In: Integration: Vierteljahreszeitschrift des Instituts für Europäische Politik in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Europäische Integration, Volume 31, Issue 3, p. 254-265
Zwangsmaßnahmen stellen in der psychiatrischen Versorgung ein umstrittenes Thema dar. Obwohl soweit wie möglich eine zwangsfreie Psychiatrie angestrebt wird, können psychiatrische Erkrankungen in einzelnen Fällen die Selbstbestimmungsfähigkeit der Patienten einschränken und Zwangsmaßnahmen notwendig machen. Diese können eine erhebliche Belastung für die betroffenen Patienten darstellen und bringen das medizinische Personal unter Umständen in ein ethisches Dilemma zwischen Fürsorgepflicht für erkrankte Patienten und deren Autonomiewahrung. Da sowohl national als auch international noch kein einheitlicher Konsens bezüglich möglicher Prädiktoren einer Zwangseinweisung und deren Auswirkung auf den Therapieverlauf erreicht wurde, besteht dazu noch weiterer Forschungsbedarf. Um diese Lücke zu verkleinern, wurde eine aktuelle, retrospektive Studie auf der Grundlage der besonderen rechtlichen Situation in Hessen bezüglich des Hessischen Freiheitsentzugsgesetzes (HFEG) durchgeführt. Hierfür wurden die Patientenakten aller volljährigen Patienten, die freiwillig oder unfreiwillig (nach §10 HFEG, §1906 BGB und §1 HFEG) auf eine der drei geschützten Stationen der Psychiatrie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main während der Quartale I/2015 und II/2015 aufgenommen wurden, ausgewertet. Dabei wurden die Unterschiede der freiwillig und der unfreiwillig aufgenommenen Patienten in soziodemographischen Prädiktoren und die Auswirkung des Aufnahmemodus auf den Therapieverlauf durch Signifikanzprüfungen und dem Verfahren der logistischen Regression betrachtet. Analysiert wurden 543 Patienten, von denen ca. 70% freiwillig und 30% unfreiwillig aufgenommen wurden. Es konnten vier mögliche Prädiktoren einer unfreiwilligen Aufnahme identifiziert werden: Initiierung der Aufnahme, Aufnahmezeitpunkt, Hauptdiagnose und somatische Nebendiagnosen. Eine unfreiwillige Aufnahme wurde eher durch Passanten, den Betreuer/die Einrichtung oder Nachbarn/Freunde initiiert, während freiwillige Aufnahmen eher durch die Familie oder Eigeninitiative motiviert waren. Die Betrachtung der Initiierung einer Aufnahme erfolgte in der Literatur bisher selten. Übereinstimmend mit anderen Studien wurden zwangseingewiesene Patienten eher wochentags außerhalb der Kernarbeitszeiten oder am Wochenende/Feiertag aufgenommen, während freiwillige Aufnahmen vermehrt in der Kernarbeitszeit stattfanden. Die Diagnosen F0 und F4 erwiesen sich in der Regressionsanalyse als Risikofaktoren für eine Zwangseinweisung, wodurch der in der Literatur bestehende Kenntnisstand eines Zusammenhangs zwischen der Diagnose und dem Aufnahmemodus bestätigt wurde. Unfreiwillig aufgenommene Patienten wiesen zudem signifikant weniger somatische Nebendiagnosen auf. Der Einfluss der Nebendiagnosen ist in der Literatur noch nicht ausreichend untersucht, auch wenn die Ergebnisse der vorhandenen Studien größtenteils mit der vorliegenden Studie übereinstimmen. Hinsichtlich des Therapieverlaufs unterschieden sich die beiden Gruppen in den Variablen Aufenthaltsdauer, Unterbringung im Verlauf, Zwangsfixierung, Zwangsmedikation, medikamentöse Einstellung, Antidepressiva und andere Medikamente. Zwangseingewiesene Patienten zeigten eine kürzere Aufenthaltsdauer, was möglicherweise der besonderen rechtlichen Situation in Hessen geschuldet ist. Sie wurden zudem häufiger im Verlauf des Aufenthalts untergebracht, waren öfter von Zwangsmaßnahmen wie Fixierungen oder Zwangsmedikationen betroffen und erhielten generell weniger Medikamente. Möglicherweise wurde dies durch eine fehlende Behandlungsmotivation oder eine kürzere Aufenthaltsdauer bedingt. In zusätzlichen Analysen zeigte sich, dass sich einfach und mehrfach aufgenommene Patienten in Baseline-Parametern nicht signifikant unterschieden. Auch wenn Limitierungen wie das Vorliegen einer unizentrischen Studie oder einem Auswertungszeitraum von einem halben Jahr vorliegen, geben die in dieser Studie gefundenen Zusammenhänge wichtige Hinweise, um das Zustandekommen und die Auswirkungen von Zwangseinweisungen besser zu verstehen. Mit dieser Studie als Vergleichsgrundlage kann in Zukunft eine erstmalige Evaluierung der PsychKHG-Einführung in Hessen durchgeführt werden. ; Compulsory measures are a much-debated topic within psychiatric care. Even though a non-coercive psychiatry is generally aspired, psychiatric diseases can in some cases restrict patients' ability of self-determination and, hence, necessitate compulsory measures. Such measures can represent a heavy mental strain for concerned patients and can possibly put the clinical staff into an ethical dilemma between the duty of care for patients and the protection of their self-determination. Since neither national nor international studies have reached a consensus concerning possible predictors of involuntary hospitalization and its effects on the therapeutic process, there is a need for further research on the topic. In order to reduce this research gap, a current retrospective study was carried out on the basis of the special legal situation in Hesse concerning the Hessian law of forcible confinement "Hessisches Freiheitsentzugsgesetz" (HFEG). For this purpose, patient records from the three closed stations of the university hospital in Frankfurt am Main were analyzed. Records included in the study belonged to adult patients, who had been voluntarily or involuntarily admitted (according to §10 HFEG, §1906 BGB and §1HFEG) during the first and second quarter of 2015. Differences between voluntarily and involuntarily admitted patients with respect to socio-demographic factors and the impact of the mode of admission on the therapeutic process were analyzed by means of Chi-squared significance tests and logistic regressions. The total number of patients analyzed in the study was 543, of whom about 70 percent were admitted voluntarily and about 30 percent involuntarily. Four significant predictors of involuntary admission were identified: mode of admission initiation, time of admission, main diagnosis and somatic comorbidity. Involuntary admissions were more likely to be initiated by passers-by, the caregiver/psychiatric institution or neighbors/friends, while voluntary admissions were more strongly associated with an initiation by the family or personal initiative. The mode of initiation of admission has rarely been examined in the academic literature so far. In line with earlier studies, involuntary admissions took place mostly during the weekend/public holidays or during on-duty time, while voluntary admissions occurred more frequently during regular hospital hours. The diagnoses F0 and F4 were associated with a higher chance of involuntary admission, which matches the current state of knowledge on the link between diagnosis and admission mode. Furthermore, involuntarily admitted patients showed significantly less somatic comorbidity. Even though the effect of comorbidity is not yet sufficiently covered in the literature, these results seem to largely coincide with the findings of earlier studies. Regarding the therapeutic process the two groups differed with respect to the variables duration of stay, involuntarily maintenance of admission, coercive fixation, coercive medication, drug treatment, antidepressants, and other medications. Involuntarily admitted patients showed a shorter duration of stay, which could be due to the special legal situation in Hessen. Moreover, their admissions were more frequently upheld involuntarily, more often affected by coercive measures like fixation or medication and received less medication overall. The latter fact might be due to a lack of patients' motivation for treatment or the shorter duration of stay. Further analysis showed that uniquely and repeatedly admitted patients did not significantly differ with respect to baseline parameters. Despite the limitations of this study like its unicentric approach and its analysis period of six months, the findings give important insights for better understanding the occurrence and consequences of involuntary admissions. This study can serve as a benchmark for the first-time evaluation of the new legislative framework of PsychKHG in Hessen.
Nachdem das Chartaplan-Konzept Bismarcks am Unvermögen und Unwillen der Handelsgesellschaften scheiterte, musste das Deutsche Reich Verwaltungsbeamte in die Schutzgebiete entsenden, um den völkerrechtlichen Anspruch auf die Schutzgebiete zu sichern. Da keine Konzepte zur praktischen Umsetzung der kolonialen Inbesitznahme vorlagen, unterlag das Verwaltungshandeln der Kolonialadministration zunächst einem reinen Zweckprogramm. Das Ziel war definiert, nicht aber die konkrete Vorgehensweise bei der Okkupation. Den Kolonialbeamten in Togo eröffneten sich damit große Handlungs- und Gestaltungsspielräume, wodurch auch die Steuerungs- und Kontrollproblematik an Relevanz gewann. In der Arbeit wurde, ausgehend von dieser Problemlage, folgender Frage nachgegangen: Welche Steuerungs- und Kontrolldefizite bestanden innerhalb der kolonialen Verwaltung im Schutzgebiet Togo und wie und mit welchen Zielsetzungen wurde den Verselbstständigungstendenzen der Kolonialverwaltung und ihrer Beamten durch soziale, dienstrechtliche, legislative und politische Maßnahmen von Seiten der kolonialen Gesellschaft, der Reichsregierung und der aufsichtsführenden Kolonialzentrale in Berlin sowie dem Reichstag und der Reichsöffentlichkeit entgegengewirkt? Wenn in der Fragestellung von Verselbstständigungstendenzen gesprochen wird, dann muss betont werden, dass es in Togo keine Separationsbestrebungen gab. Was in Togo miteinander konkurrierte, war das Selbstverständnis des treudienenden preußischen Beamten mit dem Selbstverständnis des kolonialen Praktikers. Die Beamten empfanden sich als Männer, die Geschichte machen, weil sie die imperialen Träume des Reiches in die Tat umsetzten. Sie leiteten hieraus für sich einen besonderen Machtanspruch ab. Aufgrund zahlreicher Kolonialskandale sah sich die Reichsregierung 1896 erstmalig veranlasst, regulierend in die Eingeborenengerichtsbarkeit einzugreifen. Zunächst blieb es bei Einzelerlassen, denn die Kolonialzentrale in Berlin war nicht in der Lage, ein kolonialpolitisches Konzept zur Steuerung und Kontrolle der lokalen Schutzgebietsverwaltungen zu entwickeln. Dieser Reformschritt erfolgte erst unter Dernburg. Eine zentrale Rolle in der Reformpolitik Dernburgs spielten die personalpolitischen Maßnahmen, denn mit der Etablierung einer Kolonialbeamtenausbildung und der Verabschiedung des Kolonialbeamtengesetzes zielte Dernburg auf die Professionalisierung der Kolonialbeamtenschaft ab. Ausschlaggebend für die Intensivierung der Kontrollbemühungen war jedoch nicht der Eingeborenenschutz, sondern innenpolitische Motive. ; After the failure of Bismarcks Charterplan-Concept, due to the inability and reluctance of the trading companies, the German Reich had to send out civil servants to the protectorates, in order to secure their international right to the claimed territories. As no plan for the practical realization of the colonial occupation existed, the administration acted in a purely functional manner. The ultimate aim of the occupation was defined, but not the actual course of action. The colonial civil servants in Togo were thereby presented with a lot of scope in matters of trade and structure, which on the other hand led to problems of direction and control becoming more relevant. Against the backdrop of these difficulties, the paper dealt with the following questions: Firstly, which deficits in management and control arose within the colonial administration of the protectorate of Togo? And secondly, how and with what objectives did the colonial society, the Reich government, the supervisory colonial headquarters in Berlin, as well as the Berlin parliament and the German public use social, legislative and political measures to work against the tendencies towards independence of the colonial administration and its civil servants? It must be stressed that, while the question refers to tendencies towards independenceÆ, there were in fact no separatist efforts in Togo. The minority colonial society, which reached a peak of 428 in 1914, saw their connection to the Reich as being fundamental to psychologically support their claim to power over nearly one million Africans. The competition in Togo actually lay between the self-conceptions of the loyal Prussian civil servants and the perceptions of the colonial practitioners. The civil servants considered themselves to be history-makers because they were putting the imperialist dreams of the Reich into practice and thereby derived from this a certain claim to power for themselves. The German Reich largely gave the civil servants a free reign up to 1892. The Reich Government only began to increase its control after the colonial business suffered damage through the public debate concerning the colonial scandal in Cameroon. At first this increased control was kept to single enactments, as the unprofessional work ethic of the civil servants and the embroilment in numerous corruption scandals meant that the colonial headquarters in Berlin were not in a position to develop a concept regarding colonial policy for the running and control of the local protectorateÆs administration. It was first under Dernburg that the direction and control (as regards financial and personnel policy, bureaucracy and legislature) was systematised. Measures concerning personnel policy played a key role in DernburgÆs reform policy. This was due to the fact that, through a colonial civil servant training programme and the end of the colonial civil servant law, Dernburg was aiming to professionalize the colonial civil service. One important means of leverage in direction and controlling the civil service was thereby the promotion policy. However, the deciding factor in intensifying the efforts towards more control was not the protection of the natives but rather a domestic motive.
Der Sonderband der SEER versammelt Beiträge aus den vergangenen 17 Jahrgängen der Zeitschrift. Im Fokus stehen dabei die EU-Beitrittsperspektiven der westlichen Balkanstaaten. Fortwährende Hindernisse und neue Bruchlinien werden gleichermaßen deutlich. Der Band konstatiert den Abstieg der Region in die Sklerose. Es werden gleichwohl Möglichkeiten einer optimistischen Perspektivierung der EU-Erweiterung ausgelotet.
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Der Forschungsbericht des Netzwerks "Connecting Research on Extremism in North Rhine-Westphalia" kurz CoRE-NRW, ist ein "living document", das von der Koordinierungsstelle des Netzwerkes unter Mitwirkung der Netzwerkpartner erstellt und jährlich aktualisiert wird. Die vorliegende Publikation gibt einen systematischen Überblick über die Forschungslandschaft zu Radikalisierung und Extremismus innerhalb des Berichtzeitraums von August 2020 bis Juli 2021. Der Bericht fokussiert auf Forschung in NRW. Dazu gibt die Karte zu Anfang einen Überblick über die Forschungslandschaft. Darüber hinaus werden auch bundesweite und europäische Verbundprojekte und Institutionen vorgestellt. Thematisch gliedert sich der Bericht entlang der Schwerpunktthemen in CoRE-NRW in drei Cluster: 1) Salafismus und Islamismus, 2) Rechtsextremismus und Rassismus sowie 3) Phänomenübergreifende Forschung und andere Formen des Extremismus. Forschungsvorhaben sind zudem unterteilt nach a) Forschung in NRW, d. h. Einzelprojekte und Institutionen, die in NRW beheimatet sind; b) bundesweite Forschung, d. h. Einzelprojekte außerhalb NRWs und Verbundprojekte; sowie c) Forschung in Europa, d. h. Verbundprojekte auf europäischer Ebene. Der Forschungsbericht bietet informative Kurzprofile mit Beschreibungen zu Hintergründen der Vorhaben, der gestellten Forschungsfragen, der Methodik, der wichtigsten Ergebnisse und ausgewählter Schlüsselpublikationen. Er betrachtet insgesamt 56 Projekte und 12 Forschungseinrichtungen. Im Herbst 2020 starteten im Rahmen von CoRE-NRW sieben neue Forschungsvorhaben mit Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW (MKW-NRW). Vier CoRE-NRW Projekte untersuchen rechte Hasskriminalität, deren Auswirkungen auf die Betroffenen, ideologische und ideengeschichtliche Grundlagen rechter Metapolitik sowie vigilantische Gruppen in NRW. Damit leisten die Forschenden im Rahmen von CoRE-NRW einen wichtigen Beitrag zu einem vernachlässigten Phänomenbereich. Im Themenbereich Salafismus und Islamismus befassen sich derzeit drei Core-NRW-Projekten mit Bildung und Diskurs der Islamismusprävention, salafistischen Alltagspraktiken sowie der Präventionslandschaft in NRW. Ein phänomenübergreifendes CoRE-NRW-Projekt widmet sich der vergleichenden Analyse und Modellierung von Radikalisierungsprozessen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert im Rahmen der Förderlinie "Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa" ebenfalls Projekte, die aufgrund der thematischen Passung in diesem Forschungsbericht vorgestellt werden. Die neuen BMBF-Projekte nehmen verstärkt die Meso- und Makro-Dimensionen von Islamismus in den Blick. Mit der BMBF-Förderlinie "Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus" sind für die nächste Zukunft weitere berichtenswerte Projekte zum Thema Rechtsextremismus zu erwarten. Auch mit dem baldigen Beginn der Vorhaben der BMBF-Förderlinie "Aktuelle Dynamiken und Herausforderungen des Antisemitismus" ist die Erwartung verbunden, die wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Antisemitismus in Deutschland voranzubringen und die Themen im Rahmen von CoRE-NRW mit aufzugreifen. Der Forschungsbericht beansprucht nicht, die gesamte Forschungslandschaft in NRW oder gar in Deutschland und Europa erschöpfend darzustellen. Es gibt viele Wissenschaftler:innen, die jenseits von Drittmittelprojekten und Institutionen mit explizitem Extremismusfokus zu entsprechenden Themen arbeiten und dadurch wichtige Beiträge zum tieferen Verständnis der Phänomene leisten (z. B. im Rahmen von Promotionsvorhaben oder transdisziplinären Praxisprojekten), im vorliegenden Bericht aber nicht erfasst wurden oder kein Interesse an ihrer Präsentation im Forschungsbericht haben. Grundsätzlich steht die CoRE-NRW-Koordinierungsstelle allen Wissenschaftler:innen, die affine Forschungsansätze darstellen wollen, als Anlaufstelle bereit.
Dieser Forschungsbericht bietet einen systematischen und umfassenden Überblick über die Forschungslandschaft im Bereich der Extremismusforschung in Nordrhein-Westfalen (NRW). Er weist auch auf einige bundesweite Vorhaben mit besonderer Relevanz für das Thema hin. Der Bericht berücksichtigt dabei Forschungstätigkeiten im Zeitraum zwischen August 2019 und Juli 2020, die entweder im Rahmen drittmittelgeförderter Forschungsprojekte oder innerhalb von institutionellen Forschungsschwerpunkten durchgeführt wurden. In NRW und bundesweit arbeiten zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch unabhängig von Drittmittelprojekten oder einschlägigen Forschungsschwerpunkten an ihren jeweiligen Institutionen zu relevanten Aspekten der Extremismusforschung. Entsprechend breit gestreut und divers sind auch individuelle Forschungsressourcen und Fachwissen. Die enorme Vielzahl dieser Einzelexpertisen kann in diesem Bericht ungeachtet ihrer hohen Relevanz für die Forschung nicht vollständig abgebildet werden. Er ist vielmehr ein jährlich aktualisiertes "living document", das weitere und neu entstehende Forschungsvorhaben aufnehmen wird. Die Gliederung unterscheidet zunächst zwischen den drei Unterthemen, die das Forschungsnetzwerk CoRE-NRW bearbeitet: 1) extremistischer Salafismus und Islamismus, 2) Rechtsextremismus und 3) phänomenübergreifende Ansätze sowie andere extremistische Ideologien. In jedem dieser Cluster unterscheidet der Bericht wiederum zwischen a) "Forschung in NRW" (in der Regel Einzelvorhaben von in NRW beheimateten Instituten); b) "Bundesweite Forschung" (besonders relevante bundesweite Vorhaben sowie Kooperations- und Verbundprojekte innerhalb Deutschlands, die teils mit Beteiligung von Forschungseinrichtungen in NRW umgesetzt werden); c) "Forschung in Europa" (bedeutende europäische Forschung und größere Projekte, die Institute in NRW gemeinsam mit Partnern im europäischen Ausland durchführen). Eine tabellarische Übersicht entlang der drei Cluster gibt zu Beginn des Berichts die Forschungsprojekte in alphabetischer Reihenfolge wieder. In der detaillierten Beschreibung der einzelnen Forschungstätigkeiten macht der Bericht zunächst Angaben zum Projekttitel, der Laufzeit, Fördereinrichtungen sowie Ansprechpartnerinnen und -partnern. Es folgt eine Kurzbeschreibung mit Hintergrundinformationen, den wichtigsten Forschungsfragen, der Methodik sowie den Ergebnissen inklusive aktueller relevanter Publikationen (falls vorhanden). Die Kurzbeschreibungen der Projekte sind nach Ende der Laufzeit absteigend sortiert. Daran schließen die Präsentationen der Institute in alphabetischer Reihenfolge an. Im Cluster zum extremistischen Salafismus und Islamismus zählt der Forschungsbericht insgesamt 20 drittmittelgeförderte Forschungsprojekte bzw. -verbünde sowie ein Transferprojekt auf. Davon sind sechs Projekte Einzelvorhaben von Instituten in Nordrhein-Westfalen. Die wichtigste Fördereinrichtung in Nordrhein-Westfalen war das Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) NRW mit insgesamt sechs geförderten Forschungsprojekten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie die Fritz Thyssen Stiftung förderten jeweils ein weiteres Projekt im Bundesland. Zehn Projekte haben eine bundesweite bzw. länderübergreifende und zwei eine europäische Zusammensetzung. Deutschlandweite Forschungsvorhaben zum extremistischen Salafismus und Islamismus werden vom BMFSJ (fünf Projekte), dem Bundeministerium für Bildung und Forschung (BMBF; drei Projekte) sowie dem Bundeministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI; zwei Projekte) gefördert. Auf europäischer Ebene stellt der Bericht ein Projekt, das mit Mitteln der Europäischen Union (EU) finanziert wird, sowie ein vom BMI gefördertes Vorhaben vor. Im Cluster zum Rechtsextremismus fällt die vergleichsweise geringe Anzahl von Forschungsprojekten mit Drittmittelförderung auf. Insgesamt gibt es hier sieben Projekte, wobei vier auf Landes-, eines auf Bundes- und zwei auf europäischer Ebene angesiedelt sind. Landes- und Bundesministerien treten in diesem Themenfeld bislang nicht als Mittelgeber in Erscheinung. Die drei Forschungsvorhaben erhalten stattdessen Förderung von der Mercator Stiftung (NRW), der Deutsch-Israelischen Stiftung für Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung (bundesweite Ausrichtung) sowie von der Europäischen Union (europäische Verbundprojekte). Die Forschung zu Rechtsextremismus ist weniger projektbasiert, sondern in institutionelle Forschungsschwerpunkte ohne Drittmittelförderung eingebettet. Um die Forschungsbandbreite in diesem Phänomenbereich zu verdeutlichen, stellt der Bericht in diesem Cluster außerdem einige bedeutende Institute und Forschungsschwerpunkte vor, die ohne externe Förderung an diesem Thema arbeiten. Das dritte Cluster präsentiert Forschungstätigkeiten, die sich phänomenübergreifend und/oder vergleichend mit extremistischen Ideologien auseinandersetzen oder andere Formen des Extremismus, beispielweise den Linksextremismus, in den Blick nehmen. Der Bericht führt in diesem Bereich insgesamt 24 Projekte auf. Davon werden vier in Nordrhein-Westfalen durchgeführt (Förderung jeweils durch das MKW, aus Eigenmitteln, das Bundesministerium der Verteidigung und das BMFSFJ). Acht Projekte haben eine bundesweite Zusammensetzung (drei Projekte mit Förderung durch das BMBF, weitere vier Projekte mit Mitteln des BMFSFJ, zwei Projekte mit Förderung des BMI). Von den 11 europäischen Projekten erhalten 10 Mittel der Europäischen Union (EU) und ein weiteres erhält Unterstützung der Universität Swansea und Facebook. Das breite Spektrum der Themen in diesem Cluster umfasst u. a. die Verbreitung von Falschnachrichten, die Evaluation von Präventionsvorhaben, internationalen Wissensaustausch und Stärkung der Fachkräfte der Prävention sowie technologische Unterstützung für Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung extremistischer Straftaten im Internet.
Die globalisiert organisierte Kriminalität stellt die globalisiert organisierte Wirtschaft und die einzelnen Staaten hinsichtlich der Effektivität ihrer supranationalen Kooperationen auf den Prüfstand. 'Innere Sicherheit' als rein innere und rein staatliche Angelegenheit wird zunehmend undenkbar. Vielmehr wird Sicherheit vermehrt primär dort hergestellt, wo einflussreich danach verlangt wird bzw. wo für sie gezahlt werden kann, also immer weniger unter Gemeinwohlaspekten. Das gilt überall dort, wo private Sicherheitsdienste engagiert werden und der Staat spart. Kooperationen zwischen dem Staat und privaten Konzernen werden forciert. Das kriminalpräventive Interesse verlagert sich von der tat- und täterbezogenen Reaktion hin zur möglichst risikoarmen Gestaltung von Alltag. Das Strafrecht wird zunehmend zum Mittel gegen allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung und das "subjektive Sicherheitsgefühl" gewinnt dabei weiter an Legitimationskraft für "law and order"-Kampagnen.
In diesem Szenario kommen auf die Institutionen sozialer Kontrolle neue Aufgaben und Probleme zu. Sie müssen mit herkömmlichen Mitteln neuartige Probleme unter veränderten Bedingungen bearbeiten und deswegen ihr Instrumentarium modifizieren. Umgekehrt sind gerade eingeführte Mittel oftmals nur bedingt geeignet, Schwachstellen zu beseitigen, müssen die Mittel doch erst entwickelt (oder aus anderen Bereichen übertragen), ausprobiert und verbessert werden. Auch sind neue Bereiche des Wissens und Handelns zu erschließen, insbesondere durch die Verknüpfung von bislang eher separiert arbeitenden Einrichtungen, durch den Umgang mit neuartigen Ermittlungsdaten sowie durch neue Kommunikations- und Organisationsformen. Damit einher geht die Verheißung, durch die "Vernetzung der Sicherheitsakteure" ließen sich Effizienz und Effektivität weiter steigern und soziale Prozesse ungeachtet verschärften Wandels auch weiterhin im Prinzip steuern. Kann diese Politik der "vernetzten inneren Sicherheit" gelingen, oder wird viel Aufhebens um etwas gemacht, das auch nicht das alleinige Heil bringen wird?
Zu fragen ist erstens: Wie arrangieren sich all die "Sicherheitsagenturen" untereinander und mit den sich wandelnden gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen? Was kann zweitens Sicherheit in Zeiten der Unsicherheit eigentlich sein? Kann drittens das paradoxe Versprechen eingelöst werden, unter den Bedingungen wachsender Unsicherheit und zunehmend begrenzter Gestaltbarkeit überhaupt Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, und zwar speziell mit einem sicherheitspolitischen Netzwerkansatz? Wie muss die Netzwerkperspektive eingestellt sein, um ihre Potentiale auszuschöpfen?
"Der Tschetschenienkrieg stellt eines der repräsentativen Merkmale der autoritären Wende der russischen Politik dar. Während der erste Tschetschenienkrieg den ersten Schritt signalisierte, vollendet der zweite Tschetschenienkrieg die Wende zum gemäßigt autoritären russischen Weg. Es scheint sich seit Ende der 90er Jahre ein beinah fast alle politische Lager Russlands umfassender Konsens zu bilden, den putinschen Tschetschenienkrieg als nationalen Imperativ anzunehmen. Der Aufsatz geht der Frage nach, wie die linke und rechte Opposition in Russland auf den Tschetschenienkrieg reagiert hat und wie die Positionen sich geändert haben. Die Perzeptionen des Tschetschenienkriegs spiegeln Kontinuität und Wandel des nationalistischen Diskurses sowie die autoritäre Wende in Russland in den 90er Jahren wider. Zur näheren Betrachtung wurden insbesondere die Positionen von KPRF und Jabloko einbezogen, da sie als zwei repräsentative Diskursträger vom ideologischen Spektrum Russlands fungieren und die Problematik der Nation anhand des Tschetschenienkrieges besonders kontrovers diskutieren. Zur Untersuchung der Parteilinie der beiden Parteien werden sowohl formelle programmatische Dokumente als auch die parlamentarische Debatte und Aussagen der Politiker einbezogen." (Textauszug)