Talent einzelner abhängen. Gute Hochschullehre hat viel mit Strategie und Handwerk zu tun, und das kann man entwickeln, lernen und weitergeben. Und auch wenn es einen dauerhaften Kern dessen geben mag, was gute Lehre ausmacht, so ändert der technologische Fortschritt doch die Instrumente, die ihr zur Verfügung stehen. Es ändern sich das Wissen und die Fertigkeiten, die es zu vermitteln gilt, und der Wandel der Gesellschaft führt zu ständig neuen Anforderungen an die Hochschulen. Immer mehr Berufe bedürfen einer akademischen Ausbildung, rund die Hälfte eines Altersjahrgangs studiert, wir erleben globale Krisen. Auf all das muss die Hochschullehre reagieren, manchmal schnell reagieren, denken Sie an die Corona-Krise, denken Sie an Künstliche Intelligenz und ChatGPT, und dafür muss die Hochschullehre in der Lage sein, sich ständig selbst zu erneuern.
Das heißt, Ihre Stiftung fördert neue Strukturen, Modelle und Ideen – und nicht Lehrpersönlichkeiten?
Wir fördern strukturelle Veränderungen durch Modellprojekte und Impulse. Am Ende werden aber Strukturen, auch an den Hochschulen, von Menschen gemacht. Darum heißt auch eine unserer drei Programmlinien "Freiraum" und ist auf Personen zugeschnitten. So, wie vor zehn, 15 Jahren der Schlachtruf in der Forschung lautete, in die Köpfe zu investieren, kommt es auch in der Lehre zunächst vor allem auf die Köpfe an. Durch die Förderung und Verbreitung ihrer Ideen entsteht dann etwas Neues, Hochschulübergreifendes.
Das klingt nach Begeisterung, nach Aufbruch. Allerdings hat die Stiftung vergangenes Jahr mit ihrer ersten "Freiraum"-Ausschreibung gleich großen Frust verursacht. Gastautoren sprachen in der ZEIT sogar von einem "Skandal".
Sie sagen es: Das war unsere allererste "Freiraum"-Ausschreibung, wir hatten keine Referenzpunkte. Unser Ziel war, keine thematische und auch keine fachliche Vorgabe zu machen und all den Ideen, die irgendwo da draußen in den Köpfen und Schubladen steckten, eine Chance zu geben. Wir haben die Zahl der Anträge auf die ersten 600 begrenzt und diese dann in einem wissenschaftsgeleiteten Verfahren begutachtet. Da haben wir dann ziemlich viel Wind bekommen, das ist richtig – weil manche fanden, wir hätten unnötig Druck erzeugt. Man muss allerdings auch sehen, dass uns in der Stiftung nur 34 Stellen zur Verfügung stehen, um tausende von Anträgen zu bearbeiten. Wie auch immer: Wir haben daraus gelernt und das Verfahren in der zweiten Ausschreibungsrunde geändert.
"Niemand kann Interesse haben an einem riesigen Antragsaufwand, wenn dann die Förderquote bei ein oder zwei Prozent liegt."
Sie haben ein Losverfahren eingeführt.
Im Rahmen eines mehrstufigen Verfahrens, ja. Um an den Hochschulen nicht jede Menge unnötige Arbeit zu verursachen, reicht es jetzt, wenn die Antragstellenden erst einmal eine Interessenbekundung abgeben. Rund 4500 sind bei uns eingegangen. Aus diesen haben wir, wissenschaftlich begleitet von Statistikern und Volkswirten, rund 500 ausgelost. Eine Zahl, die für uns bewältigbar ist im Rahmen eines Auswahlverfahrens. Ich meine, das ist eine für beide Seiten, Stiftung und Antragstellende, faire und ressourcenschonende Lösung. Niemand kann Interesse haben an einem riesigen Antragsaufwand, wenn dann die Förderquote bei ein oder zwei Prozent liegt.
Wie messen Sie, ob aus einem Antrag eine echte Innovation und ein Fortschritt für die Hochschullehre entsteht?
Die Projekte müssen eigene Kriterien entwickeln, wie sie ihren Erfolg messen wollen. Insofern habe ich da keine eindeutige Antwort für Sie. Es macht gerade den Reiz von "Freiraum" aus, dass da ganz Neues erprobt wird. Daher gibt es auch nicht das Verdikt, das alle sofort erfolgreich sein müssen. Wir stehen als Stiftung dafür, dass man aus einem Scheitern lernen darf. Allerdings müssen auch andere daraus lernen können, deshalb bauen wir eine Datenbank auf, die nachvollziehbar macht, welche Experimente und Verfahren sich als nicht geeignet erwiesen haben. Fehler sollen gemacht, sie sollen aber nicht mehrfach von unterschiedlichen Projekten gemacht werden. Allerdings gehört zur Wahrheit dazu, dass Sie nicht von jedem einzelnen, teilweise kleinen Projekt eine allen Ansprüchen genügende Wirksamkeitsforschung erwarten dürfen.
Am Ende muss aber zumindest die Stiftung gegenüber der Politik und dem Steuerzahler plausibel nachweisen, dass sich das ganze Geld, immerhin 150 Millionen Euro pro Jahr, lohnt.
Das sehe ich genauso, bitte aber gleichzeitig um ein wenig Geduld. Im November feiert unsere Stiftung ihren dritten Geburtstag, das ist kaum ein Zeithorizont für eine belastbare Evaluation. Ich halte es für einen ersten großen Erfolg, dass es uns gelungen ist, schon in den Aufbaujahren das uns zur Verfügung gestellte Geld vollständig und qualitätsgesichert an die Hochschulen zu bringen. Mittelfristig kann man unsere Wirksamkeit als Stiftung zum Beispiel daran messen, ob die Einwerbung von Drittmitteln für Lehrinnovationen bei den Antragstellenden zu mehr wissenschaftlicher Reputation führt, etwa bei der Verteilung von Hochschulgeldern im Rahmen der Leistungsorientierten Mittelvergabe. Ein weiterer Beleg, dass die Stiftung einen guten Job macht, wäre für mich, wenn sie von der Politik genauso selbstverständlich als öffentliche Stimme der Wissenschaft wahrgenommen wird wie die Mitglieder der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Dafür müssen wir aber als Stiftung erst vollkommen handlungsfähig werden.
Was meinen Sie damit?
Wir sind personell sehr knapp aufgestellt. Wir dürfen drei Prozent unseres Haushalts für eigene Stellen ausgeben, wir schaffen auch eine Menge weg, weil wir ein intrinsisch stark motiviertes Team sind. Fakt ist aber: Anderen wissenschaftliche Förderorganisationen in der Wissenschaft wird eine Quote von zehn Prozent und mehr zugestanden. So weit will ich nicht gehen, aber wir müssen so ausgestattet sein, dass wir unsere Aufgaben erfüllen können.
"Wir müssen noch klarer machen, dass die Stiftung nicht nur Fördermittel ausgibt, sondern dass wir zugleich Impulsgeber für Transfer sind."
Für 2023 hatte das BMBF Ihnen sogar das Geld gekürzt. Im Haushaltentwurf für 2024 steht jetzt zumindest der volle Bundesanteil drin. Glück gehabt?
Ich bin Berufsoptimistin. Bund und Länder haben eine Verwaltungsvereinbarung abgeschlossen, damit haben sie viel Mut und Kraft bewiesen, denn solch ein Dokument hat fast schon Gesetzeskraft. In den ersten Jahren hat der Bund uns allein finanziert, von 2024 steuern die Länder wie vereinbart ihren Anteil bei. Ich bin überzeugt: Beide Seiten wollen ihre Zusage einhalten.
Sie fühlen sich mit den Ländern sicherer als zuvor allein mit dem Bund?
Wir waren in der Lage, dem Bund nachzuweisen, dass wir unser Geld brauchen, weil die Fördermittel schon gebunden waren. Das BMBF hat uns dann unterstützt, und die geplanten massiven Einsparungen für dieses Jahr wurden zum Glück rückgängig gemacht. Am Ende blieb ein Minus von neun Millionen Euro übrig, das ist verkraftbar, wenn es sich nicht wiederholt. Mein Eindruck ist, wir müssen noch klarer machen, dass die Stiftung nicht nur Projektträger ist, also Fördermittel ausgibt, sondern dass wir zugleich Impulsgeber für Transfer sind. Und dass unsere Vernetzungsaufgaben, ich habe das anfangs dargestellt, so unverzichtbar aufwändig sind. Das fängt an mit der erwähnten Datenbank, mit dem Aufbau einer systematischen Wissensquelle für die Community, und endet mit einer Brückenfinanzierung, wenn es darum geht, erfolgreiche Projekte an Hochschulen anderswo bekannt zu machen und ihre Erprobung zu fördern.
Wann steht die nächste Ausschreibung an?
Wir haben einiges in der Vorbereitung, auch neue, große Programme, aber für deren Umsetzung brauchen wir erstmal einen Wirtschaftsplan für 2024, und auf den warten wir noch.
Bei allem Respekt: Dient das, was die Stiftung da leistet, der Politik vor allem dazu, mit ein bisschen Glamour von der dramatischen Unterfinanzierung der Hochschullehre in der Breite abzulenken?
Ich teile Ihre Einschätzung, dass die Hochschulen gerade in der Lehre völlig unzureichend finanziert sind. Und auch, dass eine Stiftung mit einem Etat von 150 Millionen Euro überhaupt nicht in der Lage ist, diese Situation zu heilen. Darum müssen wir uns fokussieren: auf Impulse, auf Modellprojekte, und denen dann die Verbreitung in die Hochschullandschaft hinein ermöglichen.
Wichtig ist: Gute Lehre beginnt am ersten Studientag im Hörsaal und setzt sich fort im Seminar und im Labor. Dort finden die erste Wissenschaftskommunikation und der Transfer statt, nicht erst am Ende einer anwendungsreifen Forschung. Was wir zu Beginn in der Hochschullehre verpassen, lässt sich am Ende des Prozesses nur schwer nachholen. Das ist wie mit dem Zähneputzen: Was in frühen Jahren versäumt wird, lässt sich im Nachhinein nur schwer reparieren, auch nicht mit einem einzelnen Goldzahn.
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Ja, sagt der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung – und erklärt, wo Hessens neue Landesregierung mit ihrem geplanten Verbot trotzdem falsch liegt. Die Kultusminister dürften sich dagegen nicht drücken, sondern müssten klare Regeln für die Schulen erlassen.
Josef Lange war Referatsleiter in der DFG und beim Wissenschaftsrat, Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz und lange Jahre Staatssekretär, zwischen 2003 und 2013 im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Seit 2017 ist er Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung und am 1. Januar in seine zweite Amtsperiode gestartet. Foto: Karin Kaiser, MHH.
Herr Lange, der Rat für deutsche Rechtschreibung hat im vergangenen Jahr entschieden, dass Gender-Sonderzeichen nicht zum "Kernbestand der deutschen Orthographie" gehören. Bevor wir darüber sprechen, was genau das bedeutet: Wer gibt dem Rat eigentlich das Recht zu solchen Beschlüssen?
Der Rat für deutsche Rechtschreibung wurde 2004 von den deutschsprachigen Ländern gegründet. 18 seiner Mitglieder stammen aus Deutschland, je neun aus Österreich und der Schweiz. Südtirol, Liechtenstein und die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens entsenden je ein Mitglied, Luxemburg ist ohne Stimmrecht vertreten. Der Rat hat den Anspruch, das entscheidende Gremium für die Interpretation der deutschen Rechtschreibung zu sein, wie sie im Amtlichen Regelwerk festgehalten ist. 1996 haben sich die Teilnehmerstaaten verpflichtet, diese Regeln verpflichtend umzusetzen für alle ihre Schulen und die öffentliche Verwaltung. Ob die Kommunen dazu gehören, wird rechtlich immer wieder diskutiert.
Aber wer legitimiert den Rat zu seiner Rolle?
Die österreichischen Mitglieder werden von den zuständigen Bundesministerien bestimmt, in der Schweiz einigen sich Kantone und Bundesrat auf die Entsendung. Deutschland hat die Auswahl verschiedenen Einrichtungen und Verbänden übertragen, um die deutsche Sprache in ihrer ganzen Realität und Breite abzudecken, darunter Lehrergewerkschaften, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Repräsentanten von Nachrichtenagenturen und Medien. Wichtig ist aber, dass alle Beschlüsse, die der Rat fasst, anschließend von den staatlichen Stellen in allen deutschsprachigen Staaten bestätigt werden müssen. Tut es nur eine Regierung nicht, muss es ein erneutes Beratungsverfahren mit dem Rat geben. Das ist aber bislang noch nie vorgekommen.
Und was hat der Rat gegen Binnen-I, Gender-Sternchen & Co?
Der Rat hat nichts gegen diese und weitere Sonderzeichen. Er kann nicht die Augen davor verschließen, dass sich da eine bunte Mischung entwickelt hat und genutzt wird. Darum haben wir uns nach langen und durchaus kontroversen Diskussionen im Juli 2023 verständigt, dass diese Zeichen in der deutschen Schriftsprache vorkommen, aber nicht zum Kernbestand gehören.
"Da entstehen Konstruktionen und Wortungetüme, die in sich nicht stimmig sind."
Das hat große Aufregung bei Gegnern und Befürwortern des Genderns verursacht, zwischendurch fühlte sich der Rat gar missverstanden.
Wichtig ist darum zunächst der Hinweis, dass wir geschlechtergerechte Schreibung nicht per se aus dem Amtlichen Regelwerk ausschließen. Es gibt viele übrigens auch von mir genutzte Möglichkeiten dieses Schreibens, die ohne Sonderzeichen auskommen und nicht rechtschreibschwierig sind: Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel, Lehrkräfte oder Lehrende.
Sieh da! Bayerns Ministerpräsident Markus Söder scheint sich mit solchen Differenzierungen nicht aufzuhalten und will offenbar grundsätzlich "das Gendern in Schulen und Verwaltungen" untersagen.
Was nicht gedeckt wäre mit unserem Beschluss. Und mit dessen Begründung, die wir im Dezember 2023 veröffentlicht haben, darin erläutern wir den Unterschied. Im Gegensatz zur geschlechtergerechten Schreibung ohne Sonderzeichen beeinträchtigt die Nutzung von Wortbinnenzeichen zur Kennzeichnung einer geschlechtsübergreifenden Bedeutung die Verständlichkeit und Grammatik der deutschen Sprache so stark, dass wir sie als Rat nicht empfehlen können. Nur ein Beispiel: "Ein:e gute:r Forscher:in ist bei weitem kein:e gut:e Manager:in." Kommt Ihnen bekannt vor? Stand in einem Interview bei Ihnen im Blog. Da entstehen Konstruktionen und Wortungetüme, die in sich nicht stimmig sind.
Das klingt jetzt aber mehr nach Stilkritik.
Es geht um mehr. Der Einsatz dieser Sonderzeichen lässt sich nach heutigem Stand sprachwissenschaftlich nicht begründen. Außerdem soll das Amtliche Regelwerk dafür sorgen, dass amtliche Texte eindeutig und rechtssicher sind. Und dass sie sich automatisch übersetzen lassen. Das erscheint uns in Deutschland vielleicht nicht so wichtig, aber in mehrsprachigen Ländern wie Belgien oder in der Schweiz oder Bozen-Südtirol müssen Gesetzestexte mit exakt gleicher Bedeutung in allen Sprachen zur Verfügung stehen.
Apropos eindeutige Sprache: Wenn der Rat sagt, Genderzeichen gehörten nicht zum "Kernbestand der deutschen Orthographie", dann spricht er damit in Wirklichkeit ein Verbot ihres Einsatzes aus, oder?
Moment! Jeder Mensch kann als privater weiter reden oder schreiben, wie ihm oder ihr der Schnabel gewachsen ist. Richtig ist aber: Bei strikter Auslegung des Amtlichen Regelwerks ist die Nutzung dieser Sonderzeichen in den Schulen dann ein Rechtschreibfehler. Das bundesweit und im deutschen Sprachraum einheitlich umzusetzen, ist jetzt Aufgabe der Politik. Was auf keinen Fall sein darf, ist, dass es an der einen Schule so und an der zweiten anders gehandhabt wird. Was im Augenblick so passiert. Und was man nur als Rückfall in die Zeit vor Einführung der amtlichen Rechtschreibung Anfang des 20. Jahrhunderts bezeichnen kann. Die Kultusminister dürfen sich nicht wegducken.
"Wie sollen wir Kindern und Jugendlichen in der Schule vermitteln, sich an Regeln zu halten, wenn der Staat selbst es nicht tut?"
Und wenn ein Kultusminister sich gegen die Umsetzung Ihres Beschlusses entscheidet?
Es ist nicht unser Beschluss, sondern ein Beschluss aller deutschsprachigen Staaten und Regionen. Das heißt, dann würde sich dieses Bundesland aus der Gemeinschaft der deutschen Rechtschreibung verabschieden. Dahinter steht eine politische Frage, die weit über die Schulpolitik hinausgeht: Hält sich die Politik an ein gemeinsam beschlossenes Regelwerk? Als Vorsitzender des Rates und als Bürger kann ich nur sagen: Wie sollen wir Kindern und Jugendlichen in der Schule vermitteln, sich an Regeln zu halten, wenn der Staat selbst es nicht tut?
Hessens neue Landesregierung versucht sich derweil an der Übererfüllung. Sie will mit Verweis auf den Rat die Sonderzeichen verbieten, und das nicht nur in Schulen und Ämtern, sondern auch in öffentlich-rechtlichen Institutionen wie Schulen, Universitäten und dem Rundfunk.
Vorsicht, kann ich da nur sagen. Rechtlich umstritten, aber meines Erachtens wahrscheinlich ist, dass das Amtliche Regelwerk für Universitäten als Institutionen da gilt, wo wir von amtlichen Bescheiden oder Prüfungsordnungen reden. In ihrer individuellen Arbeit können sich Forschende dagegen auf die Wissenschaftsfreiheit berufen. Studierende allerdings auch – wenn sie gendern genauso, wie wenn sie es nicht tun. Allerdings: Neulich habe ich 120 Seiten wissenschaftlichen Text eines Psychologen und einer Philosophin gelesen, und vor lauter Sonderzeichen ist es mir selten schwer gefallen zu verstehen, was sie mir sagen wollten. Die Zahl an Grammatikfehlern war extrem hoch, ich bin immer wieder gestolpert und stecken geblieben. Nun kann man mir vorwerfen, es liege an meinem fortgeschrittenen Alter. Das glaube ich aber nicht.
Und wie ist das bei Medien und Rundfunk?
Für privatwirtschaftliche Medien gilt das Amtliche Regelwerk ohnehin nicht, auch sonst sind sie von der Pressefreiheit geschützt. Genauso wie die redaktionelle Arbeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Spannend wird es freilich, wenn ich in die Satzung von Sendern wie dem Deutschlandradio schaue. Wenn es darin heißt, die Sendeangebote sollten auch die "gesamtgesellschaftliche Integration" fördern, kann man schon fragen: Wird dieser Auftrag erfüllt, wenn der Einsatz von Sonderzeichen im Wortinnern gesellschaftlich derart umstritten ist? Als der Tagesspiegel im November 2023 vom Gender-Doppelpunkt abrückte, tat er das ja nur, weil so viele mit Hinweis auf dessen Nutzung ihre Abos gekündigt hatten. Aber das ist keine Frage, über die der Rat für deutsche Rechtschreibung zu entscheiden hat.
"Das Verbot von Gendern – oder auch nur dessen Ankündigung – grenzt an Populismus. Aber es ist natürlich spektakulärer als, wie wir im Rat das tun, zu differenzieren."
Was halten Sie persönlich von so plakativen Anti-Gender-Aktionen wie in Hessen und Bayern?
Das Verbot von Gendern – oder auch nur dessen Ankündigung –grenzt an Populismus. Aber es ist natürlich spektakulärer als, wie wir im Rat das tun, zu differenzieren. Einmal zwischen geschlechtergerechter Schreibung ohne und "Gendern" mit Sonderzeichen im Wortinneren. Und zwischen den Bereichen, für die das Amtliche Regelwerk gilt und sinnvollerweise gelten muss – und anderen, wo der Staat sich heraushalten sollte. Eigentlich geht es aber um etwas Anderes.
Worum?
Hinter dem Streit um die Gender-Sonderzeichen im Wortinneren verbirgt sich eine tiefgreifende gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, in der beide Seiten mit Unterstellungen arbeiten. Wer die Sonderzeichen nutzt, wird von deren erbitterten Gegnern als links und entrückt vom wahren Empfinden der Bevölkerung gebrandmarkt. Wer sie nicht nutzen will, gilt unter uneingeschränkten Befürwortern als konservativ und rückständig, als würde er oder sie automatisch Frauen und nichtbinäre Personen missachten. Beide Seiten malen schwarzweiß und sind sich dabei mitunter sehr ähnlich. Ich rate insgesamt zu mehr Gelassenheit.
Wird es nach dem Genderzeichen-Beschluss demnächst wieder ruhiger um die Arbeit des Rats?
Mal sehen. Wir haben im Amtlichen Regelwerk gerade das Kapitel zur Zeichensetzung überarbeitet. So werden künftig "infinite Nebensätze", d. h. erweiterte Infinitive, wieder mit einem Komma vom Hauptsatz abgetrennt, weil das nach unserer Beobachtung die Fehlerquote senkt und die Lesbarkeit verbessert. Außerdem haben wir das amtliche Wörterverzeichnis mit zahlreichen Änderungen überholt, die sich aus der alltäglichen Schreibbeobachtung von Fremdwörtern ergeben. Ein Beispiel: Weil keiner Spagetti schreibt, heißt es künftig auch laut amtlicher Rechtschreibung wieder Spaghetti – genau, wie die Italiener sich das vorgestellt haben und schreiben. Bis Mitte des Jahres wissen wir hoffentlich, ob alle deutschsprachigen Länder zustimmen.
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Das Bundeswirtschaftsministerium macht ernst – und entzieht der AiF die Administration der Industrielle Gemeinschaftsforschung. Was bedeutet das für das traditionsreiche Förderprogramm – und was für die in der AiF organisierten Forschungsvereinigungen?
Foto: Screenshot von der AiF-Website.
ES IST ein förderpolitischer Paukenschlag, wenn auch kein ganz unerwarteter: Die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) verliert nach 69 Jahren die administrative Zuständigkeit für die "Industrielle Gemeinschaftsforschung" (IGF), eines der wichtigsten Programme zur Forschungsförderung im deutschen Mittelstand. Dieses Jahr umfasst der IGF-Titel im Bundeshaushalt rund 197 Millionen Euro.
AiF-Hauptgeschäftsführer Michael-Bruno Klein schrieb vor dem Wochenende eine Mail an die 101 AiF-Forschungsvereinigungen und rund 250 Gutachter: "Heute teilte uns das BMWK mit, dass man unser Angebot zur Übernahme der Projektträgerschaft des IGF-Programms leider nicht annehmen wird und man beabsichtigt, dem DLR Projektträger den Zuschlag zu erteilen", laut Klein "eine schlechte und traurige Nachricht für die AiF und für die industrielle Gemeinschaftsforschung".
Für die AiF ist es das auf jeden Fall, waren AiF und IGF für viele in der Forschungsszene doch über Jahrzehnte so eng miteinander verwoben, dass sie fast Synonyme zu sein schienen. Rund 50 der 65 Mitarbeiter des AiF e.V. werden aktuell für die Umsetzung und Begleitung der IGF eingesetzt; sie alle werden, wie Klein auf Anfrage bestätigte, jetzt ihr Jobs verlieren.
Der neue Projektträger soll schon am 1. September einsteigen
Und das offenbar sehr schnell: Der DLR-Projektträger soll die IGF-Projektträgerschaft bereits zum 1. September übernehmen, die Phase des Übergangs und der Übergabe von AiF auf IGF soll dann bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Das BMWK, das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, das für die IGF-Finanzierung zuständig ist, übermittelt, es könne aus rechtlichen Gründen "zum jetzigen Zeitpunkt" keine Auskunft geben. "Es handelt sich um ein laufendes Vergabeverfahren, das noch nicht abgeschlossen ist", sagt BMWK-Pressesprecherin Luisa-Maria Spoo. Fast gleichlautend die Antwort des DLR-Projektträgers: "Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich die Information leider nicht kommentieren", teilt Stefanie Huland von der DLR-Unternehmenskommunikation mit. "Sobald wir eine klare Aussage haben, melde ich mich bei Ihnen."
Dass das BMWK eine tiefgreifende Veränderung bei der IGF wollte, hatte sich freilich seit längerem abgezeichnet. So hatte das Ministerium Ende Juni 2022 den seit 1996 laufenden Vertrag mit der AiF zur Durchführung der IGF gekündigt und mitgeteilt, dass man die Umsetzung der IGF europaweit ausschreiben werde. Europaweit. Anna Christmann, BMWK-Beauftragte für die digitale Wirtschaft und Start-ups, verwies hier im Blog auf die "europarechtliche Vorgabe, die IGF ordentlich auszuschreiben". Die AiF könne sich an der Ausschreibung genau wie andere Projektträger beteiligen. Und unabhängig, wie es mit der IGF weitergehe, bleibe die AiF "entscheidend für die Innovation im Mittelstand", fügte Christmann hinzu.
Also alles halb so wild? Die Jobs, die bei der AiF wegfallen, entstehen dann halt beim DLR neu, und wer am Ende die Antragsformulare bearbeitet, das Geld austeilt und schaut, dass alles ordnungsgemäß ausgegeben wird, ist auch nicht wirklich entscheidend?
Eine überfällige innovationspolitische Weichenstellung – oder eine "Demontage" der AiF?
Nicht, wenn es nach der AiF geht. Von einer fortgesetzten "Demontage" ist intern die Rede. Hauptgeschäftsführer Klein wiederum gibt zu Protokoll, die Arbeit der AiF sei "weit mehr" gewesen sei "als nur eine verwaltende und abarbeitende Projektträgerschaft". Das BMWK habe sich gegen eine Organisation entschieden, die die IGF aktiv mitgestaltet und konstruktiv begleitet und damit die Wirksamkeit des Programms erheblich erhöht habe. "In dem System der IGF, den AiF-Forschungsvereinigungen und AiF-InnovatorsNet bilden sich einzigartige Wertschöpfungsnetzwerke ab" – Netzwerke bestehend aus kleineren und mittleren Unternehmen, Konzernen, Startups und Forschung, die "effizient und zielgerichtet an der Lösung der transformativen Herausforderungen" arbeiteten.
In dem von der AiF aufgebauten IGF-Gutachtersystem wird jeder Förderantrag paritätisch von Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft bewertet, in einem mehrstufigen Verfahren, das an jene der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erinnert. "Die AiF sichert als neutraler, unabhängiger und vertrauenswürdiger Akteur die Grundlagen für die IGF", heißt es in einer externen Evaluierung der AiF aus dem März 2023, aus der Klein stolz zitiert. Diese Funktion, sei "grundsätzlich unabhängig von den entsprechenden Forschungsprogrammen; allerdings werden Forschungsprogramme entscheidend von der durch die AiF bereitgestellte Koordinierungsleistung und das damit verbundene Vertrauen begünstigt".
Soweit die Evaluation. Allerdings hat das enge Verhältnis von AiF und IGF auch noch eine andere – nicht nur aus Sicht des BMWK problematische – Seite, die überhaupt erst dazu führte, dass man die bisherige Konstruktion der Dauerbeauftragung beendete. So hatte der Bundesrechnungshof (BRH) bereits 2015 in einem Bericht kritisiert, das damalige Bundeswirtschaftsministerium sei vermutlich nicht in der Lage, die erforderliche Fachaufsicht im IGF-Programm zu gewährleisten – und vermutete bei der AiF einen "Interessenkonflikt". Vor allem, weil die AIF-Mitglieder, mehr als 50.000 mittelständische Industrieunternehmen, die sich in 101 Forschungsvereinigungen zusammengeschlossen haben, Mitgliedsbeiträge an die AiF bezahlten, deren Höhe sich an der Summe der von ihnen eingeworbenen AiF-Fördermittel bemaßen. Was laut Rechnungshof bedeutete, dass die AiF einen hohen Anreiz hatte, immer alle Fördermittel zu vergeben, weil sie dann ja selbst ein größeres Budget erhalte.
2018 und 2019 hatte es dann staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bei einzelnen Forschungsvereinigungen gegeben, weil der Verdacht im Raum stand, diese hätten ihre Mitgliedsbeiträge direkt mit eingeworbenen IGF-Fördermitteln bezahlt. Die Ermittlungen wurden jedoch allesamt ohne Ergebnis eingestellt. Doch schien sich die Sichtweise im Wirtschaftsministerium auf die AiF spätestens zu diesem Zeitpunkt gewandelt zu haben. Sorgen vor Haftungsfragen mit Ansprüchen gegen das Ministerium und eventuell sogar gegen einzelne Ministeriumsmitarbeiter wurden laut.
Die Höhe des IGF-Budgets soll derweil 2024 laut BMWK-Haushaltsentwurf von 197 auf 176 Millionen Euro sinken, das wäre weniger als 2018 – wobei anders als damals auch noch 7,5 Millionen Euro für die Finanzierung der Projektträgerschaft vorgesehen sein sollen.
Zwischendurch hoffte man in der AiF, über allerlei Reformen und neue Vertragskonstruktionen um die europaweite Ausschreibung der IGF herumzukommen; Konzepte, Vorschläge und Papiere gingen hin und her zwischen AiF und Ministerium. Doch lautete die Entscheidung im BMWK: Nur die europaweite Ausschreibung der Projektträgerschaft sei "rechtssicher". Wenig später erklärte die für die IGF zuständige Abteilungsleiterin im BMWK, bislang AiF-Senatsmitglied, mit sofortiger Wirkung ihren Rücktritt aus dem Gremium: Sie wolle wegen des bevorstehenden Ausschreibungsverfahrens zur Programmadministration jeglichen Anschein der Befangenheit vermeiden.
Gravierende Folgen auch für die AiF-Forschungsvereinigungen
War damit die Entscheidung gegen die AiF in Wirklichkeit bereits gefallen? In den Forschungsvereinigungen glauben manche das. Wer sich außer AiF e.V. und DLR noch um die Projektträgerschaft beworben hatte, ist unbekannt. Ebenso wie derzeit noch die Gründe, die aus Sicht des BMWK ausschlaggebend für das Votum zugunsten des DLR waren – und die trotz positiver Evaluation auf einen größeren Erfolg des Programms in neuen Händen hoffen lassen.
Fest steht: Während sie in der AiF auf den Schaden verweisen, den die gewachsenen Strukturen um das Gutachterwesen nun nehmen könne, während in den AiF-Forschungsvereinigungen einige sogar bereits vor einem drohenden "Ausbluten" der IGF warnen, sind die Folgen für die Forschungsvereinigungen selbst ebenfalls gravierend. Denn solange die Gleichung AiF gleich IGF galt, war es leichter, die Unternehmen für eine Mitgliedschaft und das Zahlen der Mitgliedsbeiträge zu gewinnen, jetzt müssen neue Argumente her. Doch würde unter einer Krise der Forschungsvereinigungen auch wiederum eine vom DLR administrierte IGF leiden – denn ohne Forschungsvereinigungen keine IGF.
Doch glaubt man im BMWK offenbar, den beabsichtigten IGF-Neustart besser ohne AiF-Administration hinzubekommen. Ein Neustart, den die Ampel auch in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hatte. Darin steht, die Innovationsförderung und -finanzierung solle gestärkt und entbürokratisiert werden. Und konkret: "Die Förderprogramme wie 'Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM)', 'Industrielle Gemeinschaftsforschung für Unternehmen (IGF)', 'INNO-KOM', 'go-digital' und 'Digital Jetzt' sowie das 'Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen (IGP)' werden wir weiterentwickeln."
Apropos Weiterentwicklung: "Den schon eingeleiteten Prozess der Neuausrichtung und Fokussierung der AiF werden wir nur noch konsequenter fortsetzen", sagt Hauptgeschäftsführer Klein mit einer Mischung aus Programmatik und Trotz. Zweites großes Standbein der AiF ist die Projektträgerschaft fürs ZIM. Und so wichtig die IGF-Durchführung für Selbstverständnis und Identität der AiF ist, finanziell ist ZIM der viel größere Brocken: Fast 700 Millionen Euro schwer ist der Topf in diesem Jahr. Die Projektträgerschaft wird denn auch nicht vom AiF e.V. geleistet, sondern von der AiF Projekt GmbH mit ihren rund 140 Mitarbeitern.
Allerdings soll auch der ZIM-Topf, nachdem das BMWK vergangenes Jahr neue Vergaberegeln beschlossen hatte, nächstes Jahr massiv schrumpfen: auf nur noch 624 Millionen Euro. Und die ZIM-Durchführung soll in absehbarer Zeit ebenfalls neu ausgeschrieben werden; gemunkelt wird, dies könne schon 2024 passieren. Wie dann die Chancen für die AiF stehen, vermag momentan keiner zu sagen.
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Der Haushaltsausschuss des Bundestages reagiert auf die monatelange Kritik und stockt in seiner Bereinigungssitzung die Ausbildungsförderung deutlich auf. Welche Änderungen die Haushälter sonst noch beschlossen: ein erster Überblick.
DASS DIE AMPEL-KOALITION beim BAföG für Studierende nachlegen würde, hatte sich angesichts monatelanger Kritik unter anderem von Studierendenwerken, Hochschulen, Studierendenverbänden, Kirchen und Gewerkschaften bereits abgezeichnet, doch dass die Haushälter in der Bereinigungssitzung zusätzlich 150 Millionen Euro auf den Tisch legten, war dann doch eine Überraschung – eine positive.
In der Nacht zum Freitag beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestages, den BAföG-Etat für 2024 von 1,37 auf 1,52 Milliarden Euro aufzustocken. Verbunden mit einem unmissverständlichen Auftrag an Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP): Die 150 Millionen sollen die Vorbereitung der weiteren BAföG-Novelle ermöglichen, die die Ampel für diese Legislaturperiode versprochen hatte, deren Finanzierung aber bislang in den Sternen stand. Und erst wenn Stark-Watzinger geliefert hat, gibt es das Geld. Bis dahin haben die Haushälter es gesperrt.
Laut Haushaltsvermerk hat die Novelle zum Wintersemester 2024/25 zu starten, "damit die Förderung den stark gewachsenen Lebenshaltungskosten der Studierenden sowie ihrer veränderten Lebens- und Studienrealität gerecht wird." Gleichzeitig soll mit dem Geld die Anpassung des BAföG-Bedarfssatzes an das Existenzminimum und "der Sätze für Unterhaltszahlung infolge der zu erwartenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" finanziert werden. Nebenbei sorgt der Sperrvermerk auch dafür, dass die 150 Millionen Euro nicht wieder im Rahmen einer sogenannten Globalen Minderausgabe verschwinden können.
"Mittlerer Wurf scheint möglich"
Zuletzt hatte der Geschäftsführer des Deutschen Studierendenwerks, Matthias Anbuhl, hier im Blog einen Nachschlag beim BAföG als "Nagelprobe" dafür bezeichnet, "ob die Ampel für die junge Generation außer warmen Worten auch harte Währung übrighat". Nach dem Beschluss zeigte sich Anbuhl angetan: "In Zeiten leerer Kassen und auch vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021" könnten sich die 150 Millionen zusätzlich "durchaus sehen lassen": "Das ist eine Summe, mit der man Bedarfssätze und Freibeträge sowie Wohnkostenpauschale deutlich erhöhen kann. Ein mittlerer Wurf scheint möglich, die BAföG-Nullrunde 2024 kann abgewendet werden."
Die für den BMBF-Etat zuständige SPD-Haushaltspolitikerin Wiebke Esdar sagte: "Für uns als SPD hat insbesondere diese BAFöG-Erhöhung oberste Priorität gehabt. Darum freue ich mich, dass das gelungen ist. Jetzt gilt es, den Prozess weiter intensiv zu begleiten, damit die Bafög-Erhöhung und die Strukturreform zeitnah kommen."
"Wir brauchen diese Strukturreform", sagte auch der grüne Bundestagsabgeordnete Bruno Hönel, "um eine höhere Zahl an armutsbedrohten Studierenden ins BAföG zu holen und die finanziellen Bedingungen für BAföG-Beziehende langfristig zu verbessern". Alle Voraussetzungen seien da, der Bundestag habe bereits vor über einem Jahr einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem zentrale Bestandteile einer Reform beschrieben würden. "Jetzt ist das Ministerium am Zug, hierfür zügig ein Konzept vorzulegen. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger wird sich am Ende auch daran messen lassen müssen, ob sie sich in Krisenzeiten ernsthaft für die Belange von Studierenden eingesetzt hat."
Die Ministerin begrüßte die Entscheidung am Morgen auf "X": "Aufstieg durch Bildung ist unser zentrales Anliegen", postete Stark-Watzinger. "Mit dem Beschluss des HH-Ausschuss können wir den nächsten Schritt der BAföG-Reform jetzt umsetzen."
Endgültig verabschieden soll der Bundestag den Bundeshaushalt voraussichtlich am 1. Dezember. Wegen des Verfassungsgerichtsurteils vom Mittwoch werden außerdem nächste Woche noch Sachverständige angehört, doch Auswirkungen auf die Ausschussbeschlüsse zum BMBF-Etat erwarten die zuständigen Haushälter nicht.
Mehr Geld für die Zusammenarbeit mit Israel
Die 150 Millionen zusätzlich fürs BAföG waren die mit Abstand höchste Veränderung am BMBF-Etat, den die Haushälter in ihrer Bereinigungssitzung vornahmen. Doch änderten sie den Regierungsentwurf an zahlreichen weiteren Stellen ab.
Ein Augenmerk lag dabei auf der veränderten politischen Situation seit dem Hamas-Terrorangriff. Als "Soforthilfe Israel" wurden für 2024 zwei Millionen und für die Folgejahre eine weitere Million zusätzlich in den Titel "Wissenschaftliche Zusammenarbeit mit ausländischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen" eingestellt, wobei der Großteil der Förderung der Minerva-Stiftung dienen soll. Die Stiftung, deren Anteile von der Max-Planck-Gesellschaft gehalten werden, unterstützt seit 1964 den Wissenschaftsaustausch zwischen Deutschland und Israel. Das Berliner Tikvah-Institut zur Bekämpfung des Antisemitismus erhält ebenfalls mehr Geld.
Insgesamt fünf Millionen Euro zusätzlich für 2024 und in den Folgejahren weitere 21 Millionen mehr als bislang geplant fließen in den Titel für Geistes- und Sozialwissenschaftliche Forschung, der damit eine beträchtliche Aufstockung erfährt. Davon profitieren neben dem Tikvah-Institut weitere zivilgesellschaftliche Einrichtungen, darunter der Verfassungsblog. Der größte Teil aber geht an die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF), deren bessere finanzielle Ausstattung, auch durch eine Erhöhung ihres Stiftungskapitals, der Wissenschaftsrat im Sommer angemahnt hatte. Zwei Millionen mehr in 2024 und weitere zehn Millionen zusätzlich für die Folgejahre sahen die Haushälter für die DSF vor – wobei zur Wahrheit gehört, dass ein großer Teil davon für die Kompensation gekürzter Zuschüsse aus dem Auswärtigen Amt draufgeht.
Einen eigenen Haushaltstitel, laut Vermerk explizit um dem Thema "eine größere Bedeutung zukommen zu lassen", erhält die Forschung zur Frauengesundheit und die Bearbeitung des sogenannten Gender Data Gaps in der Medizin. Das neue Forschungsprogramm unter anderem zur Edometriose wird 2024 mit 12,5 Millionen gefüllt und in den Folgejahren zudem mit 43 Millionen an sogenannten Verpflichtungsermächtigungen.
Was die Haushälter noch beschlossen
o Drei Millionen für 2024 und sechs Millionen für 2025 werden für den deutschen Anteil zu Planungskosten und insbesondere für eine Machbarkeitsstudie für das in der Europäischen Union geplante Einstein-Teleskop eingestellt.
o Fünf Millionen für 2024 und 35 Millionen für die Folgejahre sind jetzt neu für den Einstieg in den Bau des Röntgenmikroskops PETRA IV am DESY in Hamburg vorgesehen.
o Die Grundfinanzierung der United Nations University (UNU) in Bonn wird 2024 um 1,3 Millionen Euro aufgestockt, in den Folgejahren jeweils um 1,8 Millionen Euro.
o Dass die Haushälter acht Millionen Euro zusätzlich für Forschung zu Long-Covid und ME/CFS bereitstellten, hob der Grünen-Politiker Hönel hervor. So werde die Nationale Klinische Studiengruppe nun für die Jahre 2025 und 2026 abgesichert. "Das bringt Planungssicherheit und hoffentlich bald auch effektive Medikamente." Im Zusammenspiel mit den Haushälterinnen des Gesundheitsetats, die zusätzliche 112 Millionen beschlossen, werde die Förderung des Bundes im Bereich Long-Covid / ME/CFS nun auf insgesamt über 200 Millionen erhöht.
o Verhindern will der Haushaltsausschuss, dass das langjährige Programm "JOBSTARTER plus" zur Ausbildungsförderung wie bislang vorgesehen einfach ausläuft. Die Abgeordneten forderten das BMBF per Maßgabebeschluss auf, ein Nachfolgeprogramm im Rahmen der "Exzellenzintiative Berufliche Bildung" zu prüfen, damit die "positive Wirkung" von "JOBSTARTER plus" erhalten bleibe. Bis Mitte 2024 muss das Ministerium dazu berichten.
o Wie in den vergangenen Jahren beschloss der Haushaltsausschuss, angesichts der hohen Anteile nicht ausgegebener Selbstbewirtschaftungsmittel einen Teil der Helmholtz-Zuschüsse zu sperren, und zwar sowohl für den Betrieb als auch für Investitionen, bis an den jeweiligen Zentren ein ausreichender Ausgabenstand vom Haushaltsausschuss festgestellt wird. Ähnlich verfuhr man nun erstmals mit der Leibniz-Gemeinschaft, allerdings nur bezogen auf ihre Investitionsmittel, von denen zunächst zehn Prozent gesperrt wurden.
o Dass der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) nächstes Jahr drei Millionen Euro zusätzlich aus dem BMBF-Haushalt für seine Fachkräfteprogramme erhält, hatte der Haushaltausschuss bereits im Oktober festgelegt. Im Etat des Auswärtigen Amts nahm der Haushaltsausschuss in seiner Bereinigungssitzung ebenfalls Änderungen vor. 2,8 Millionen Euro zusätzlich gehen an den DAAD für Investitionen (IT, digitale Infrastruktur), während der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) trotz dringender Appelle keine Budget-Aufstockung gewährt wurde. Für das Goethe-Institut, das aus Budgetnot die Schließung mehrerer Dependancen plant, sahen die Haushälter rund fünf Millionen mehr vor, allerdings unter strengen Auflagen und vor allem zur Begleitung der Schließungen, etwa für Abfindungen.
o Die im Etat des Bundesinnenministeriums vorgesehene 20-Millionen-Kürzung für die Bundeszentrale für politische Bildung wurde in der Bereinigungssitzung formal rückgängig gemacht, nachdem Ministerin Nancy Faeser (SPD) die komplette Rücknahme bereits Anfang November angekündigt hatte.
o Insgesamt 68,6 Millionen Euro sollen bis 2028 über den Etat des Bauministeriums für den Aufbau eines Bundesbauforschungszentrums aufgewendet werden, beschloss der Haushaltsausschuss, die ersten 3,6 Millionen davon im Jahr 2024. Das "LAB – Living Art of Building" soll am ressourcenschonenden und klimaneutralen Bauen der Zukunft forschen und seinen Hauptsitz in Bautzen haben. Der Freistaat Sachsen hatte bereits die Übernahme von Investitionskosten zugesagt.
Was den Mitte 2024 auslaufenden Digitalpakt Schule angeht, bleibt es dagegen dabei: Für 2024 wird es im Bundeshaushalt keinen Euro für eine Fortsetzung geben, obwohl zuletzt sogar die Ministerpräsidenten der Länder dies gefordert hatten. Doch die Ampel-Haushälter winkten ab.
Dieser Beitrag wurde im Laufe des Freitags mehrfach ergänzt.
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Lambert T. Koch reagiert auf die Vorwürfe einer zu großen Nähe des Hochschulverbands zum "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit". Im Interview sagt der DHV-Präsident, wo er die Berufsvertretung wissenschaftspolitisch verortet sieht, wie er um nichtprofessorale Mitglieder wirbt – und welche Rolle für ihn Gender Studies und die Postkoloniale Theorie spielen.
Lambert T. Koch, 58, ist Wirtschaftswissenschaftler und war von 2008 bis 2022 Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Viermal wurde er von DHV-Mitgliedern zum "Rektor des Jahres" gekürt. 2023 trat Koch die Nachfolge von Bernhard Kempen als Präsident des Deutschen Hochschulverbandes an. Foto: Deutscher Hochschulverband/BeAStarProductions.
Herr Koch, der Deutsche Hochschulverband (DHV) bezeichnet sich selbst als "Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland". Wäre es nicht fairer zu sagen, dass er lange vor allem eine Vertretung arrivierter Professoren und ihre Interessen war? Und ist er es immer noch?
Wie es der Begriff "Berufsvertretung" nahelegt, versteht sich der DHV schwerpunktmäßig als ein Interessenverbund von Menschen, die hauptberuflich und dauerhaft in der Wissenschaft tätig sind oder sich für eine solche Tätigkeit qualifizieren. Natürlich passt er sich dabei an veränderte Karrierewege an. So hat er sich schon vor Jahren nicht nur für Habilitierende und Juniorprofessorinnen und -professoren, sondern generell auch für Postdocs geöffnet. Die Serviceangebote des DHV wollen Mitglieder in jedem beruflichen Stadium ansprechen – von der Phase der Qualifizierung bis in die Zeit nach der Emeritierung. Was Studierende und Promovierende anbetrifft, strebt rein statistisch am Ende nur ein geringer Prozentsatz eine wissenschaftliche Karriere an. Dennoch sind uns auch berechtigte Interessen dieser Gruppen nicht gleichgültig.
Rund 70 Prozent der DHV-Mitglieder sind unbefristet beschäftigte Professorinnen und Professoren. Was tun Sie, um den Anteil von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erhöhen, die keine Professur, aber eine Dauerstelle haben? Und wie wollen Sie mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Karrierephase als Mitglieder gewinnen? Zuletzt gab es in zwei Protestwellen sogar zahlreiche Austritte.
Zu den zentralen wissenschaftspolitischen Zielen des DHV gehört es, über alle Personalkategorien hinweg Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten. Deshalb legen wir regelmäßig dort den Finger in die Wunde, wo sich Rahmenbedingungen verbessern müssen. Wir nehmen natürlich Rücksicht darauf, dass die Interessen unserer Mitglieder divergieren. So haben beispielsweise junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein mehr als verständliches Interesse daran, dass für sie verlässliche Perspektiven im Wissenschaftssystem gegeben sind. Dies nimmt der Verband genauso auf, wie er unermüdlich auf eine auskömmliche Budgetierung von Hochschulen drängt, damit junge Menschen überhaupt eine wissenschaftliche Karriere anstreben können. Vielerorts werden zusätzliche Dauerstellen im Mittelbau benötigt, auch im Rahmen neuer Personalkategorien unterhalb der Professur. Das mahnen wir an. Dass es trotz unserer Bemühungen, möglichst alle Gruppierungen mitzunehmen, Austritte gegeben hat, bedauere ich. Der DHV konnte diese Austritte bislang zwar immer durch Eintritte mehr als kompensieren. Doch unser Anspruch ist es, artikulierte Unzufriedenheit ernst zu nehmen. Dass ansonsten die schon erwähnten Serviceangebote und persönlichen Beratungen insbesondere auch von jüngeren Mitgliedern immer wieder sehr gutes Feedback erhalten, ist dann doch zumindest ein Indikator dafür, dass der DHV einiges richtig macht.
Ihr Vorgänger Bernhard Kempen hat den DHV sehr konservativ positioniert. An welcher Stelle und bei welchen Positionen unterscheiden Sie sich von ihm?
In der öffentlichen Debatte ist man für meinen Geschmack heute zu schnell dabei, Menschen und Institutionen Stempel aufzudrücken oder Bekenntnisse abzufordern: rechts oder links, konservativ oder progressiv, für mich oder gegen mich. Wenn man dies bezüglich meiner Person versuchte, wäre ich darüber nicht glücklich. Gerade in einer Zeit, in der Politik an den Hochschulen wieder eine größere Rolle spielt, müssen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das leisten, was Wissenschaftsfreiheit ja Gott sei Dank ermöglicht: Wir sollten Sachverhalte differenzierter betrachten und dabei auch unterschiedliche Sichtweisen respektieren – fair und ohne Polemik, mit der man nach meinem Eindruck heute allzu schnell bei der Hand ist. Der DHV vereinigt rund 33.500 fachlich, biografisch und von ihrer politischen Anschauung her höchst unterschiedliche Mitglieder. Diese Vielfalt bereichert den Verband. Was uns verbindet, ist das Interesse an freier Forschung und Lehre sowie guten Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus sind wir alle dem Streben nach Erkenntnis verpflichtet. Wir sind gewissermaßen immer auf dem Weg und offen für neue Positionen und Perspektiven. Nur so bleiben wir auch als Verband glaubwürdig und interessant. Davon bin ich überzeugt.
"Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung."
Wenn der DHV, wie geschehen, das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" als "willkommenen Mitstreiter" bezeichnet, was sagt das über das Verhältnis zwischen DHV und Netzwerk?
Die Bezeichnung halte ich für missverständlich. Sie ist meines Wissens ein einziges Mal verwendet worden und bezog sich auf das wichtige Anliegen, die Freiheit der Wissenschaft gegen Übergriffe zu verteidigen. Missverständlich deshalb, weil damit zu keinem Zeitpunkt eine pauschale Zustimmung zu sämtlichen Aktivitäten und Positionen des Netzwerks verbunden war, erst recht nicht zu problematischen Personalia. Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung. Das Netzwerk hat gut 700 Mitglieder, die sich aus einer gemeinsamen Problemwahrnehmung heraus zusammengefunden haben. Wir vertreten wie gesagt mehr als 33.000 Mitglieder und sprechen dabei für eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die heterogene Perspektiven und voneinander abweichende Erwartungen pflegen. Was unterschiedliche wissenschaftliche Positionen angeht, kommt es uns nicht zu, eine Schiedsrichterrolle einzunehmen.
Und wissenschaftspolitisch? Anhand welcher Kriterien sollte sich eine Berufsvertretung da positionieren?
Eine Berufsvertretung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss für die Freiheit von Forschung und Lehre eintreten. Das ist ihr klarer wissenschaftspolitischer Auftrag. Welche konkreten Positionen und Forderungen daraus erwachsen, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Bewertungsrundlage ist aber stets die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das heißt beispielsweise, dass auch unliebsame, den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen Ansichten im wissenschaftlichen Diskurs zuzulassen sind. Sollte bestimmten wissenschaftlichen Positionen oder Fachrichtungen die Daseinsberechtigung abgesprochen werden, muss der DHV die Stimme erheben. Er würde aber sein Mandat überziehen, wenn er sich beispielsweise in politischen Diskussionen dazu einmischte, welche Fachrichtungen auf Kosten anderer besonders gefördert werden sollten. Dies ergibt sich schon aus der Vielzahl von Fächern, die in unseren eigenen Reihen vertreten sind.
Wie stehen Sie zu der per Offenen Brief geäußerten Kritik des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit", die Postkoloniale Theorie habe "erheblichen Anteil an der Diskreditierung und Erosion fundamentaler Prinzipien der Wissenschaftlichkeit und der Wissenschaftsfreiheit"?
Ich halte diese Position für zu pauschal. Die mir bekannten postkolonialen Theorieangebote weisen eine hohe Heterogenität und Differenziertheit auf. Sie gehen auch unterschiedlich weit, was ihre implizite oder explizite Normativität betrifft. Hier besteht vor allem auf fachlich-inhaltlicher Ebene viel Diskursbedarf. Zum Teil wurde in der Kritik an dem von Ihnen erwähnten Offenen Brief ja behauptet, dass das Netzwerk die Politik dazu auffordere, postkoloniale Studien an Universitäten zu unterbinden. Tatsächlich heißt es aber in dem Schreiben: "Wir wenden uns selbstverständlich nicht dagegen, dass postkoloniales und anderes postmodernes Gedankengut an unseren Universitäten vertreten wird. Es muss aber jederzeit kritisch diskutiert werden können." Da halte ich es schon für wichtig, bei aller Erregung, korrekt zu bleiben. Ich persönlich mag den polemischen Stil auf beiden Seiten nicht und glaube auch nicht, dass wir uns als Wissenschaft mit Blick auf die interessierte Öffentlichkeit damit einen Gefallen tun. Das Thema ist wichtig. In der Sache sollte daher gerne auch hart diskutiert werden. Dabei sollten die Beteiligten aber gelassener bleiben und nicht immer wieder unter die Gürtellinie zielen.
"Viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren."
Besteht die eigentliche Gefahr einer mangelnden Meinungs- und Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft nicht in der mangelnden Vielfalt in den wissenschaftlichen Führungspositionen?
Ich halte Perspektivenvielfalt in einer offenen und innovativen Wissenschaft für wesentlich und unverzichtbar. Das deutsche Wissenschaftssystem verträgt fraglos mehr biografische Heterogenität. Vielfalt darf dann aber auch unterschiedliche politische Positionen nicht ausschließen. Außerdem darf nicht aus dem Blick geraten, dass Wissenschaft vor allem einem Wahrheitsanspruch verpflichtet ist. Ihre Positionen entwickeln sich methodengeleitet und dürfen nicht leichthin auf schlichte Meinungen reduziert werden. Dies kommt mir bisweilen in der aufgeheizten Debatte um Vielfalt zu kurz. Wir müssen genauer fragen, wo mehr Vielfalt benötigt wird und was wir davon erwarten. Es gibt viele gute Gründe dafür, Chancengleichheit zu fordern und Benachteiligungen auf dem Karriereweg zu bekämpfen. Doch das allein führt nicht notwendigerweise zu besserer Erkenntnis. Im Übrigen ist es eine Stärke des DHV, dass so viele unterschiedliche Fächer vertreten sind, die mit dem Thema Vielfalt je eigene Perspektiven verbinden. Diese gilt es zusammenzubringen, um zu differenzierten Antworten zu gelangen. Darin liegt zugleich ein großer Vorzug, der Wissenschaft gegenüber Politik auszeichnet.
Wessen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist stärker gefährdet: die verbeamteter Professor:innen oder wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen in frühen Karrierephasen?
Es gibt nur eine Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit für alle, unabhängig vom Beschäftigungsstatus. Aber viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren. Grundsätzlich sollten die Organisationsstrukturen in der Wissenschaft für alle so sein, dass die Bereitschaft, Überkommenes infrage zu stellen und innovative Pfade zu beschreiten, unterstützt und geschützt wird, ohne die Verantwortung für Qualitätssicherung zu vernachlässigen. Das heißt etwa auch, Professorinnen und Professoren müssen ebenso selbstverständlich mit dem begründeten Widerspruch von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leben wie umgekehrt.
Wie soll das gehen angesichts des Machtgefälles, das vielerorts immer noch herrscht?
Ich bin optimistisch, dass sich Varianten der alten Idee einer so gearteten Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in einem transparenten, offenen Wissenschaftsbetrieb auch heute realisieren lassen.
Inwiefern braucht es für eine Steigerung der Exzellenz und für eine größere Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft auch mehr Vielfalt und Diversität unter den Professor:innen, und wie wollen Sie sich als DHV konkret für Veränderungen einsetzen?
Der DHV setzt sich in vielerlei Hinsicht für ein offenes und faires Wissenschaftssystem in Deutschland ein. Dieser Einsatz betrifft die grenzüberschreitende Offenheit für Menschen unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität, Sprache, Religion oder sozialem Status. Unter Berücksichtigung des Prinzips der Bestenauslese können zusätzliche Perspektiven die Ergebnisse von Wissenschaft bereichern. Ansatzpunkte, in diese Richtung zu wirken, ergeben sich bei jeder Beteiligung an Hochschulgesetzesnovellen, bei der Auditierung von Hochschulen für transparente und faire Berufungsverhandlungen oder auch mit Blick auf viele Serviceangebote, gerade für neue Mitglieder.
"Als wenig redlich empfinde ich es, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht."
Könnten hier auch die Gender Studies willkommene Mitstreiter des DHV sein? Welche Bedeutung haben diese grundsätzlich an deutschen Universitäten?
Jede Disziplin, die mit wissenschaftlichen Methoden nach rationaler Erkenntnis sucht und dafür Wissenschaftsfreiheit einfordert, ist eine willkommene Mitstreiterin des DHV. Ich sehe keinerlei Grund, warum dies für Gender Studies nicht gelten sollte, sofern sie, wie jedes andere Fach auch, danach trachten, methodengeleitet einen Teilausschnitt der Welt besser zu verstehen. Worauf es hier für Universitäten ankommt, hat beispielsweise der Wissenschaftsrat in seiner jüngsten Bestandaufnahme zur Geschlechterforschung hervorgehoben.
War es klug, dass der DHV in einer Debatte über die Wissenschaftsfreiheit eine einzelne kritische Wissenschaftlerin per Tweet namentlich angegangen ist?
Ich persönlich mag den rauen oder teils sogar sehr derben Stil, der in Debatten auf Plattformen wie "X" zuweilen vorherrscht, nicht. Das kam ja schon raus. Ihre Frage, ob es im konkreten Fall, den ich natürlich kenne, klug war, eine einzelne Wissenschaftlerin per Tweet namentlich zu nennen, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Am besten macht sich jeder selbst ein Bild. Ich weiß, dass der Fall in einem Blog-Beitrag harsch kritisiert wurde. Als wenig redlich empfinde ich es allerdings, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht. Richtig ist, dass ein großer Berufsverband sicherlich mehr aushalten kann und muss als eine Einzelperson, selbst wenn diese gelegentlich im Verbund mit meinungsstarken Netzwerken und Akteuren agiert. Die konkrete Namensnennung erfolgte im Tweet zu einem FAZ-Artikel. In diesem wird die Wissenschaftlerin zwar nicht namentlich erwähnt, jedoch unter offensichtlicher Bezugnahme auf zuvor öffentlich im Blog getätigte Äußerungen kritisiert. Dass die Weiterleitung des Artikels und der Tweet die Gemüter derart erhitzen, hat mich überrascht. Aber natürlich nehme ich den Unmut zur Kenntnis.
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Deutschlands Wissenschaftsfinanzierung ist eine föderale Erfolgsgeschichte – und beruht auf einem Wertekonsens, der politisch bislang nie in Frage gestellt wurde. Was wäre, wenn sich das änderte? Ein Gastbeitrag von Hans-Gerhard Husung.
Hans-Gerhard Husung (SPD) war Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in Berlin und von 2011 bis 2016 Generalsekretär der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK). Foto: privat.
EIN BLICK IN DIE WELT genügt, um zu erkennen, dass das Gedeihen der Wissenschaft von den politischen Rahmenbedingungen abhängt. Die Niederlande und Skandinavien sind aktuelle Beispiele dafür, dass populistische Regierungen und Parlamentsmehrheiten für das Wissenschaftssystem, insbesondere die Hochschulen, spürbar negative Auswirkungen haben. Ein erstes Opfer ist regelmäßig die Internationalisierung, indem beispielsweise englischsprachige Studienangebote gestrichen, Visabestimmungen geändert oder Kapazitäten zurückgefahren werden. Wenn in Großbritannien die Tories und ihr Premierminister das Ziel "50 per cent of 18 to 30-year-olds being able to enter higher education" für "one of great mistakes of the last 30 years" halten, ist es höchste Zeit für eine kurze Besinnung über die eigene Lage.
75 Jahre Grundgesetz bedeuten auch eine Erfolgsgeschichte für die Wissenschaft und ihre Finanzierung in Deutschland. Die Pflicht des Staates, die Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5, Absatz 3 materiell zu gewährleisten, gehörte ebenso zum breiten politischen Grundkonsens aller Parteien und Regierungen wie die freie Wahl des Berufs und die Gewährleistung entsprechender Studienmöglichkeiten, zuletzt umgesetzt im Hochschulpakt und im Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken. In diesen Grundkonsens haben sich die im Laufe der Jahrzehnte neu entstehenden Parteien regelmäßig eingebracht, zunächst die Grünen und nach 1990 auch die PDS bzw. die Linkspartei. Ihre Integration in den kooperativen Föderalismus für die Wissenschaft ist überall gelungen, wo sie in den Ländern politische Verantwortung übernommen haben.
Wie Bund und Länder gemeinsam die Wissenschaft finanzieren
Dieser politische Grundkonsens über die Bedeutung einer den Werten der Aufklärung verpflichteten, rationalen Wissenschaft war und ist die Voraussetzung für ihre gemeinschaftliche Finanzierung zunächst nur durch die Ländergemeinschaft, mit der Verfassungsreform von 1969 durch die Länder und den Bund. Zweimalige Änderungen des Grundgesetzes 2006 und 2015 haben die gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten jeweils noch erweitert. Rund 18 Milliarden Euro fließen jährlich auf dieser Basis ins Wissenschaftssystem, ein großer Teil davon über den Pakt für Forschung und Innovation an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und über den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" in die Hochschullehre.
Geht das Grundgesetz in der deutschen Verfassungstradition von der Trennung der Aufgabenbereiche zwischen Bund und Ländern aus, so wird mit den Gemeinschaftsaufgaben, zu denen die Wissenschaftsfinanzierung gehört, ein gesetzlich nicht geregelter Zwischenraum eröffnet, der von den Regierungen durch Verwaltungsvereinbarungen exekutiv ausgestaltet werden kann. Die damit verbundene finanzielle Selbstbindung der Beteiligten unterliegt dem Einstimmigkeitserfordernis, entweder der Wissenschaftsminister und Finanzminister oder der Regierungschefs von Bund und Ländern. Die Arena für die Aushandlung ist in der Wissenschaft die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern. Das Risiko der damit 17 potenziellen Veto-Spieler wurde bislang durch den wissenschaftspolitischen Grundkonsens unter allen Beteiligten wirkungsvoll eingehegt. Äußerst seltene Veto-Situationen etwa bei Haushaltsnotlagen ließen sich auf der Ebene der Ministerpräsidenten pragmatisch auflösen.
Ob das auch bei einer populistischen Landesregierung gelingen würde, deren sie tragende Partei mit ihren "verfassungsfeindlichen Strömungen" eher auf alternative Fakten und Verschwörungstheorien als auf Aufklärung und Rationalität setzt, ist mehr als fraglich. Und was würde ein solches Szenario für die bestehenden Verwaltungsvereinbarungen bedeuten?
Mit den Vereinbarungen verpflichten sich zunächst die Regierungen von Bund und Ländern, in ihren jeweiligen Haushaltsentwürfen die entsprechenden Summen vorzusehen. Alle Vereinbarungen stehen mit Blick auf die finanzielle Ausstattung dann jedoch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der 17 Parlamente von Bund und Ländern. Nicht zuletzt wegen der konkreten finanziellen Vorteile für die Wissenschaftseinrichtungen im eigenen Land hat allerdings noch nie ein Parlament die Bereitstellung der notwendigen Mittel verweigert. Was bislang deshalb eher formelhaften Charakter hatte, könnte ein Landesparlament bei entsprechenden wissenschaftsaversen Mehrheiten scharf schalten – mit dramatischen Folgen nicht nur für die Wissenschaft im Land, sondern darüber hinaus für die Gemeinschaftsfinanzierung der Wissenschaft in Deutschland.
Zwei Programmgruppen, zwei Szenarien
Was könnte konkret passieren? Die laufenden Programme lassen sich unter dem Risikoaspekt in zwei Gruppen unterteilen: Erstens geförderte Maßnahmen, bei denen eine bilaterale Finanzierung von Bund und jeweiligem Sitzland vorgesehen ist ("Forschung an Fachhochschulen", "Innovative Hochschule", das Professorinnenprogramm,) oder der Bund allein die Mittel bereitstellt ("Wissenschaftlicher Nachwuchs", "Qualitätsoffensive Lehrerbildung"). Alle diese Programme haben den Charakter eines Projekts, sind deshalb zeitlich befristet und laufen automatisch aus, wenn sie nicht durch einen entsprechenden Beschluss in der GWK verlängert werden. Aus ihnen könnte jedes Land durch eigene Entscheidung faktisch ausscheiden, zum Beispiel indem es keine Anträge weiterreichte, mit entsprechenden Konsequenzen für die eigenen Einrichtungen, jedoch ohne unmittelbare Folgen für das Gesamtprogramm während seiner Laufzeit.
Die zweite Gruppe betrifft Verwaltungsvereinbarungen, die auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden und die von einem einzigen Land, das den wissenschaftspolitischen Grundkonsenses nicht mehr mitträgt, nicht einseitig gekündigt werden könnten. Das gilt für die Exzellenzstrategie, den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" und die Innovative Hochschullehre, die für die Hochschulen von ganz besonderer Bedeutung sind. Für eine Kündigung wären im Ernstfall zwischen drei und acht Länder notwendig, allerdings mit einer gewichtigen Ausnahme: Beim Zukunftsvertrag besteht für jedes Land die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung, also eine individuelle Ausstiegsoption.
Eine wissenschaftsaverse Landesregierung beispielsweise in einem ostdeutschen Land hätte demnach die Möglichkeit, für ihre Hochschulen aus dem Zukunftsvertrag auszusteigen: mit erheblichen Nachteilen für die betroffenen Hochschulen des Landes, jedoch ohne unmittelbare Auswirkungen auf das gesamte Hochschulsystem – zumindest so lange, wie der bestehende Zukunftsvertrag keine Änderung erfahren soll.
Der hypothetisch durchgespielte Fall verweist jedoch auf ein Defizit der bestehenden Regelungen: Es ist in der Verwaltungsvereinbarung keine Wiedereinstiegsmöglichkeit vorgesehen. Im hypothetischen Fall bliebe das Land auch bei einem Wechsel zu einer wissenschaftsfreundlichen Landesregierung dauerhaft ausgeschlossen. Die Austrittsoption sollte deshalb durch eine entsprechende Wiedereintrittsoption ergänzt werden.
Sollte der Zukunftsvertrag inhaltliche Änderungen erfahren, würde wieder nach Grundgesetz-Artikel 91 b das verfassungsrechtliche Erfordernis der Einstimmigkeit greifen. Ähnliches gilt für den Pakt für Forschung und Innovation, der zwar keine Kündigungsklauseln enthält, wohl aber eine zeitliche Befristung, aktuell bis zum Jahre 2030. Für seine Verlängerung wäre ein einstimmiger Bund-Länderbeschluss notwendig.
Weil keiner es sich vorstellen konnte
Die grundsätzliche gemeinsame Bund-Länder-Finanzierung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der DFG sieht dagegen keine Kündigungsmöglichkeit vor. Die entsprechenden Vereinbarungen unterliegen lediglich dem Risiko, dass das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung der GWK außer Kraft tritt. Als diese Vereinbarung 2007 geschlossen wurde, wurden die Konditionen einer möglichen Kündigung relativ dilatorisch behandelt, weil der wissenschaftspolitische Grundkonsens weitergehende Überlegungen als vollkommen abwegig erscheinen ließ. Während eine Kündigungsfrist von zwei Jahren genannt wird, ist nicht einmal ein Länderquorum vorgesehen. Gleichwohl ist die politische Kündigungshürde außerordentlich hoch. Ob sie zur Abwehr eines destruktiven politischen Willens ausreicht, wird hoffentlich keinem Praxistest unterzogen.
Wie könnte das System der gemeinsamen Wissenschaftsfinanzierung von Bund und Ländern wetterfester gemacht werden? Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung könnte der Bund zum Beispiel ein Gesetz zur Forschungsförderung beschließen, das seine Rolle im System der Forschungsförderung gesetzlich festschriebe. Eine Option, die historisch lediglich in den 1950er Jahren der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer als Drohpotenzial ins Spiel brachte – gegenüber der Weigerung der Länder, den Bund in das Königsteiner Abkommen aufzunehmen. Der gesetzgeberische Aufwand wäre vermutlich erheblich, die Wirkung im Vergleich mit dem Status quo begrenzt, denn die Vorhaben an Hochschulen und vor allem der Zukunftsvertrag blieben außen vor.
Im Zusammenhang mit der Verfassungsreform 2006 wurden unterschiedliche Modelle einer konsequenten Entflechtung diskutiert, die dem Gedanken einer Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern folgten. Sie sind damals vor allem wegen der Pfadabhängigkeit im erfolgreichen kooperativen Föderalismus nicht zum Tragen gekommen. Auch eine solche konsequente Zuständigkeitstrennung wäre sehr aufwändig und mit großen Unsicherheiten verbunden, da verfassungsändernde Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat notwendig wären. Der begrenzte Vorteil bestünde in der entkoppelten Risikoverteilung für das Wissenschaftssystem auf 17 unabhängige Akteure; dem würde als Nachteil die Abhängigkeit der betroffenen Einrichtungen von einem einzigen Akteur – Land oder Bund - entgegenstehen. Ein mit Blick vor allem auf die Länderhaushalte wenig attraktives Szenario.
Von der Wirkung her durchaus vergleichbar wäre, den grundsätzlichen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander zu verändern. Überlegungen, das unterschiedliche finanzielle Engagement der einzelnen Länder für ihre Hochschulen als "Hochschullast" in den vertikalen und horizontalen Länderfinanzausgleich einzubeziehen, gab es bereits in den 1950er Jahren. Die Verlagerung zusätzlicher Umsatzsteuerpunkte vom Bund auf die Länder wäre eine weitere theoretisch denkbare Möglichkeit, die jedoch nur bei einer Entflechtung Sinn machen würde. Alle haushaltssystematischen Varianten hätten zudem den großen Nachteil, dass die Finanzflüsse in den Finanzministerien der Länder ankämen und in Konkurrenz mit anderen Politikfeldern im Kabinett und im Parlament für die Wissenschaft erkämpft werden müssten. Demgegenüber weist die Gemeinschaftsfinanzierung den großen Vorteil auf, dass sie ohne politische Umwegrisiken in den Wissenschaftsministerien der Länder und damit zielgenau etwa bei den Hochschulen ankommt.
Eine "Koalition der Willigen"? mithilfe des Grundgesetz-Artikels 91b?
Schließlich sei im Zusammenhang mit der Ausstiegsoption beim Zukunftsvertrag der naheliegende Gedanke einer "Koalition der Willigen" weitergeführt: Der Bund legt ein Förderprogramm beispielsweise für eine größere hochschulpolitische Zielsetzung auf, verbunden mit einem Opt-in-Angebot an die Länder, die sich beteiligen möchten. Aber auch dafür bräuchte der Bund die Zustimmung aller Länder.
Eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat wäre nötig für eine Änderung des Artikels 91b, um eine Mitfinanzierungsverpflichtung des Bundes im Bereich der Hochschulen gesetzlich zu verankern, wie es sie beispielsweise im föderalen System der Schweiz gibt. Eine solche Änderung könnte sich für den Hochschulbereich insofern auf den Artikel 91a stützen: "(1) Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben)", und hier den Spiegelstrich "Stärkung der Hochschulen (durch die Förderung eines angemessenen Studienangebots und eines qualitativ hochwertigen Hochschulstudiums)" hinzufügen. Durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates würden die Gemeinschaftsaufgabe sowie Einzelheiten der Koordinierung näher bestimmt. Der Bund trüge einen definierten Anteil der Ausgaben für die Hochschulen in jedem Land.
Es bleibt am Ende dieser Betrachtung nur eine Erkenntnis: Eine auf geteilten Werten und gegenseitigem Grundvertrauen aufgebaute institutionalisierte Kooperation zwischen Bund und Ländern, wie sie die Gemeinschaftsfinanzierung im Bereich der Wissenschaft darstellt, muss sich ihrer Risiken bewusst sein und sie künftig verstärkt mitdenken. Ein einfacher gesetzgeberischer oder verwaltungstechnischer Weg zu ihrer Vermeidung ist aus heutiger Sicht jedoch nicht erkennbar. Deshalb sind wir alle und unsere Institutionen aufgerufen, aktiv darauf hinzuwirken, dass wissenschaftsaverse politische Parteien bei den bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament und zu den drei ostdeutschen Länderparlamenten keine Chance bekommen.
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Hamburgs Universitätspräsident Hauke Heekeren über seine Ambitionen in der Exzellenzstrategie, den langen Schatten seines Vorgängers, die Strategie der Hansestadt als Wissenschaftsstandort – und die Frage, woran er sich persönlich messen lassen will.
Hauke Heekeren, 53, ist Neurowissenschaftler, seit März 2022 Präsident der Universität Hamburg und Sprecher der Hamburger Landeshochschulkonferenz. Foto: UHH/Esfandiari
Herr Heekeren, knapp zwei Jahre nachdem Sie Ihr Amt als Präsident der Universität Hamburg angetreten haben, kam es zu Ihrer ersten großen wissenschaftspolitischen Bewährungsprobe: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat am vorvergangenen Freitag bekanntgegeben, welche der bundesweit 143 eingereichten Skizzen für neue Exzellenzcluster zum Vollantrag ausgearbeitet werden dürfen. Die Universität Hamburg (UHH) war mit drei Bewerbungen am Start, nur eine davon blieb im Rennen. Geht so, oder?
Das sehe ich anders: Wir waren erfolgreich. Der ExStra-Wettbewerb ist äußerst kompetitiv und wir behaupten uns als Exzellenzuniversität gegen starke Konkurrenz. Neben unseren vier bestehenden Exzellenzclustern in den Gebieten Physik, Chemie, Klimaforschung und Manuskriptkulturen, geht nun eine weitere Forschungsinitiative in der Infektionsforschung ins Rennen. Wir bewerben uns damit für fünf Exzellenzcluster. Als LHK-Sprecher gratuliere ich auch der TU Hamburg zu der erfolgreichen Initiative im Bereich der Materialforschung, an der auch die UHH beteiligt ist. Zwei erfolgreiche Antragsskizzen sind ein starkes Signal für den Wissenschaftsstandort Hamburg.
Ihr Vorgänger Dieter Lenzen kam wie Sie von der Freien Universität (FU) Berlin nach Hamburg. Schon die FU hatte Lenzen zur Exzellenzuniversität gemacht. Als er ankündigte, das gleiche in Hamburg schaffen zu wollen, wurde er von manchen belächelt. 2019 fuhr die Universität unter seiner Leitung fünf erfolgreiche Antragsskizzen und dann vier Exzellenzcluster ein, 2020 wurde Hamburg mit dem Exzellenz-Titel gekürt. Ist Lenzens langer Schatten seit vorvergangenem Freitag noch länger geworden?
Als ich mich vor über zwei Jahren um Dieter Lenzens Nachfolge beworben habe, war diese Aufbruchstimmung, die er an der Universität Hamburg geschaffen hatte, ein wesentlicher Punkt für meine Bewerbung. Er hat viel geleistet, strategisch sehr erfolgreich gearbeitet, natürlich nicht er allein, sondern im Zusammenspiel mit der ganzen Uni, unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Und mit den Partnern der anderen Hamburger Wissenschaftseinrichtungen, DESY mit seinem Direktoriumsvorsitzenden Helmut Dosch zum Beispiel. Wir verfolgen in Hamburg die Vision einer Wissenschaftsmetropole im 21. Jahrhundert, hinter der die Stadt und auch die ganze Landesregierung steht, mit Katharina Fegebank als kompetenter und erfahrener Wissenschaftssenatorin. Dieter Lenzen hat die Gelegenheit, die sich bot, mit großem Gespür genutzt. Diese Dynamik geht weiter. Wir wollen weiter machen, noch besser werden, und das fühlt sich richtig gut an.
"Das ist vielleicht so ähnlich wie bei einem Trainer, der ein extrem erfolgreiches Team übernimmt und von dem wie selbstverständlich erwartet wird, dass er weitere Titel gewinnt."
Der große Unterschied ist, dass es unter Lenzen nur besser werden konnte. Unter Ihnen kann es zumindest in Sachen Exzellenzstrategie nur schlechter werden.
Das ist Teil des Berufsrisikos, das war mir bewusst, als ich hier anfing. Das ist vielleicht so ähnlich wie bei einem Trainer, der ein extrem erfolgreiches Team übernimmt und von dem wie selbstverständlich erwartet wird, dass er weitere Titel gewinnt. Aber ich bin keineswegs besorgt, im Gegenteil: Die bestehenden Cluster arbeiten auf einem sehr hohen wissenschaftlichen Niveau und haben national wie international eine starke Reputation erreicht. Und auch die neuen Initiativen haben hervorragende wissenschaftliche Arbeit geleistet. Trotz des Exzellenztitels gibt es immer noch Luft nach oben: Intern wie extern. Intern müssen wir deutlicher vermitteln, warum es für alle Studierenden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität ein Gewinn ist, wenn wir bei der Exzellenzstrategie erfolgreich sind. Und extern in der Stadtgesellschaft müssen wir Wissenschaft in all ihrer Exzellenz und Breite noch viel mehr zum Gespräch machen. Das ist unser Auftrag als Universität der Stadt.
Ist es eigentlich noch zeitgemäß, dass der Erfolg Ihrer Arbeit zu einem guten Teil vom Abschneiden in der Exzellenzstrategie abhängt? Anders gefragt: Passt so ein Wettbewerb noch in die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts? Die frühere Wissenschaftsratsvorsitzende Dorothea Wagner stellte bei ihrem letzten Jahresbericht vor ihrem Ausscheiden die Frage in den Mittelpunkt, ob die Wettbewerbsorientierung in der Wissenschaft an ihre Grenzen gestoßen sei.
Da sind wir bei einer sehr grundsätzlichen Diskussion angelangt. Wie wettbewerblich sollte unserer Wissenschaftssystem organisiert sein? Wie stark sollte man die Kooperation betonen? Und muss man dieses Verhältnis nicht neu denken?
Und, muss man? Zumal sich die Erwartungen an die Wissenschaft offensichtlich geändert haben. Der Umgang mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen vom Klimawandel über die Digitalisierung bis zum Umbau unserer Energieversorgung steht für viele im Vordergrund, gleichzeitig betont die Wissenschaft die Bedeutung des Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Anwendung.
Alles richtig, aber das bedeutet ja nicht, dass die Förderung herausragender Grundlagenforschung sich erledigt hat. Die Exzellenzinitiative hat mich mein gesamtes Wissenschaftlerleben lang begleitet. Für mich war sie immer viel mehr als ein Wettbewerb, sie hat den Universitäten Anlass und Gelegenheit gegeben, neue Dinge auszuprobieren und ihr strategisches Profil zu schärfen. Umgekehrt kann ich die Kritik verstehen, dass hier Gelder eher einseitig vergeben werden. Die Alternative wäre, dass die Politik die Grundfinanzierung für alle Universitäten so auskömmlich erhöht, dass überall sehr gute Grundlagenforschung möglich ist.
In vielen Bundesländern grassiert zurzeit eher die Angst vor Einsparungen im Wissenschaftsetat. Beispiel Berlin: Dort sollen die Hochschulen jedes Jahr fünf Prozent mehr Geld bekommen, fünf Jahre lang, doch parallel streiten der CDU-Finanzsenator und die SPD-Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra um Einsparungen von fast sechs Prozent in diesem Jahr. Früher blickte man in Hamburg neidvoll nach Berlin. Hat sich das unter der grünen Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank geändert?
Berlin und Hamburg kann man nicht miteinander vergleichen, dazu sind die Städte zu unterschiedlich. Berlin hat in den vergangenen zwanzig Jahren eine unglaublich positive Entwicklung hin zur Wissenschaftsmetropole geschafft. Es war toll, das als Wissenschaftler und in verschiedenen Positionen aktiv begleiten und erleben zu können. Hamburg hat damit insgesamt später angefangen, dafür aber zuletzt deutlich an Tempo aufgenommen, und wir gehen einen ganz eigenen Weg, der aus Hamburgs Tradition als Hafen- und Handelsstadt kommt. Hamburg ist der größte Industriestandort Deutschlands, auch daraus ziehen wir Kraft für die Wissenschaft. Ein Flaggschiff-Beispiel ist für mich die Science City Hamburg- Bahrenfeld mit faszinierenden Projekten wie dem von Experimentalphysiker Florian Grüner, dem es gelungen ist, per Röntgenfluoreszenz-Tomografie präzise kleinste Tumore nachweisen zu können oder die Verteilung von Medikamenten in lebenden Organismen zu beobachten. Und die Methode jetzt in Kooperation mit Siemens Healthineers in die Anwendung bringt. Das ist unser klares Zukunftsbild: Dieser Geist, die Ergebnisse von Grundlagenforschung in Innovationen weiterzuentwickeln und umzusetzen
"Mein Anspruch ist, dass wir als Universität kluge theoretische Beiträge leisten und ebenso praktisch zeigen, was alles möglich ist."
Ist Wissenschaft für Hamburg jetzt das, was vorher immer der Hafen war?
Beide ergänzen sich gegenseitig. Der Hafen kann Innovationsmotor für die Wissenschaft sein und umgekehrt. Beispielsweise verfolgen exzellente Wissenschaftler von uns die Vision, dass der Einsatz von Quantencomputing die Logistikbranche nachhaltig verändern wird. Klar ist, Wissenschaft ist ein Motor der Innovation und leistet einen entscheidenden Beitrag zum Wohlstand unserer Stadt und zu einer prosperierenden sowie nachhaltigen Zukunft.
Apropos nachhaltig: Sie haben in Hamburg das Leitbild einer nachhaltigen Universität. Was heißt denn das praktisch?
Die Nachhaltigkeit hat an der Universität Hamburg eine lange Vorgeschichte mit unserem "Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität", dort wurde viel "Denkarbeit" geleistet. Aus Mitteln der Exzellenzstrategie haben wir ein neues Amt geschaffen: Die "Chief Sustainability Officer" mit einem Team, das das gesamte Spektrum an Nachhaltigkeitsfragen strategisch neu erfasst. Das Thema energetisiert unsere Uni. Mein Anspruch ist, dass wir als Universität kluge theoretische Beiträge leisten und ebenso praktisch zeigen, was alles möglich ist: Von einer starken Klimaforschung ausgehend bis hin zu einem robusten Klimaschutzplan. So haben wir beispielsweise eine Biodiversitätsmanagerin, Myriam Rapior, die bei uns in Hamburg zu nachhaltigen Lieferketten promoviert und im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung mitarbeitet. Klar muss man Rankings immer differenziert betrachten, aber wir nehmen mit Freude zur Kenntnis, dass wir im anerkannten QS-Ranking für Nachhaltigkeit zur drittbesten deutschen Universität aufgestiegen sind. Daraus schlussfolgern wir, dass unsere Maßnahmen beginnen zu wirken. Besonders wichtig ist uns das praktische Zusammenspiel von Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die sogenannte "Twin Transformation", die einer unserer strategischen Schwerpunkte ist. Wir möchten sie als Hebel nutzen, um unsere Universität zur bestmöglichen Version ihrer Selbst zu machen.
Von welchen anderen Universitäten in Deutschland lernen Sie in Hamburg? Wo sind Ihre persönlichen Vorbilder, Herr Heekeren?
Ich sage hier schon manchmal: Schaut nach Berlin, was da alles entstanden ist, in Sachen Dynamik können wir da schon etwas lernen. Und ein Vorbild ist natürlich die TU München (TUM), gerade im Bereich Transfer und Gründung. Aber wir müssen wie gesagt immer überlegen, was davon zu uns hier Hamburg passt.
Weil Sie gerade die TUM nennen: Wenn wir fünf Jahre in der Zeit zurückgehen, gab es an deutschen Universitäten zwei scheinbar ewige Präsidenten, die jeder kannte, ihre Unis, aber auch eine ganze Ära prägten: Dieter Lenzen erst in Berlin, dann in Hamburg, und Wolfgang Herrmann an der TUM. Herrmann wurde 2019 von Thomas Hoffmann beerbt, Lenzen 2022 von Ihnen. Stehen Sie jetzt vor vergleichbaren Aufgaben?
Beide stehen wir sicherlich für einen anderen Führungsstil. Mein Anspruch ist eine Kultur der Kommunikation zu leben. Es geht um Offenheit, Transparenz und um Kommunikation auf Augenhöhe. Praktisch bedeutet das für mich in Hamburg, vor Entscheidungen, die wir im Präsidium fällen und die Menschen betreffen, mit diesen vorher zu sprechen und sie möglichst von Anfang an in den Beratungsprozess einzubeziehen. Das darf aber nicht heißen, dass wir langsamer werden. Im Gegenteil: wir wollen schneller, partizipativer, agiler und projekthafter handeln. Wir wollen den Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung mehr Eigenverantwortung ermöglichen.
"Ein Begriff, der Universitäten gut beschreibt, ist der von der robusten Flexibilität. Eine gewisse Starrheit in der Struktur, aber trotzdem so flexibel, dass sie die Veränderungen um sich herum aushält und mit ihnen umgeht."
Alles Begriffe, die toll klingen. Zur Wahrheit gehört aber, dass die Universität Hamburg aus einer linken, antiautoritären Vergangenheit herauskommt mit traditionell starken Abwehrtendenzen gegen Führungsversuche von oben. Hat sich das geändert? Ist die Universität heute das, was Hochschulmanager gern "strategiefähig" nennen?
Die Vergangenheit, von der Sie da sprechen, kenne ich nur aus Berichten, über die kann ich mir kein Urteil anmaßen. Ich sehe aber auch diesen starken Gegensatz nicht. Mein Anspruch ist schon, als Unipräsident visionär und strategisch unterwegs zu sein. Wenn ich aber ein klares Bild davon habe, wo ich hinwill, dann kann ich dieses auch den verschiedenen Mitgliedern der Universität vermitteln und sie bei anstehenden Entscheidungen mitnehmen sowie für Veränderungen begeistern. Strategisch und partizipativ, das geht zusammen und muss zusammengehen in einer Universität, die von der akademischen Selbstverwaltung geprägt ist. Manchmal wird es dann kontrovers, das muss so sein, wenn wir pluralistisch sein wollen. Wenn wir über unsere Nachhaltigkeitsstrategie diskutieren, laden wir dazu die gesamte Universität ein, stellen unsere Ideen vor und sind gespannt auf die Resonanz. Aus dem ersten "Offenen Forum Nachhaltigkeit" vergangenes Jahr haben sich fünfzehn Arbeitsgruppen gebildet, deren Ergebnisse in unsere Strategie integriert wurden. So bleiben wir als Universität mutig, neugierig und ermöglichen wirkliche Innovationen.
Sie klingen wie der einzige deutsche Unipräsident, der wunschlos glücklich ist mit der Governance seiner Hochschule. Hand aufs Herz: Wo sehen Sie Reformbedarf?
Natürlich ist das eine Frage, über die ich viel nachdenke. Mit Jetta Frost haben wir eine ausgewiesene Expertin für Organisationsfragen und wir diskutieren Fragen dieser Art im Präsidium. Meine Antwort ist: Universitäten sind stabile Organisationen. Ein Begriff, der Universitäten meines Erachtens gut beschreibt, ist der von der "robusten Flexibilität". Eine gewisse Starrheit in der Struktur, aber trotzdem so flexibel, dass sie die Veränderungen um sich herum aushält und mit ihnen umgeht. Eine gute Hochschulleitung wird diese Flexibilität situationsangemessen zu nutzen wissen und weit kommen.
Auf der Metaebene klingt das stimmig. Aber hält diese These auch den Praxistest? Sie haben in Hamburg mit den übrigen Hochschulen die "Hamburger Erklärung zu Hochschulkarrieren in der Wissenschaft" beschlossen. Sie selbst sehen sich damit in einer bundesweiten Vorreiterrolle und ein "Signal gegen den Karrieretypen-Konservatismus in der deutschen Wissenschaftslandschaft". Ihre Kritiker sehen ziemlich viele Luftblasen.
Solche Reaktionen sind nicht neu für hochschulpolitische Debatten. Es heißt häufig, dass ohne Umsetzungszwang und ohne mehr Geld Reformen nicht funktionieren würden. Ich bin immer noch stolz, dass wir es geschafft haben, die unterschiedlichen Hochschultypen in enger Abstimmung mit der Wissenschaftsbehörde auf eine gemeinsame Veränderungsperspektive einzustimmen. Unser Signal kommt an in der Hochschulpolitik, und wir tun, was wir versprochen haben, daran lasse ich mich auch gern messen.
Und ich nehme Sie gern beim Wort. Nennen Sie bitte ein paar Vorhaben, deren Umsetzung in einem Jahr konkret überprüfbar ist.
Wir haben die "Hamburger Erklärung" vor nicht einmal drei Monaten verabschiedet. Jetzt sind wir in Abstimmungsprozessen, um unsere Personalstruktur um attraktive Karrierewege auf Dauer zu erweitern. Wir binden alle ein, die für diesen Prozess wichtig sind, über alle Ebenen hinweg. Nehmen wir beispielsweise das neue Stellenprofil für Dauerstellen ("Staff Researcher") neben der Professur. Ein wichtiger Meilenstein für seine Etablierung ist die Zustimmung durch den wissenschaftlichen Personalrat, denn die Einstellungs- und Weiterbeschäftigungsverfahren verändern sich. Die UHH gehört schon heute zu den wenigen Universitäten, die in Berufungsverfahren Assessmentcenter und potenzialdiagnostische Verfahren einsetzen. Daraus ziehen wir systematische Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung des "Staff Researchers" und etablieren ein Verfahren für die wissenschaftsgeleitete Entfristung der Stellen. Ein weiterer Meilenstein ist die übersichtliche, transparente Darstellung der wissenschaftlichen Karrierewege an der UHH.
Auch wenn Sie Ihre Pläne ohne zusätzliches Geld umsetzen wollen, finanziell sichere Rahmenbedingungen brauchen Sie natürlich schon. Wie optimistisch sind Sie da?
Grundsätzlich optimistisch und gleichzeitig realistisch. Der Hamburger Senat wird seine Zusagen einhalten, auch und gerade was den Ausbau der Science City Hamburg-Bahrenfeld betrifft. Die Pläne für Bahrenfeld und der zeitliche Ablauf sind vereinbart, die Finanzierung ist gesichert. Der S-Bahnanschluss kommt, der Bund gibt seinen Teil dazu, in der Zwischenzeit entstehen wunderbare neue Forschungsbauten. Und die Menschen, die im Quartier leben, sind aktiv involviert. Auch anderswo erlebe ich ein starkes Commitment der Politik. Gerade erst hat Finanzsenator Andreas Dressel nach einer umfangreichen Analyse aller Hamburger Hochschulbauten angekündigt, in den nächsten 20 Jahren mindestens sechs Milliarden Euro in die Sanierung zu investieren. Per Senatsbeschluss wurden vergangene Woche gleich die ersten 75 Millionen Euro freigegeben, um die dringendsten Vorhaben zu starten.
"So klar, wie sich die Politik zu Hamburg als Wissenschaftsmetropole bekannt hat, fehlt mir die Fantasie, was passieren müsste, dass die Beteiligten von diesem Weg abkommen."
Als Sie Vizepräsident an der FU Berlin waren, hat der dortige Senat 2018 nach einer Analyse auch ein massives Sanierungsprogramm versprochen. 2023 musste die TU Berlin mehrere Gebäude kurzfristig schließen, und ihre Präsidentin Geraldine Rauch warnt vor dramatischen Konsequenzen für die Hochschullehre.
Meine Erfahrung in Hamburg ist, dass erst Aussagen getätigt werden, wenn man einen Plan hat und Klarheit über dessen Finanzierung besteht. An der Stelle bin ich beruhigt. Weniger beruhigt bin ich bei der Frage, wie wir als Hamburger Hochschulen die hohen Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst abbilden sollen. Für 2024 sind wir abgesichert, aber wie geht es 2025 weiter? Da brauchen wir eine Antwort der Politik. Aber auch hier gilt: So klar, wie sich die Politik zu Hamburg als Wissenschaftsmetropole bekannt hat, fehlt mir die Fantasie, was passieren müsste, dass die Beteiligten von diesem Weg abkommen.
Ist Ihr Vertrauen in die Bundespolitik ähnlich ausgeprägt?
Ich würde mir von der Bundesregierung mehr Taten wünschen, um Deutschland in Bildung und Wissenschaft voranzubringen. Wir sind leistungsstark, wir stehen im internationalen Vergleich nicht schlecht da, aber die wirkliche gesellschaftliche Prioritätensetzung drückt sich auch im baulichen Zustand der Schulen und Universitäten aus. Was sendet das für eine Botschaft der Wertschätzung an die Talente der Zukunft, an die jungen Menschen, die unser Land irgendwann steuern und gestalten sollen? Ich finde, da ist auch die Bundesregierung gefragt. Das ist ein dickes Brett. Aber es gibt viele weitere Themen, auf die es in der Zukunft ankommt. Zu nennen wäre die dringend nötige Umsetzung einer forschungsfreundlichen Gesetzgebung zu Datenschutz und Datennutzung. Oder die seit Jahrzehnten immer wieder diskutierte, aber nie forcierte Veränderung im Kapazitätsrecht, das uns als Hochschulen in unserer Entwicklung einschränkt.
Dieser Wunsch richtet sich aber schon wieder sehr stark an die Länder, oder?
Ich sage ja nicht, dass meine generelle Zufriedenheit mit der Hamburger Wissenschaftspolitik bedeutet, dass da nicht noch mehr geht. An letzterem arbeiten wir als Hochschulleitung der Universität Hamburg gemeinsam jeden Tag.
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COVID-STORM Clinicians Giuseppe Foti1, Giacomo Bellani 1, Giuseppe Citerio1, Ernesto Contro1, Alberto Pesci2, Maria Grazia Valsecchi3, Marina Cazzaniga4 1Department of Emergency, Anesthesia and Intensive Care, School of Medicine and Surgery, University of Milano-Bicocca, San Gerardo Hospital, Monza, Italy. 2Department of Pneumology, School of Medicine and Surgery, University of Milano-Bicocca, San Gerardo Hospital, Monza, Italy. 3Center of Bioinformatics and Biostatistics, School of Medicine and Surgery, University of Milano-Bicocca, San Gerardo Hospital, Monza, Italy. 4Phase I Research Center, School of Medicine and Surgery, University of Milano-Bicocca, San Gerardo Hospital, Monza IT ; COVID Clinicians Jorge Abad1, Sergio Aguilera-Albesa2, Ozge Metin Akcan3, Ilad Alavi Darazam4, Juan C. Aldave5, Miquel Alfonso Ramos6, Seyed Alireza Nadji7, Gulsum Alkan8, Jerome Allardet-Servent9, Luis M. Allende10, Laia Alsina11, Marie-Alexandra Alyanakian12, Blanca Amador-Borrero13, Zahir Amoura14, Arnau Antolí15, Sevket Arslan16, Sophie Assant17, Terese Auguet18, Axelle Azot19, Fanny Bajolle20, Aurélie Baldolli21, Maite Ballester22, Hagit Baris Feldman23, Benoit Barrou24, Alexandra Beurton25, Agurtzane Bilbao26, Geraldine Blanchard-Rohner27, Ignacio Blanco1, Adeline Blandinières28, Daniel Blazquez-Gamero29, Marketa Bloomfield30, Mireia Bolivar-Prados31, Raphael Borie32, Cédric Bosteels33, Ahmed A. Bousfiha34, Claire Bouvattier35, Oksana Boyarchuk36, Maria Rita P. Bueno37, Jacinta Bustamante20, Juan José Cáceres Agra38, Semra Calimli39, Ruggero Capra40, Maria Carrabba41, Carlos Casasnovas42, Marion Caseris43, Martin Castelle44, Francesco Castelli45, Martín Castillo de Vera46, Mateus V. Castro37, Emilie Catherinot47, Martin Chalumeau48, Bruno Charbit49, Matthew P. 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Elnagdy70, Melike Emiroglu71, Emine Hafize Erdeniz72, Selma Erol Aytekin73, Romain Euvrard74, Recep Evcen75, Giovanna Fabio41, Laurence Faivre76, Antonin Falck43, Muriel Fartoukh77, Morgane Faure78, Miguel Fernandez Arquero79, Carlos Flores80, Bruno Francois81, Victoria Fumadó82, Francesca Fusco83, Blanca Garcia Solis84, Pascale Gaussem85, Juana Gil-Herrera86, Laurent Gilardin87, Monica Girona Alarcon88, Mònica Girona-Alarcón88, Jean-Christophe Goffard89, Funda Gok90, Rafaela González-Montelongo91, Antoine Guerder92, Yahya Gul93, Sukru Nail Guner93, Marta Gut94, Jérôme Hadjadj95, Filomeen Haerynck96, Rabih Halwani97, Lennart Hammarström98, Nevin Hatipoglu99, Elisa Hernandez-Brito100, Cathérine Heijmans101, María Soledad Holanda-Peña102, Juan Pablo Horcajada103, Levi Hoste104, Eric Hoste105, Sami Hraiech106, Linda Humbert107, Alejandro D. 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Gonzalo Ocejo-Vinyals163, Zerrin Orbak164, Mehdi Oualha20, Tayfun Özçelik165, Qiang Pan-Hammarström166, Christophe Parizot142, Tiffany Pascreau167, Estela Paz-Artal168, Sandra Pellegrini49, Rebeca Pérez de Diego84, Aurélien Philippe169, Quentin Philippot77, Laura Planas-Serra170, Dominique Ploin171, Julien Poissy172, Géraldine Poncelet43, Marie Pouletty173, Paul Quentric142, Didier Raoult143, Anne-Sophie Rebillat67, Ismail Reisli174, Pilar Ricart175, Jean-Christophe Richard176, Nadia Rivet28, Jacques G. Rivière177, Gemma Rocamora Blanch15, Carlos Rodrigo1, Carlos Rodriguez-Gallego178, Agustí Rodríguez-Palmero179, Carolina Soledad Romero180, Anya Rothenbuhler181, Flore Rozenberg182, Maria Yolanda Ruiz del Prado183, Joan Sabater Riera15, Oliver Sanchez184, Silvia Sánchez-Ramón185, Agatha Schluter170, Matthieu Schmidt186, Cyril E. Schweitzer187, Francesco Scolari188, Anna Sediva189, Luis M. Seijo190, Damien Sene13, Sevtap Senoglu117, Mikko R. J. Seppänen191, Alex Serra Ilovich192, Mohammad Shahrooei62, Hans Slabbynck193, David M. Smadja194, Ali Sobh195, Xavier Solanich Moreno15, Jordi Solé-Violán196, Catherine Soler197, Pere Soler-Palacín137, Yuri Stepanovskiy198, Annabelle Stoclin199, Fabio Taccone149, Yacine Tandjaoui-Lambiotte200, Jean-Luc Taupin201, Simon J. Tavernier202, Benjamin Terrier203, Caroline Thumerelle107, Gabriele Tomasoni204, Julie Toubiana48, Josep Trenado Alvarez205, Sophie Trouillet-Assant206, Jesús Troya207, Alessandra Tucci208, Matilde Valeria Ursini83, Yurdagul Uzunhan209, Pierre Vabres210, Juan Valencia-Ramos211, Eva Van Braeckel33, Stijn Van de Velde212, Ana Maria Van Den Rym84, Jens Van Praet213, Isabelle Vandernoot214, Hulya Vatansev215, Valentina Vélez-Santamaria42, Sébastien Viel171, Cédric Vilain216, Marie E. Vilaire67, Audrey Vincent35, Guillaume Voiriot217, Fanny Vuotto107, Alper Yosunkaya90, Barnaby E. Young126, Fatih Yucel218, Faiez Zannad219, Mayana Zatz37, Alexandre Belot220* ; Imagine COVID Group Christine Bole-Feysot, Stanislas Lyonnet*, Cécile Masson, Patrick Nitschke, Aurore Pouliet, Yoann Schmitt, Frederic Tores, Mohammed Zarhrate Imagine Institute, Université de Paris, INSERM UMR 1163, Paris, France. *Leader of the Imagine COVID Group. ; French COVID Cohort Study Group Laurent Abel1, Claire Andrejak2, François Angoulvant3, Delphine Bachelet4, Romain Basmaci5, Sylvie Behillil6, Marine Beluze7, Dehbia Benkerrou8, Krishna Bhavsar4, François Bompart9, Lila Bouadma4, Maude Bouscambert10, Mireille Caralp11, Minerva Cervantes-Gonzalez12, Anissa Chair4, Alexandra Coelho13, Camille Couffignal4, Sandrine Couffin-Cadiergues14, Eric D'Ortenzio12, Charlene Da Silveira4, Marie-Pierre Debray4, Dominique Deplanque15, Diane Descamps16, Mathilde Desvallées17, Alpha Diallo18, Alphonsine Diouf13, Céline Dorival8, François Dubos19, Xavier Duval4, Philippine Eloy4, Vincent VE Enouf20, Hélène Esperou21, Marina Esposito-Farese4, Manuel Etienne22, Nadia Ettalhaoui4, Nathalie Gault4, Alexandre Gaymard10, Jade Ghosn4, Tristan Gigante23, Isabelle Gorenne4, Jérémie Guedj24, Alexandre Hoctin13, Isabelle Hoffmann4, Salma Jaafoura21, Ouifiya Kafif4, Florentia Kaguelidou25, Sabina Kali4, Antoine Khalil4, Coralie Khan17, Cédric Laouénan4, Samira Laribi4, Minh Le4, Quentin Le Hingrat4, Soizic Le Mestre18, Hervé Le Nagard24, François-Xavier Lescure4, Yves Lévy26, Claire Levy-Marchal27, Bruno Lina10, Guillaume Lingas24, Jean Christophe Lucet4, Denis Malvy28, Marina Mambert13, France Mentré4, Noémie Mercier18, Amina Meziane8, Hugo Mouquet20, Jimmy Mullaert4, Nadège Neant24, Marion Noret29, Justine Pages30, Aurélie Papadopoulos21, Christelle Paul18, Nathan Peiffer-Smadja4, Ventzislava Petrov-Sanchez18, Gilles Peytavin4, Olivier Picone31, Oriane Puéchal12, Manuel Rosa-Calatrava10, Bénédicte Rossignol23, Patrick Rossignol32, Carine Roy4, Marion Schneider4, Caroline Semaille12, Nassima Si Mohammed4, Lysa Tagherset4, Coralie Tardivon4, Marie-Capucine Tellier4, François Téoulé8, Olivier Terrier10, Jean-François Timsit4, Théo Trioux4, Christelle Tual33, Sarah Tubiana4, Sylvie van der Werf34, Noémie Vanel35, Aurélie Veislinger33, Benoit Visseaux16, Aurélie Wiedemann26, Yazdan Yazdanpanah36 1Inserm UMR 1163, Paris, France. 2CHU Amiens, France. 3Hôpital Necker, Paris, France. 4Hôpital Bichat, Paris, France. 5Hôpital Louis Mourrier, Colombes, France. 6Institut Pasteur, Paris, France. 7F-CRIN Partners Platform, AP-HP, Université de Paris, Paris, France. 8Inserm UMR 1136, Paris, France. 9Drugs for Neglected Diseases Initiative, Geneva, Switzerland. 10Inserm UMR 1111, Lyon, France. 11Inserm Transfert, Paris, France. 12REACTing, Paris, France. 13Inserm UMR 1018, Paris, France. 14Inserm, Pôle Recherche Clinique, Paris, France. 15CIC 1403 Inserm-CHU Lille, Paris, France. 16Université de Paris, IAME, INSERM UMR 1137, AP-HP, University Hospital Bichat Claude Bernard, Virology, Paris, France. 17Inserm UMR 1219, Bordeaux, France. 18ANRS, Paris, France. 19CHU Lille, Lille, France. 20Pasteur Institute, Paris, France. 21Inserm sponsor, Paris, France. 22CHU Rouen–SMIT, Rouen, France. 23FCRIN INI-CRCT, Nancy, France. 24Inserm UMR 1137, Paris, France. 25Centre d'Investigation Clinique, Inserm CIC1426, Hôpital Robert Debré, Paris, France. 26Inserm UMR 955, Créteil, France; Vaccine Research Instiute (VRI), Paris, France. 27F-CRIN INI-CRCT, Paris, France. 28CHU de Bordeaux–SMIT, Bordeaux, France. 29RENARCI, Annecy, France. 30Hôpital Robert Debré, Paris, France. 31Hôpital Louis Mourier–Gynécologie, Colombes, France. 32University of Lorraine, Plurithematic Clinical Investigation Centre Inserm CIC-P; 1433, Inserm U1116, CHRU Nancy Hopitaux de Brabois, F-CRIN INI-CRCT (Cardiovascular and Renal Clinical Trialists), Nancy, France. 33Inserm CIC-1414, Rennes, France. 34Institut Pasteur, UMR 3569 CNRS, Université de Paris, Paris, France. 35Hôpital la Timone, Marseille, France. 36Bichat–SMIT, Paris, France. ; CoV-Contact Cohort Loubna Alavoine1, Karine K. A. Amat2, Sylvie Behillil3, Julia Bielicki4, Patricia Bruijning5, Charles Burdet6, Eric Caumes7, Charlotte Charpentier8, Bruno Coignard9, Yolande Costa1, Sandrine Couffin-Cadiergues10, Florence Damond8, Aline Dechanet11, Christelle Delmas10, Diane Descamps8, Xavier Duval1, Jean-Luc Ecobichon1, Vincent Enouf3, Hélène Espérou10, Wahiba Frezouls1, Nadhira Houhou11, Emila Ilic-Habensus1, Ouifiya Kafif11, John Kikoine11, Quentin Le Hingrat8, David Lebeaux12, Anne Leclercq1, Jonathan Lehacaut1, Sophie Letrou1, Bruno Lina13, Jean-Christophe Lucet14, Denis Malvy15, Pauline Manchon11, Milica Mandic1, Mohamed Meghadecha16, Justina Motiejunaite17, Mariama Nouroudine1, Valentine Piquard11, Andreea Postolache11, Caroline Quintin1, Jade Rexach1, Layidé Roufai10, Zaven Terzian11, Michael Thy18, Sarah Tubiana1, Sylvie van der Werf3, Valérie Vignali1, Benoit Visseaux8, Yazdan Yazdanpanah14 1Centre d'Investigation Clinique, Inserm CIC 1425, Hôpital Bichat Claude Bernard, APHP, Paris, France. 2IMEA Fondation Léon M'Ba, Paris, France. 3Institut Pasteur, UMR 3569 CNRS, Université de Paris, Paris, France. 4University of Basel Children's Hospital. 5Julius Center for Health Sciences and Primary Care, Utrecht, Netherlands. 6Université de Paris, IAME, Inserm UMR 1137, F-75018, Paris, France, Hôpital Bichat Claude Bernard, APHP, Paris, France. 7Hôpital Pitiè Salpétriere, APHP, Paris. 8Université de Paris, IAME, INSERM UMR 1137, AP-HP, University Hospital Bichat Claude Bernard, Virology, Paris, France. 9Santé Publique France, Saint Maurice, France. 10Pole Recherche Clinique, Inserm, Paris, France. 11Hôpital Bichat Claude Bernard, APHP, Paris, France. 12APHP, Paris, France. 13Virpath Laboratory, International Center of Research in Infectiology, Lyon University, INSERM U1111, CNRS UMR 5308, ENS, UCBL, Lyon, France. 14IAME Inserm UMR 1138, Hôpital Bichat Claude Bernard, APHP, Paris, France. 15Service des Maladies Infectieuses et Tropicales; Groupe Pellegrin-Place Amélie-Raba-Léon, Bordeaux, France. 16Hôpital Hotel Dieu, APHP, Paris, France. 17Service des Explorations Fonctionnelles, Hôpital Bichat–Claude Bernard, APHP, Paris, France. 18Center for Clinical Investigation, Assistance Publique-Hôpitaux de Paris, Bichat-Claude Bernard University Hospital, Paris, France. ; Amsterdam UMC Covid-19 Biobank Michiel van Agtmael1, Anna Geke Algera2, Frank van Baarle2, Diane Bax3, Martijn Beudel4, Harm Jan Bogaard5, Marije Bomers1, Lieuwe Bos2, Michela Botta2, Justin de Brabander6, Godelieve de Bree6, Matthijs C. Brouwer4, Sanne de Bruin2, Marianna Bugiani7, Esther Bulle2, Osoul Chouchane1, Alex Cloherty3, Paul Elbers2, Lucas Fleuren2, Suzanne Geerlings1, Bart Geerts8, Theo Geijtenbeek9, Armand Girbes2, Bram Goorhuis1, Martin P. Grobusch1, Florianne Hafkamp9, Laura Hagens2, Jorg Hamann10, Vanessa Harris1, Robert Hemke11, Sabine M. Hermans1, Leo Heunks2, Markus W. Hollmann8, Janneke Horn2, Joppe W. Hovius1, Menno D. de Jong12, Rutger Koning4, Niels van Mourik2, Jeaninne Nellen1, Frederique Paulus2, Edgar Peters1, Tom van der Poll1, Benedikt Preckel8, Jan M. Prins1, Jorinde Raasveld2, Tom Reijnders1, Michiel Schinkel1, Marcus J. Schultz2, Alex Schuurman13, Kim Sigaloff1, Marry Smit2, Cornelis S. Stijnis1, Willemke Stilma2, Charlotte Teunissen14, Patrick Thoral2, Anissa Tsonas2, Marc van der Valk1, Denise Veelo8, Alexander P.J. Vlaar15, Heder de Vries2, Michèle van Vugt1, W. Joost Wiersinga1, Dorien Wouters16, A. H. (Koos) Zwinderman17, Diederik van de Beek4* 1Department of Infectious Diseases, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 2Department of Intensive Care, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 3Experimental Immunology, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 4Department of Neurology, Amsterdam UMC, Amsterdam Neuroscience, Amsterdam, Netherlands. 5Department of Pulmonology, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 6Department of Infectious Diseases, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 7Department of Pathology, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 8Department of Anesthesiology, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 9Department of Experimental Immunology, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 10Amsterdam UMC Biobank Core Facility, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 11Department of Radiology, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 12Department of Medical Microbiology, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 13Department of Internal Medicine, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 14Neurochemical Laboratory, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 15Department of Intensive Care, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 16Department of Clinical Chemistry, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 17Department of Clinical Epidemiology, Biostatistics and Bioinformatics, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. 18Department of Neurology, Amsterdam UMC, Amsterdam, Netherlands. *Leader of the AMC Consortium. ; COVID Human Genetic Effort Laurent Abel1, Alessandro Aiuti2, Saleh Al Muhsen3, Fahd Al-Mulla4, Mark S. Anderson5, Andrés Augusto Arias6, Hagit Baris Feldman7, Dusan Bogunovic8, Alexandre Bolze9, Anastasiia Bondarenko10, Ahmed A. Bousfiha11, Petter Brodin12, Yenan Bryceson12, Carlos D. Bustamante13, Manish Butte14, Giorgio Casari15, Samya Chakravorty16, John Christodoulou17, Elizabeth Cirulli9, Antonio Condino-Neto18, Megan A. Cooper19, Clifton L. Dalgard20, Alessia David21, Joseph L. DeRisi22, Murkesh Desai23, Beth A. Drolet24, Sara Espinosa25, Jacques Fellay26, Carlos Flores27, Jose Luis Franco28, Peter K. Gregersen29, Filomeen Haerynck30, David Hagin31, Rabih Halwani32, Jim Heath33, Sarah E. Henrickson34, Elena Hsieh35, Kohsuke Imai36, Yuval Itan8, Timokratis Karamitros37, Kai Kisand38, Cheng-Lung Ku39, Yu-Lung Lau40, Yun Ling41, Carrie L. Lucas42, Tom Maniatis43, Davoud Mansouri44, Laszlo Marodi45, Isabelle Meyts46, Joshua Milner47, Kristina Mironska48, Trine Mogensen49, Tomohiro Morio50, Lisa FP. Ng51, Luigi D. Notarangelo52, Antonio Novelli53, Giuseppe Novelli54, Cliona O'Farrelly55, Satoshi Okada56, Tayfun Ozcelik57, Rebeca Perez de Diego58, Anna M. Planas59, Carolina Prando60, Aurora Pujol61, Lluis Quintana-Murci62, Laurent Renia63, Alessandra Renieri64, Carlos Rodríguez-Gallego65, Vanessa Sancho-Shimizu66, Vijay Sankaran67, Kelly Schiabor Barrett9, Mohammed Shahrooei68, Andrew Snow69, Pere Soler-Palacín70, András N. Spaan71, Stuart Tangye72, Stuart Turvey73, Furkan Uddin74, Mohammed J. Uddin75, Diederik van de Beek76, Sara E. Vazquez77, Donald C. Vinh78, Horst von Bernuth79, Nicole Washington9, Pawel Zawadzki80, Helen C. Su52, Jean-Laurent Casanova81 1INSERM U1163, University of Paris, Imagine Institute, Paris, France. 2San Raffaele Telethon Institute for Gene Therapy, IRCCS Ospedale San Raffaele, Milan, Italy. 3King Saud University, Riyadh, Saudi Arabia. 4Kuwait University, Kuwait City, Kuwait. 5University of California, San Francisco, San Francisco, CA, USA. 6Universidad de Antioquia, Group of Primary Immunodeficiencies, Antioquia, Colombia. 7The Genetics Institute, Tel Aviv Sourasky Medical Center and Sackler Faculty of Medicine, Tel Aviv University, Tel Aviv, Israel. 8Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, NY, USA. 9Helix, San Mateo, CA, USA. 10Shupyk National Medical Academy for Postgraduate Education, Kiev, Ukraine. 11Clinical Immunology Unit, Pediatric Infectious Disease Departement, Faculty of Medicine and Pharmacy, Averroes University Hospital; LICIA Laboratoire d'Immunologie Clinique, d'Inflammation et d'Allergie, Hassann Ii University, Casablanca, Morocco. 12Karolinska Institute, Stockholm, Sweden. 13Stanford University, Stanford, CA, USA. 14University of California, Los Angeles, CA, USA. 15Medical Genetics, IRCCS Ospedale San Raffaele, Milan, Italy. 16Emory University Department of Pediatrics and Children's Healthcare of Atlanta, Atlanta, GA, USA. 17Murdoch Children's Research Institute, Victoria, Australia. 18University of São Paulo, São Paulo, Brazil. 19Washington University School of Medicine, St. Louis, MO, USA. 20The American Genome Center; Uniformed Services University of the Health Sciences, Bethesda, MD, USA. 21Centre for Bioinformatics and System Biology, Department of Life Sciences, Imperial College London, South Kensington Campus, London, UK. 22University of California, San Francisco, CA, USA; Chan Zuckerberg Biohub, San Francisco, CA, USA. 23Bai Jerbai Wadia Hospital for Children, Mumbai, India. 24School of Medicine and Public Health, University of Wisconsin, Madison, WI, USA. 25Instituto Nacional de Pediatria (National Institute of Pediatrics), Mexico City, Mexico. 26Swiss Federal Institute of Technology Lausanne, Lausanne, Switzerland. 27Research Unit, Hospital Universitario Nuestra Señora de Candelaria, Canarian Health System, Santa Cruz de Tenerife, Spain. 28University of Antioquia, Medellín, Colombia. 29Feinstein Institute for Medical Research, Northwell Health USA, Manhasset, NY, USA. 30Department of Paediatric Immunology and Pulmonology, Centre for Primary Immunodeficiency Ghent (CPIG), PID Research Lab, Jeffrey Modell Diagnosis and Research Centre, Ghent University Hospital, Edegem, Belgium. 31The Genetics Institute, Tel Aviv Sourasky Medical Center, Tel Aviv, Israel. 32Sharjah Institute of Medical Research, College of Medicine, University of Sharjah, Sharjah, UAE. 33Institute for Systems Biology, Seattle, WA, USA. 34Children's Hospital of Philadelphia, Philadelphia, PA, USA. 35Anschutz Medical Campus, Aurora, CO, USA. 36Riken, Tokyo, Japan. 37Hellenic Pasteur Institute, Athens, Greece. 38University of Tartu, Tartu, Estonia. 39Chang Gung University, Taoyuan County, Taiwan. 40The University of Hong Kong, Hong Kong, China. 41Shanghai Public Health Clinical Center, Fudan University, Shanghai, China. 42Yale School of Medicine, New Haven, CT, USA. 43New York Genome Center, New York, NY, USA. 44Shahid Beheshti University of Medical Sciences, Tehran, Iran. 45Semmelweis University Budapest, Budapest, Hungary. 46KU Leuven, Department of Immunology, Microbiology and Transplantation, Leuven, Belgium. 47Columbia University Medical Center, New York, NY, USA. 48University Clinic for Children's Diseases, Skopje, North Macedonia. 49Aarhus University, Aarhus, Denmark. 50Tokyo Medical & Dental University Hospital, Tokyo, Japan. 51Singapore Immunology Network, Singapore. 52National Institute of Allergy and Infectious Diseases, National Institutes of Health, Bethesda, MD, USA. 53Bambino Gesù Children's Hospital, Rome, Italy. 54Department of Biomedicine and Prevention, University of Rome "Tor Vergata," Rome, Italy. 55Trinity College, Dublin, Ireland. 56Hiroshima University, Hiroshima, Japan. 57Bilkent University, Ankara, Turkey. 58Laboratory of Immunogenetics of Human Diseases, Innate Immunity Group, IdiPAZ Institute for Health Research, La Paz Hospital, Madrid, Spain. 59IIBB-CSIC, IDIBAPS, Barcelona, Spain. 60Faculdades Pequeno Príncipe e Instituto de Pesquisa Pelé Pequeno Príncipe, Curitiba, Brazil. 61Neurometabolic Diseases Laboratory, IDIBELL–Hospital Duran I Reynals; Catalan Institution for Research and Advanced Studies (ICREA); CIBERER U759, ISCiii Madrid Spain, Barcelona, Spain. 62Institut Pasteur (CNRS UMR2000) and Collège de France, Paris, France. 63Infectious Diseases Horizontal Technology Center and Singapore Immunology Network, Agency for Science Technology (A*STAR), Singapore. 64Medical Genetics, University of Siena, Siena, Italy; Genetica Medica, Azienda Ospedaliero-Universitaria Senese, Italy; GEN-COVID Multicenter Study. 65Hospital Universitario de Gran Canaria Dr. Negrín, Canarian Health System, Canary Islands, Spain. 66Imperial College London, London, UK. 67Boston Children's Hospital, Harvard Medical School, Boston, MA, USA. 68Saeed Pathobiology and Genetic Lab, Tehran, Iran. 69Uniformed Services University of the Health Sciences, Bethesda, MD, USA. 70Hospital Universitari Vall d'Hebron, Barcelona, Spain. 71University Medical Center Utrecht, Amsterdam, The Netherlands. 72Garvan Institute of Medical Research, Sydney, Australia. 73The University of British Columbia, Vancouver, Canada. 74Holy Family Red Crescent Medical College; Centre for Precision Therapeutics, NeuroGen Children's Healthcare; Genetics and Genomic Medicine Centre, NeuroGen Children's Healthcare, Dhaka, Bangladesh. 75Mohammed Bin Rashid University of Medicine and Health Sciences, College of Medicine, Dubai, UAE; The Centre for Applied Genomics, Department of Genetics and Genome Biology, The Hospital for Sick Children, Toronto, Ontario, Canada. 76Amsterdam UMC, University of Amsterdam, Department of Neurology, Amsterdam Neuroscience, Amsterdam, The Netherlands. 77University of California, San Francisco, CA, USA. 78McGill University Health Centre, Montreal, Canada. 79Charité–Berlin University Hospital Center, Berlin, Germany. 80Molecular Biophysics Division, Faculty of Physics, A. Mickiewicz University, Uniwersytetu Poznanskiego 2, Poznań, Poland. 81Rockefeller University, Howard Hughes Medical Institute, Necker Hospital, New York, NY, USA. *Leaders of the COVID Human Genetic Effort. ; NIAID-USUHS/TAGC COVID Immunity Group Huie Jing1,2, Wesley Tung1,2, Christopher R. Luthers3, Bradly M. Bauman3, Samantha Shafer2,4, Lixin Zheng2,4, Zinan Zhang2,4, Satoshi Kubo2,4, Samuel D. Chauvin2,4, Kazuyuki Meguro1,2, Elana Shaw1,2, Michael Lenardo2,4, Justin Lack5, Eric Karlins6, Daniel M. Hupalo7, John Rosenberger7, Gauthaman Sukumar7, Matthew D. Wilkerson7, Xijun Zhang7 1Laboratory of Clinical Immunology and Microbiology, Division of Intramural Research, NIAID, NIH, Bethesda, MD, USA. 2NIAID Clinical Genomics Program, National Institutes of Health, Bethesda, MD, USA. 3Department of Pharmacology & Molecular Therapeutics, Uniformed Services University of the Health Sciences, Bethesda, MD, USA. 4Laboratory of Immune System Biology, Division of Intramural Research, NIAID, NIH, Bethesda, MD, USA. 5NIAID Collaborative Bioinformatics Resource, Frederick National Laboratory for Cancer Research, Leidos Biomedical Research, Inc., Frederick, MD, USA. 6Bioinformatics and Computational Biosciences Branch, Office of Cyber Infrastructure and Computational Biology, NIAID, NIH, Bethesda, MD, USA. 7The American Genome Center, Uniformed Services University of the Health Sciences, Bethesda, MD, USA. ; Clinical outcome upon infection with SARS-CoV-2 ranges from silent infection to lethal COVID-19. We have found an enrichment in rare variants predicted to be loss-of-function (LOF) at the 13 human loci known to govern TLR3- and IRF7-dependent type I interferon (IFN) immunity to influenza virus, in 659 patients with life-threatening COVID-19 pneumonia, relative to 534 subjects with asymptomatic or benign infection. By testing these and other rare variants at these 13 loci, we experimentally define LOF variants in 23 patients (3.5%), aged 17 to 77 years, underlying autosomal recessive or dominant deficiencies. We show that human fibroblasts with mutations affecting this pathway are vulnerable to SARS-CoV-2. Inborn errors of TLR3- and IRF7-dependent type I IFN immunity can underlie life-threatening COVID-19 pneumonia in patients with no prior severe infection. ; We thank the generous donation from Fisher Center for Alzheimer's Research Foundation for our research. The Laboratory of Human Genetics of Infectious Diseases is supported by the Howard Hughes Medical Institute, the Rockefeller University, the St. Giles Foundation, the National Institutes of Health (NIH) (R01AI088364), the National Center for Advancing Translational Sciences (NCATS), NIH Clinical and Translational Science Award (CTSA) program (UL1 TR001866), a Fast Grant from Emergent Ventures, Mercatus Center at George Mason University, the Yale Center for Mendelian Genomics and the GSP Coordinating Center funded by the National Human Genome Research Institute (NHGRI) (UM1HG006504 and U24HG008956), the French National Research Agency (ANR) under the "Investments for the Future" program (ANR-10-IAHU-01), the Integrative Biology of Emerging Infectious Diseases Laboratory of Excellence (ANR-10-LABX-62-IBEID), the French Foundation for Medical Research (FRM) (EQU201903007798), the FRM and ANR GENCOVID project, ANRS-COV05, the Square Foundation, Grandir - Fonds de solidarité pour l'enfance, the SCOR Corporate Foundation for Science, Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale (INSERM), the University of Paris. The French COVID Cohort study group was sponsored by Inserm and supported by the REACTing consortium and by a grant from the French Ministry of Health (PHRC 20-0424). Regione Lombardia, Italy (project "Risposta immune in pazienti con COVID-19 e co-morbidità"), and the Intramural Research Program of the NIAID, NIH. The laboratory of Genomes & Cell Biology of Disease is supported by "Integrative Biology of Emerging Infectious Diseases" (grant no. ANR-10-LABX-62-IBEID), the "Fondation pour la Recherche Medicale" (grant FRM - EQU202003010193), the "Agence Nationale de la Recherche" (ANR FLASH COVID project IDISCOVR cofounded by the "Fondation pour la Recherche Médicale"), University of Paris ("Plan de Soutien Covid-19": RACPL20FIR01-COVID-SOUL). IM is a senior clinical investigator with the FWO Vlaanderen; IM and LM are supported by FWO G0C8517N – GOB5120N. The VS team was supported by "Agence Nationale de la Recherche" (ANR-17-CE15-0003, ANR-17-CE15-0003-01), and by Université de Paris "PLAN D'URGENCE COVID19". LK was supported by a fellowship from the French Ministry of Research. VS-S is supported by a UKRI Future Leaders Fellowship (MR/S032304/1). SZA-M is supported by the Elite Journals Program at King Saud University through grant number PEJP-16-107. JM lab is supported by Columbia University COVID biobank and grant: UL1TR001873. Work in the Laboratory of Virology and Infectious Disease was supported by NIH grants P01AI138398-S1, 2U19AI111825, and R01AI091707-10S1, a George Mason University Fast Grant, and the G. Harold and Leila Y. Mathers Charitable Foundation. JLP is supported by a European Molecular Biology Organization Long-Term Fellowship (ALTF 380-2018). Work at the Neurometabolic Diseases Laboratory received funding from the European Union's Horizon 2020 research and innovation program under grant agreement No 824110 (EasiGenomics grant COVID-19/ PID12342) to A.P., and Roche and Illumina Covid Match Funds to M.G. C.R.G and colleagues are supported by cInstituto de Salud Carlos III (COV20_01333 and COV20_01334), Spanish Ministry of Science and Innovation, with the funding of European Regional Development Fund-European Social Fund -FEDER-FSE; (RTC-2017-6471-1; AEI/FEDER, UE), and Cabildo Insular de Tenerife (CGIEU0000219140 and "Apuestas científicas del ITER para colaborar en la lucha contra la COVID-19"). D.C.V. is supported by the Fonds de la recherche en santé du Québec clinician-scientist scholar program. Helen Su is adjunct faculty at the University of Pennsylvania. A-L.N. was supported by the Foundation Bettencourt Schueller. The Amsterdam UMC Covid-19 Biobank was funded by the Netherlands Organization for Health Research and Development (ZonMw, NWO-vici 91819627), The Corona Research Fund (Amsterdam UMC), Dr. J. C. Vaillantfonds, and Amsterdam UMC. Work on COVID-19 at the AG-S lab is partly supported by NIH supplements to grants U19AI135972, U19AI142733 and R35 HL135834, and to contract HHSN272201800048C, by a DoD supplement to grant W81XWH-20-1-0270, by DARPA project HR0011-19-2-0020, by CRIP (Center for Research on Influenza Pathogenesis), a NIAID funded Center of Excellence for Influenza Research and Surveillance (CEIRS, contract HHSN272201400008C), by an NIAID funded Collaborative Influenza Vaccine Innovation Center (SEM-CIVIC, contract 75N93019C00051) and by the generous support of the JPB Foundation, the Open Philanthropy Project (research grant 2020-215611(5384)) and anonymous donors. The Virscan analysis presented in fig. S11 was performed with financial support from Sidra Medicine ; Peer reviewed