Sammelwerksbeitrag(gedruckt)2012

Gefahren der Demokratisierung in Nachbürgerkriegsgesellschaften

In: Der demokratische Unfrieden: über das spannungsreiche Verhältnis zwischen Demokratie und innerer Gewalt, S. 179-218

Abstract

"Dem Beitrag liegen drei Fallstudien eines HSFK-Projekts zugrunde. Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Nordirland firmieren unter dem Etikett 'ethnisch gespaltene Gesellschaften', wenn auch die dortigen Konfliktparteien den Begriff 'Ethnien' zurückweisen. In den beiden südosteuropäischen Fällen sehen sie sich als Völker; in Nordirland hat sich die Bezeichnung 'Gemeinschaften' etabliert. Ethnisch gespaltene Gesellschaften eignen sich besonders für diese Studie, da sie eine Präsenz sämtlicher Gefahren versprechen. Vor allem die Exklusion, eine der Gefahren, tritt hier mit erhöhter Wahrscheinlichkeit und besonderer Schärfe auf. Die über askriptive Merkmale definierten Gruppengrenzen führen zu einer Konstellation struktureller Mehrheit und Minderheit, in der die einfache Mehrheitsregel der Diktatur einer Konfliktpartei gleichkommen kann (Horowitz 1993: 18f). Zudem muss die Demokratisierung ethnisch gespaltener Gesellschaften als außerordentlich schwierig gelten, da es die Konfliktparteien oft ablehnen, mit dem Gegner im selben Staat zu leben. Die Akzeptanz eines gemeinsamen Staates begreifen Experten aber als notwendige Bedingung für eine gelingende Demokratisierung (Berg-Schlosser 2004: 14; Rustow 1970: 351-353). In Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Nordirland stellt der Streit um die staatliche Zugehörigkeit den zentralen Konfliktgegenstand dar. Aufgrund ihrer Lage in Europa zogen diese Fälle weit mehr Aufmerksamkeit, Ressourcen und Engagement externer Mächte auf sich als andere Nachbürgerkriegsgesellschaften. Die Aussicht auf Beitritt zur Europäischen Union bot in allen Fällen ein Instrument der Stabilisierung, das in den meisten anderen Nachbürgerkriegsgesellschaften nicht bereitsteht. Diese günstigen Umstände machen die ausgewählten Fälle besonders untersuchenswert. Denn kann es gelingen, in ethnisch gespaltenen Nachbürgerkriegsgesellschaften die Gefahren der Demokratisierung zu bannen, dann sollte dies hier geschehen. Entfalten sich selbst in Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Nordirland die destruktiven Potenziale, stehen anderswo die Aussichten auf Frieden durch Demokratisierung noch schlechter. Von den drei betrachteten Fällen sticht Nordirland durch besonders aussichtsreiche Umstände hervor, denn hier gab es die wenigsten Opfer, mit der Einbettung in die stabile Demokratie Großbritanniens die beste Ausgangslage für demokratische Selbstbestimmung sowie die günstigsten wirtschaftlichen Voraussetzungen. In welchem Maße die Demokratisierung destruktive Effekte auf den innerstaatlichen Frieden entfaltet, lässt sich in drei Dimensionen verdeutlichen. Die erste Dimension bezieht sich auf den Konfliktaustrag: Kam es zu einem neuen Krieg? Ist das nicht der Fall, interessiert, wie sehr die politisch motivierte Gewalt zurückgegangen ist. Die zweite Dimension gilt der Relevanz des zentralen Konfliktgegenstands: Dominiert er weiterhin die Politik? Konnten andere Konfliktlinien an Gewicht gewinnen? Die dritte Dimension betrifft die Konfliktparteien. Hier fragt sich, ob die wichtigsten Organisationen innerhalb der einzelnen Konfliktparteien ihr Programm geändert haben und welchen Einfluss sie noch besitzen. Für die Gesamtbewertung spielt es eine Rolle, in welchem Maße einheimische Institutionen und Akteure den erreichten Stand des Friedens tragen. Im Folgenden skizziert der Beitrag potenzielle Gefahren der Demokratisierung, bilanziert das Wirken dieser Friedensstrategie in Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Nordirland und erörtert, was daraus für die Demokratisierungspolitik folgt." (Textauszug)

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