"Sozialwissenschaft" ist ein Lehrbuch, das seinen Leserinnen und Lesern einen breiten Überblick über die sozialwissenschaftlichen Disziplinen und methodologische, theoretische und inhaltliche Zusammenhänge bietet. Sozialwissenschaft wird definiert als die wissenschaftlichen Disziplinen, deren Gegenstand die Ordnung und Organisation des Zusammenlebens von Menschen ist. Das sind konkret Soziologie, Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Politikwissenschaft, Sozialpsychologie und Sozialanthropologie. - Aus dem Inhalt: Was ist Sozialwissenschaft? - Was ist Gesellschaft? - Die Ausdifferenzierung der Sozialwissenschaften - Theoretische und methodologische Strukturen der Sozialwissenschaft - Soziales Handeln und soziale Ordnung - Wandel, Entwicklung und Evolution - Sozialwissenschaft, Ordnung und Organisation
Der Verfasser geht einleitend der Frage nach, worin die Besonderheiten der Soziologie in Europa bestehen und wie diese Besonderheiten entstanden sind. Wie sind sie mit der Geschichte der europäischen Gesellschaften verbunden? Es wird gezeigt, dass mit der Soziologie in Europa eine besondere Art entstanden ist, die Menschen, die Gesellschaft und den konstitutiven Zusammenhang zwischen beiden zu analysieren. Dabei handelt es sich um eine Reflexionsform, der es zunächst darum ging, in handlungstheoretisch orientierten Sozialanalysen das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft im entstehenden Kapitalismus zu verstehen. Vor diesem Hintergrund wird das 'Andere' der europäischen Soziologie analysiert. Hierbei geht es um die US-amerikanische Soziologie, die in ihren Beziehungen zu den Soziologien in Europa untersucht wird. In diesem Kontext werden einige Perspektiven der Soziologien in Europa entworfen: Zeichnet sich am Horizont der gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Entwicklung in Europa eine europäische Soziologie ab, die mehr als eine Soziologie made in Europe ist? Selbst wenn der Begriff 'Wissenschaftsgesellschaft' einigermaßen verschwommen ist, geht das dahinterstehende Gesellschaftsprojekt die Soziologie unmittelbar an. Sie wäre gut beraten, dies als Herausforderung für ihre Gegenwartsanalyse anzunehmen - und nicht als fatalen Sachzwang. Der 'Europäische Wissenschaftsraum' entwirft u.a. explizit eine Soziologie, die vollkommen in das politische und gesellschaftliche Projekt der EU integriert und die somit politischen Imperativen unterworfen ist. Diese Position wird in den Texten der EU offen vertreten, und auch die Evaluation der Forschungsanträge spricht dieselbe deutliche Sprache. Was interessiert, sind nicht so sehr die intellektuelle Qualität der Forschungsanträge, sondern ihr potentieller Beitrag für die Umsetzung des politischen Projekts, die gesellschaftliche Bedeutung der vorgesehenen Aktionen, die besondere Qualität der Teilnehmer (die nach relativ unklaren, aber rein instrumentellen Kriterien bestimmt wird) sowie die Organisation und das Management der Netzwerke. (ICG2)
Die modernen Sozialwissenschaften - sowohl die nomothetischen wie die hermeneutischen - machen den Versuch, die Möglichkeiten und Grenzen des modernen historischen Bewußtseins zu überwinden. Die modernen Männer und Frauen, die die Gewißheit der anhaltenden Wahrheit aufgegeben haben, haben dadurch aber noch nicht das Streben nach Wahrheit preisgegeben. Das Trachten nach Wissen mittels Sozialwissenschaft war dazu geeignet, eine solche Überzeugung zu unterstützen. Soweit die Sozialwissenschaft gleichzeitig Gewißheit und Selbsterkenntnis - als das Ergebnis eines neuen, rationalistischen Strebens nach Sinn - versprochen hat, wurde das Versprechen nicht gehalten. Wo Gewißheit war, war weder Sinn noch Selbsterkenntnis. Wo Sinn und Selbsterkenntnis war, da war keine Gewißheit. Und trotzdem hat die Sozialwissenschaft nicht ganz und gar versagt, seit sie die Selbsterkenntnis einer kontingenten Gesellschaft versprach. Die modernen Sozialwissenschaften haben sich nicht mit dem Streben nach Wahrheit befaßt, doch setzten sie ein Beispiel für wirkliche Selbsterkenntnis und etablierten ihre eigenen, inneren Kriterien der Wahrscheinlichkeit. Diese Kriterien sind weder vollständig kartesianisch, noch sind sie vollständig empirisch. Sie schließen die eigentlichen Kriterien für das Verstehen von dem ein, was bereits verstanden worden war, zur Unterscheidung zwischen dem 'inneren' und dem 'äußeren' Aspekt einer Theorie. Sie schließen ebenso die Kriterien der Plausibilität und die Kriterien des formalen oder substantiellen Konsenses mit ein. Das Papier argumentiert gegen völligen Relativismus und für eine Art begrenzten Relativismus. (KWÜbers.)
1. Entdeckung und Erklärung -- Lehrsätze -- Nicht-operable Definitionen -- Orientierende Feststellungen -- Die Entdeckungen der Sozialwissenschaften -- Das Wesen der Erklärung -- Die Erklärung in der Sozialwissenschaft -- 2. Generelle Hypothesen -- Verhaltenspsychologie -- Die psychologische Erklärung in der Geschichtswissenschaft -- Die psychologische Erklärung in der Wirtschaftswissenschaft -- Psychologische Erklärung der Konformität -- Einwände gegen die psychologische Erklärung -- Methodologischer Individualismus -- Die funktionale Erklärung -- Die Auswirkungen der Vertrautheit mit dem Gegenstand -- 3. Die Schwierigkeiten der Erklärung -- Die Reduktion -- Die organische Analogie -- Geschichtsbedingtheit (Historicity) -- Divergierende Phänomene -- Konvergierende Phänomene -- Die Psychologie und die Illusion der freien Wahl -- Schlußwort.
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This text was published as a book chapter in the publication "Praxishandbuch Open Access" ("Open Access Handbook") edited by Konstanze Söllner and Bernhard Mittermaier. It reflects the current state of Open Access to text publications, data and software in the Social Sciences.
Der Leitbildbegriff avanciert derzeit zu einer neuen sozialwissenschaftlichen Kategorie. Katharina D. Giesel befasst sich mit den Fragen, was in den verschiedensten Sozialwissenschaften unter Leitbildern verstanden wird, wie diese Kategorie konzeptionell in Forschungs- und Handlungskonzepte eingebunden wird und inwiefern Leitbilder eine zeitgemäße Kategorie der Sozialwissenschaften darstellen. Auf diese Weise gibt die Autorin dem derzeit verhältnismäßig diffusen Leitbildansatz der Sozialwissenschaften ein konsistentes begriffliches, theoretisches und konzeptionelles Fundament und schafft eine substanzielle Grundlage für die sozialwissenschaftliche Leitbildforschung.
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Die zunehmende Computerisierung der wissenschaftlichen Arbeit hat die Art und Weise, wie Forschung betrieben wird, in den letzten Jahren stark verändert. Aber nicht nur die Natur-, sondern auch die Sozialwissenschaften werden durch den Einsatz von Computern verwandelt. In diesem Artikel versuchen wir einige Felder zu benennen, wo dieser Prozeß am besten nachvollziehbar ist. Gleichzeitig stellen wir uns die Frage, ob die Sozialwissenschaften auf diese Weise sich in ihrer Substanz verändern und welche neuen Anforderungen an die Sozialwissenschaftler ( aktive oder in spe) gestellt werden, sowie welche Gefahren sich dahinter verbergen.
Der Beitrag setzt sich mit Eurozentrismus in den Sozialwissenschaften auseinander. Er zeigt, dass Darstellungen der Peripherie oftmals von einer partikularen, europäischen Perspektive geprägt sind, die sich aber als universell und global gültig versteht. Dabei wird die eigene Gesellschaft als fortschrittlich und überlegen begriffen, andere Gesellschaften werden jedoch als rückständige Vorstufen der eigenen gesehen. Dies erlaubt den Sozialwissenschaften auch, ihren Gegenstandsbereich primär in den westlichen Gesellschaften zu verorten und die anderen eher randständigen (Teil-)Disziplinen zu überlassen. Notwendig ist daher eine Dekolonisierung der Sozialwissenschaften, die Konzepte auf ihre eurozentrische Prägung und mögliche Alternativen hin befragt und auch die zwischen Nord und Süd asymmetrische institutionalisierte Wissensproduktion abbaut. (ICE2)
Es liegt keineswegs auf der Hand, dass die Sozialwissenschaftler besondere Schwierigkeiten haben, ihr Publikum zu erreichen. Zunächst führt der Verfasser aus, in welcher Hinsicht die These von der besonderen Publikumsdistanz der Sozialwissenschaften nicht zutrifft, sondern auf problematischen Beurteilungskriterien fußt, die ihrerseits hinterfragt werden sollen. Anschließend werden Beobachtungen und Überlegungen vorgetragen, die das Verhältnis der Sozialwissenschaft zu ihrem Publikum tatsächlich als problematisch und verbesserungsbedürftig erscheinen lassen. Im Ergebnis erweist sich das Publikumsproblem der Sozialwissenschaft, soweit es besteht, als Problem ihrer inneren Verfassung. Sozialwissenschaftler sind keine Journalisten. Aber die gegenseitige Durchdringung von Gesellschaft und Wissenschaft nimmt zu. Die Professionalisierung der Sozialwissenschaften hat zu Spezialisierung und Selbstreferentialität geführt. Es ist an der Zeit, den "Balanceakt", den die Sozialwissenschaften zwischen professioneller Ausdifferenzierung und gesellschaftlicher Integration zu leisten haben, neu zu justieren, und zwar in Richtung stärkerer Integration. Dazu dürfte gehören, dass Sozialwissenschaftler den eigenen Publikumsbezug ernster nehmen und ihre Resonanz über die Fachöffentlichkeit hinaus als ein Erfolgskriterium akzeptieren. Richtig verstandener Publikumsbezug ist ein Kernbestandteil guter sozialwissenschaftlicher Praxis. (ICB2)
In Auseinandersetzung mit der Wissenschaftstheorie Poppers soll der Nachweis erbracht werden, daß die Sätze im Bereich der Sozialwissenschaften prinzipiell Wahrscheinlichkeitscharakter haben bzw. daß es mit Notwendigkeit unsicher ist, ob sozialwissenschaftliche Sätze auf einen Sachverhalt zutreffen oder nicht. Die Suche nach uneingeschränkten Generalisierungen und nach Theorien entsprechend dem Modell der Naturwissenschaften ist im Bereich der Sozialwissenschaften Ausdruck eines gestörten Verhältnisses zur Realität und muß prinzipiell erfolglos bleiben. Die Sozialwissenschaften haben prognostischen Charakter, weil sich die Ergebnisse des Handelns immer in der Zukunft zeigen. Soll die Prognose sicher sein, muß Gewißheit darüber bestehen, daß sich die Prämissen, die dem prognostischen Schluß zugrunde liegen, nicht ändern. Diese Konstanz ist im Bereich handlungsbezogener gesellschaftlicher Realität prinzipiell nicht gegeben, weil bereits Einsicht in Realität zugleich Veränderung von Realität ist und daher auch zu verändertem Handeln führt oder zumindest führen kann. Der Wahrscheinlichkeitscharakter der Sozialwissenschaften liegt in der ihnen eigenen Struktur der Realität begründet, die allgemeine Sätze nicht zuläßt. (GB)
Statt die fruchtlosen Debatten über die Erweiterung oder Ergänzung ihres Aufgabenbereichs fortzusetzen, sollte sich die Vergleichende Literaturwissenschaft auf die Zeit ihrer Entstehung besinnen, da sie sich (vor allem in Frankreich) parallel zur Philosophie und den Sozialwissenschaften entwickelte. Emile Durkheims Einladung an Gustave Lanson, einen Vortrag zum Thema 'L'Histoire littéraire et la sociologie' (1904) an der Ecole des Hautes Etudes zu halten, hatte damals eine symbolische Bedeutung, die heute im sozialwissenschaftlichen Kontext aktualisiert werden könnte. Denn nur eine Vergleichende Literaturwissenschaft, die Anschluß an die sozialwissenschaftlichen Debatten der Vergangenheit und der Gegenwart sucht, kann hoffen, eine theoretische Dynamik zu entfalten, die sie für ihre Gesprächspartner in den Sozialwissenschaften interessant werden läßt. Zu diesen Gesprächspartnern gehören vor allem die anderen Komparatistiken, die von Philologen bisher kaum beachtet wurden: die Vergleichende Soziologie, Semiotik, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Rechtswissenschaft. Von ihnen, ihren Problemen und Lösungsvorschlägen, kann die literarische Komparatistik einiges lernen. Zugleich kann sie in bestimmten Fällen den Sozialwissenschaftlern helfen, ihre Probleme zu lösen und neue Probleme zu erkennen.