Die Republik Österreich konnte die Feiern in den Jahren 1995 und 1996 (40 Jahre Staatsvertrag, 50 Jahre Österreich und Millenium) als Vollmitglied der Europäischen Union begehen. Zu diesem Anlass formulierte Herbert Krecjci einige Gedanken zur Position Österreichs in Europa und zur Diskussion über die österreichische Identität. Den Schlüssel zu einem gesunden Verständnis österreichischer Identität sieht der Autor besonders in einem von Bescheidenheit und Optimismus getragenen Wollen.
Der Band enthält Aufsätze des Tübinger Historikers zu unterschiedlichen Facetten von Nation und Nationalismus. Acht der neun Aufsätze sind überarbeitete Fassungen früherer Publikationen, die zwischen 1990 und 2000 teils in Fachzeitschriften, teils in Sammelbänden erschienen sind; eine Erstveröffentlichung stellt 'Historische Wege nach Europa' (217 ff.) dar. Langewiesche hat die Abhandlung drei Schwerpunkten zugeordnet: Grundzüge des Nationalismus (14 ff.), kulturelle Nationsbildung im Kontext deutscher Geschichte (82 ff.) und Entstehung von Nationalstaaten (172 ff.). Dem Autor geht es nicht darum, Nation und Nationalismus als obsolete Vorstellungen zu dekonstruieren, er möchte vielmehr durch Historisierung jene aufklärende Distanz ermöglichen, die versteht, 'was frühere Generationen über Nation gedacht und von ihr erwartet haben, wie in der Vergangenheit Nationen und Nationalstaaten entstanden, umgeformt und untergegangen sind' (10). Inhaltsübersicht: I. Nation und Nationalismus - Grundzüge und Wandel: 1. 'Nation', 'Nationalismus', 'Nationalstaat' in der europäischen Geschichte seit dem Mittelalter - Versuch einer Bilanz; 2. Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert: zwischen Partizipation und Aggression; 3. Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation. Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte. II. Kulturelle Nationsbildung: 4. Kulturelle Nationsbildung im Deutschland des 19. Jahrhunderts; 5. 'für Volk und Vaterland kräftig zu würken ... '. Zur politischen und gesellschaftlichen Rolle der Turner zwischen 1811 und 1871; 6. Die schwäbische Sängerbewegung in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts - ein Beitrag zur kulturellen Nationsbildung. III. Entstehung von Nationen und Nationalstaaten: 7. Deutschland und Österreich: Nationswerdung und Staatsbildung in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert; 8. Reich, Nation und Staat in der jüngeren deutschen Geschichte; 9. Historische Wege nach Europa. (ZPol, NOMOS)
Der Autor analysiert Bedingungen der "Krise des Politischen" in Frankreich. Das Referendum über die Verträge von Maastricht habe gezeigt, daß die etablierten politischen Parteien die Verteilung der gesellschaftlich relevanten Meinungen kaum noch repräsentieren; zudem konstatiert er einen Verlust an "Begeisterungsfähigkeit für die Politik". Er skizziert Frankreich als politikzentrierte Nation, deren Grundlagen der modernen politischen Identität die Ära der Revolution sei. Die Gewährleistung innerer Einheit des Landes sei in Frankreich zudem stets eine große Herausforderung gewesen. Er erläutert beide Thesen im historischen Kontext und geht anschließend auf die Politik des "Euro-Gaullismus" als Mittel gegen die Marginalisierung der Nation im Zusammenhang mit der Integration Europas ein. Wie erfolgversprechende Strategien der künftigen europäischen Innen- und Außenpolitik aussehen könnten, sei (nicht nur) in Frankreich noch unklar, heißt ein Fazit. (rk)
"Die beste Nation ist die Resignation." Dieser Ausspruch wird dem österreichischen Dramatiker Johann Nestroy zugeschrieben, der seine Zeitgenossen im Wiener Volkstheater gern zum Lachen brachte. Was eine Nation ist, lässt sich jedenfalls gar nicht so einfach bestimmen. Vor allem in den stürmischen Zeiten, in denen wir uns derzeit befinden, wird Europa europaweit gern und schnell abgeschrieben und stattdessen wieder einmal die Nation oder der Nationalstaat beschworen. Was eigentlich ist die Nation? Vor allem aber: Wozu brauche ich meine Nation so unbedingt? Vielleicht hilft die Schneise, die dieser Text mit verschiedenen Definitionen durch den Nationen-Dschungel schlägt, die derzeit äußerst problematische Diskussion über Europa zu lichten. Vielleicht kommt man beim Lesen sogar zu dem Schluss, dass der europäische Integrationsprozess längst ein Prozess des Nation-Buildings und der europäischen Vergesellschaftung ist?
Im Mittelalter war der Begriff der Nation zwar schon klar umrissen, aber die Nation in unserem Sinne gab es nicht. Das Wort ›Nation‹ ist entlehnt aus dem Lateinischen nâtio (-ônis), einer Ableitung von nâscî (nâtus sum), geboren werden, das mit dem lateinischen genus' Geschlecht, Art, Gattung verwandt ist. Das Wort bezeichnet seiner Etymologie nach eine Gemeinschaft von Menschen derselben Herkunft, die durch gemeinsame Abstammung verbunden sind; dann anschließend eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Kultur, Sprache. Demgemäß bezeichnete lat. natio schon in der Antike und noch lange im Mittelalter die Abstammung oder den Herkunftsort einer Person und zwar in Bezug auf politisch nicht organisierte Bevölkerungen. Anfangs bezeichnete also die Nation die Herkunft einer Gruppe von ausgewanderten Menschen, die sich mit der Bevölkerung vermengte, in die sie sich eingliederte. So wurde das Wort besonders gebraucht, um die Herkunft der Studenten einer Universität zu bezeichnen: es ist die Rede von ›Universitätsnationen‹, wobei »mit diesem Wort […] ursprünglich eher Himmelsrichtungen als Nationen im späteren Sinne gemeint« waren. Es entstand in Paris die Einteilung in vier Nationen: Gallikaner oder Gallier, zu denen auch Italiener, Spanier, Griechen und Morgenländer zählten, Picarden, Normannen und Engländer, die auch die Deutschen und weitere Nord- und Mitteleuropäer beinhalteten. […] Es gab an der 1348 gegründeten Universität Prag ebenfalls vier gleichberechtigte ›Nationen‹, in die sich die einzelnen Studenten organisierten. Die polnische Nation umfasste die Studenten aus Preußen, Schlesien oder aus einer polnischen Stadt mit deutscher Bevölkerung, d. h. aus dem gesamten östlichen Raum; zur böhmischen Nation gehörten die Böhmen, die Tschechen, die Ungarn und die Südslaven, zur bayerischen Nation die Schwaben, die Bayern, die Franken, die Hessen, die Rheinländer und die Westfalen, zur sächsischen Nation die Norddeutschen, die Dänen, die Schweden und die Finnen. So hatte der mittelalterliche Nationbegriff nichts zu tun mit dem modernen, seit der Französischen Revolution in den Vordergrund getretenen, und noch weniger mit dem Nationalismus.