Sammelwerksbeitrag(gedruckt)2008

Anti-Atomkraftbewegung

In: Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: ein Handbuch, S. 245-266

Abstract

Nach der Welle von Großdemonstrationen in den 1970er und 1980er Jahren war es, so der Verfasser, zunächst ruhig geworden, zumal das Ergebnis der so genannten Konsensgespräche über den Ausstieg aus der Atomenergie abgewartet wurde. In dieser Phase war auch das Netzwerk der Initiativen stark zusammengeschmolzen. Heute bestehen nur noch wenige größere regionale Initiativen sowie überregional wirkende Einrichtungen, z. B. die nur noch selten und in kleinem Rahmen stattfindenden Konferenzen von Anti-Atomgruppen. Die Wiederbelebung der Proteste im Zusammenhang mit den seit 1994 stattfindenden Castor-Transporten hat zwar zu zeitlich und räumlich konzentrierten Massenaktionen und einer Erneuerung des praktischen, sich nicht nur in Kundgebungen manifestierenden Widerstands geführt, aber vermochte nicht, das früher bestehende dichte Netz von Anti-Atomkraftgruppen wiederherzustellen. Die bundesdeutsche Anti-Atomkraftbewegung hat zwar ihr Maximalziel, den (sofortigen) Bau- und Betriebsstopp aller atomaren Anlagen, bis heute nicht erreicht. Sie war jedoch die ausschlaggebende Kraft, um die Atomprogramme der 70er Jahre drastisch zu reduzieren und auf dem Niveau der frühen 80er Jahre einzufrieren. Die Tatsache, dass bis heute nur noch drei zusätzlich georderte Atomkraftwerke gebaut werden konnten und fast ein Dutzend andere Projekte storniert wurde, ist der vielleicht aussagekräftigste Indikator für die präventive Wirkung, welche die bundesdeutsche Anti-Atomkraftbewegung ab Mitte der 70er Jahre entfaltete. Darüber hinaus hat die maßgeblich von der Anti-AKW-Bewegung entwickelte Widerstandskultur lange Zeit weit über die Bauplätze hinaus gestrahlt und das Ringen um Grundrechte, soziale Gerechtigkeit und Demokratie in anderen gesellschaftlichen Bereichen geprägt. Dass es zu solchen Effekten kam, so die These, liegt nicht nur an der quantitativen Stärke der Bewegung, der zunehmenden Konvergenz ihres vormals bürgerlichen und ihres linksradikalen Flügels und der Beharrlichkeit des Protests. Es bestand auch eine Reihe günstiger Kontextbedingungen: insbesondere (1) ein föderatives politisches System und ein relativ offenes Verwaltungsgerichtswesen, die Ansatzpunkte für Interventionen boten, sowie (2) die sich allmählich abzeichnende Spaltung der politischen Eliten in der Frage der Atomenergie. (ICF2)

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