Recent research in the social sciences has explicitly addressed the challenge of bringing violence back into the center of attention. This has generated substantive progress in terms of both theoretical debate and methodological approaches. However, there is a significant lack of research applying non-reductionist methodological approaches that can, at the same time, be grounded in a theoretical approach to violence as a research subject in its own right. This focus section seeks to address this research gap by strengthening the dialogue between different bodies of literature that pursue disparate strategies of delineating "violence" as the subject of an emerging field of sociology. By synthesizing these literatures, the focus section aims to draw upon insights from social theory and recent developments in the sociology of violence on the one hand, and combine methodological approaches that transcend both micro- and macro-reductionist accounts on the other. In doing so, it offers analytical perspectives for coming to terms with one of the most conspicuous shortcomings in social scientific appraisals of violence: the tendency to treat it as a primarily moral or political problem, instead of conceiving violence as a social fact.
AbstractThe sociology of violence still struggles with two critical questions: What motivates people to act violently on behalf of groups and how do they come to identify with the groups for which they act?Methodologicallythe article addresses these puzzling problems in favor of a relational sociology that argues against both micro‐ and macro‐reductionist accounts, whiletheoreticallyit proposes a twofold reorientation: first, it makes a plea for the so called cognitive turn in social theory; second, it proposes following praxeological accounts of social action that focus on the dynamic interpenetration of cognition and socio‐cultural practices. The argument is thatsymbolic boundariesconstitute the "missing link" that allows for overcoming the micro‐macro gap in violence research: Symbolic boundaries can cause people's participation in collective violence by providing the essential relational resources for violent action and by triggering the cognitive/affective mechanisms necessary for social actors to become drawn into mobilization processes that can cause their engaging in coordinated attacks on sites across the boundary. The article offers a new theoretical argument by drawing on knowledge from violence research, social action theory and cognitive science allowing for a non‐reductionist theory of action that explains how and why people engage in collective violence.
Die französischen Vorstadtunruhen im Herbst 2005 hatten die Debatte über Integration und Zuwanderung neu entfacht, sie hat seither an Schärfe hinzugewonnen. Diskussionen über »gescheiterte Integration«, »Ghettoisierung« und »Parallelgesellschaften« bringen die Idee der multikulturellen Gesellschaft in Verruf.Auf Grundlage einer qualitativen Studie entwickelt der Autor eine soziologische Perspektive zu konfliktreichen Beziehungen zwischen den jeunes de banlieue und ihrer gesellschaftlichen Umwelt. Dabei gewährt er Einblick in eine Konfliktdynamik, die zur Verhärtung gegensätzlicher sozialer Beziehungen zwischen jüngeren Zuwanderergenerationen und Teilen der Aufnahmegesellschaft führt.Der Autor promovierte mit vorliegender Arbeit im Rahmen eines deutsch-französischen Promotionsverfahrens im Jahr 2010 an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der École des Hautes Études en Sciences Sociales von Paris.
Gewalterfahrungen sind auch in der heutigen Gesellschaft keine Einzelfälle, der "Traum von der gewaltfreien Moderne" (Hans Joas) gleicht weiterhin einem Trugbild. Es steht gleichwohl für das "Vertrauensmodell der Moderne" (Jan Philipp Reemtsma). Die moderne Gesellschaft basiert auf der wechselseitigen, im sozialen Umgang äußerst wirksamen Unterstellung, dass Menschen in pazifiziert geltenden Weltregionen nicht mit Gewalttätigkeiten rechnen müssen, wenn sie einander begegnen. Das Modell stiftet eine wirksame Fiktion, wie die soziale Welt beschaffen ist. Die Frage ist allerdings, auf wen sich das Wir dieser Wirklichkeitsauffassung eigentlich (noch) erstreckt. Spektakuläre Aufdeckungen sexuellen Missbrauchs in der Filmbranche, in Kirchen oder im Leistungssport sowie weltweit beachtete Brutalitäten wie die tödliche Festnahme von George Floyd haben allen, die es sehen, hören und lesen wollten, die sozialen Unterschiede vor Augen geführt, die es mit Blick auf ein scheinbar alltagstaugliches Vertrauen in gewaltlose Begegnungen gibt. Damit eng verknüpft stellt sich die gewichtige Frage, welche Ereignisse und Erlebnisse als Gewalt gelten können und sollen. Insbesondere die Soziologie hat in diesem Zusammenhang mehr denn je mit den Fragen zu ringen, inwiefern sie der Vorstellung einer fortschrittlichen Moderne nach wie vor verhaftet ist, und welche Möglichkeiten und Grenzen, diese Vorstellung zu überwinden, sich angesichts neuerer Theorieentwicklungen wie virulenter empirischer Phänomene abzeichnen. - Das Themenheft "In Gewalt verstrickt" zielt darauf ab, diese grundlegende Debatte aufs Neue für die Gewaltthematik zu sensibilisieren. Die mittlerweile jahrzehntealte Intuition, dass soziologische Analysen, die Situationen grundlegender gesellschaftlicher Verunsicherung deuten, über Gewalt kaum schweigen können, ist aktueller denn je.
Die zeitgenössische Soziologie konstruiert ihren zentralen Gegenstand - die moderne Gesellschaft - in eigentümlicher Distanz zum Thema Gewalt. Aus Anlass seiner jüngsten Buchveröffentlichung 'Unbehagen: Theorie der überforderten Gesellschaft' (2021) haben Eddie Hartmann und Thomas Hoebel Armin Nassehi in seinem Münchner Büro getroffen, um mit ihm über die weitgehende Gewaltabstinenz der gesellschaftstheoretisch interessierten Soziologie zu diskutieren. Das Konzept der "Soziodizee", das Nassehi in seiner Monografie stark macht, hat sich dafür als äußerst instruktiv erwiesen.