Legitimation durch interparlamentarische Zusammenarbeit?
In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Band 63, Heft 6/7, S. 30-36
ISSN: 0479-611X
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In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Band 63, Heft 6/7, S. 30-36
ISSN: 0479-611X
World Affairs Online
Rezension von: Sara Fürstenau / Mechtild Gomolla (Hrsg.): Migration und schulischer Wandel: Elternbeteiligung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009 (182 S.; ISBN 978-3-531-15378-0; 16,90 EUR).
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This book follows a new path of describing the Alps from the years 500 to 800. Instead of running through this mountain range from east to west (or reverse) and writing one local history after the other, relevant patterns were captured: patterns of control, borders, communication routes, Christendom, settlement, economy, local methods to establish power and traces of local identity. Comparing theses structures on an interregional level made it possible to establish a new view on the early medieval alpine regions. By the year 500 the inhabitants of this central European mountain range were typically roman-provincial. Some regional differences existed, yet the main factors were quite similar: language, laws, religion (Christendom) and social structures. From the 6th c. on this changed. New political developments made a large part of the alpine provinces turn northwards to the Frankish realms. As a consequence borders were created within the Alps. Many hilltop settlements and strongholds in the valleys were built to guarantee the security both of population and borders. Militia was installed to control these boundaries; they were either recruited from the local population or got especially settled for these means. This change of view made some Roman topoi disappear: the Alps were no longer regarded as hostile and as the walls of Italy. The routes through the Alps changed. One reason for this was the growing number of pilgrims from the British Isles made the passage through Maurienne and over the Mont Cenis more important than the ancient route via Montgenèvre. The central Alps in Curia remained a highly important point to cross the mountains, whereas more eastwards the once important crossing points became mere backroads. Farther east the Avarian-Slavic conquest caused the sources to silence, nevertheless the communication routes remained visible through archaeological findings and place names. A big change for the alpine population was the transformations in settlement patterns, first of all the diminishing importance of Roman cities. Some of them disappeared completely, such as Teurnia, Aguntum and Octodurum. Nevertheless, the wider settlement areas around these former towns always remained important. New centres emerged. Some had roman roots, for example Iuvavum/Salzburg, others were new foundations, like the numerous cloisters from the 8th c. The church played a significant role in this transformation, as a bishop's see or the burial church of a saint constituted a point of attraction for the local population. The antique transalpine and alpine networks of trade underwent some transitions. Goods like olive oil, high quality pottery and sea salt were no longer brought over the Alps. The eastern alpine ore deposits were not exploited on a grand scale anymore. New natural resources became important, for example the salt deposits in the northern Alps. There are some traces of exported products. The vineyards of the Southern Alps produced vine for export to the north-alpine regions and the central alpine soapstone production supplied the population of the whole mountain range with high quality cookware. In addition to this, products like cheese, wool, honey and lumber might have been exported. Alpine agriculture did not change much. Farming was based on subsistence and the surplus was sold locally to travellers or given to the owners of the land. The use of alpine pastures roots in pre-roman times and was practised continually, although the intensity of the pastoralism is difficult to estimate. Local power structures emerged out of late antique roots. In the 8th and beginning of the 9th c. the population of these parts of the Alps still spoke a roman language, were Christian and lived in a very differentiated social structure whose legal habits were based on roman law. Contrary to that, the eastern Alps saw a major cultural shift that resulted in the Slavic reign of Carantania. - Diese Arbeit wählte einen neuen Ansatz, um die Alpen in den Jahren 500 bis 800 zu beschreiben: Anstatt die einzelnen Regionen von Ost nach West - oder umgekehrt - durchzugehen und eine Herrschaftsgeschichte nach der anderen zu schreiben, wurden die relevanten Strukturen erfasst - also Zugriff, Grenzen, Verkehrsrouten, Christentum, Besiedlung, Wirtschaft, regionale Methoden der Machtentfaltung und Identitätsspuren der Bevölkerung. Diese Strukturen wurden miteinander verglichen. Dadurch war es möglich, einen neuen Zugang zu der Transformation der römischen Welt in eine frühmittelalterliche auf alpinem Gebiet zu erlangen. Um das Jahr 500 war die Bevölkerung der Alpen noch eine typisch provinzialrömische, die zwar regionale Unterschiede aufwies, sich aber in wesentlichen Punkten ähnelte: Sprache, Recht, Religion (Christentum) und Sozialstruktur. Ab dem 6. Jh. änderten sich diese Verhältnisse. Zunächst schufen die neuen politischen Bedingungen neue Zugehörigkeiten, die die Alpenprovinzen ab dem 6. Jh. an den Norden, an die Reiche fränkischer Herrschaft angliederten. Es entstanden zahlreiche Grenzpunkte Richtung Süden und später auch Osten, wo sich ab etwa 600 das awarisch-slawische Reich erstreckte. Zeuge der nun entstandenen Grenzen sind zahlreiche Höhenfestungen, eigens eingesetzte Grenztruppen und Talsperren zur Sicherung des Territoriums und der Bevölkerung. Der geänderte Blick brachte auch einige römische Alpen-Topoi zum Verschwinden, etwa den Topos der lebensfeindlichen Alpen oder von dem Gebirge als Mauern Italiens. Weitere Änderungen betrafen die Übergänge. Aus unterschiedlichsten Gründen entstanden neue Wege und alte verloren an Wichtigkeit. Ein Beispiel ist der Mont Cenis, der vor allem aufgrund der wachsenden Pilgerströme von den britischen Inseln den wichtigen römischen Alpenübergang Montgenèvre ersetzte. In den zentralen Alpen erfreute sich Churrätien, nicht zuletzt durch die stabilen politischen Verhältnisse, einer großen Beliebtheit, während Übergänge östlich davon lediglich als Nebenwege wahrgenommen wurden. Ein großer Bruch für die alpinen Menschen bedeuteten die spätantiken Veränderungen der Siedlungsstrukturen, die in allen Provinzen des ehemaligen römischen Reiches stattfanden und auch in den Alpen beobachtet werden können: die alten römischen Städte verloren ihre Substanz und verschwanden teilweise ganz, währenddessen neue Zentren erschaffen wurden, allen voran die Klöster. Einst weniger wichtige Siedlungen, wie das antike Iuvavum/Salzburg, gewannen massiv an Bedeutung, während andere römische Städte wie Teurnia, Aguntum aber auch Octodurum vergingen. Allerdings blieben die jeweiligen Siedlungskammern stets bedeutend - es ging nur die antike Stadtstruktur unter. Eine große Rolle in der Veränderung dieser Siedlungsmuster spielte die Kirche, da Bischofssitze und Kirchen von bedeutenderen Heiligen einen Anziehungspunkt für die lokale Bevölkerung darstellten. Die großen Umwälzungen der spätantiken Wirtschaft betrafen vor allem den transalpinen Handel, da viele Produkte, wie Olivenöl, hochwertige Keramik, Salz und Getreide kaum mehr über die Alpen gebracht wurden. Die lokale Landwirtschaft hingegen, die nur wenig Überschuss für Grundbesitzer und Reisende produzierte, änderte sich zunächst noch wenig. Die Bewirtschaftung mehrerer Höhenstufen bis hin zu den Almen oberhalb der Baumgrenze wurzelt in römischer und vorrömischer Zeit und blieb auch im frühen Mittelalter bestehen. Eine Spezialisierung betraf nur ganz wenige landwirtschaftliche Produkte, beispielsweise Wein und vielleicht Käse oder Wolle. Die lokalen Herrschaftsstrukturen konnten sich in den West- und Zentralalpen kontinuierlich aus ihren spätantiken Wurzeln weiterentwickeln. Im 8. und beginnenden 9. Jh. sprachen die Menschen aus diesem Teil der Alpen immer noch eine romanische Sprache, waren christlich und lebten in einer stark geschichteten Gesellschaftsstruktur, die sich laut Quellen nach spätantiken Rechtsgewohnheiten richtete. Im Gegensatz dazu erlebten
Nachdem theoretische Betrachtungen das koexistenzielle Verhältnis von Mensch und Technik im weitesten Sinne seit einigen Jahren stetig in den Fokus rücken, sind nun zwei Bücher erschienen, die sich konkret mit dem Maschinellen auseinandersetzen. Diese beiden Werke zusammenzudenken ist aufgrund ihrer unterschiedlichen Denkweisen interessant und produktiv. Während Burckhardts Philosophie der Maschine eben jene titelgebende philosophische Betrachtungsweise heranzieht, um eine Historisierung der Maschine vorzunehmen, nehmen die von Gertrud Koch, Thomas Pringle und Bernard Stiegler im Buch Machine versammelten Aufsätze das Zusammenleben menschlicher und nicht-menschlicher Akteure in den Fokus, worin speziell das Verständnis über das Politische im Maschinellen untersucht wird. Mit Animation (Koch), Automation (Stiegler) und Ökosystem (Pringle) adressiert der Sammelband das Konzept der Maschine über ebendiese drei Begriffe, während Burckhardt die Genese, wie Maschine gedacht wird, befragt. Beide Publikationen verbindet, dass sie nicht von einem "fixen Maschinenbegriff" (Burckhardt, S. 10) ausgehen und dass sie – trotz aller abweichender Perspektivierungen und Schlussfolgerungen – eine Reflektion der Maschine aus den Wechselwirkungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen heraus entwerfen. Burckhardts Abhandlung basiert auf der etymologischen Herleitung von Maschine als "Betrug an der Natur" (Burckhardt S. 56), die er konsequent als Grundlage nutzt. Das überrascht, da die in 425 Aphorismen aneinandergereihten assoziativen Gedankenstränge ansonsten durchzogen sind von Abweichungen, Verweisen, teilweise fragmentarischen Abschweifungen. So findet man sich nicht selten in einer eigenwilligen Gedankenansammlung, die eine Beschäftigung mit Moderne und Postmoderne, Simulacren und Körpern mit dem Märchen von Hase und Igel zusammenbringt (vgl. S. 21). Die kürzer und länger gefassten Aphorismen setzen folglich ein recht breites kulturgeschichtliches Vorwissen voraus. Zugleich – und das fällt positiv auf – lässt es ein Denken in viele Richtungen zu, statt einem teleologischen Leitgedanken zu folgen. An Fußnoten oder Lexika-Einträge erinnernd geben die kurzen Aphorismen die Unmöglichkeit einer vollständigen und allumfassenden Darlegung wieder, was zum Ende hin gebrochen wird, wenn das Kapitel "Eine kurze Geschichte der Digitalisierung" eben genau das versucht abzudecken und damit mit dem vorherigen erfrischenden Buchkonzept bricht. Bis dahin lädt Burckhardt nicht nur zum Mit- und Nachdenken ein, sondern macht das Buch vielmehr zu einem Gemeinschaftsprojekt zwischen Autor und Lesenden. Wenn der Stil also auf den ersten Blick als unzusammenhängend erscheint, birgt sich vielleicht gerade hierin das größte Potenzial dieser Herangehensweise. Seiner Ausgangsfrage "Wie kommt es, dass die Maschine zur zentralen Vernunftmetapher hat werden können, selbst aber ein blinder Fleck der Philosophie geblieben ist?" (S. 11) begegnet Burckhardt mit der Forderung nach der Notwendigkeit eine "Archäologie des Maschinenkonzepts" (S. 18) zu betreiben. Die Tatsache, dass sich diese Methode im Verlauf seiner Schrift zu einer "Gedankenarchäologie" (S. 290) wandelt, scheint sowohl symptomatisch für das Problem seines Vorhabens als auch für eine Verwirrung zu sein, die sich teils bei der Lektüre einstellt. Denn während Burckhardt die Kernthese entwickelt, dass die Maschine das "Unbewusste" der Philosophie sei, in dem Sinne als dass sie die Bedingungen ihrer eigenen Entstehung verleugne, mutet es zuweilen an, dass Burckhardt Maschine und Philosophie in ein äquivalentes Verhältnis zueinander setzt. Und doch ist es gerade diese Äquivalenz gegen die Burckhardt angeht, wenn er die Maschine primordial zur Philosophie verortet, indem er "nach dem Ding, das dem Denken vorausgeht" (S. 16), fragt. Entsprechend spricht Burckhardt dem Vergessen und Verdrängen eine vordergründige Funktion im Maschinen-Denken zu: Nur so sei es möglich die Gegebenheiten überwindend eine (neue) Ordnung zu einem allgemeingültigen Prinzip zu erklären. Dieses Vermögen zur Verwandlung sei dabei höchst ambivalent, da es in seinen gewaltsamsten und totalitärsten Ausformungen zu Genoziden (vgl. S. 248ff) und Versklavung (vgl. S. 83ff & 198) führe, aber ebenso auch Emanzipation und Demokratisierung fördern könne (Alphabetisierung, Metallurgie und teils auch der Computer dienen hier als Beispiele). Es wundert jedoch, dass Burckhardt seiner eigenen Kritik gegen die Gewaltsamkeit der maschinellen Begehrensordnung anheimfällt, wenn er zum einen ein eurozentristischen Verständnis von "Philosophie, Wissenschaft und Logik" (S. 282) postuliert und es als Maßstab zur Beurteilung anderer Existenzweisen des Denkens gebraucht. Zum andern sowohl inneuropäische Machtkämpfe und Konflikte als auch inter- und transkulturelle Verschränkungen außer Acht lässt und damit Europäer*innen und Nicht-Europäer*innen dichotomisch gegenüberstellt. Nichtsdestotrotz bietet die Adressierung dessen, wie grundlegend die Praxis des Vergessens und Verdrängens, des Unbewusst-Machens oder Unbewusst-Werden-Lassens für die Produktion von Wissen und Denken ist, einen Anschluss zu Pringle's Ausführungen. Denn ihm zufolge liege die Mächtigkeit der Maschine darin zwischen verschiedenen Mechanismen, wie animierenden und automatisierenden Verfahren und unterschiedlichen Disziplinen wie Ökologie und Ökonomie zu übersetzen – eine Kapazität, die durch Theorieproduktionen, welche sich deskriptiver Engführungen zwischen organischen und technischen Prozessen bedienen, befördert werde (vgl. S. 50ff). Die Problematisierung der Praxis des Analogisierens sowie deren Instrumentalisierung stellt ein zentrales Anliegen in seinem Text "The Ecosystem Is An Apparatus: From Machinic Ecology to the Politics of Resilience" dar. Darin verknüpft Pringle auf strukturierte und eingängige Weise die genealogische Betrachtung des Konzepts Ökosystem mit einer Analyse von Resilienz-Politiken in den USA. Die maschinelle Logik des ökosystemischen Denkens fasst er dort so zusammen: "[…] ecosystem as a cognitive machine raising and destroying worlds with the privileged machination of shuffling and sorting the reticulation of the psyche, environment, and technology between the poles of economic growth and the promise of renewable life" (S. 98f). Dabei ist Pringles Augenmerk für die Spuren kybernetischer Konzepte in den Theoremen von Félix Guattari und Michel Foucault gleichermaßen lehrreich wie weitergehend diskussionswürdig. In "Animation of the Technical and the Quest for Beauty" gibt Getrud Koch das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine über das technische Objekt einerseits und das ästhetische Objekt andererseits sowie dessen Interferenzen zu denken. Grundlegend genährt wird diese techno-ästhetische Perspektivierung durch ein neues Verständnis des menschlichen Wahrnehmungsvermögens ("perceptive faculty", S. 3). Indem Koch nicht länger den Körper allein als Voraussetzung des Wahrnehmungsvermögens betrachtet, sondern dieses vielmehr als Wechselspiel zwischen Mensch und Maschine begreift, wird Wahrnehmung performativ hergestellt. Dadurch argumentiert sie einen neuen ontologischen Status, in dem das Wahrnehmungsvermögen keine generische Funktion innehat, sondern als ein Dazwischentreten zwischen Subjekt und Objekt (oder besser zwischen verschiedenen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen) verstanden wird. Maschinen werden entsprechend – und ganz ähnlich zu Burckhardt – nicht als Werkzeuge oder in ihrer Mittlerfunktion betrachtet. Vielmehr intervenieren Maschinen performativ in die Handlungsspielräume der Menschen (vgl. S. 7). Die ästhetische Ebene des Technologischen adressiert Koch dabei über den Begriff des Schönen, der hier die sinnliche Wahrnehmung eines Affekts und nicht ein normiertes Werturteil meint (vgl. S. 16), und der die Empfindung von Nähe und Distanz hinsichtlich eines technischen Objekts in ein dialektisches Verhältnis zueinander rückt (vgl. S. 22). Koch endet ihren Aufsatz, indem sie diese beiden Modelle des Schönen rückbezieht auf Animation und das Kino als Schnittstelle der ineinandergreifenden techno-ästhetischen Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Auch wenn der Animationsbegriff eher vage bleibt, erarbeitet Koch damit eine spannende Perspektive auf das animierende Potential techno-ästhetischer Beziehungen, die zum Weiterdenken anregt. In seinem Aufsatz "For a Neganthropolgy of Automatic Society" diagnostiziert Bernard Stiegler eine durch die digitale Netzkultur "hyperindustrieller" Gesellschaften (S. 25) vorangetriebene epochale Umwälzung aller existentieller Ebenen; einen radikalen Einschnitt, den er in die Entwicklungsgeschichte der Proletarisierung einreiht und deren Kern der Kenntnisverlust von Wissens- und Theorieproduktion ausmache. Proletarisierung – ein Prozess der eng verzahnt ist mit Automatisierung (vgl. S. 27-31) – gibt Stiegler als einen Prozess zu verstehen, der im Zuge einer Externalisierung von Kenntnissen deren abermalige Internalisierung unterbindet (vgl. S. 30); d.h. als eine Form der Wiederholung, die verschließend wirke und Entfremdung kultiviere. Im Zeitalter der "generalized automatization" (S. 30), in dem Entscheidungsprozesse an algorithmisch gesteuerte Datensysteme abgetreten würden, drohe die kritische Arbeit der Wissens- und Theorieproduktion strukturell verhindert zu werden. Eine derartige Verunmöglichung des Theoretisierens sei wiederum durch die Verbreitung eines Ohnmachtsgefühls begleitet: "[Through digital networks] stupefaction and stupidity are being installed in a new and functional way: in such a way that disruption can structurally and systematically short-circuit and bypass the knowledge of psychic and collective individuals" (S. 25f). Entgegen dieser strukturellen Einbettung der Störung psychosozialer Bezüge macht Stiegler eine pharmakologische Perspektive stark. Gerade da digitale Netzwerke in Prozesse transindividueller Wissensgenerierung aktiv involviert seien (vgl. S. 35, 39f), könnten sie nicht nur als Gift, sondern auch als Heilmittel wirken, andere Formen von Wissen und Handlungsfähigkeit freilegen (vgl. 35, 43) und dazu verhelfen eine "automatic society founded on deproletarianization" (S. 36) mit zu konstituieren. Stieglers Essay ist ein hochkonzentriertes – und dementsprechend recht voraussetzungsvolles – Kondensat seiner langjährigen Denkarbeit, das letztlich in seine jüngste Forderung Neganthropie zu denken und mittels politischer Maßnahmen strukturell zu fördern (vgl. S. 40-44) mündet. Eine grundsätzliche Gemeinsamkeit beider Bücher liegt in der Annahme, dass die soziale Umgebung ebenso natürlich wie maschinell geprägt ist, wenn sich auch die Ebenen der Betrachtung signifikant unterscheiden. Betont wird von allen Autor*innen die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Technik, wodurch ein autonomes Subjekt, das erst Technik schafft und sie bestimmt, negiert wird. Das Maschinelle wird vorgelagert betrachtet, als das, was menschliches Handeln, Denken und Fühlen stets mitprägt. Es geht also um nichts Geringeres, als um ein neues Welt-Denken, das Maschinen und Menschen nicht in ein binäres, sich gegenüberstehendes Gefüge denkt und nicht von fixierten Subjekten, Entitäten oder Identitäten ausgeht, sondern ontologische Bestimmungen oder Zuweisungen neu denkt: als Eingreifens, als Interdependenz. Aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und Fragestellungen heraus, machen alle Texte deutlich, dass Ontologie hier nicht ohne Epistemologie zu haben ist und verhandeln diese Verschränkung zudem unter ästhetischen, politischen und sozialen Aspekten. Nicht zuletzt geben sie damit die Mechanismen von Theorie- und Wissensproduktionen kritisch zu denken.
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Zusammenfassung Der Iran besitzt zwölf UNESCO-Biosphärenreservate, die reich an einmaligen Natur- und Kulturschätzen und hohem menschlichen Potenzial aus verschiedenen ethnischen Gruppen sind. Die ersten neun Biosphärenreservate wurden frühzeitig mit den ersten Biosphärenreser-vaten der Welt im Jahr 1976 gegründet, die auch gleichzeitig andere Kategorien der Schutz-gebiete im Iran wie Nationalparks, geschützte Lebensräume für Wildtiere und Naturschutzge-biete beinhalten und bis heute unter ihrem alten Status verwaltet werden. Damit entsprechen sie nicht den aktuellen internationalen Anforderungen an Biosphärenreservate und besteht die Gefahr, dass diese Gebiete in baldiger Zukunft ihre natürlichen und kulturellen Werte verlie-ren und irreversibel beschädigt werden. Diese Studie untersucht und bewertet die zwei exemplarisch ausgewählten iranischen Bio-sphärenreservate Golestan und Dena unter Berücksichtigung der UNESCO-Kriterien, unter anderem die Ziele und Grundlagen der Sevilla-Strategie und der Internationalen Leitlinien für das Weltnetz der Biosphärenreservate (1995). Das Biosphärenreservat Golestan wurde im Jahr 1976 gegründet und ist somit eines der ältesten Biosphärenreservate des Irans. Bei dem im Jahre 2010 gegründeten Biosphärenreservat Dena, handelt es sich um das jüngste Biosphä-renreservat im Iran zu Beginn der Studie. Beide Schutzgebiete sind gebirgig und beinhalten die wichtigsten Waldökosysteme mit einer großen Biodiversität. Das Biosphärenreservat Golestan befindet sich im Nordosten des Irans im östlichsten Teil des Elburs-Gebirge und Dena liegt im zentralen Zagros-Gebirge im Westiran. Für den methodischen Ansatz dieser Studie wurde ein Methodenmix aus qualitativen Elemen-ten: Oral History, Interviews, offenen Fragen und Teilnehmender Beobachtung und quantita-tiven Elementen: SWOT-Analyse (engl. Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Bedrohungen) und Auswertung der Fra-gebögen mit Hilfe des statistischen Programms SPSS20 angewendet. Die untersuchten Gruppen bestanden gemäß der jeweiligen Analyse aus Experten des De-partments für Umwelt (DoE) in Teheran, den Provinz-Umweltschutzbehörden von Golestan und Kohgiluye und Boyer Ahmad, Akademikern, der Nationale Commission for UNESCO in Teheran, Zeitzeugen, lokaler Bevölkerung, Rangern, Umwelt-NGOs (engl. Non-Governmental Organization), dem Tourismus-Sektor und den Umwelt-Medien. Die Ergebnisse in dieser Studie zeigen, dass die Entwicklung der iranischen Biosphärenreser-vate seit ihrer Gründung 1976 bis heute von den Veränderungen der wirtschaftlichen, politi-schen und gesellschaftlichen Situation des Irans und demzufolge von den Veränderungen in der Organisationsstruktur des Departemants für Umwelt (DoE) und der Prioritätensetzung in Bezug auf die Gesetze zu Umwelt- und Naturschutz beeinflusst wurden. Überdies stellen die Ergebnisse dar, dass in den beiden untersuchten Biosphärenreservaten Golestan und Dena hinsichtlich der internationalen UNESCO-Kriterien und Richtlinien ver-gleichsweise ähnliche Defizite und Mängel bestehen: • fehlende nationale Rechtsstruktur für die Biosphärenreservate im Iran, • fehlender Managementplan für Biosphärenreservate und somit auch schwaches Mana-gementsystem der Biosphärenreservate, • Mangel an Kenntnissen über Biosphärenreservate, • beschränkte Beteiligung an den Angelegenheiten der Biosphärenreservate seitens aller untersuchten Gruppen – von der lokalen Bevölkerung bis hin zu den staatlichen Ent-scheidungsträgern und • ungenügende Zusammenarbeit zwischen Staat und Interessengruppen in diesen Gebie-ten. Ebenso wurde in dieser Studie versucht, konkrete Lösungsansätze zur Verwirklichung der Ziele der Biosphärenreservate bzw. der Verbesserung ihrer aktuellen Situation zu empfehlen. In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, dass Gesetze für die Biosphärenreservate auf nationaler Ebene definiert und die vorhandenen Biosphärenreservate im Iran gründlich nach internationalen Kriterien untersucht und mit einem systematischen Managementplan auf wis-senschaftlicher Grundlage verwaltet werden. Des Weiteren benötigen diese Gebiete für ihre Funktionalität eine Erhöhung und Verbesserung der Kenntnisse über die Biosphärenreservate der aktiven Personen, sowie der Kooperation und Kommunikation zwischen allen zuständigen Behörden und Interessengruppen. Hiermit soll allen sozialen, kulturellen, geistigen und wirt-schaftlichen Anliegen der Interessengruppen, vor allem aber der lokalen Bevölkerung, Rech-nung getragen werden, entsprechend dem weltweiten Ansatz der UNESCO-Biosphärenreservate. ; Summary Iran consists of twelve UNESCO Biosphere Reserves, rich in unique natural and cultural treasures, with high human potentials of various ethnic groups. The first nine biosphere re-serves were established along with the world's first biosphere reserves in 1976. These reserves included other categories of protected areas in Iran, such as national parks, wildlife refuge and conservation areas, and are still managed under their old status. As a result, these areas do not comply with the current international requirements for biosphere reserves, while posing a risk of losing their natural and cultural values, and being irreversibly damaged in the near future. This study examines and evaluates the two exemplarily selected Iranian biosphere reserves Golestan and Dena, taking into account the UNESCO criteria, including the objectives and foundations of the Seville Strategy and the International Guidelines for the World Network of Biosphere Reserves (1995). The biosphere reserve Golestan was founded in 1976, and is thus one of the oldest biosphere reserves in Iran, while the biosphere reserve Dena, founded in 2010, was the youngest biosphere reserve in Iran when this study was initiated. Both of these protected areas are mountainous and rich in important forest ecosystems with a high biodiversity. The biosphere reserve Golestan is located in northeastern Iran, on the east of Alborz Mountain Chains; and the biosphere reserve Dena is located in Zagros Mountain Chains in western Iran. For the methodological approach of this study, a mix of qualitative and quantitative analysis was used. Qualitative elements include: oral history, interviews, open questions and partici-pant observation, while quantitative elements contain: SWOT analysis (Strengths -Weaknesses -, Opportunities and threats ) and evaluation of the questionnaires using the statistical program SPSS20. According to the analysis, the groups studied were experts from the Department of the Envi-ronment in Tehran (DoE), the Provincial Environmental Protection Authorities of Golestan and Kohgiluye and Boyer Ahmad, academics, the Tehran National Commission for UNESCO, eyewitnesses, local people, rangers, the environment NGOs (Non-Governmental Organization), the tourism sector and the environmental media. The results of this study show that the development of the Iranian biosphere reserves since its establishment in 1976, has been influenced by changes in Iran's economic, political and social situation, and consequently, by changes in the organizational structure of the Department of Environment (DoE) and the priorities of Environmental and Nature Conservation Legislation. Moreover, the results show that in the two biosphere reserves under review, Golestan and Dena, there are comparatively similar deficiencies as well as deficits regarding the Interna-tional UNESCO Criteria and Guidelines: • Absence of a national legal structure for the biosphere reserves in Iran; • Missing management plan and thus weak management system of biosphere reserves; • Lack of knowledge about the biosphere reserves; • Limited participation in the affairs of the biosphere reserves by all groups studied —from the local population to the state decision-makers; and • Insufficient cooperation between the state and interest groups in these areas. Likewise, this study attempts to recommend concrete solutions for achieving the goals of the biosphere reserves in order to improve their current situation. In this context, it is necessary for biosphere reserve laws to be defined at the national level and for existing biosphere reserves in Iran to be scrutinized according to the International Cri-teria and managed on a scientific basis using a systematic management plan. Furthermore, these areas need to improve their knowledge of biosphere reserves, increase their active persons, as well as the cooperation and communication between all competent authorities and stakeholders, in order to become more functional. This is intended to respond to the social, cultural, spiritual and economic concerns of stakeholders, and especially those of the local population, in line with the global approach of the UNESCO Biosphere Reserves.
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Das Phänomen der Obdach- und Wohnungslosigkeit (OL&WL) in Großstädten ist weltweit verbreitet und wird spätestens seit den 1990er Jahre versucht sozial- und stadtgeographisch unter dem Schlagwort "geographies of homelessness" zu fassen. Homeless cities werden als Ergebnisse komplexer Geographien der Obdach- und Wohnungslosigkeit verstanden und sind dabei viel mehr als nur Verortungen von Hilfsstrukturen, Ergebnisse "spezieller" Raumnutzungsstrategien oder Mechanismen sozialer Kontrolle in städtischen Räumen. Die Frage nach der Konstruktion von homeless cities durch verschiedenste Geographien der Obdach- und Wohnungslosigkeit eröffnet Möglichkeiten, aufzuzeigen, dass diverse homeless cities Bestandteil jeder Stadt sind bzw. sein können. Diese Diversität basiert auf individuellem (Alltags-)Wissen, Theorien und Praktiken obdach- und wohnungsloser (ol&wl) Menschen, die eng verwoben sind mit den Prozessen, Politiken und Ordnungen einer Stadt: seien es Prozesse der Aufwertung durch eine "tourist city", Wohnraumpolitiken beeinflusst durch die "neoliberal city" oder gesellschaftliche Ordnungen einer "postcolonial city". Demzufolge wird nicht von einem bereits vorhandenen Repertoire an bestehenden Geographien der Obdach- und Wohnungslosigkeit einer Stadt ausgegangen, sondern von deren individuellen Konstruktionen in Verknüpfung mit historisch-gesellschaftlichen sowie aktuellen stadtpolitischen Kontextualisierungen. Gerade visuelle Ansätze bieten sich dabei an, Zugänge zu den homeless cities nicht nur zu eröffnen, sondern auch diverse Verschränkungen der Zusammenhänge im Alltag der Städte zu verdeutlichen und offenzulegen. Konzeptionell werden die Städte Hamburg und Rio de Janeiro als Fallstudien im Sinne einer postkolonialen Stadtforschung nach Jennifer Robinson in ihrer "Gewöhnlichkeit" theoretisierend als "ordinary cities" verstanden. Diese werden ausgehend von den visuellen Geographien einiger ihrer homeless cities betrachtet, um das interdependente Wirkungsgefüge von Geographien der Obdach- und Wohnungslosigkeit in Hamburg und Rio aufzuzeigen. Dabei zeigen und erläutern in den zwei Fallstudien insgesamt zwölf ol&wl Bewohner_innen mit Hilfe von Fotografien ihre Perspektiven auf Hamburg und Rio de Janeiro. Das dadurch gewonnene Wissen über Orte, Dynamiken, Erfahrungen, Politik, Positionen und gesellschaftliche Verhältnisse in den beiden Städten wird in intertextuell-intersektionellen Analysen nachgezeichnet und in seiner Relationalität untersucht. Die persönlichen visuell-verbalen Konfigurationen, die sich aus der Verknüpfung zwischen Bild und Text durch die Befragten ergeben, werden so vor dem Hintergrund des historischen Umgangs mit OL&WL im jeweiligen Kontext betrachtet und ebenso in Verhältnis zu aktuellen Debatten und Aushandlungen um die Thematik gesetzt. Dabei zeigen sich deutliche Kontinuitäten und Brüche, aber vor allem Intersektionen von Machtverhältnissen im Umgang mit OL&WL in beiden Kontexten, welche sowohl die diskursive Ebene, Praktiken aber auch gesellschaftliche Aushandlungen betreffen. Zentral für die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen diesen unterschiedlichen Dimensionen erwiesen sich die politics of control und politics of care. Historische und aktuelle Formen von Gewalt und Fürsorge sowie Diskriminierung und Solidarität spiegeln sich in diesen wieder und legen Prozesse und Mechanismen der Normalisierung der urbanen Verhältnisse in ihrem Verhältnis zu Menschen in Situation der OL&WL offen. Der Fokus der Arbeit auf die visuell-mediale Verhandlung der Thematik der OL&WL stellt in beiden Kontexten heraus, wie visuelle Repräsentationen und Sehkonventionen eine wirkmächtige Rolle bei der Normalisierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse einnehmen, indem diese ol&wl Menschen als urbane "Andere" darstellen. Ordinary homeless cities stellen das Ergebnis des Zusammenspiels zwischen individuellen Erfahrungen und historisch-strukturellen Umgangspraktiken mit OL&WL sowie politischen, ökonomischen und sozialen Dynamiken in einer Stadt dar. Ordinary homeless cities werden häufig als marginal und anders betrachtet und vom urbanen Geschehen ausgegrenzt, obwohl sie alltäglich durch deren Interdependenzen hervorgebracht werden. Gerade in der unhinterfragten Gewöhnlichkeit dieses Zusammenspiels wirken Machtverhältnisse, welche Menschen in Situation der OL&WL als urbane "Andere" normalisieren. Diese Normalisierungsprozesse gilt es ständig zu hinterfragen und anzugreifen, indem Zusammenhänge aufgezeigt, Machtverhältnisse benannt und Blicke und konventionelle Sichtweisen irritiert werden – und so die Komplexität der ordinary homeless cities in urbanen Gesellschaften deutlich wird. ; The phenomenon of homelessness in big cities is globally present and since at least the 1990s, social and urban geography are attempting to grapple with it under the slogan "geographies of homelessness. Homeless cities are understood as a result of complex geographies of homelessness and are more than the mere locating of support structures, results of particular space utilization stratgies or mechanisms of social control in urban spaces. The question of the construction of homeless cities though various geographies of homelessness opens possibilities to show that many Homeless Cities can be or are a part of any city. This diversity is based on individual (everyday-) knowledge, theory and practice of homeless people, who are closely linked with processes, politics and orders of a city: be it processes of upgrading through a "tourist city", housing politics informed through the "neoliberal city" or the social orders of a "postcolonial city". Accordingly, an existing repertoire of geographies of homelessness is not presumed, in favour of individual constructions alongside historic-societal as well as current urban-political contextualizations. In particular visual approaches promise not only access to homeless cities, but also to highlight and reveal various entanglements of relations of the everyday life of a city. Conceptionally, the cities of Hamburg and Rio de Janeiro will be understood as case studies of postcolonial urban research in "ordinary cities", in line with Jennifer Robinson. These will be looked at through the visual geographies of some of their homeless cities, in order to interrogate the interdependent causal network of geographies of homelessness in Hamburg and Rio. In the two case studies, twelve homeless residents will show and explain their perspectives on Hamburg and Rio de Janeiro through the aid of photography. The subsequently acquired knowledge on places, dynamics, experiences, politics, positions and social relations in the two cities will be traced in intertextual-intersectional analyses and probed for its relationality. The personal, visual-verbal configurations, which result from the connection of image and text by the interviewees, will thus be looked at before the backdrop of the respective historical handling with homeless people and also put in relation to current debates and negotiations around the theme. Through that, significant continuities and disruptions, and in particular intersections of power relations in regard to homeless people come to the fore, which affect both the discursive level, practice and societal negotiations. For the investigation of the relations between those different dimensions, the politics of control and the politics of care have proven pivotal. In these, historic and current forms of violence and care, as well as discrimination and solidarity have become apparent and reveal processes and mechanisms of normalization of urban relations in their relation to people in situations of homelessness. The focus of this piece lies on the visual-medial handling of the subject of homelessness and exposes, how visual representation and conventions of gaze inhabit powerful roles in the normalization of social power relations, by displaying homeless people as urban Others. Ordinary homeless cities are the result of the interplay between individual experiences and historic-structural practices of handling homelessness, as well as political, economic and social dynamics of a city. Ordinary homeless cities are often regarded as marginal and separate from urban happenings, even though they are produced daily through their interdependencies. In particular the unquestioned ordniariness of this interplay are a function of power relations, which normalize people in situations of homelessness as urban others. These processes of normalization are to be questioned and resisted constantly by revealing connections, naming power relations and by disrupting conventional gazes and perspectives, in order to trace the complexity of ordinary homeless cities in urban societies.
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Diese Arbeit wählte einen neuen Ansatz, um die Alpen in den Jahren 500 bis 800 zu beschreiben: Anstatt die einzelnen Regionen von Ost nach West - oder umgekehrt - durchzugehen und eine Herrschaftsgeschichte nach der anderen zu schreiben, wurden die relevanten Strukturen erfasst - also Zugriff, Grenzen, Verkehrsrouten, Christentum, Besiedlung, Wirtschaft, regionale Methoden der Machtentfaltung und Identitätsspuren der Bevölkerung. Diese Strukturen wurden miteinander verglichen. Dadurch war es möglich, einen neuen Zugang zu der Transformation der römischen Welt in eine frühmittelalterliche auf alpinem Gebiet zu erlangen. Um das Jahr 500 war die Bevölkerung der Alpen noch eine typisch provinzialrömische, die zwar regionale Unterschiede aufwies, sich aber in wesentlichen Punkten ähnelte: Sprache, Recht, Religion (Christentum) und Sozialstruktur. Ab dem 6. Jh. änderten sich diese Verhältnisse. Zunächst schufen die neuen politischen Bedingungen neue Zugehörigkeiten, die die Alpenprovinzen ab dem 6. Jh. an den Norden, an die Reiche fränkischer Herrschaft angliederten. Es entstanden zahlreiche Grenzpunkte Richtung Süden und später auch Osten, wo sich ab etwa 600 das awarisch-slawische Reich erstreckte. Zeuge der nun entstandenen Grenzen sind zahlreiche Höhenfestungen, eigens eingesetzte Grenztruppen und Talsperren zur Sicherung des Territoriums und der Bevölkerung. Der geänderte Blick brachte auch einige römische Alpen-Topoi zum Verschwinden, etwa den Topos der lebensfeindlichen Alpen oder von dem Gebirge als Mauern Italiens. Weitere Änderungen betrafen die Übergänge. Aus unterschiedlichsten Gründen entstanden neue Wege und alte verloren an Wichtigkeit. Ein Beispiel ist der Mont Cenis, der vor allem aufgrund der wachsenden Pilgerströme von den britischen Inseln den wichtigen römischen Alpenübergang Montgenèvre ersetzte. In den zentralen Alpen erfreute sich Churrätien, nicht zuletzt durch die stabilen politischen Verhältnisse, einer großen Beliebtheit, während Übergänge östlich davon lediglich als Nebenwege wahrgenommen wurden. Ein großer Bruch für die alpinen Menschen bedeuteten die spätantiken Veränderungen der Siedlungsstrukturen, die in allen Provinzen des ehemaligen römischen Reiches stattfanden und auch in den Alpen beobachtet werden können: die alten römischen Städte verloren ihre Substanz und verschwanden teilweise ganz, währenddessen neue Zentren erschaffen wurden, allen voran die Klöster. Einst weniger wichtige Siedlungen, wie das antike Iuvavum/Salzburg, gewannen massiv an Bedeutung, während andere römische Städte wie Teurnia, Aguntum aber auch Octodurum vergingen. Allerdings blieben die jeweiligen Siedlungskammern stets bedeutend - es ging nur die antike Stadtstruktur unter. Eine große Rolle in der Veränderung dieser Siedlungsmuster spielte die Kirche, da Bischofssitze und Kirchen von bedeutenderen Heiligen einen Anziehungspunkt für die lokale Bevölkerung darstellten. Die großen Umwälzungen der spätantiken Wirtschaft betrafen vor allem den transalpinen Handel, da viele Produkte, wie Olivenöl, hochwertige Keramik, Salz und Getreide kaum mehr über die Alpen gebracht wurden. Die lokale Landwirtschaft hingegen, die nur wenig Überschuss für Grundbesitzer und Reisende produzierte, änderte sich zunächst noch wenig. Die Bewirtschaftung mehrerer Höhenstufen bis hin zu den Almen oberhalb der Baumgrenze wurzelt in römischer und vorrömischer Zeit und blieb auch im frühen Mittelalter bestehen. Eine Spezialisierung betraf nur ganz wenige landwirtschaftliche Produkte, beispielsweise Wein und vielleicht Käse oder Wolle. Die lokalen Herrschaftsstrukturen konnten sich in den West- und Zentralalpen kontinuierlich aus ihren spätantiken Wurzeln weiterentwickeln. Im 8. und beginnenden 9. Jh. sprachen die Menschen aus diesem Teil der Alpen immer noch eine romanische Sprache, waren christlich und lebten in einer stark geschichteten Gesellschaftsstruktur, die sich laut Quellen nach spätantiken Rechtsgewohnheiten richtete. Im Gegensatz dazu erlebten die Bewohner der Ostalpen einen deutlichen Kultursprung, denn hier wechselten die Sprache, Religion und die Machtverhältnisse fast gänzlich. ; This book follows a new path of describing the Alps from the years 500 to 800. Instead of running through this mountain range from east to west (or reverse) and writing one local history after the other, relevant patterns were captured: patterns of control, borders, communication routes, Christendom, settlement, economy, local methods to establish power and traces of local identity. Comparing theses structures on an interregional level made it possible to establish a new view on the early medieval alpine regions. By the year 500 the inhabitants of this central European mountain range were typically roman-provincial. Some regional differences existed, yet the main factors were quite similar: language, laws, religion (Christendom) and social structures. From the 6th c. on this changed. New political developments made a large part of the alpine provinces turn northwards to the Frankish realms. As a consequence borders were created within the Alps. Many hilltop settlements and strongholds in the valleys were built to guarantee the security both of population and borders. Militia was installed to control these boundaries; they were either recruited from the local population or got especially settled for these means. This change of view made some Roman topoi disappear: the Alps were no longer regarded as hostile and as the walls of Italy. The routes through the Alps changed. One reason for this was the growing number of pilgrims from the British Isles made the passage through Maurienne and over the Mont Cenis more important than the ancient route via Montgenèvre. The central Alps in Curia remained a highly important point to cross the mountains, whereas more eastwards the once important crossing points became mere backroads. Farther east the Avarian-Slavic conquest caused the sources to silence, nevertheless the communication routes remained visible through archaeological findings and place names. A big change for the alpine population was the transformations in settlement patterns, first of all the diminishing importance of Roman cities. Some of them disappeared completely, such as Teurnia, Aguntum and Octodurum. Nevertheless, the wider settlement areas around these former towns always remained important. New centres emerged. Some had roman roots, for example Iuvavum/Salzburg, others were new foundations, like the numerous cloisters from the 8th c. The church played a significant role in this transformation, as a bishop's see or the burial church of a saint constituted a point of attraction for the local population. The antique transalpine and alpine networks of trade underwent some transitions. Goods like olive oil, high quality pottery and sea salt were no longer brought over the Alps. The eastern alpine ore deposits were not exploited on a grand scale anymore. New natural resources became important, for example the salt deposits in the northern Alps. There are some traces of exported products. The vineyards of the Southern Alps produced vine for export to the north-alpine regions and the central alpine soapstone production supplied the population of the whole mountain range with high quality cookware. In addition to this, products like cheese, wool, honey and lumber might have been exported. Alpine agriculture did not change much. Farming was based on subsistence and the surplus was sold locally to travellers or given to the owners of the land. The use of alpine pastures roots in pre-roman times and was practised continually, although the intensity of the pastoralism is difficult to estimate. Local power structures emerged out of late antique roots. In the 8th and beginning of the 9th c. the population of these parts of the Alps still spoke a roman language, were Christian and lived in a very differentiated social structure whose legal habits were based on roman law. Contrary to that, the eastern Alps saw a major cultural shift that resulted in the Slavic reign of Carantania.
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Das Buch ist der zweite Band eines lexikalischen Nachschlagewerks (Band 1: Steiermark ist 2008 erschienen), das im Sinne literaturwissenschaftlicher Grundla-genforschung versucht, erstmals eine systematische, flächendeckende Dokumentation des literarischen Lebens Österreichs während der Ära des Nationalsozialismus (1938-1945) zu bieten. Es soll - vom methodischen Ansatz her - ohne einschränkenden, wertenden Rückgriff auf Kanonbildungen den Zugang zu jenem literarischen Geschehen öffnen, das dem offiziellen System des Dritten Reiches angehörte, das von den Lenkungsinstanzen des Kulturbetriebes gefördert, zumindest aber zeitweise geduldet wurde, und es soll der Analyse und Interpretation Materialien zu Entste-hungs- und Wirkungsbedingungen zur Verfügung stellen. Daher geht die Untersuchung von einem funktionalen Literaturverständnis aus und umfasst die wesentlichen institutionalisierten Faktoren des literarischen Kommunika-tionssystems: AutorInnen und deren Werke (einschließlich Hörfunk und Film) sowie Germanisten, kulturpolitische Lenkungsinstanzen (Förderung/Zensur, Literaturprei-se), literarische Vereinigungen, Medien (Verlage, Theater, Rundfunk). Für das Er-proben eines derartigen methodischen Ansatzes bietet die Diktatur des Dritten Rei-ches durch die Totalerfassung der sich an die Öffentlichkeit richtenden schöpferi-schen und medialen Tätigkeit durch die Reichskulturkammer im Jahre 1938 selten gute quellenmäßige Voraussetzungen. Unsere systematischen Recherchen über die Phase von 1938-1945 streben eine möglichst umfassende Beschreibung der Instituti-onen des literarischen Systems und der Integration der AutorInnen an. Zu diesem Zweck wurden außer Druckschriften im Bereich der Personenakten vornehmlich die Bestände des Bundesarchivs Berlin, Abt. Deutsches Reich (ehemaliges BDC) und die sogenannten "Gauakten" durchforstet (der Großteil der Personendaten bezieht sich auf eigene Angaben der Autoren). Wichtigste archivalische Basis für die Be-schreibung der Institutionen sind Akten aus dem Bundesarchiv Koblenz (jetzt im BA Berlin) und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv. In die Erhebung von Material werden zudem sowohl die Vor- als auch die Nachge-schichte partiell systematisch einbezogen, um Kontinuitäten und Brüche aufzuzeigen. Besonders signifikant sind Literaturpreise und Ehrungen, welche die Integration eines Schriftstellers in die unterschiedlichen Systeme von der Monarchie bis zu Zweiten Republik illustrieren. Daher haben wir sie - soweit uns bekannt - in ihrer Gesamtheit verzeichnet. Der erstmalige Versuch, möglichst alle literarischen Vereine in Österreich und Anthologien des deutschen Sprachraums (soweit Texte von Öster-reicherInnen aufgenommen wurden) zu erheben, deckt die Zeit von 1933-1945 ab. Die Nachgeschichte wird nicht nur durch Literaturpreise und Ehrungen dokumen-tiert, sondern auch durch den Einbezug der schon genannten "Gauakten" im Öster-reichischen Staatsarchiv (Archiv der Republik). Dem methodischen Anliegen entsprechend, ein literarisches Teil-System des deut-schen Sprachraums in seinen institutionalisierten Faktoren lexikalisch aufzuschließen, wird ein neuer Typus von Handbuch versucht, eine spezifische Kombination von Personenlexikon und Sachwörterbuch, die zu einer Ganzheit vernetzt werden sollten. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Art der Darbietung ergab sich aus dem Faktum der nationalsozialistischen Teilung Österreichs in sieben "reichsunmittelbare" Gaue bzw. Teilsysteme des NS-Staates. Das Handbuch ist daher wie folgt gegliedert: Teil 1: Personenlexikon in mehreren Bänden nach den damaligen Gauen gegliedert. Vorgelegt wird nun der 2. Band über Kärnten. Der Beschreibung des jeweiligen re-gionalen literarischen Systems - analog zu Teil 2 (s.u.) - folgen die AutorInnen-Artikel, den Abschluss bilden Abkürzungs- und Quellenverzeichnisse. Der AutorIn-nenband steht in enger Vernetzung mit dem in Arbeit befindlichen Teil 2: Institutionen in Österreich, welcher Organigramme der Kultur zwischen 1938-1945 in den Reichsgauen enthält, es folgen Förderung / Zensur und Literaturpreise zwischen 1933 und 1945, literarische Vereine (1933-1945) und die Medien (Rundfunk, Theater, Film, belletristische Verlage, Druckschriften: ausgewertete Pe-riodika, Anthologien) sowie ein Abkürzungs- und Quellenverzeichnis. ; The book is the second volume of an encyclopedic reference work that, as the result of basic research in literary studies, represents the first systematic attempt to provide comprehensive documentation of the literary life of Austria during the Nazi era (1938-1945); the first volume (Styria) was published in 2008. From its methodological approach, it is intended to make the literary events that took place within the official system of the Third Reich as promoted, or at least tolerated, by the decision-makers in the cultural industry more accessible, without resorting to limiting, biased attempts to define a canon. Materials will be presented for the analysis and interpretation of the genesis and effects of these events and institutions. For this reason, the study is based on a functional understanding of literature and has taken key institutional elements of the literary communication system into consideration: authors and their works (including radio and film writers), scholars of German studies, the decision-makers of cultural policy (promotion/censure, literary awards), literary associations, publishing houses and theaters, anthologies and periodicals. The total control of all public creative and media activities in the year 1938 through the Third Reich dictatorship rarely provides good sources for the testing of this method. Our systematic research of the phase between 1938 and 1945 intends to create the most comprehensive description possible of the institutions within the literary system and the integration of authors. Apart from printed material in files pertaining to individuals, we primarily scrutinized the contents of the National Archive Berlin / Division on National Socialism (BDC) and what is known as the Gauakten or District Files for this purpose (the vast majority of personal information related to authors was provided by the authors themselves). The most important archival basis for the description of the institutions are files from the National Archive Koblenz (now in the National Archive Berlin) and the Municipal and Provincial Archives of Vienna. In the survey of material, some of the events that transpired before and after the critical Nazi years were systematically included in order to draw attention to continuities and breaks. Especially significant were literary awards and honors, which illustrate the integration of writers in the various governments from the monarchy up through the Second Republic. For this reason, we have included all such prizes that are known. The first attempt to list all literary organizations in Austria and all German-language anthologies, in which Austrian texts were included, covers the period between 1933 and 1945. The subsequent period has been documented not only through literary awards and honors, but also through the inclusion of the so-called Gauakten in the Austrian National Archive (Österreichisches Staatsarchiv / Archiv der Republik). In order to explore the institutional factors of the literary sub-system in German-speaking regions, a new kind of handbook was created in accordance with this methodological approach, a combination of encyclopedia of persons and specialized dictionary, which should be combined in a network to form a whole. Another factor that led to this format was the division of Austria by the Nazis into seven divisions subject directly to the German government. The handbooks have thus been structured as follows: Part I: Encyclopedia of Persons is divided into several volumes based on the administrative divisions (Gaue) at the time. The second volume will focus on Carinthia. The alphabetically-ordered author entries will be preceded by a literary and historical introduction and an organizational diagram of the literary-political associations of the individual divisions as well as an overview of institutions in the Gau. A list of abbreviations and a list of sources will be included at the end of each volume. The volumes devoted to individual authors will be cross-referenced with the second part. Part II: Institutions in Austria will focus on literary organizations 1938-1945, literary awards, promotion and censure, writers associations (1933-1945) and media (radio broadcasting, theatre, motion pictures, publishers, theaters, German-language anthologies, periodical publications), and include a list of abbreviations as well as a list of sources.
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Die kumulative Dissertation besteht aus insgesamt acht Artikeln, die im Rahmen des Projektes "Services for Supporting Family Carers of Elderly People in Europe: Characteristics, Coverage and Usage (EUROFAMCARE)" im fünften Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union in der Sektion "Quality of Life and Management of Living Resources" entstanden sind. Wissenschaftler aus insgesamt 23 Ländern beschäftigten sich in diesem Forschungsverbund mit der Lebenssituation betreuender Angehöriger älterer Menschen. In sechs dieser 23 Länder wurden jeweils ca. 1.000 betreuende Angehörige von Familienmitgliedern, die 65 Jahre oder älter und für mindestens vier Stunden pro Woche auf die persönliche Unterstützung ihres Angehörigen angewiesen waren, persönlich interviewt. Der Autor war in diesem Projekt wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projekt Manager im Koordinationszentrum, das im Hamburger Institut für Medizin-Soziologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf angesiedelt war. Das Projekt wurde von der Leiterin der AG Sozialgerontologie, Frau Dr. Hanneli Döhner, koordiniert. Eine inhaltliche Einführung liefert eine Kurzübersicht des Themas "familiale Unterstützung von älteren hilfebedürftigen Menschen" unter Berücksichtigung des demografischen Wandels und seiner sozial- und gesundheitspolitischen Implikationen – und beleuchtet die große Bedeutung der primärsozialen Netzwerke im Kontext der gesundheitlichen Versorgung sowie die komplexen und teils hohen Anforderungen an die Betreuungspersonen. Es folgt eine Übersicht zur Zusammenstellung dieser Dissertation sowie einen Projektbeschreibung, die auch Informationen zur Entstehungsgeschichte, den Rahmenbedingungen, den beteiligten Partnern sowie den Anteilen des Autors an den jeweiligen Artikeln beinhaltet. Bei den darauffolgenden ersten fünf Artikeln handelt es sich um Buchpublikationen, die inhaltliche und methodische Aspekte des Projektes wiedergeben. So enthält der erste Artikel "Introduction - Aims and Structure of the EUROFAMCARE Project" eine Übersicht zu den Zielen und zum Aufbau des Projektes. Der zweite Artikel "Issues and Challenges in Carer Support: A Consideration of the Literature" enthält eine Literaturübersicht zum Thema "pflegende Angehörige älterer Menschen" auf internationaler Ebene, gefolgt von einer auf Deutschland bezogenen Literaturübersicht in Artikel drei "Literature - State of the Art". Der vierte Beitrag "Motive von Angehörigen, ihre älteren Familienmitglieder zu betreuen" beinhaltet eine Analyse der im Projekt erhobenen Motive der betreuenden Angehörigen, ihre älteren Familienmitglieder zu unterstützen und zu pflegen, und beleuchtet damit bedeutsame Variablen hinsichtlich der Betreuungsbereitschaft und möglicher auslösender Rahmenbedingungen. Eine projektübergreifende Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der sechs Länder-Studien liefert der fünfte Artikel "Summary of Main Findings from the Trans-European Survey Report". Diesen fünf Buchpublikationen folgen drei Artikel, die nach einem Begutachtungsverfahren durch jeweils zwei unabhängige Gutachter in medizin-psychologischen und pflegewissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert wurden. Der sechste Artikel "Familiale Pflege älterer Menschen in Europa unter einer Geschlechterperspektive" analysiert auf der Basis einer Literaturrecherche und des europäischen EUROFAMCARE-Datensatzes die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von pflegenden Männern und Frauen in Bezug auf ihre Lebensqualität, empfundene Belastung, Nutzung von externer Unterstützung und den mit Pflege und Betreuung assoziierten Implikationen auf die berufliche Situation. Der siebte Artikel "Zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von pflegenden Ehepartnern und anderen pflegenden Angehörigen in der deutschen Teilstudie des Projektes EUROFAMCARE" zeigt, dass das Verwandtschaftsverhältnis – hier unterschieden nach Ehepartnern/Lebensgefährten vs Kindern und Schwiegerkindern vs der Gruppe "Angehörige 2. Grades und Freunde/Bekannte" – eine Variable darstellt, die in einem signifikanten Zusammenhang mit Betreuungsbereitschaft einerseits und erlebter Konsequenzen (Belastung, Lebensqualität, Hilfeersuchen etc.) andererseits steht. Der abschließende achte Artikel "Der Einfluss von Betreuungsbedarf und psychosozialen Determinanten auf Belastung und Wohlbefinden von pflegenden Angehörigen alter Menschen" differenziert zwischen verschiedenen Variablen, die die Betreuungs- und Pflegesituation mit Bezug auf die daraus resultierende Beeinflussung von Lebensqualität und empfundener Belastung determinieren. Hier zeigt sich insbesondere bei vorliegenden Verhaltensauffälligkeiten – meist als Symptom demenzieller Erkrankungen – ein Effekt auf Belastung und Lebensqualität, aber auch ein signifikanter kompensierender Effekt durch die Variable "soziale Unterstützung". Die sich anschließende Diskussion geht artikelübergreifend und zusammenfassend auf begriffliche und methodische Aspekte des Projekts und dieser Dissertation ein. ; This thesis is based on the project "Services for Supporting Family Carers of Elderly People in Europe: Characteristics, Coverage and Usage (EUROFAMCARE)" within the European Union 5th Framework Program, section "Quality of Life and Management of Living Resources". The thesis consists of eight publications embedded in an introduction and a concluding discussion. All in all researchers of 23 European countries have analysed the situation of family carers of older people. Six of these countries have conducted in-depths studies each with around 1,000 personally interviewed family carers of those family members who were 65 years or above and in need of personal support for at least four hours a week. In this project the author was engaged both as a researcher and the project manager at the co-ordinating centre in the Department of Medical Sociology at the University Medical Center Hamburg-Eppendorf. The project has been co-ordinated by Dr. Hanneli Döhner, head of the working group on social gerontology. The Introduction reflects the issue of family care of dependent older people in the framework of demographic change and social and health policies. Furthermore, it highlights the outstanding importance of primary social networks in the context of health care as well as the complex and partly distressing demands on family caregivers. It is followed by an overview on the structure of the thesis and an overview on the European project including its history, its framework, the partners involved and the author's role in this development. The following first five publications are book chapters dealing with content and methodological issues. Thus, the first is about "Introduction - Aims and Structure of the EUROFAMCARE Project", the second on international literature ("Issues and Challenges in Carer Support: A Consideration of the Literature"), and the third on literature on the national level of Germany ("Literature - State of the Art"). The fourth article is focussing on motives of family carers to provide support and care for their relatives. It provides an analysis of different motives we have gathered in the interviews, and reflects important variables concerning the will of family members to care and the given circumstances. At fifth, a "Summary of Main Findings from the Trans-European Survey Report" describes the central outcomes of the six-country study of EUROFAMCARE. The five book chapters are followed by three peer-reviewed papers in medical-psychological and nursing science journals. The sixth article is about gender-related aspects of family care in Europe. It analyses similarities and differences of women and men in their role as family carers on the basis of both a literature review and analyses of the European data set of EUROFAMCARE with respect for their quality of life, perceived burden, use of external support services, and care associated implications on their job careers. The seventh article is dealing with similarities and differences of and between different degrees of relationship to the person in need of support. Three groups were analysed: spouses, children and children-in-law as well as 2nd-degree-relatives and friends or neighbours. A significant correlation was found between a "closer" degree of relationship and the willingness to care, but also with perceived burden and reduced quality of life. The article eight is about the influence of care needs and psychosocial determinants on burden and well-being of family carers of older people. In this paper it is shown that specifically behavioural problems of the cared-for – mostly as symptoms of dementia or dementia related diseases – have a significant effect on well-being and perceived burden, but also that social support has a significant compensating effect. Finally, a discussion and conclusion is summarising terminological and methodological aspects and limitations of the study and this thesis.
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In: https://freidok.uni-freiburg.de/data/2582
Unter dem Einfluss des Agrarstrukturwandels reagieren gemischt land- und forstwirtschaftliche Betriebe mit sehr individuellen Lösungen um neue Einkommensquellen zu erschließen. Deren Eckpunkte werden einerseits durch die Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebsteils und andererseits durch die Vergrößerung der Nutzflächen markiert. Zwischen diesen "Extremen" hat sich eine große Bandbreite von Bewirtschaftungsformen und Eigentümerzielen herausgebildet. Vor diesem Hintergrund liegt die Intention der vorliegenden Arbeit darin, Muster für verschiedene waldbäuerliche Strategien zu erkennen und darzustellen, um daraus Hinweise für die Gestaltung differenzierter forstpolitischer Instrumente der Förderung im bäuerlichen Privatwald abzuleiten. Die Datenbasis der vorliegenden Untersuchung wird durch das Testbetriebsnetz Kleinprivatwald der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg bereitgestellt. Für die Jahre 1998 bis 2002 konnten Daten von 148 konstant teilnehmenden Forstbetrieben zwischen 5 und 200 Hektar ausgewertet werden. Diese Kennzahlen lassen sich in die drei Hauptgruppen "betriebliche Strukturdaten", "Naturaldaten" und "finanzielle bzw. operative Daten" einteilen. Hierauf aufbauend greift der methodische Ansatz der Clusteranalyse den Grundgedanken einer strukturierenden Typisierung der vielfältigen Erscheinungsformen bäuerlicher Waldbewirtschaftung auf - das Ergebnis: eine Gruppierungen von Betrieben, die in wesentlichen sozialen, strukturellen und ökonomischen Charakteristika eine so weitgehende Übereinstimmung aufweisen, dass sie von anderen Gruppen unterschieden werden können. Durch dieses Verfahren konnten vier Gruppen (Cluster) identifiziert werden, die sich in der Mehrzahl der untersuchten Variablen signifikant voneinander unterscheiden. Diese Gruppen werden daraufhin im Spiegel einer soziologisch ausgerichteten Befragung zu den motivationalen Einstellungen der Waldbesitzer zusätzlich diskutiert und validiert. Zur Ergebnisdarstellung wurden die Cluster mit Kurzbezeichnungen wie "Forstprofis", "konventionell landwirtschaftliche Betriebe", "ideell interessierte Landnutzer" und "naturräumlich begünstigte Betriebe mit überdurchschnittlicher Nutzungsintensität" versehen. Für das Cluster der "Forstprofis" spielt das Einkommen aus Waldbewirtschaftung eine herausragende Rolle. Die Forderung nach Liquidität gestattet den "Forstprofis" auch bei schlechter Holzmarktlage keine Einschlagszurückhaltung. Sie haben ihre Bestände in den letzten 40 Jahren vermehrt mit Mischbaumarten verjüngt. Die "konventionell landwirtschaftlichen Betriebe" verfügen über das Potenzial, um als landwirtschaftliche Haupterwerbsbetriebe bestehen zu können. Mit dem höchsten Anteil forstlicher Eigenarbeit weisen sie eine günstige Kostenstruktur auf. Das waldbauliche Verhalten dieses Clusters ist eher konservativ. Das Kollektiv der "ideell interessierten Landnutzer" zeigt eine hohe Bereitschaft zur Abwanderung aus dem primären Sektor. Sie verfügen nur über beschränkte Einschlagskapazitäten und weisen eine ungünstige Ertrags- und Kostenstruktur auf. Durch die - noch vorhandene - hohe emotionale Verbundenheit mit ihrem Waldbesitz bestehen für dieses Cluster - noch - gute Beratungsmöglichkeiten für die Umsetzung von Maßnahmen des naturnahen Waldumbaus. Das Cluster der "naturräumlich begünstigten Betriebe mit überdurchschnittlicher Nutzungsintensität" findet gute Wuchs- und Bewirtschaftungsbedingungen sowohl im land- wie auch im forstwirtschaftlichen Betriebsteil vor. Auf "Hochleistungsstandorten" erbringt die Baumart Fichte hohe Erträge und bleibt auch unter den verjüngten Baumarten die Nummer eins. Die familiären Arbeitskapazitäten konnten die "Begünstigten" ihren hohen zufälligen und planmäßigen Nutzungen entsprechend anpassen. Eine Gegenüberstellung der durch die Clusteranalyse ermittelten Gruppen mit verschiedenen univariaten Typisierungen bestätigt die Ausgangshypothese, dass der Einsatz multivariater statistischer Methoden ein Bild der bäuerlichen Waldwirtschaft zeichnen kann, das der Vielfalt an Erscheinungsformen und den veränderten Rahmenbedingungen besser Rechnung trägt als univariate Typisierungen. Eine grundsätzliche Folgerung hieraus lautet, dass forstliche Förderung effizienter sein kann, wenn sie sich noch mehr als bisher an den spezifischen Erfordernissen ihrer Zielgruppen orientiert. Diese lassen sich nicht durch einzelne Merkmale wie Betriebsgröße, -form oder regionale Zugehörigkeit bestimmen. Auf Basis der identifizierten Cluster werden abschließend differenzierte Entwicklungsmöglichkeiten von aktuell existierenden Instrumentarien forstlicher Förderung aufgezeigt. ; Under the impact of the ongoing agrarian structural transformation process, the mixed farm forest enterprises reacted with very individual solutions in order to develop new sources of income. The extent of these solutions is marked by abandonment of the agricultural part of the farm on the one hand and by expansion of the production area on the other. A large spread of management techniques and owner's objectives has established itself in-between these two "extremes". Against this background, the objective of this study lies in identifying and describing patterns of various farm-forest strategies, in order to derive information about the design of differentiated forest policy promotion instruments in smale-scale private forestry. The data base of the present research is provided by the Small-Scale Forestry Accountancy Network of the Forest Research Institute of Baden-Württemberg. For the years 1998 to 2002, data was evaluated from 148 consistently participating forest enterprises managing between 5 and 200 ha of timberland. These data can be divided into the three main groups of "structural data of enterprise", "natural data", and "financial or operational data respectively". Based on these groups, the methodical approach of a cluster analysis takes up the basic idea of a structuring classification of the varied appearances of farm-forest management. The analysis establishes groups of enterprises that show such large similarities in essential social, structural, and economic characteristics so as to be distinguishable from other groups. In this way, the present study identifies the Clusters of "forest professionals", "conventional agricultural farms", "idealistically interested land users" and "geographically favoured enterprises with above average utilisation intensity". These groups are then discussed and validated through an independent interview about the motivational attitudes of the forest owners. Income derived from forestry plays an important role for the "forest professionals" cluster. The requirement of financial liquidity does not allow the "forest professionals" to restrain their timber harvests during poor timber market conditions. In the last 40 years, they have increasingly regenerated their stands with mixed species. The "conventional agricultural farms" have the potential to subsist as farms whose primary income is derived from agriculture. Having the highest proportion of active forestry work, they show a favourable cost structure. The silvicultural behaviour of this cluster is rather conservative by comparison. The collective of the "idealistically interested land users" shows a high willingness to drift away from the primary income sector (agriculture and forestry). The "idealists" have limited timber harvest capacities as well as an unfavourable yield and cost structure. Good consulting opportunities for the implementation of close-to-nature forest conversion measures still exist for this cluster because of the owner's remaining strong emotional ties to their forest property. The cluster of the "geographically favoured enterprises with above average utilisation intensity" displays good growing and management conditions both in the agricultural as well as the forestry parts of the enterprise. Norway spruce provides high yields and remains the number one regenerated tree species on "high performance sites". The "favoured enterprises" were able to adapt the family's labour capacity in correspondence with their high levels of incidental and planned timber harvests. A comparison of the cluster analysis groups with various univariate classifications confirms the initial hypothesis that the application of multivariate statistical methods can paint a picture of farm-forest management that better accounts for the diversity of appearances and the changing general conditions than univariate classifications. A fundamental conclusion derived from this is that the promotion of forestry can be more efficient, if it is more closely oriented towards the target groups than before. These target groups in turn can no longer be solely classified along such characteristics as enterprise size, enterprise type, or regional affiliation. For this reason, differentiated development potentials of currently existing instruments of forestry promotion are shown in conclusion.
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Trotz der hohen innovationspolitischen Bedeutung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AUF) sind sie bisher selten Gegenstand empirischer Untersuchungen. Keine der bisher vorliegenden Arbeiten legt ihren Fokus auf die Zusammenarbeit von Wissenschaftler:innen in Forschungsteams, obwohl wissenschaftliche Zusammenarbeit ein weitgehend unerforschtes Gebiet ist. Dies verwundert insofern, da gerade innovative und komplexe Aufgaben, wie sie im Bereich der Forschung bestehen, das kreative Potenzial Einzelner sowie eine gut funktionierende Kooperation der einzelnen Individuen benötigen. Die Zusammenarbeit von Wissenschaftler:innen in den AUF findet in einem kompetitiven Umfeld statt. Einerseits stehen die AUF auf Organisationsebene im Wettbewerb zueinander und konkurrieren um Forschungsgelder und wissenschaftliches Personal. Andererseits ist die kompetitive Einwerbung von Drittmitteln für Wissenschaftler:innen essentiell, um Leistungen, gemessen an hochrangigen Publikationen und Drittmittelquoten, für die eigene Karriere zu erbringen. Ein zunehmender Anteil an Drittmittelfinanzierung in den Einrichtungen hat zudem Auswirkungen auf die Personalpolitik und die Anzahl befristeter Arbeitsverhältnisse. Gleichzeitig wird Forschungsförderung häufig an Kollaborationen von Wissenschaftler:innen geknüpft und bei Publikationen und Forschungsergebnissen zeigen Studien, dass diese überwiegend das Resultat von mehreren Personen sind. Dieses Spannungsfeld zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb wird verstärkt durch die fehlenden Möglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Wissenschaft zu bleiben. Auch wenn die Bundesregierung auf diese Herausforderungen reagiert, muss der Einzelne seinen Weg zwischen Zusammenarbeit und Konkurrenz finden. Zielsetzung dieser Arbeit ist es, nachfolgende Forschungsfragen zu beantworten: 1. Wie können naturwissenschaftliche Forschungsteams in AUF charakterisiert werden? 2. Wie agiert die einzelne Forscherin/ der einzelne Forscher im Spannungsfeld zwischen Kooperation und Wettbewerb? 3. Welche Potentiale und Hemmnisse lassen sich auf Individual-, Team- und Umweltebene für eine erfolgreiche Arbeit von Forschungsteams in AUF ausmachen? Um die Forschungsfragen beantworten zu können, wurde eine empirische Untersuchung im Mixed Method Design, bestehend aus einer deutschlandweiten Onlinebefragung von 574 Naturwissenschaftler:innen in AUF und qualitativen Interviews mit 122 Teammitgliedern aus 20 naturwissenschaftlichen Forschungsteams in AUF, durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Teams eher als Arbeitsgruppen bezeichnet werden können, da v.a. in der Grundlagenforschung kein gemeinsames Ziel als vielmehr ein gemeinsamer inhaltlicher Rahmen vorliegt, in dem die Forschenden ihre individuellen Ziele verfolgen. Die Arbeit im Team wird überwiegend als positiv und kooperativ beschrieben und ist v.a. durch gegenseitige Unterstützung bei Problemen und weniger durch einen thematisch wissenschaftlichen Erkenntnisprozess geprägt. Dieser findet vielmehr in Form kleiner Untergruppen innerhalb der Arbeitsgruppe und vor allem in enger Abstimmung mit der Teamleitung (TL) statt. Als wettbewerbsverschärfend werden vor allem organisationale Rahmenbedingungen, wie Befristungen und der Flaschenhals, thematisiert. Die TL nimmt die zentrale Rolle im Team ein, trägt die wissenschaftliche, finanzielle und personelle Verantwortung und muss den Forderungen der Organisation gerecht werden. Promovierende konzentrieren sich fast ausschließlich auf ihre Qualifizierungsarbeit. Bei Postdocs ist ein Spannungsfeld zu erkennen, da sie eigene Projekte und Ziele verfolgen, die neben den Anforderungen der TL bestehen. Die Gatekeeperfunktion der TL wird gestärkt durch ihre Rolle bei der Weitergabe von karriererelevanten Informationen im Team, z.B. bei anstehenden Konferenzen. Sie hat die wichtigen Kontakte, sorgt für die Vernetzung des Teams und ist für die Netzwerkpflege zuständig. Der wissenschaftliche Nachwuchs verlässt sich bei seinen Aufgaben und den karriererelevanten Faktoren sehr auf ihre Unterstützung. Nicht-wissenschaftliche Mitarbeitende gilt es stärker zu berücksichtigen, dies sowohl in ihrer Funktion in den Teams als auch in der Gesamtorganisation. Sie sind die zentralen Ansprechpersonen des wissenschaftlichen Personals und sorgen für eine Kontinuität bei der Wissensspeicherung und -weitergabe. Für die Organisationen gilt es, unterstützende Rahmen-, Arbeits- und Aufgabenbedingungen für die TL zu schaffen und den wissenschaftlichen Nachwuchs bei einer frühzeitigen Verantwortung für wissenschaftliche und karriererelevante Aufgaben zu unterstützen. Dafür bedarf es verbesserter Personalentwicklungskonzepte und -angebote. Darüber hinaus gilt es, Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der Einrichtung und zwischen den Gruppen zu schaffen, z.B. durch offene Räume und Netzwerkmöglichkeiten, und innovative Arbeitsumgebungen zu fördern, um neue Formen einer innovationsfreundlichen Wissenschaftskultur zu etablieren. ; Despite the high importance of non-university research institutions for innovation policy, they have rarely been the subject of empirical studies. None of the existing studies focuses on the cooperation of scientists in research teams, although scientific teamwork is a largely unexplored field. This is surprising, since especially innovative and complex tasks, as they exist in the field of research, require the creative potential of individuals as well as a well-functioning cooperation between individuals. The cooperation of scientists in the non-university research institutions takes place in a competitive environment. On the one hand, non-university research institutions compete with each other at the organizational level and compete for research funds and scientific personnel. On the other hand, the competitive acquisition of third-party funding is essential for scientists in order to perform well for their own careers, as measured by high-ranking publications and third-party funding quotas. An increasing share of third-party funding in institutions also has an impact on personnel policy and the number of fixed-term employment contracts. At the same time, research funding is often linked to cooperation between scientists, and studies show that publications and research results are predominantly the result of several people. This tension between cooperation and competition is exacerbated by the lack of opportunities for young scientists to remain in academia. Even as the federal government responds to these challenges, individuals must find their own way between cooperation and competition. The objective of this dissertation is to answer the following research questions: 1. How can scientific research teams in non-university research institutions be characterized? 2. How does the individual researcher act in the field of tension between cooperation and competition? 3. Which potentials and obstacles can be identified on the individual, team and environmental level for a successful work of research teams in non-university research institutions? To find answers to the research questions, an empirical investigation was carried out in a mixed method design, consisting of a Germany-wide online survey of 574 natural scientists in non-university research institutions and qualitative interviews with 122 team members from 20 natural science research teams in non-university research institutions. The results show that the teams can rather be described as working groups, since especially in basic research there is no common goal, but rather a common content framework in which the researchers pursue their individual goals. The team work is predominantly described as positive and cooperative. It is mainly characterized by mutual support in case of problems and less by a thematic scientific knowledge process. This usually happens in small subgroups within the working group and, above all, in close coordination with the team leader (TL). Organizational framework conditions, e.g. fixed-term contracts, are primarily seen as exacerbating competition. The TL assumes the central role in the team, bears scientific, financial and personnel responsibility, and must meet the demands of the organization. PhD students focus almost exclusively on their qualification work. In the case of postdocs, a tension can be seen as they pursue their own projects and goals that coexist with the demands of the TL. The gatekeeper function of the TL is strengthened by her/his role in passing on career-relevant information within the team, e.g. at upcoming conferences. She or he has the important contacts, provides networking opportunities for the team, and maintains the network. Young scientists rely heavily on her or his support for their tasks and career-relevant factors. Non-scientific employees must be given greater consideration, both in their function in the teams and in the overall organization. They are central contact persons for the scientific staff and ensure continuity in the storage and transfer of knowledge. For the organizations it is important to create supportive work environments for the TL and to support young scientists in taking responsibility for scientific and career-related tasks at an early stage. This require improved personnel development concepts and offers. It is also important to create opportunities for cooperation within the institution and between groups, e.g. through open spaces and networking opportunities, and to promote innovative working environments in order to establish new forms of an innovation-friendly scientific culture.
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An die historische Erfahrung der Gleichursprünglichkeit von Theater und Politik in der attischen Polis schließt die Grundintuition der Arbeit an: Auch das Stadttheater in der Bundesrepublik Deutschland sei nicht nur eine Kulturkonsumnische oder ein Bildungsbürgerritual, sondern es bilde einen öffentlichen Raum, in dem politisch kommuniziert wird. Der empirischen Validierung dieser Intuition widmet sich eine Fallstudie, der Begriffsklärungen bezüglich politischer Öffentlichkeit vorausgehen. Diese orientieren sich am Stand der Forschung und Theorie an Hannah Arendts Begriff des Politischen, mit entsprechenden Gegenbegriffen des Konsumismus und Ritualismus. Das grundsätzliche Maß, welches die Realität des Theaters als politische Öffentlichkeit angeben kann, ist dabei die Struktur und Reichweite seiner Kommunikationen. Bezüglich des Begriffes "Öffentlichkeit" schließt die Arbeit an Jürgen Habermas und andere den Bereich normativ konzipierende Autoren an. Öffentlichkeit ist ein diskursives (reflexives) und darstellendes (präsentierendes) Netzwerk verschiedener "Arenen" und "Galerien" (Jürgen Gerhards) mit individuellen "Backstages" (Produktionsstrukturen; Bernhard Peters). Ein Bereich ist "öffentlich" insofern Sprecher ihre Beiträge auf ein Publikum ausrichten (Arena) und dieses Publikum diese Ausrichtung auch versteht (Galerie). Die politische Öffentlichkeit rahmt ihre Themen als Probleme des Gemeinwesens. "Kulturelle Öffentlichkeiten", in denen Form der Darstellung und "Kathexis" (Parsons), also affektive Besetzung der Handlungen zum Thema gemacht werden, dienen potenziell als Produktionsstruktur einer solchen politischen Öffentlichkeit, indem sie lebensweltliche Erfahrungen mit Strategien zugänglich und 'diskursfähig' machen, die der politischen Öffentlichkeit im engeren Sinne fremd sind. Die Rekonstruktion eines Begriffs des Politischen hält aus der aristotelischen Tradition einerseits fest, dass es um eine kollektive Selbstbestimmung, um einen "Raum gemeinsamer Angelegenheiten" geht. Insofern hängt der Begriff mit dem der Öffentlichkeit zusammen. Zweitens stellt politische Kommunikation den unhintergehbaren (wenngleich manipulierbaren) Bezug auf ein ethisch Richtiges her. Die Einsicht in die Pluralität der Perspektiven und Meinungen steht als drittes Definiens in einer Spannung zu dem vierten eines "agonistischen", in Entscheidungsalternativen polarisierten Raums (C. Schmitt u. a.). Im Gegensatz zu diesen Merkmalen stellt der "Konsumismus" Bezüge ausschließlich zu individuellen Präferenzen her und formuliert diese normativ neutral sowie (tendenziell) nicht-argumentativ und nicht-exklusiv. Im Gegenbegriff des "Ritualistischen" hingegen verschwindet die reflexive und pluralistische Dimension; das Gesellschaftliche wird hier auf das Gemeinschaftliche zurückgeführt. Bevor dieseBegriffe in der Fallstudie empirisch angewandt werden, verdeutlichen exemplarische historische Exkurse ins Theater Athens, des Elisabethanischen England und das Deutschland des 19. Jahrhunderts die Relevanz der Fragen nach der Kommunikationsstruktur der theatralen 'Sprecher' und ihrer Publika, wobei über die letzteren systematisch weniger bekannt ist. Am griechischen Theater wird der Bezug auf gemeinsame Angelegenheiten, am elisabethanischen die Pluralität der Sichtweisen, am deutschen die Ambivalenz zwischen aufs Private zielendem Bildungsauftrag und ritueller Gemeinschaftsbildung hervorgehoben. Das Theater der Bundesrepublik wird als Erbe des bürgerlichen Theaters, dessen Normativität in der mediatisierten Erlebnisgesellschaft unter Druck gerät, vorgestellt. Das "Stadttheater" wird als Typus von anderen Öffentlichkeiten abgegrenzt (wie der Freien Szene oder den Metropolentheatern), um klar zu machen, womit die Fallstudie sich beschäftigt. Die Fallstudie im westdeutschen "Mittelstadt" untersucht Kommunikationen des Theaterbetriebs (Interviews mit Produzenten; teilnehmende Beobachtungen), der Rezipienten (Zuschauerinterviews) und der Arena selbst (Inhaltsanalyse von Texten der Öffentlichkeitsarbeit). Von Interesse sind dabei sowohl Wissen wie Einstellungen der Befragten, also Informationen über Realia wie Desiderate. Die Analyse mit MAXQDA ist dabei qualitativ mit quantitativen Elementen, deren Gesamtbild eine Gewichtung der verschiedenen Kommunikationstypen möglich macht. Politische Attributionen finden sich, außer in Teilen der PR, deutlich stärker ausgeprägt als konsumistische. Ritualistische Vorstellungen und Vorgänge sind randständig. Diskurse haben einen wichtigen Stellenwert sowohl für Macher wie Publikum; reflexive Anschlussfähigkeit des von ihnen Vorgeführten und Wahrgenommenen wird von ihnen geschätzt, aber wegen verschiedener Hemmnisse in der Produktionsstruktur nicht durchweg genutzt. Am Ende der Arbeit werden die überwiegend positiven Befunde bezüglich politischer Kommunikation am Stadttheater der Bundesrepublik noch einmal kritisch auf ihre Reichweite hin befragt. Dabei wird der offenkundige Verlust ritueller Gemeinschaftsbildung im theatralen Feld als möglicherweise doch bedenklich für die Erneuerung politischer Öffentlichkeit gewertet. Eine neue Zentralität der in der Fallstudie oft randständigen Aufführungen und ihres kathektisch-repräsentativen Potenzials wird ins Visier genommen. Die Schwierigkeiten kultureller und politischer Öffentlichkeit, sowohl in die Breite der Gesellschaft wie in die Tiefe des individuellen Verständnisses hinein "bildend" zu wirken, werden angesprochen. ; In this dissertation, I explore how the link between politics and theatre - which share a common origin in the Attic democracy - is preserved in contemporary Germany, i.e., whether theatre still serves as a "political public sphere" (the overall title of the thesis). In order to do so, the notions of "public sphere" and "the political" are thoroughly defined by revising useful elements provided by sociological and political theory. Following Habermas and other German authors, I understand "public sphere" as a network consisting of "arenas" (speakers) and "galleries" (audiences) who produce discourses and presentations and react to them, with part of the production occuring non-publicly "backstage". While political publics frame their dis-courses as related to contentious issues of the polity, cultural publics concentrate on the for-mal aspects of presentation and on the emotive interface between the individual and society ("cathexis" in Parsonian terms). Political communication, more specifically, is understood here as discourse which relates (1) to the polity and (2) to what is good or bad for it, presenting arguments in a (3) pluralistic way, and with (4) potential polarization regarding the different alternatives. Hannah Arendt's view on the political sphere is a central inspiration for criterion [3], noting that there is a tension between this plural exchange of perspectives and the polarization criterion, which leads to diffcult trade-offs. As an antonym, "consumerist" communication is only related to indi-vidual preferences and indifferent to arguments and normative alternatives. "Ritualism", on the other hand, is akin to the political, but lacks the decisive feature of pluralism. The terrain for the empirical study is then paved by looking at exemplary stations of occi-dental theatre, namely the Athenian, the Elizabethan, and finally the German national theatre of the 19th century. The increasing ritualism of the latter is seen as the normative ancestor of contemporary state-subsidized staging in the Federal Republic of Germany. Among the different types of theatres to be found here, the typical "Municipal Theatre" is singled out as a public of local reach and importance (distinguished, e.g., from the "Metropolitan Theatre" with nation-wide frames and impacts). The discussions in that section make clear that the case study carried out in "Mittelstadt" is a typical one in many respects. The case study, operationalizing "the public" and "political communication" through a semi-quantitative content analysis of interviews (with producers and audience members) as well as of PR-related texts, finds clear evidence for both actual pluralistic discourse and reference to society, and - even stronger - for normative striving toward such kind of discourse. The "productive structure" of the Municipal Theatre imposes certain constraints on the reali-zation of said normativity, though, which result in shortcomings of dialogue and lacking of necessary knowledge about the communication partner (mostly about the audience in the case of producers). A missing centrality of the actual theatrical piece, the presentation, within the audience's discourse is a particularly critical finding. In the very last section, however, I put the overall positive findings of the case study into perspective. Firstly, I question whether the virtual 'withdrawal' of ritualistic elements can be assessed as entirely beneficial for the effectiveness of theatre as a cultural and political sphere (which re-opens the debate on the possibility and conditions for a "linguification of the Sacred" found in Durkheim and Habermas). Secondly, I make the point that the act of demonstration, of "showing" something - located at the heart of theatrical representation - harbours a specific political potential, but only if it is understood and received as a speech act in need of public interpretation. Thirdly, I reconsider the often noted tension between an in-depth elaboration of issues, on the one hand, and the inclusion of ever more topics and voices, on the other. While this tension is inherent to every public and not really dissolvable, in contemporary German theatre it might be advisable to emphasize the "Bildungsauftrag", the mandate for aesthetic in-depth education, instead of striving for an overproduction of discursive offer-ings and activities.
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Eine nachhaltige Entwicklung bedeutet eine dauerhaft mögliche Entwicklung innerhalb des ökologischen Erdsystems. Durch das weltweite Bevölkerungswachstum, den ansteigenden Wohlstand und nicht-nachhaltige Lebensweisen drohen die ökologischen Belastungsgrenzen unsere Erde jedoch überschritten zu werden bzw. wurden teilweise bereits überschritten. Dies hat zur Folge, dass nachfolgende wie auch parallel existierende Generationen nicht die gleichen Möglichkeiten zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse haben, wie die heute in den Industriestaaten lebenden. Die landwirtschaftliche Erzeugung trägt dabei einen bedeutenden Teil zu dieser Bedrohung und Überschreitung der planetaren Grenzen bei, denn insbesondere der hohe und weiter ansteigende Konsum von tierischen Produkten weltweit hat zahlreiche ökologisch, jedoch auch sozial und gesundheitlich nachteilige Folgen. Einer der grundlegenden problematischen Aspekte tierischer Produkte ist der hohe Energieverlust im Laufe des Veredlungsprozesses von pflanzlichen Futtermitteln zu Fleisch- und Milchprodukten. Die Folge sind große intensiv genutzte Landwirtschaftsflächen, die notwendig sind, um jene Futtermittel zu produzieren. Dies führt zu Biodiversitätsverlusten, Treibhausgasemissionen, Landraub und gesundheitlichen Problemen aufgrund des Pestizidgebrauchs. Weitere Konsequenzen eines hohen Konsums tierischer Produkte umfassen einen hohen Wasserbedarf, Flächenkonkurrenzen zwischen dem direkten Lebensmittel- und dem Futtermittelanbau, aber auch den ethisch bedenklichen Umgang mit Tieren sowie Gefahren für die menschliche Gesundheit, z. B. koronare Herzerkrankungen und Antibiotikaresistenzen. Begründet liegt dieser hohe und weiter wachsende Konsum tierischer Produkte in persönlichen, sozialen, ökonomischen und politischen sowie strukturellen Faktoren, wobei in vorliegender Arbeit auf den durch die westeuropäische Kultur geprägten Menschen fokussiert wird. Persönliche und soziale Hindernisse für einen reduzierten Konsum tierischer Lebensmittel liegen insbesondere in einem fehlenden Wissen, dem psychologischen Phänomen der kognitiven Dissonanz, mangelnder Achtsamkeit sowie dem Druck sozialer Normen. Wirtschaftspolitische und strukturelle Hindernisse umfassen eine wachstumsorientierte Ökonomie, fehlende Preisanreize für einen nachhaltigen Konsum sowie eine Infrastruktur, die den Konsum tierischer Produkte begünstigt. Nichtregierungsorganisationen (NRO) als Teil des sog. Dritten Sektors, neben der Wirtschaft und der Politik, und als Vertreterinnen der Gesellschaft sind essentielle Akteurinnen in nationalen und internationalen Gestaltungsprozessen. Sie werden zumeist von der Gesellschaft oder zumindest Teilen der Gesellschaft unterstützt und können durch Öffentlichkeitsarbeit und andere Maßnahmen auf politische und ökonomische Protagonisten Druck ausüben. Somit sind NRO als potentielle Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vielversprechende Einrichtungen um den Konsum tierischer Produkte zu senken. Aufgrund der o. g. multidimensionalen Auswirkungen des hohen Konsums tierischer Produkte, haben insbesondere NRO, die die Ziele Umweltschutz, Ernährungssicherung, Tierschutz und Gesundheitsförderung verfolgen, potentiell Interesse an einer Reduktion des Fleisch-, Milch- und Eikonsums. Studien über NRO in Schweden, Kanada und den USA weisen jedoch darauf hin, dass Umweltorganisationen sich in ihrer Arbeit für eine Begrenzung des Klimawandels nur in begrenztem Umfang für eine pflanzenbetonte Ernährungsweise einsetzen. Aufgrund der o. g. mehrdimensionalen Folgen eines hohen Konsums tierischer Lebensmittel weitet vorliegende Arbeit den Erhebungsumfang aus und umfasst die Untersuchung von deutschen Umwelt-, Welternährungs-, Gesundheits- und Tierschutzorganisationen in Hinblick auf deren Einsatz für eine Reduktion des Fleisch-, Milch- und Eikonsums. Die Erhebung umfasst die Untersuchung von 34 der wichtigsten deutschen NRO mittels Material- und Internetseitenanalyse, vertiefende leitfadengestützte Expert*inneninterviews mit 24 NRO sowie eine Fokusgruppendiskussion zur Ergebniskontrolle, wobei das zentrale Element dabei die Expert*inneninterviews darstellen. Insgesamt entspricht der Forschungsprozess der Grounded Theory Methodologie (GTM), einem ergebnisoffenen, induktiven Vorgehen. Die Forschungsfragen umfassen neben der Analyse des aktuellen Umfangs des Einsatzes für eine pflanzenbetonte Ernährungsweise insbesondere die Einflussfaktoren auf diesen Umfang sowie die umgesetzten Handlungsstrategien für eine Reduktion des Konsums tierischer Lebensmittel. Entsprechend der GTM steht am Ende des Forschungsprozesses vorliegender Arbeit ein Modell, das die Erkenntnisse in einer verdichteten Kernkategorie zusammenfasst. Als zentrales Ergebnis der Erhebung kann das 'Modell der abwägenden Bestandssicherung' gesehen werden. Es weist, in Übereinstimmung mit der Literatur, darauf hin, dass NRO als Teil der Gesellschaft von der Außenwelt abhängig sind, d. h. von ihren Mitgliedern und staatlichen wie privaten Geldgeber*innen, aber auch von parallel agierenden NRO, Medien und gesellschaftlichen Entwicklungen. Dies kann unter der Überschrift der 'Einstellung relevanter Interessensgruppen' zur Thematik der tierischen Lebensmittel gefasst werden. Auf der anderen Seite steht die 'Einstellung der Mitarbeitenden' einer NRO, da die Themenaufnahme der Problematik eines hohen Fleisch-, Milch- und Eikonsums auch davon abhängt, welche Bedeutung die Mitarbeitenden dieser Thematik zusprechen und inwiefern sie bereit sind sie in das Maßnahmenportfolio aufzunehmen. Wenn sowohl die Interessensgruppen als auch die Mitarbeitenden einer NRO der Themenaufnahme befürwortend gegenüber gestellt sind, so ist ein umfassender Einsatz für eine Reduktion des Konsums tierischer Lebensmittel von dieser NRO zu erwarten. Dies trifft in vorliegender Erhebung vorwiegend auf Tierschutzorganisationen und einige Umweltorganisationen zu. Der gegenteilige Fall einer fehlenden Thematisierung tierischer Produkte tritt ein, wenn weder relevante Interessensgruppen, noch die Mitarbeitenden einer NRO die Themenaufnahme befürworten oder als dringlich erachten. Dies kann insbesondere bei Welternährungs- und Gesundheitsorganisationen beobachtet werden. Wenn die Mitarbeitenden einer NRO die Thematisierung der Problematik tierischer Lebensmittel befürworten, die relevanten Interessensgruppen jedoch ablehnend gegenüber derartigen Maßnahmen stehen, ist eine zurückhaltende Thematisierung zu erwarten, die sich auf Informationstexte bspw. auf den Internetseitenauftritten der NRO beschränkt. Dies ist v. a. bei Umwelt- und Welternährungsorganisationen erkennbar. Der vierte Fall, dass die Interessensgruppen einer NRO für eine Reduktion des Konsums tierischer Produkte eintreten würden, nicht jedoch die Mitarbeitenden der NRO, konnte in vorliegender Erhebung nur in Ansätzen bei Umweltorganisationen beobachtet werden. Der Hauptgrund, warum NRO, insbesondere Welternährungs- und Gesundheitsorganisationen, die Problematik des hohen Konsums tierischer Produkte nicht oder nur in geringem Umfang aufnehmen, liegt in der o. g. Abhängigkeit der NRO von öffentlichen Geldgeber*innen, wie auch von privaten Spender*innen und Mitgliedern ('Einstellung relevanter Interessensgruppen'). Weitere Faktoren umfassen bspw. die Arbeitsteilung wie auch den Wettbewerb zwischen NRO, insofern dass auf andere NRO verwiesen wird und Nischen für eigene Themen gesucht werden. Neben den Gründen für den Umfang der Thematisierung des hohen Konsums tierischer Lebensmittel wurden auch Strategien erfragt, die die NRO anwenden um denselben zu senken. Hierbei wurde insbesondere die Öffentlichkeitsarbeit in verschiedenen Ausrichtungen genannt und als sehr wirksam eingeschätzt. Vor allem emotional ausgerichtete, positiv formulierte, zielgruppenspezifische und anschaulich dargestellte Kampagnen können als effektiv eingeschätzt werden. Auch politische oder juristische Maßnahmen, wie Lobbyismus oder Verbandsklagen werden von den NRO durchgeführt, wobei die befragten NRO auf der bundespolitischen Ebene derzeit kaum Potential sehen Änderungen herbeizuführen; auf Regionen- oder Länderebene jedoch realistischere Einflussmöglichkeiten sehen. Als nächste Schritte für NRO im Sinne einer (verstärkten) Thematisierung der Problematik tierischer Lebensmittel können folgende Maßnahmen geraten werden: • Eine Erhebung der Meinung von Mitgliedern und Spender*innen zu der o. g. Themenaufnahme in das Maßnahmenportfolio der jeweiligen NRO. Dies ist insbesondere bei NRO sinnvoll, die unsicher über die Reaktion ihrer Mitglieder und Spender*innen auf einen Einsatz für eine Reduktion des Konsums tierischer Produkte sind. • Eine Prüfung von alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, die eine Abhängigkeit von staatlichen Geldern verringern. Hierdurch würde der Bedeutung von NRO als Teil des Dritten Sektors neben Politik und Wirtschaft gerecht und die Einflussmöglichkeiten auf dieselben erhöht. • Eine vermehrte Kooperation zwischen NRO innerhalb einer Disziplin und zwischen Disziplinen, sodass bspw. im Rahmen eines Netzwerkes aufeinander verwiesen werden kann. Dies ermöglicht die Einhaltung der jeweiligen Organisationsphilosophien und Kernkompetenzen trotz Zusammenarbeit mit NRO, die andere Herangehensweisen an die Förderung einer pflanzenbetonten Ernährungsweise verfolgen. Zudem ermöglicht diese Netzwerkbildung eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit mit dem ökonomischen und politischen Sektor. • Die Anerkennung der Handlungsfähigkeit von NRO als Pionierinnen des Wandels. Als Dritter Sektor neben der Politik und Wirtschaft kommt NRO eine große Bedeutung in der Beeinflussung gesellschaftlicher Prozesse, insbesondere auf zwischenstaatlicher Ebene zu. Auch komplexe Themen und, angesichts der Überschreitung der planetaren Grenzen, dringliche weltumfassende Themen können von kleinen, regionalen NRO aufgegriffen werden. • Die Fortführung von bewährten Maßnahmen zur Reduktion des Konsums tierischer Produkte, wie verschiedene Formen der Öffentlichkeitsarbeit, kann als sinnvoll erachtet werden. Hinzu können neue Inhalte genommen werden, wie bspw. die Förderung eines achtsamen Konsumstils durch naturnahe Lernorte. Für eine Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Verhaltensänderungen hinsichtlich nachhaltiger Konsumstile ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen sinnvoll. Diese Erkenntnisse hinsichtlich der Gründe für eine Thematisierung der Problematik tierischer Produkte durch NRO lassen sich evtl. auch auf andere Themen übertragen, die von NRO aufgegriffen werden können, wie bspw. die Kritik an Flugreisen. Zudem ist es denkbar, dass die auf Deutschland beschränkte Analyse auch auf weitere, insbesondere westlich geprägte Länder übertragen werden kann. ; Sustainable development facilitates a permanently pursuable development which is within the ecological earth system. Through the worldwide population growth, the increasing wealth and unsustainable lifestyles the ecological limits are about to be or are already exceeded, so that future generations as well as parallel living generations haven't got the same possibilities to meet their needs as those living in current developed nations. Agricultural production contributes a high share to this threat to and exceedance of planetary boundaries, as in particular the high and further increasing consumption of animal source products has numerous ecological but also social and health consequences. One of the basic problematic aspects of animal source products is the high energy loss during the processing from plant animal feed to meat and dairy products. As a result large intensively used agricultural areas are necessary to feed animals leading to biodiversity loss, greenhouse gas emissions, land grabbing and health problems due to pesticide usage. Furthermore, high water usage, competition between food and fodder, as well as inhumane treatment of animals, and threats to human health by e.g. coronary heart diseases and antibiotic resistance are consequences of a meat-rich diet. Reasons for this high and increasing animal product consumption include personal, social, economic and political as well as structural factors, whereby in the thesis at hand the focus lies on people which are shaped by a Western European culture. Personal and social barriers to a reduced consumption of animal source food mainly include a lack of knowledge, the psychological phenomenon of cognitive dissonance, a lack of consciousness as well as the pressure of social norms. Political and economic barriers comprise the growth-oriented economy, a lack of price incentives for a sustainable consumption as well as an infrastructure which facilitates the consumption of animal source products. Non-governmental organizations (NGOs) as part of the so called Third Sector, besides politics and economy, and representatives of the society are a vital player in national and international governance. They are mostly supported by the society or at least by parts of it and can put pressure on political and economical protagonists through public relations activities and other means. Thus, NGOs as potential interface between society, politics and economy are one promising player for reducing animal product consumption. Due to the above named multidimensional consequences of a high consumption of animal source products especially NGOs targeting to protect the environment, improve the world nutrition situation, care for animal ethics and enhance the health status are potentially interested to reduce the consumption of meat, dairy and eggs. However, according to previous studies in Sweden, Canada and the U.S., there is a limited degree of engagement in encouraging reduced meat consumption of environmental NGOs in light of climate change. Due to the multidimensional consequences of animal source products in the thesis at hand the coverage of analysis is extended and includes the investigation of German environmental, food security, health and animal welfare organizations regarding their commitment to a reduced consumption of animal products. Research consists of a material analysis of 34 NGOs, 24 expert interviews with NGO staff and a focus group discussion testing the preliminary results of the interviews, whereby the central element is the expert interviews. Overall the research process complies with the Grounded Theory Methodology (GTM), which is an inductive procedure without fixed expectations regarding the results. In particular, the research questions include, besides the analysis of the current scope of the commitment to a plant-based nutrition, the influencing factors on this scope as well as the kind of strategies of action for a reduced consumption of animal source products. In accordance to the GTM a new model has been developed as final result of the research process which summarizes the findings in a compact core category. As central result of the research the 'model of the weighing of existence-securing' can be presented. In compliance with previous literature it indicates that NGOs as part of the society are dependent on their environment, i. e. on their members as well as public and private funders, but also on parallel existing NGOs, the media and societal developments. This can be summarized under the headline 'attitude of relevant stakeholders' to the theme of animal source products. On the other side, the 'attitude of the staff' of a NGO can be named as influencing factor, as the thematisation of the problematic of the high animal product consumption is also dependent on the importance which is awarded to this topic by the staff members and in how far they are ready to include the topic in their portfolio of action. In case of the support of the topic by both the stakeholders and the staff members of a NGO, a comprehensive thematisation of the problematic of animal source products can be expected from the respective NGO. In the investigation at hand, this is mainly true for animal welfare and environmental organisations. The contradictory case of no thematisation occurs if neither relevant stakeholders nor the staff members of a NGO support the urgency and thematisation of the reduced animal product consumption. This case can be observed mainly for food security and health organisations. If staff members of a NGO are in favour of the thematisation of the problematic of animal source products, but the stakeholders reject such measures, a restrained thematisation can be expected, which is limited to information texts e. g. on the website of the respective NGO. This is mainly for some environmental and food security organization observable. The fourth case, in which stakeholders are in favour of the thematisation, but staff members aren't, is merely true for some environmental organisation in the analysis at hand. The main reason for a restrained plaid for a reduced consumption of animal source products, mainly by food security and environmental organisations, can be detected in the dependence on financial means from the government, donors and members ('attitude of relevant stakeholders'). But there are also factors like the division of responsibility and the competition between NGOs which impede an engagement in reducing animal product consumption, as NGOs refer to other NGOs or are search for own thematic niches. Besides the reasons for the scope of animal product thematisation by NGOs, strategies of the NGOs advocating a reduced animal product consumption has been analysed. These strategies include mainly public relations work in different variants, which is estimated by the NGOs to be highly effective. In particular emotionally created, positively formulated, target group specific and vividly presented campaigns can be rated as effective. In addition political and legal measures like lobbying or representative actions are named by the interviewed NGOs, whereby they don't see any potential for change on the federal level but on regional or provincial level. As next steps for NGOs according to the reduction of the consumption of animal source products, the following measures can be advised: • A survey about the opinions of the members and donators about the inclusion of the above named topic into to portfolio of measures. Particularly this is relevant for NGOs which are not sure about the reaction of their members and donators to their commitment to a reduced consumption of animal product consumption. An analysis of alternative possibilities of the origin of financial means, which minimize the dependence on public funds. Through this change of the origin of financial means NGOs would satisfy their meaning as part of the Third Sector besides politics and the economy and would increase their possibilities of influencing them. • An increased cooperation between NGOs of the same discipline as well as between different disciplines, so that they can e.g. refer to each other within a network. This enables NGOs to follow their respective organisational philosophy and core competences while at the same time allows cooperating with NGOs following a different approach to foster a plant-based way of nutrition. In addition, this creation of networks facilitates an increased competitiveness with the economic and political sector. • The acknowledgement of NGOs possibilities for action as agents of change. As part of the Third Sector besides politics and the economy, NGOs have a high importance in the influencing of social developments, especially on the interstate level. Complex topics as well as – due to the exceedance of planetary boundaries – urgent global topics can be thematised both by small, regional and large, international NGOs. • The continuation of proven measures aiming to reduce the consumption of animal source products, like different kinds of public relations work, is reasonable. In addition, new contents can be included, like e. g. the fostering of a conscious style of consumption through learning facilities close to nature. For an implementation of scientific findings about behaviour change regarding sustainable styles of consumption an improved cooperation of NGOs and research institutions is recommendable. These findings regarding the reasons for the thematisation of the problematic of animal source products through NGOs might be able to be transferred to other topics, which are thematised by NGOs, like e. g. the criticism on air travels. Furthermore, it is conceivable to transfer the findings about German NGOs to other countries, especially Western characterised countries.
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Die vergangenen Jahrzehnte stehen im Zeichen zahlreicher Neugründungen von (Theater-)Festivals weltweit, deren Formate angesichts politischer, wirtschaftlicher und technologischer Veränderungen einem strukturellen Wandel unterliegen. Der Sammelband The Cambridge Companion to International Theatre Festivals, herausgegeben von Ric Knowles, untersucht internationale Theaterfestivals als Orte interkulturellen Austausches und behandelt dabei Festivalformen in Afrika, Asien, Australien, Europa, Nord- und Lateinamerika, der arabischen und frankophonen Welt. Die inhaltlich breit aufgestellten Beiträge berichten von der sich wandelnden Bedeutung internationaler Theaterfestivals, die oftmals als Schaufenster nationaler Kulturen ins Leben gerufen wurden, nun jedoch zunehmend Strukturen einer neoliberalen Marktwirtschaft übernehmen und als "influential players in professional networks" (S. 36) zwischen Kunstschaffenden und Kurator*innen fungieren. Zugleich werden im Zeitalter einer "experience economy" (S. 56) immaterielle Erfahrungen als Konsumgut angepriesen. Festivals dienen dem "city marketing and branding" (S. 54), erwirtschaften eine beträchtliche Umwegrentabilität, gelten als Schauplätze "at the heart of political struggle" (S. 149), "serve to rewrite histories" (S. 193) und eröffnen Verhandlungsorte von nationalen und kulturellen Identitäten. Der erste Teil des Sammelbands bietet Werkzeuge für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der wachsenden Festivalisierung und stellt diese in entsprechende historische sowie theoretische Kontexte. Der zweite Teil greift repräsentative Festivals der gesamten Welt heraus und untersucht deren Bedeutung und Funktionsweisen im nationalen und kulturellen Umfeld. Die drei etabliertesten Festivals Europas, das Edinburgh International Festival, das Holland Festival in Amsterdam und das Festival d'Avignon, wurden allesamt 1947 ins Leben gerufen – in der Absicht, nach der Zerstörung durch den zweiten Weltkrieg die nationale und kulturelle Identität der europäischen Länder neu zu entdecken, darzustellen und weiterzuentwickeln. Seit den späten 1990er-Jahren formieren sich – laut Keren Zaiontz – sogenannte second-wave Festivals, die einen Gegenpol zu den zunehmend neoliberalen, kommerziellen Einflüssen auf Theaterfestivals bilden wollen. Es handelt sich dabei um meist interdisziplinäre Festivals unter der Leitung sozial engagierter Kunstschaffender, deren partizipatorische Aktivitäten und revolutionäre Diskurse über den zeitlichen und räumlichen Rahmen des Festivals fortschreiten sollen: "[These festivals] emphasize social alternatives with potentially enduring impact over temporary cathartic release." (S. 25) Keren Zaiontz eröffnet mit dem Begriff der second-wave Festivals eine vielversprechende Herangehensweise für die zukünftige Festivalforschung. Basierend auf Henri Lefebvres Konzept des Raumes als ein Produkt sozialer Praxis und Doreen Masseys Auffassung von Raum als simultanem Querschnitt von Geschichten und Beziehungen, begreift Marjana Johansson den städtischen Raum als dynamische, prozesshafte und wandelbare Entität, "a dynamic force which contributes to producing people, things, and events" (S. 55). Die zunehmende Festivalisierung von Städten trägt maßgeblich zu deren räumlicher und wirtschaftlicher Umstrukturierung bei, wodurch sich der urbane Raum temporär in eine Bühne verwandelt. Während im Mittelalter die karnevaleske Ausgelassenheit nach Beendigung der Feierlichkeiten wiederum zur Festigung gesellschaftlicher Ordnung beitrug, gewann das Festival im 20. Jahrhundert zunehmend als lukrative Einnahmenquelle und Tourismusmagnet an Renommee, zumal das Image der Städte, in denen es sich ansiedelte, seither deutlich von jenem des jeweiligen Festivals mitbestimmt wurde. Folglich betont Johansson, dass Festivals nicht bloß als ephemere Veranstaltungen der Unterhaltungsindustrie dienen, sondern maßgeblich kulturelle, soziale und politische Komponenten beeinflussen. Am Beispiel der philippinischen Choreographin und Performancekünstlerin Eisa Jocson und deren Verbindung zum Züricher Theater Spektakel demonstriert Alexandra Portmann die Abläufe internationaler Koproduktionen sowie die dafür relevante Vernetzung im digitalen Zeitalter. Da viele Künstler*innen heutzutage international tätig sind, erlangten sie in wissenschaftlichen Arbeiten mit ausgewähltem nationalen Fokus nicht ausreichend Beachtung. Um die Vernetzung sowie den künstlerischen Austausch zwischen Festivals besser erfassen zu können, plädiert Portmann für eine vermehrte Einbeziehung digitaler Medien und Materialien für die Dokumentation und Analyse internationaler Theaterproduktionen. Mittels digitaler Visualisierungen werde Theatergeschichte fortan nicht mehr linear chronologisch geschrieben, sondern käme als interaktive Datenbank einer Performance gleich: "[D]igital tools for big data analysis […] also mark a shift from a written and rather linear theatre history towards historiography as performance" (S. 49). (Vergleiche hierzu auch Bay-Cheng 2016) Diese zukunftsträchtigen Überlegungen bieten Anreiz, den methodischen Werkzeugkasten der Theaterwissenschaft neu auszustatten. Einen willkommenen Gegenpol zu den (nordwest-)europäisch angelegten Schwerpunkten des ersten Teils bietet der Beitrag "Indigenous Festivals", worin der Herausgeber Ric Knowles den Ursprung der Festivalkultur nicht auf kompetitive Formen des antiken Griechenlands zurückführt, sondern indigene Feste beschreibt, die bereits lange vor der europäischen Kolonialisierung in Australien und Turtle Island beheimatet waren. Der zweite Teil des Sammelbands nimmt schließlich eine sehr internationale Perspektive ein und lässt den analytischen Blick über alle fünf Kontinente schweifen. Khalid Amine beleuchtet Theaterfestivals im arabischen Raum einerseits als von staatlicher Seite instrumentalisierte Kontrollwerkzeuge und andererseits als Spielräume für revolutionäre Diskurse: "Despite the fact that most of these organized events are instrumentalized to control dissent, […] they are also scenes whereupon revolutionary praxis and detour are mapped." (S. 159) Das jährlich in wechselnden Gastgeberländern stattfindende Arab Theatre Festival steht im Zentrum politischer Konflikte und fördert theatrale Praxis fernab westlicher Hegemonie. Emily Sahakian bespricht Theaterfestivals in der frankophonen Welt als Austragungsorte kultureller Machtkämpfe und bemängelt die fehlende Repräsentation Kunstschaffender aus ehemaligen französischen Kolonialstaaten im Programm des renommierten Festival d'Avignon – im Gegensatz zu den auf Diversität ausgelegten Alternativen in Limousin, New York und Martinique. Hayana Kim untersucht die Wirksamkeit eines kulturellen Austausches innerhalb Asiens, wo lokale Theaterschaffende gezielt gefördert werden und künstlerische Autonomie abseits westlicher Einflussnahme betont wird. Um der ästhetischen Prägung durch den westlichen Imperialismus und japanischen Kolonialismus nach der Meiji-Restauration entgegenzuwirken, ermöglichen das BeSeTo Theatre Festival, dessen Bezeichnung ein Akronym der drei Hauptstädte Beijing, Seoul und Tokyo bildet, sowie das Gwangju Media Arts Festival eine kritische Auseinandersetzung mit dieser durchwegs problematischen Geschichte. In vergleichbarer Weise untersucht Loren Kruger die Entstehung und Entwicklung des jährlich stattfindenden National Arts Festival in Grahamstone und dessen separates Fringe Festival hinsichtlich des kolonialgeschichtlichen Erbes Südafrikas. Kruger beschreibt die systematische Diskriminierung, implizite Zensur und künstlerischen Einschränkungen des größten und prestigeträchtigsten Kunstfestivals Südafrikas sowie dessen strukturellen Wandel Anfang des 21. Jahrhunderts. In den hier thematisierten Ländern dienen Festivals als Verhandlungsorte gesellschaftspolitischer Machtkämpfe, post-kolonialistischer Identitätszuschreibungen und künstlerischer Autonomiebestrebungen, wohingegen sich die Veranstaltungen aus dem europäischen und nordamerikanischen Raum vielmehr mit ökonomischen Strukturen einer neoliberalen Gesellschaft konfrontiert sehen und der zunehmenden Kommerzialisierung der Kunst entgegenwirken wollen. Anhand des Edinburgh Festival Fringe, das sich zunächst als alternative Gegenbewegung zum International Festival formierte und zuletzt über 4.000 internationale Produktionen in der Stadt versammelte, verdeutlicht Jen Harvie die Schattenseiten eines stets wachsenden Festivals ohne Zugangsbeschränkungen: Aufgrund des Überangebots an Theaterproduktionen steigt der Konkurrenzkampf im Werben um potentielle Zuschauer*innen, mediale Aufmerksamkeit sowie Kurator*innen, die Spielangebote für die kommende Saison vergeben. Die mangelnde Kontrolle des freien Theatermarktes verursacht einen exorbitanten Anstieg der Mietkosten, wachsendes finanzielles Risiko auf Seiten der Schauspieltruppen, prekäre Arbeitsverhältnisse, mangelnde Entlohnung sowie hohe psychische Belastung durch Einsamkeit und Erfolgsdruck. Trotz der proklamierten Offenheit des Fringe Festivals, verortet Harvie hier soziale und nationale Diskriminierung, die sie anhand konkreter Beispiele belegt. Das Kapitel endet mit konstruktiven Vorschlägen, das organisatorische Modell des Fringe Festivals grundlegend zu überarbeiten: Harvie plädiert für eine ganzjährige Unterstützung lokaler Truppen durch die Bereitstellung jener Räumlichkeiten, die bislang nur zu Festivalzeiten genützt werden, eine Anlaufstelle für Künstler*innen bei psychischer Belastung, Mentoring Programme für unerfahrene Schauspieltruppen, eine offizielle Regulierung von Arbeitszeiten, -bedingungen und Entlohnung sowie eine digitale Plattform, die eine Bewertung der Spielstätten ermöglicht und somit gewisse Standards sicherstellt. Die hier angeführten Missstände und Verbesserungsvorschläge betreffen ebenso das Adelaide Fringe (vgl. Thomasson 2019), OFF d'Avignon (vgl. Benzoni-Grosset 2003) und andere Fringe Festivals, auf welchen kapitalistische, neoliberale Strukturen die ursprünglich proklamierte künstlerische Freiheit und Offenheit einengen. Weitere Beiträge von Natalie Alvarez, Erika Fischer-Lichte, Julia Goldstein, Jean Graham-Jones, Carol Martin und Sarah Thomasson versprechen einen informativen und durchwegs kritischen Einblick in zahlreiche internationale Theaterfestivals und deren jeweilige soziale, politische und kulturelle Kontexte. Die darin diskutierten Beispiele umfassen u. a. das transnationale Festival für experimentelle Theater- und Performancekunst Under the Radar in New York City, das zugleich als eine der wichtigsten US-amerikanischen Plattformen "for artists to make touring and funding contacts" (S. 118) gilt, das jährlich stattfindende Kampala International Theatre Festival in Uganda, das regionale, innovative Theaterkunst fördert "by inviting East African artists to view their work in the context of a global stage" (S. 176), sowie das in verschiedenen deutschen Städten dargebotene Theater der Welt, das als Ausstellungsfläche für internationale, zeitgenössische Kunst fungiert und dabei "an artistic manifesto against a zeitgeist characterized by fear and the erection of borders" (S. 99) darstellt. Der Anhang des Sammelbandes bietet darüber hinaus eine sehr umfassende Liste internationaler Theater, Performance und Multi-Arts Festivals. Hierbei wurden kleinere Fringe Festivals ausgeklammert und auf spezielle Auflistungen im Internet verwiesen, wohingegen etablierte Fringe Festivals wie beispielsweise in Edinburgh, Avignon, Perth, Prag und Seoul durchaus Erwähnung finden. Das Quellenverzeichnis sowie eine Liste weiterführender Lektüre laden zu einer vertiefenden Beschäftigung mit der Thematik ein. Literatur: Bay-Cheng, Sarah: "Digital Historiography and Performance". In: Theatre Journal 68/4, 2016, S. 507–527. Benzoni-Grosset, Catherine: "Les Compagnies à l'assault des remparts. Liberté, Inégalités, Fraternité". In: Le théâtre dans l'espace public. Avignon Off. Hg. v. Paul Rasse. Aix-en-Provence: Edisud 2003, S. 135–170. Thomasson, Sarah: "'Too Big for Its Boots?. Precarity on the Adelaide Fringe". In: Contemporary Theatre Review 29/1, 2019, S. 39–55.
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"Always be yourself. Unless you can be Batman, then always be Batman." (Tagline zu The Lego Batman Movie, 2017) DC Comics' dunkler Ritter zählt zu den bekanntesten und profitabelsten fiktionalen Charakteren weltweit. Ein Grund für Batmans langanhaltende Beliebtheit liegt in seiner archetypischen Konzeption, die über die Jahrzehnte eine immense Vielzahl an verschiedenen Interpretationen und Medienadaptionen ermöglichte. Für Jeffrey A. Brown stellen Batmans multiple Identitäten potenzielle Zugänge zu verschiedenen kulturellen wie gesellschaftlichen Diskursen dar: "What, for example, does the modern Batman reveal about current racial issues, sexual identities, and gender politics?" (S. 12). Seine Untersuchung von überwiegend comicbasierten Iterationen der Figur bündelt bestehende kulturwissenschaftliche Perspektiven auf den Fledermausmann und ergänzt sie durch gegenwärtige Comic-Beispiele seit den DC-Relaunchs 'The New 52' (2011-2016, DC Comics) und 'DC Rebirth' (2016-2017, DC Comics). Eine kenntnisreiche und inspirierende Studie, die mit zahlreichen Tropen und Konventionen der Figur wie auch des Superheldengenres aufräumt, in Anbetracht der überwältigenden Materialfülle jedoch oft nur an der Oberfläche der komplexen Thematik kratzt. Browns Arbeit folgt einer klaren Struktur: Nach einer kurzen Einleitung stellt der Autor im folgenden Kapitel 'Batman and Multiplicity' seinen grundlegenden Ansatz zur Vielseitigkeit der Figur vor. Grundlage bildet der von Henry Jenkins in seinem einflussreichen Aufsatz Just Men in Tights: Rewriting Silver Age Comics in an Era of Multiplicity (erschienen in The Contemporary Comic Book Superhero, hg. v Angela Ndalianis, New York/London 2009, S. 16-43) geprägte Begriff der multiplicity. Dieser beschreibt eine selbstreflexive Tendenz in modernen Superheldengeschichten, in der verschiedene Versionen desselben Franchises gleichzeitig rezipiert werden und ein intertextuelles Netzwerk bilden: "Meaning becomes layered on top of variations, and continuity is derived through a ready acceptance of multplicity." (S. 29) Wie auch andere Superheldencomics bewegt sich Batman in einem Spannungsfeld zweier Extreme: Auf der einen Seite steht die Kanonisierung von Erzählsträngen, Ereignissen und Charaktereigenschaften, die die vom Verlag streng überwachte, bindende Continuity des Superhelden und seiner Storyworld ausmacht und sie vor auftretenden Unstimmigkeiten bewahrt. Auf der anderen Seite steht die Diversifikation der Figur in alternativen Erzähluniversen, die entweder innerhalb des DC-Multiversums zu übergreifenden Crossover-Events konvergieren oder als einmalige 'Elseworlds'-Geschichten bekannte Superheldenerzählungen in fremde Zeit- und Genresettings transponieren. Diese Variationen werden zwar meist nicht dem Kanon zugerechnet, doch erweitern sie das übergeordnete Bild des Superhelden und ermöglichen neue Lesarten. So zählt Frank Millers The Dark Knight Returns (1986, DC Comics) zu einem der prägendsten Batman-Comics aller Zeiten, doch wird die in der Zukunft der Figur angesetzte Geschichte nicht als Teil der offiziellen Batman-Continuity angesehen. In einem Abriss der wesentlichen Inkarnationen innerhalb von Batmans mittlerweile 80-jähriger Mediengeschichte stellt Brown die verschiedenen transmedialen Passagen des Superhelden im Kontext ihrer produktions- und zeitgeschichtlichen Entstehung gegenüber – erweitert durch einen Ausblick auf durch Batman inspirierte Nachahmer, Doppelgänger und Parodien erster und zweiter Ordnung sowohl in DC Comics wie auch in anderen Comicverlagen. Dass diese gegensätzlichen Identitäten und Storyworlds dennoch alle als Batman erkannt werden, liegt für Brown an Batmans paradoxem Wesen, zugleich extrem flexibel wie auch fest umrissen zu sein. Der Argumentation von Roberta Pearson und William Uricchio in ihrer bahnbrechenden Arbeit The Many Lives of the Batman: Critical Approaches to a Superhero and His Media (New York 1991) folgend bilden bestimmte Schlüsselkomponenten für Brown den kleinsten gemeinsamen Nenner der Figurenkonzeption, zu denen Batmans Geheimidentität als Milliardär Bruce Wayne und der tragische Mord an seinen Eltern gehören, sein ikonografisches Fledermauskostüm, seine Ausrüstung und Fertigkeiten, die Stadt Gotham City sowie das wiederkehrende Figurenensemble aus Verbündeten und Feinden. Daraus setzt sich für Brown eine Art Proto-Batman zusammen ('Batman Prime'), der ausgehend von den Comics der 1980er Jahren Batman als düsteren, ernsten und erbarmungslosen Vigilanten einer dystopischen Ausnahmegesellschaft zeichnet. Alle anderen Versionen würden sich an dieser Schablone abarbeiten, indem sie das Bild des Batman Prime bestätigten, variierten, invertierten, karikierten oder ganz aufgäben. Dieses verlockende Konzept des Batman Prime als Basis-DNA der Figur stößt jedoch an seine Grenzen. Pearson und Uricchio selbst scheinen diesem Konzept zu widersprechen, wenn sie Batman als 'floating signifier' bezeichnen, der weder durch einen bestimmten Autor, noch durch eine spezifische Zeitepoche oder einen Primärtext definiert ist. Der 'dark and gritty'-Batman stellt zwar die gegenwärtig dominante Lesart der Figur dar, doch ist sie nicht die endgültige. In seiner Untersuchung Hunting Down the Dark Knight Knight: Twenty-First Century Batman (London/New York 2012) macht Will Brooker darauf aufmerksam, wie im Kampf um die Deutungshoheit des dunklen Ritters die multiplicity der Figur durch einen offiziellen Kanon heruntergespielt wird, der eine bevorzugte Lesart der Figur über andere Versionen favorisiert, die nicht den Interessen der Produzent*innen und den Vorlieben des Publikums entsprechen. Im Herzen dieser Hierarchie aus Batman-Texten stehe für Brooker die binäre Opposition zwischen dem dunklen und humorlosen Vigilanten und einem fröhlichen, spielerischen und bunten Batman, die sich in einem konstanten Dialog befänden. Zusätzlich zu den von Pearson und Uricchio aufgezählten Merkmalen definiert Brown seinen Batman Prime über implizite Merkmale: "The baseline Batman Prime is also 'pinned down' as a rich, white, heterosexual, American male in his 30s. It is these implicit characteristics of Batman (and most superheroes) that naturalize a persistent valorization of racial and gendered privilege" (S. 28). Diese Erkenntnis bildet die Grundlage für die weiteren Kapitel des Buches. Ausgehend von Pearsons und Uricchios Beobachtung, dass Batman als rechtschaffener Verbrechensbekämpfer und Bewahrer des gesellschaftlichen Status quo extratextuell die dominante hegemoniale Ordnung unterstütze, betrachtet Brown den dunklen Ritter als fiktionale Verkörperung des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit nach R. W. Connell und J. W. Messerschmidt ("Hegemonic Masculinity: Rethinking the Concept". In: Gender & Society 19/6, Dezember 2005, S. 829-859), die die Dynamik einer sozial übergestellten Position von Männern über Nicht-Männer beschreibt: "Batman is an idealized heroic figure who conforms to a very traditionally privileged social category. While Batman may be the toughest, smartest, and most determined alpha-male in a fictional world filled with super-men and wonder-women, in his civilian guise as Bruce Wayne, he is also conventionally portrayed as an able-bodied, white, heterosexual, male billionaire." (S. 80) Entsprechend setzt sich das dritte Kapitel 'Batman and Sexuality' mit den verschiedenen Variationen auseinander, in denen Batman sich mit sexueller Repräsentation auseinandersetzt. Von der queeren Lesart des dynamischen Duos aus Batman und Robin über die hypermaskulinen und hyperfemininen Darstellungen des Dunklen Ritters und seinen weiblichen love interests und femme fatales (insbesondere Catwoman) beleuchtet Brown an einer Reihe von Beispielen offene Anknüpfungspunkte für homo- und heterosexuelle Interpretationen. Das vierte Kapitel 'Batman and Sons' begegnet Batmans Rolle als sowohl symbolische wie auch tatsächliche Vaterfigur innerhalb seiner Bat-Family aus Sidekicks und (Ersatz-)Söhnen, denen er seine über alle Zweifel erhabene, hegemoniale Ideologie aus Gerechtigkeit und sozialer Verantwortung aufdrückt. Wie das Beispiel seines leiblichen Sohnes Damian Wayne zeigt, der heimlich von der Schurkin Talia al Ghul zum Assassinen ausgebildet wird, steht der väterlichen Ordnung in Superheldengeschichten sehr oft das Klischee der bösen Mutter gegenüber, die Unordnung und Gefahr birgt: "The subsequent struggles over Damian's allegiance with either Batman's paternalistic authority or Talia's maternal symbolic authority represent an ideological struggle […] with a clear preference for the Law of the Father" (S. 84). Das Kapitel 'The Batwomen' verfolgt die bewegte Geschichte der beiden Frauenfiguren Batgirl und Batwoman, die zwischen sexualisierten Stereotypen, Reflexionen progressiver Genderrollen und den Herausforderungen der männlichen Welt von Batman stehen. 'The Other Batmen' (Kapitel Sechs) betrachtet anschließend ethnische und postkolonialistische Fragestellungen innerhalb des Batman-Universums. Die Idee, dass Batman seine kämpferischen Fertigkeiten bei seinen Reisen durch den exotischen Osten erlernte, wird im Sinne des Orientalismus-Diskurses als kulturelle Appropriation identifiziert, während in aktuellen Storylines über Batmans weltweite Rekrutierung von ausländischen Verbrechensbekämpfer*innen in Grant Morrisons Batman Incorporated (2010-2013, DC Comics) unbewusste neokoloniale Untertöne ausgemacht werden: "The cumulative result of Batman's appropriation and colonization of Otherness is a strained attempt to incorporate diversity within the character's fictional world, and an unintended perpetuation of America's assumption of normative whiteness as the pinnacle of achievement" (S. 143). Dagegen werden mit den Batman-Protegés Batwing und The Signal afro-amerikanische Perspektiven in die Welt des Superhelden eingeführt. Kapitel Sieben setzt sich mit Batmans dunkler Seite auseinander und seinem manichäistischen Kampf gegen seine Doppelgänger-Schurken wie auch seinen Superheldenkollegen Superman, wobei in der binären Gegenüberstellung von Gut und Böse Batmans liminale Rolle als Held, Antiheld und Schatten noch stärker hätte ausgebaut werden können. Im letzten Kapitel 'I'm the Goshdarn Batman! ' steht die ungewöhnliche Darstellung des dunklen Ritters als kleine, niedliche Gestalt im Geiste der japanischen 'kawaiii'-Ästhetik etwa in Comicbuchreihen wie Lil' Gotham (2012, DC Comics) oder der Zeichentrickserie Teen Titans Go (seit 2013, Cartoon Network) im Vordergrund, die das Bild des düsteren, allmächtigen Vigilanten konterkariert. Abgerundet wird das Kapitel mit einer kurzen Betrachtung des The Lego Batman Movie, in der subversiv Batmans hegemoniale Männlichkeit sowie seine überdramatische Ernsthaftigkeit und Hypervirilität der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Am Ende bleibt Browns Buch ein Fazit schuldig, das alle Gedankenstränge des Buches zusammenfasst und einen Ausblick in die Zukunft wagt. Batman and the Multiplicity of Identity macht den Eindruck einer Aufsatzsammlung, die sich zwar an manchen Stellen zu wiederholen droht, im Ganzen jedoch ein erfrischendes Kaleidoskop kulturwissenschaftlicher Analysen gegenwärtiger Batman-Comics bildet, das durch tiefe Materialkenntnis besticht und vor allem durch die Fokussierung oft vernachlässigter Nebencharaktere überzeugt.
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