'In der Russischen Föderation bildet der Islam die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft nach der russisch-orthodoxen Kirche. Prognosen über die Bevölkerungsentwicklung im 21. Jahrhundert gehen davon aus, daß die muslimische Komponente bei gleichzeitiger Abnahme der russischen noch an Gewicht gewinnen wird. In Rußland selber weist man darauf hin, daß heute dort mehr 'Muslime' leben als im Ursprungsland des Islam, in Saudi-Arabien, und in manchen anderen arabischen Staaten. Allerdings ist die Zahl der 'rußländischen Muslime' ebenso wie der Terminus 'Muslim' selber unbestimmt. Angaben schwanken zwischen 8,5 und 21 Mio. Der Terminus 'Muslim' ist eher ethnisch als religiös determiniert und umfaßt viele Angehörige islamischer Nationalitäten (Tataren, Baschkiren, Kaukasier), die sich persönlich nur bedingt als 'Gläubige' identifizieren würden. Dennoch vollzieht sich in Rußland seit 1990 eine sichtbare Wiedergeburt islamischer Gemeinden und Institutionen.' (Autorenreferat)
'Der Übergang Rußlands zu marktwirtschaftlichen Beziehungen machte den Umbau des gesamten Wirtschaftsmechanismus des Landes und in erster Linie die Demilitarisierung der Wirtschaft sowie die Verkleinerung des Rüstungssektors notwendig. Um diese Aufgabe lösen zu können, wurde eine Reihe von Konversionsprogrammen ausgearbeitet, die jedoch nicht erfüllt worden sind. Dies ist vor allem durch den Mangel an Ressourcen zu erklären, die für die Erfüllung der gestellten Aufgaben nötig gewesen wären; kein einziges Konversionsunterprogramm ist in vollem Umfang finanziert worden. Aus diesem Grunde steht der Rüstungssektor Rußlands vor einem ganzen Komplex ungelöster militärischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme.' (Textauszug)
Wissenschaftler aller Fachrichtungen müssen die Frage der zunehmenden Langlebigkeit in Verbindung mit den zu schaffenden Vorraussetzungen für psychisches und physisches Wohlbefinden diskutieren. Zu Beginn der achtziger Jahre wurden die Politik für alte Menschen, die geriatrische Praxis und die Gerontologie als Wissenschaft angeregt und beeinflußt von den Empfehlungen der Weltversammlung der Vereinten Nationen zu Fragen des Alterns 1982 in Wien und dem 'International Plan of Action on Aging' (diese Initiativen sind für die Staaten nicht verbindlich, aber die Sowjetunion hat sich daran auch beteiligt). In Rußland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion leiden heute besonders die älteren Menschen unter den Versäumnissen der sowjetischen Sozialpolitik. Zur Linderung der zunehmenden Altersarmut bemüht sich das russische Sozialministerium um die Errichtung Sozialer Dienste und die Ausbildung von Sozialarbeitern, die bisher aus ideologischen Gründen nicht vorgesehen waren.
'Der vorliegende Bericht untersucht die sechs größten rechtsextremistischen Organisationen der Russischen Förderation: die 'National-patriotische Front 'Pamjat'' ('Gedächtnis') unter Dmitrij Wassiljew, die 'Liberal-demokratische Partei Rußlands' (LDPR) unter Wladimir Schirinowskij, die 'National-republikanische Partei Rußlands' (NRPR) unter Nikolaj Lyssenko, die 'Russische nationale Einheit' (deutsche Abkürzung RNE) unter Alexandr Barkaschow, die 'Russische Nationalversammlung' (deutsche Abkürzung RNV, abweichende russische Abkürzung RNS) unter Alexander Sterligow und die 'Front der nationalen Rettung' (deutsche Abkürzung FNR, abweichende russische Abkürzung FNS) unter Ilja Konstantinow. Zur Definition von Rechtsextremismus wurde die Begriffsbestimmung der Politikwissenschaft herangezogen: Rechtsextremistisch sind Bestrebungen, die gegen die Grundrechte und Verfassungsnormen des parlamentarisch-demokratischen Konfliktaustrags gerichtet sind und die zur Durchsetzung ihrer nationalistischen Positionen bereit sind, Gewalt anzuwenden.' (Autorenreferat)
'Die Geopolitik nimmt einen wichtigen Platz im postkommunistischen politischen Diskurs in Rußland ein. In expliziter oder impliziter Form tauchen geopolitische Überlegungen, Argumente und Motive in den Äußerungen der Politiker sowie in wichtigen Programmdokumenten auf. Außerdem entwickelt sich die Geopolitik auch als wissenschaftliche Strömung oder politikwissenschaftliche Teildisziplin. Gleichzeitig existiert eine weltanschaulich gefärbte Geopolitik, die als pure Ideologie zu betrachten ist. Diese Ideenentwicklungen verdienen sowohl aus politischen als auch aus wissenschaftlichen Gründen eine Analyse.' (Textauszug)
'Der Zerfall der Sowjetunion, der die Mehrheit der Bevölkerung unvorbereitet traf, löste an der Peripherie des ehemaligen Kolonialreichs brutale Kriege und Flüchtlingswellen aus, doch die jetzige demokratische Regierung Rußlands demonstriert die gewohnte Geringschätzung für das Leben des Einzelnen (dies zeigen z. B. die Kriegshandlungen in Tschetschenien). Die Zeitungen sind voll von Nachrichten über Geiselnahmen, Auftragsmorde und endlose Machtkämpfe. Die Gewalt wurde zum derzeit meistdiskutierten Thema in den russischen Massenmedien. Es ist jedoch von grundlegender Bedeutung, den Typ der heutigen Gewalt zu erkennen, der sich gegenüber der siebzigjährigen kommunistischen Herrschaft und sogar gegenüber der zaristischen Selbstherrschaft verändert hat; die heutige Gewalt zeigt sich offen, man kann öffentlich über sie reden, dies gilt nicht nur für die gewöhnliche, kriminelle Gewalt, sondern auch für die staatliche.' (Autorenreferat)
'Die ideologische und moralische Lage in Rußland wird als 'ideologisches und moralisches Vakuum' bezeichnet. Jahrzehntelang herrschte eine offizielle Ideologie, der Marxismus-Leninismus, der genaue moralische Prinzipien festlegte. Das höchste ethische Ideal der Sowjetmenschen war, dem Aufbau und der Vollendung des Kommunismus zu dienen. Das ganze Erziehungssystem vom Kindergarten bis zur Universität sollte den Kommunismus stützen. In kurzer Zeit sind diese Ideologie und die mit ihr verknüpften Werte zugrundegegangen. In der gegenwärtigen russischen Gesellschaft fehlen Ideale und Orientierungspunkte. Die offiziellen Strukturen, die Etikettierung, Theorie und Ideale der Gesellschaft haben sich schnell geändert - viel schneller als ihr Fundament. Das gilt insbesondere für das 'menschliche Material' der Gesellschaft. Die Änderung der Farben der Staatsflagge und des politischen Systems macht noch keinen anderen Menschen. Insbesondere Werte entwickeln sich sehr langsam. Darüber hinaus gab es in der Sowjetunion nie ein sozialistisches oder kommunistisches Paradies, in dem die hohen moralischen Prinzipien des Kommunismus mit der Realität im Einklang standen, sondern die sowjetische Wirklichkeit war sehr widersprüchlich. Das Leben in der widersprüchlichen Wirklichkeit hat die Werte der Sowjetmenschen beeinflußt, und dies beeinflußt auch die heutige moralische Lage Rußlands. Als Quellen dieser Arbeit dienen vornehmlich soziologische Untersuchungen über die gegenwärtigen Werte in Rußland sowie russische Zeitungen und Zeitschriften.' (Autorenreferat)
Die politische und wirtschaftliche Transformation in Richtung parlamentarischer Demokratie und Marktwirtschaft muß in Rußland, wenn sie dauerhaft sein will, auch auf der regionalen Ebene stattfinden. Die Machtaufteilung zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten verstärkt als zusätzliches, vertikales Element der Gewaltenteilung die Machtkontrolle in einer Demokratie. Der Autor untersucht, wie es um den Föderalismus in Rußland bestellt ist und ob die Rußländische Föderation in ihre föderalen Bestandteile zerfallen wird. Fazit: Obwohl die russische Verfassung in Artikel fünf die Gleichberechtigung aller Föderationssubjekte deklariert, sind sie in Wirklichkeit nicht gleichberechtigt, denn in der Rangfolge stehen die Republiken höher als die übrigen Föderationssubjekte. Mittelfristig ist mit einem Ausscheiden Tschetscheniens sowie der von Moskau aus kaum noch zu kontrollierenden kaukasischen Republiken aus der Föderation zu rechnen. Darüber hinaus könnte sich die angespannte sozio-ökonomische Lage, die Finanzkrise und die in den Regionen vorhandenen ökologischen sowie militärischen Gefährdungspotentiale so aktivieren, daß ein Zerfall der Rußländischen Föderation in mehrere Teile nicht mehr völlig auszuschließen ist. Solche Auflösungstendenzen sind nur auffangbar, wenn es Mokau gelingen sollte, die wirtschaftliche und soziale Situation im Land zu verbessern und einen vernünftigen sowie von allen Seiten akzeptierten Föderalismus aufzubauen, wenn nötig auch mit konföderativen Elementen. (prb)
'In ihrer Außenpolitik mißt die russische Führung, den Vereinten Nationen ohne Zweifel große Bedeutung bei. So gehört es inzwischen zum außenpolitischen Argumentationsrepertoire Moskaus, auf seine Stellung als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat, dem eigentlichen Machtzentrum der Weltorganisation, hinzuweisen. Doch welche Positionen nimmt die Russische Föderation als Rechtsnachfolger der Sowjetunion in New York ein? Und welchen Stellenwert weist sie den Vereinten Nationen in der internationalen Politik tatsächlich zu? Welche konzeptionellen und realpolitischen Schwerpunkte kennzeichnen die russische UNO-Politik? Welche UNO-Reformen werden befürwortet? Nicht zuletzt: Gilt es eine Kontinuität in der russischen UNO-Politik, und wie reagierte Moskau auf die jüngsten Militäraktionen, unter Umgehung der Vereinten Nationen? Die vorliegende Studie versucht skizzenhaft Antworten auf diese und eine Reihe anderer Fragen zu geben. Da die UN-Politik Rußlands von der westlichen Forschung nach wie vor stiefmütterlich behandelt wird, liegen nur wenige Untersuchungen zu Einzelfragen vor; eine umfassende Analyse im Zeitverlauf fehlt völlig. Als Material dienten im wesentlichen offizielle UN-Dokumente in englischer Sprache sowie Zeitschriften- und Zeitungsbeiträge; die russischsprachige Sekundärliteratur wurde weitgehend ausgeblendet. Während die russische Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York bei der Recherche wenig Kooperationsbereitschaft zeigte, konnten zumindest in Europa mit russischen UN-Diplomaten Hintergrundgespräche geführt werden.' (Textauszug)
'Der Jugoslawienkonflikt schien alte Interessengegensätze der Großmächte auf dem Balkan wieder zu beleben. Der Streit um das Vorgehen in Jugoslawien drohte sogar, den europäischen Einigungsprozeß wie auch die Ost-West-Annäherung nach der Wende zu stören. So sah es zeitweise aus, als ob jede Kriegspartei unter den europäischen Ländern ihre Schutzmacht habe. Deutschland und die USA schienen auf Kroatien und Bosnien, England und Frankreich und Rußland auf Serbien fixiert zu sein. Diese Fronten wurden durch die gemeinsamen Friedensbemühungen, insbesondere mit dem Abkommen von Dayton, und durch die Einbindung Rußlands in die Befriedungsaktionen überdeckt. Dabei wird Rußlands Jugoslawienpolitik als Indiz für seine Bereitschaft zur Kooperation mit dem Westen angesehen. Nach sechs Jahren der Jugoslawienkrise, die erstmals Aussicht auf eine Lösung hat, kann hier im Hinblick auf die Rolle Rußlands eine Bilanz versucht werden. Es soll untersucht werden, - welche historischen und geistigen Traditionen das russisch-jugoslawische Verhältnis noch heute bestimmen, - welche Rolle Jugoslawien in den strategischen und außenpolitischen Überlegungen einnimmt und ob Rußland direkte regionale Interessen im Balkanraum hat,- inwieweit die russische Jugoslawienpolitk nur als Thema der innenpolitischen Auseinandersetzung zwischen der Moskauer Führung und der rot-braunen Opposition herhalten muß, - und inwieweit das russische Engagement für Jugoslawien nur der außenpolitischen Profilierung als Großmacht dient. Es ist schließlich zu fragen, ob die aus globalen Erwägungen erfolgte Einbindung Rußlands seitens der EU und der USA der Lösung des Jugoslawienkonflikts förderlich oder eher hinderlich war. Welche Rolle spielten die russischen Truppen in den Konfliktgebieten? War und ist ihr Einsatz wirklich Modell einer praktischen Kooperation zwischen der NATO und Rußland oder kann in der Truppenstationierung ein gefährlicher Präzedenzfall gesehen werden? Als besonders bedrohlich wird vielfach die neue 'strategische Partnerschaft' Rußlands mit Serbien gesehen, die einen Keil in die NATO-Osterweiterung treiben könnte. Werden die sich hier abzeichnenden Gefahren überschätzt? Die Untersuchung beruht außer auf der einschlägigen Literatur vor allem auf der Berichterstattung der Presse und auf Agenturmeldungen, insbesondere solchen russischer und serbischer Herkunft.' (Autorenreferat)
'Seit mehr als zehn Jahren bemüht sich die Nato, über praktische Kooperation und vielfältige Kontakte ein 'qualitativ neues' Verhältnis zu Russland herzustellen, das von gegenseitigem Vertrauen und Verständnis geprägt sein soll. Hielt man dies zunächst für ein realistisches Ziel, so herrscht heute in der Allianz Ernüchterung über den Stand der Beziehungen. Der Kreml wiederum hat wenig getan, um dieser Einschätzung entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund untersucht die Studie, warum sich die hochgesteckten Erwartungen an die Nato-Russland-Beziehungen nicht erfüllt haben, wie sie nach den Terrorangriffen auf die USA vom 11. September 2001 und der Neugründung des Nato-Russland-Rats im Mai 2002 gehegt wurden. Sie zieht nach einer sachlichen Gegenüberstellung von Kooperations- und Konfliktfeldern Bilanz. Darüber hinaus beantwortet sie die Frage, welche Bestimmungsfaktoren und Triebkräfte dafür verantwortlich sind, dass in dieser Bilanz die Passiva stärker zu Buche schlagen als die Aktiva. Vieles blieb im Bereich des Symbolischen und ließ sich in der praktischen Politik nicht verwerten. Dem stehen als Aktiva gegenüber, dass Russland trotz aller Probleme nicht zu einem Gegner der Nato geworden ist, dass beide Seiten vielmehr Kooperationsstrukturen entwickelt und konzeptionelle Übereinstimmungen erzielt haben, die ausgebaut werden können. Daraus leitet die Studie Handlungsmöglichkeiten für deutsche und europäische Politik ab. Sie plädiert dafür, das Entwicklungspotential zu nutzen, das sich trotz beiderseitiger Enttäuschungen im Verhältnis der Nato zu Russland angesammelt hat. Deshalb sollte auf martialische Töne aus Moskau gelassen reagiert, der Nato-Russland-Rat verstärkt als Forum für den Meinungsaustausch genutzt und neue Felder der Kooperation sollten erschlossen werden.' (Autorenreferat)
'Angesichts dessen, daß Rußland als erstes Land der GUS zum Jahresanfang 1992 weitgehende Wirtschaftsreformen eingeleitet hat, ist seine seitherige Wirtschaftsentwicklung, die von einem beträchtlichen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gekennzeichnet wird, enttäuschend. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das im Vergleich zu anderen Transformationsländern schlechte Abschneiden Rußlands nicht auf Fehlinformationen durch die amtliche Statistik zurückzuführen ist und ob es überhaupt sinnvoll ist, makroökonomische Daten zu vergleichen, die sich auf Perioden vor und nach einer Wirtschaftstransformation wie in Rußland beziehen. Bevor auf Prognosen für das Wirtschaftswachstum in Rußland eingegangen werden kann, müssen dessen Voraussetzungen näher untersucht werden. Darunter werden hier die Potentiale an Sachkapital und natürlichen Ressourcen sowie das Arbeitskräftepotential verstanden. Ob diese Potentiale genutzt werden können, ist Aufgabe der Wirtschaftspolitik, die wiederum von den herrschenden theoretischen Uberlegungen zum Wirtschaftswachstum geleitet wird. Die für Marktwirtschaften ausgearbeiteten Theorien des Wirtschaftswachstums stellen quantitativ faßbare Vorgänge wie das Investieren in den Vordergrund. Die Existenz von Rahmenbedingungen für marktwirtschaftliches Handeln und damit auch für Wirtschaftswachstum wird dabei bereits vorausgesetzt. Für Transformationsökonomien müssen sie erst geschaffen werden. Weitere, schwer faßbare Faktoren wie Traditionen und kulturelle Einflüsse sind zweifellos von Bedeutung, liegen aber außerhalb des Rahmens der folgenden Betrachtungen.' (Autorenreferat)
'Der Zusammenbruch des Kommunismus und der Zerfall der Sowjetunion hatten Hoffnungen auf eine europäische Staatengemeinschaft geweckt, in der Rußland eine neue Rolle als moderner demokratischer Staat spielen und endlich seine traditionelle Abgeschlossenheit überwinden würde. Den unter Präsident Jelzin in Gang gesetzten Reformen von Staat und Wirtschaft wurde eine Eigendynamik zugetraut, die den Prozeß der Öffnung zum Westen unumkehrbar machen würde. Die Brutalität, mit der die Moskauer Führung die Sezessionsbestrebungen in Tschetschenien unterdrückte und die schockierte Reaktion der Partner im Westen ignorierte, das Ergebnis der Wahlen zur Staatsduma, die ausschließlich auf Machterhalt ausgerichtete Personalpolitik des Präsidenten und der Rückgriff russischer Außenpolitiker auf Kategorien vergangener Großmacht stellen das Vertrauen der Nachbarn in Europa auf eine harte Probe. Zweifel an der Möglichkeit einer neuen europäischen Partnerschaft mit Rußland werden stärker, und die einsetzende Ernüchterung birgt Gefahren der Überinterpretation und Überreaktion in sich. Anzeichen hierfür finden sich in der russischen wie auch in der westlichen Publizistik. Die Aufnahme Rußlands in den Europarat hat hieran nichts geändert; die Probezeit läuft. Die vorliegende Untersuchung einer Gruppe von Wissenschaftlern des BIOst fragt angesichts anhaltender Labilität der inneren Strukturen und der politischen Prozesse in Rußland nach den Ursachen dieser Entwicklungen sowie nach den Spielräumen russischer Politik und den Optionen westlicher Bemühungen, den Weg von mühsamer Kooperation zur Partnerschaft offenzuhalten. Als Quellen dienten vor allem in Rußland veröffentlichte Dokumente und Analysen. Außerdem fanden die Ergebnisse zahlreicher Arbeiten zu Teilaspekten der Problematik aus dem Bundesinstitut Eingang in die Untersuchung.' (Autorenreferat)
'Ist der 1991 entstandene russische Staat eine verkleinerte Sowjetunion bzw. ein stark reduziertes Rußländisches Reich aus der Zeit vor 1917? Oder aber ist dieses Rußland etwas Neues, mit grundsätzlich anderem Selbstverständnis, veränderten Staatszielen, ein Staat, der eine neue Rolle in der internationalen Politik spielt? Im Lande selbst überwiegen das Denken und Fühlen in den Kategorien der Kontinuität. Die internationale Staatengemeinschaft unterstützt dies Selbstverständnis. Der objektive Befund, daß die Rußländische Föderation machtpolitisch, ökonomisch und militärisch keine Supermacht ist, wird gewissermaßen subjektiv aufgefangen durch die Vorstellung, daß dies Land der Bewahrer und Fortsetzer einer tausendjährigen Geschichte seit der Zeit des Kiewer Staates ist. Der Bruch von 1991 wird überspielt. Dieser Bericht untersucht die Probleme der politischen Identität, d.h. das Selbstverständnis von Staat und Nation. Wie sieht sich Rußland im Kontinuum seiner Geschichte und welche Zukunftsperspektiven ergeben sich daraus? Die Untersuchung stellt insbesondere die Frage, ob und in welcher Weise Kontinuität ein Hindernis für den Durchbruch zur Realität ist.' (Autorenreferat)