In: Kultur und Gesellschaft: Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologentags, des 11. Österreichischen Soziologentags und des 8. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988, p. 321-328
Es wird der Zugang und der Umgang der Soziologie mit Religion und Weltkultur thematisiert. Argumentiert wird, daß die Soziologie Religion begrifflich als "Phänomen Religion" verformt hat. Als vorbegrifflichtes "Phänomen Religion" ist es selber unmittelbarer Ausdruck einer Verformung soziologischen Denkens. Es sagt so selber mehr über das soziologische Denken aus als über die "Sachen", auf die es sich bezieht; wohl aber wird deren Wahrnehmung nun über die Optik dieses Konstrukts gebrochen. Die Ursache für dieses Vorgehen wird in der fehlenden kulturgeschichtlichen Aufklärung gesehen. Am Beispiel der Debatte um die "Säkularisierungsthese" wird der Umgang der westlichen Religionssoziologie mit Religion verdeutlicht. (GF)
Der vorliegende Beitrag setzt sich kritisch mit dem Buch "Die Unsichtbare Religion" von Thomas Luckmanns aus dem Jahr 1963 auseinander. Zunächst werden die zentralen Aussagen vorgestellt und auf ihre wichtigsten Kritiken eingegangen. Im nächsten Schritt werden einige empirische Arbeiten und theoretische Fortentwicklungen genannt. Abschießend werden die Konturen dieser neuen Sozialform der Religion umrissen. Die "Unsichtbare Religion" ist weder bloß eine theoretische Abhandlung noch ist sie eine empirische Arbeit; Luckmann nennt sie einen Essay. Er stellt darin an die Stelle der kirchlichen oder organisierten Religiosität einen Begriff der Religion, der sich aus der Kirchensoziologie heraus begibt, um andere Formen des Religiösen in den Blick zu bekommen, wodurch der Blick frei wird auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Der Autor kritisiert, dass der essayistische Stil der Rezeption viele Schwierigkeiten bereitet. Einzelne Begriffe bleiben unscharf. So wird etwa der Begriff der "unsichtbaren Religion" lediglich im Titel genannt. Der Essay biete zwar einen theoretischen Entwurf, der sich durch die Bezugnahme auf die zeitgenössische empirische Forschung abstütze. Doch wird die Unsichtbare Religion, bar systematischer Daten, lediglich provisorisch in groben Umrissen skizziert. Der Beitrag geht dann auf die funktionalistische, anthropologische Definition der Religion bei Luckmann ein und benennt die kritischen Punkte. Im weiteren Verlauf des Beitrags setzt sich der Autor mit den Thesen Luckmanns zur Säkularisierung und der Sozialform der Religion sowie der neuen Sozialform der Religion kritisch auseinander. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass der besondere Reiz des Buches darin liegt, dass es Konturen religiöser Formen vorzeichnet, die erst später erkennbare Formen annahmen. Religiöse Funktionen werden zunehmend von nicht-religiösen Strukturen getragen. Hierzu zählen zum "cultic religion", politische Einstellungen und Protesthandlungen sowie neue Gemeinschaftsformen und Therapien. Diese neuen Sozialformen der Religion zeichnen sich vor allem durch einen Verlust der Sichtbarkeit auf verschiedenen Ebenen aus. (ICD2)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, p. 2370-2382
"Der Beitrag stützt sich auf eine empirische Untersuchung, die vom Institut für Politische Wissenschaft und der Arbeitsgruppe Interdisziplinäre Sozialstrukturforschung (agis) der Universität Hannover in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Loccum durchgeführt wurde. Thematisch bildete der so genannte Bindungsverlust der Kirche den Ausgangspunkt, das heißt die zurückgehende Beteiligung an kirchlichen Arbeitsformen sowie die offenbar nachlassende Bedeutung kirchlich-religiöser Orientierungen. Erstmalig wurden diese Phänomene nach dem Ansatz der 'sozialen Milieus' (vgl. Vester u.a. 2001) und der Habitus- und Feldtheorie von Pierre Bourdieu (vgl. 1982; 1987) untersucht. Aufgrund dieses Konzeptes gingen die Verfasser davon aus, dass die Beziehung der Milieus zu Kirche und Religion vielschichtig und durch die häufig verwendeten Begriffe wie 'nah' oder 'fern' nicht hinreichend ausgedrückt ist. Eine der Fragen war auch, ob die von Klaus von Bismarck (1957) festgestellte 'Milieuverengung' der Kirche (vgl. auch Ebertz 1997) nach wie vor besteht bzw. welches Gesicht sie heute hat?" (Textauszug)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, p. 245-246
Im einleitenden Beitrag zur Plenarveranstaltung "Religion und Ressentiment", die gemeinsam von der Sektion "Entwicklungssoziologie und Sozialanthropologie" und der Sektion "Religionssoziologie" vorbereitet und organisiert wurde, wird der Zusammenhang von Religion und Ressentiment sowohl auf einer theoretischen als auch auf einer empirischen Ebene durch einige Begriffsbestimmungen knapp skizziert.Ressentiment beschreibt ein gefühlsbedingtes Bedürfnis von sozial, kulturell und/ oder ökonomisch negativ privilegierten (bzw. sich selbst so einschätzenden) Gruppen nach "Abwertung" der Qualitäten und Leistungen der Anderen, das sich bis hin zum offenen Hass gegen die "Bessergestellten", "Vornehmen" und "Mächtigen" steigern kann. Ziel der "Abwertung" der Anderen ist in der Regel die moralische und ethische "Aufwertung" der eigenen Gruppe. Seit Friedrich Nietzsches These von der Entstehung der christlichen Liebesmoral aus dem Geist des Ressentiments von Max Weber aufgegriffen und generalisiert wurde, scheint festzustehen, dass Ressentiment eine charakteristische Begleiterscheinung einer jeden "Erlösungsreligion" und einer jeden religiösen Ethik der negativ Privilegierten ist. Worauf die Deprivation der jeweiligen Gruppen auch im Einzelnen beruhen mag, auf niederem sozialen Status, auf einer ethnischen Minderheitenposition, auf der Diskriminierung oder Verunglimpfung religiöser Gemeinschaften oder auf politischer Unterdrückung, sie kann dazu führen, dass die ethischen Gebote der jeweiligen Religion in ihr Gegenteil umschlagen und der Hass auf die Konkurrenz über alle "Gebote der Liebe" siegt. (ICA2)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, p. 2396-2407
"In einem historisch vergleichenden Zugriff soll gezeigt werden, dass und wie sich die Art des religiösen Glaubens abhängig von der Generationenzugehörigkeit wandelt. Dabei wird auch Fallmaterial von Jugendlichen mit einbezogen. Zwei Momente sollen herausgearbeitet werden, welche die spezifische Form von Religiosität bedingen: Zum einen die Rolle der primären Sozialisation, in der der habituelle Zugriff auf die Welt grundgelegt wird. Dabei kann gezeigt werden, dass die Fähigkeit zum Glauben oder zur 'bedingungslosen Hingabe' abhängig von der konkreten Anerkennung und Solidarität in der Familie ist und sich aufgrund dieser Erfahrung unterscheidet. Zum anderen die Generationenzugehörigkeit, wobei sich in der Adoleszenzkrise entscheidet, wie religiös oder säkular man sein Leben gestalten will (das muss nicht bewusst sein). Das hängt in der Regel von dem Grad der Säkularisiertheit der historischen Gesellschaft ab, in der man aufwächst und in der man gemeinsam mit den Angehörigen der eigenen Generation (also der Peer-Group) die Deutungsmuster und Habitusformationen entwickelt, die glaubhafte Antworten auf die Sinnfragen und historischen Probleme geben. Es soll also die These entfaltet werden, dass die spezifische Form der Religiosität bzw. religiösen Haltung sich erst in der Bearbeitung der Adoleszenzkrise entwickelt und abhängig von den Themen und Diskursen der eigenen Generation ist." (Autorenreferat)
Die Geschichte der Bahai-Religion beginnt im Jahre 1844, einer Zeit, in der die Grundgedanken der Aufklärung ideengeschichtlich allgemein bekannt waren, wie z. B. Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, die zentrale Rolle des Verstandes und der Vernunft bei der menschlichen Urteilsbildung sowie das Plädoyer für die Toleranz gegenüber anderen Nationen und Glaubensrichtungen. Dennoch war die Praxis von diesen Idealen weit entfernt, die sich erneut in den Prinzipien der Bahai-Religion widerspiegeln. Als eine unabhängige Offenbarungsreligion erhebt sie den Anspruch, das jüngste Glied in einer Kette von Gottesboten zu sein. Die Bahai-Lehre, die heute vor allem in Indien, Afrika sowie Süd- und Nordamerika verbreitet ist, stimmt in ihren ethischen und mystischen Kernaussagen in vielen Punkten mit anderen Hochreligionen überein, postuliert aber darüber hinaus zahlreiche Gebote und Prinzipien, die aus neuzeitlicher Sicht bedeutend und für das friedliche Zusammenleben der Menschen und Nationen in einer globalisierten Welt unabdingbar sind. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich nach der Erläuterung der Grundprinzipien und einem kurzen historischen Überblick über die Bahai-Religion in zwei Abschnitten mit den Elementen, welche sowohl die Toleranz gegenüber Andersgläubigen als auch die innerhalb der Bahai-Gemeinde gewährleisten. (ICI2)
"Die folgende Darstellung wird zunächst einen Überblick über die Religionsvorlesungen geben (1.) und im Anschluss daran die historische Plausibilität der These Constants unterstreichen, dass die Glaubensfreiheit im Zuge der Versuche zur Wiederbelebung der Freiheit der Alten bedroht war (2.). Schließlich soll gezeigt werden, dass diese Reden die fundamentale Schwäche eines allein ökonomisch begründeten Liberalismus herausstellen (3.). Während der erste Teil der Arbeit eher historischer Natur ist, finden sich im zweiten Teil philosophische Erwägungen. Auf diese Weise soll untermauert werden, dass der Vortrag Über die Freiheit der Alten und der Modernen, der als grundlegend für das Verständnis der Grundlinien und Spannungen des politischen Denkens im 19. Jahrhundert gilt, unvollständig ist ohne die Ideen, die Constant bereits ein Jahr zuvor entwickelt hat - dass folglich die Motive am Grunde der Entwicklung des Liberalismus mit religiöser Freiheit und dem positiven Ziel der menschlichen Selbstentwicklung verbunden sind." (Textauszug)
Der Autor diskutiert die Frage, inwieweit die Religionen trotz der Herausforderungen von Säkularisierung und Pluralisierung in der Lage sind, eine "europäische Bürgerschaft" hervorzubringen. Die Vermittlung religiöser Grundlagen in der Erziehung sollte seines Erachtens aus einer anthropologischen Perspektive erfolgen, die die Auseinandersetzung mit der Alltagswirklichkeit einer multireligiösen Gesellschaft nicht scheut. Weiterhin erscheint es sinnvoll, diesen Unterricht im Rahmen einer Erziehung zur europäischen Bürgerschaft anzusiedeln, und zwar aus drei Gründen: Erstens sind die Religionsgeschichten auf europäischer Ebene untrennbar miteinander verflochten. Zweitens befinden sich alle Religionen in Europa in einer ähnlichen Situation, was häufig als "europäische Ausnahme" bezeichnet wird. Und drittens besteht ein Zusammenhang zwischen Religionskenntnis, Toleranz und interreligiösem Dialog. Die Religion spielt deshalb eine wichtige Rolle bei der Identitätskonstruktion und der Selbstdefinition im Kontakt mit dem Anderen. Würde man ein Schulsystem, das den Pluralismus aus ideologischen Gründen ablehnt, durch ein System ersetzen, das die Pluralität in den Mittelpunkt stellt, würde dies ein wirkliches Verständnis der unterschiedlichen Lebenswelten erlauben. (ICI2).
"Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien wird oft als Bürger- und Religionskrieg interpretiert. Solch eine Bewertung geben seine Urheber gern mit der Absicht, die eigentliche Ursache und das Ziel des Krieges zu verheimlichen, und mit dem Zweck die Tatsache zu vergessen, daß der Krieg als großserbische Aggression auf einzelne Teilrepubliken von Ex-Jugoslawien begonnen hat, und zwar wie folgt: zuerst auf Slowenien, dann auf Kroatien, und schließlich auf Bosnien- Herzegowina. Dieselbe Bewertung akzeptieren jedoch auch einige westliche Analytiker teils wegen des Mangels an Informationen oder falscher Informationen (R.Kaplan) teils wegen des Bedürfnisses, die Ereignisse auf diesem Gebiet in Übereinstimmung mit dem eigenen theoretischen Paradigma (S.P.Huntingtom) apriorisch zu interpretieren. In diesem Beitrag wird die gegenseitige These begründet, daß es sich hier weder um einen Bürger- noch um einen Religionskrieg handelt, sondern um die Aggression einer Nation oder eines Staates der über die mächtige Militärmacht gegenüber den anderen militärisch inferioren Nationen und Staaten verfügt hat. Obwohl die Religionsunterschiede zwischen den Angehörigen verschiedener Völker und Konfessionen keine primäre Ursache der Konflikt darstellen, dürfen sie nicht als der fundamentale Indikationsfaktor der nationalen und landeskundlichen Besonderheiten, die schließlich dazu geführt haben, daß der Zerfall von Jugoslawien als einem Vielvölkerstaat mit vielen Konfessionen unvermeidlich war, vernachläßigt werden. Bei der vergleichenden Analyse der Ergebnisse der empirischen Forschungen kommen sowohl dominante Werte, die bei den Angehörigen einzelner Konfessionen vorherrschen, als auch kompatible Stellungen zum Ökumenismus und zur zwischenethnischen und zwischenkonfessionellen Toleranz zum Vorschein. Die Rolle der Kirchenhierarchien der genannten Konfessionen paßt sich an den Trend der dominanten Verhaltensweisen einzelner Volksgemeinschaften an, und sie kann im Hinblick auf die genannten Analysen folgerichtig ausgelegt werden, gleichzeitig sowohl als der Antreiber als auch als die Folge bestimmter sozialer Prozesse." (Autorenreferat)
In: Kultur und Gesellschaft: Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologentags, des 11. Österreichischen Soziologentags und des 8. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988, p. 289-296
Gefragt wird, was Zivilreligion ist und welche Funktion sie in der modernen Gesellschaft hat. Zwei Typen von Zivilreligion werden unterschieden: eine generelle, aber gleichwohl nicht alle Staatsbürger erfassende Form und eine spezielle, sozusagen von den besonders Motivierten geteilte Form. Die erste Form ist eine gelebte Religion der Mehrheit, die auch politische oder ökonomische Machtverhältnisse einbezieht. Die zweite, in der Diskussion im Vordergrund stehende Form, ist die eigentlich ziviltheologische Zuspitzung. Es werden auch Ansätze vorgestellt, die die Säkularisierung der Gesellschaft für Schein halten, mit der Begründung, es lassen sich nirgends religionsfreie Sphären ausmachen. Zwar habe man sich von den herkömmlichen Formen besonderer Religion emanzipiert, aber die Gesellschaft sei "sich selbst zur Religion geworden, und zwar so, daß sie den herkömmlichen Unterschied von profaner und sakraler Sphäre aufhebt". (GF)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, p. 1001-1012
Unterschiedliche Facetten von Religion ergeben sich an der Schnittstelle zwischen Kirche, Gesellschaft und Staat im Spannungsfeld von Politik, Ethik und Religion sowie zwischen kirchlichem Auftrag und militärischer Einbindung. Nach einer Klärung des Begriffs und der Funktionen von Religion werden Aussagen über die Wirkung religiöser Faktoren auf Kriegs- und Krisensituationen im Rahmen theoretischer Ansätze zum Friedens- und Gewaltpotenzial von Religionen betrachtet. Anschließend werden Fragen der ethischen Legitimation militärischer Gewalt diskutiert. Abschließend wird die Rolle der Religion im Militär diskutiert und damit verbundene Problematiken werden aufgezeigt. (ICE2)