Nimmt man die Jahre des Ersten Weltkriegs (1914-1917/18) als Epochenscheide, dann geht häufig der Blick dafür verloren, daß der Krieg nicht zuletzt eine Phase des beschleunigten sozialen und wirtschaftlichen Wandels war, der sich relativ einheitlich für ganz Europa auf die Jahre 1900 bis 1925 datieren läßt. Großbritannien hat sich trotz seines fortgeschritteneren Entwicklungsstadiums diesem europäischen Gleichschritt nicht entziehen können. Doch zeigen die wenigen komparativen Arbeiten, daß Parallelität nicht Identität bedeutet. (RF)
Der Verfasser unternimmt den Versuch einer Reallohnberechnung für die Jahre 1914 bis 1924 und setzt sich in diesem Zusammenhang kritisch mit der Nivellierungsthese auseinander. Um die Frage zu beantworten, inwieweit das Einkommen auch ein Auskommen ermöglichte, wird eine Aufschlüsselung des Verbrauchs nach Wohlhabenheitsstufen auf der Grundlage der Familieneinkommen einerseits, nach Ortsgrößenklassen und Berufsgruppen andererseits vorgenommen. Der Autor kommt zu dem Schluß, daß von einer nachhaltigen Verbesserung der Einkommensverhältnisse nicht die Rede sein kann. Mit der eskalierenden Ausdehnung des Schwarzmarkts wurde das Auskommen mehr denn je zu einer Frage des Einkommens. Der Verfasser beschreibt das weitgehende Scheitern der Forderungen nach Mindestlöhnen und analysiert die verteilungspolitischen Folgen der Gewährleistung eines minimalen Reproduktionsbedarfs unter den Bedingungen einer "reduzierten Volkswirtschaft". In öffentlichen wie in privaten Haushalten engte die relative Überkonsumtion den Dispositionsspielraum ein. Die Inflationspolitik wurde schließlich zur konsequenten "Katastrophenpolitik" nach innen - gegen die Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften - und nach außen - gegen die Reparationsforderungen der Alliierten. Ungedruckte und gedruckte Quellen sowie Sekundärliteratur wurden herangezogen. (KS)
Durch die Darstellung der Lohnkonflikte in der Ulmer Metallindustrie 1916-1918 wird die Bedeutung der Arbeiterausschüsse als Interessenvertretung der Arbeiter deutlich gemacht. Der Anspruch des DMV, bei der Festsetzung der Löhne und der Bestimmung der Arbeitsbedingungen einbezogen zu werden, war von den Unternehmern noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg erfolgreich abgewiesen worden. Gemessen an dieser Ausgangsposition war die Aufwertung der Arbeiterausschüsse durch das Hilfsdienstgesetz ein erheblicher Fortschritt. Die Position der Arbeiterausschüsse war dennoch prekär, da sie zwischen allen Fronten standen. Aber, einmal in ihrer betrieblichen Position aufgewertet, wurden sie auf Drängen der Belegschaften zu Initiatoren und Organisatoren spontaner Bewegungen, die sich, auch ohne Einflußnahme radikaler Gruppen, häufig genug gegen die Politik der Gewerkschaften richteten. Auf der anderen Seite erwies sich die Verankerung der Arbeiterausschüsse in den Belegschaften als wenig stabil. Die phasenweise Distanz zwischen Basis und Bürokratie war, zumindest legt dies das Ulmer Beispiel nahe, weniger Ausdruck einer längerfristigen politischen Entfremdung, als ein temporär auftretendes Krisenphänomen. (WB)
Anhand zweier Krisenkomplexe des Kalten Krieges - Nahost und Mittelmeerraum 1946/48 und Fernost 1948-53 - wird in dem Beitrag das Verhältnis von Penetration und Engagement, von Eindämmung und Intervention, von Abschreckung und Eskalation innerhalb der amerikanischen nationalen Sicherheitspolitik illustriert. Die Entwicklung der amerikanischen Interessenpolitik im Nahen Osten seit 1941 wird dargestellt. Dabei wird vor allem auf die Bedeutung der Ölindustrie eingegangen. Der Zusammenhang zwischen Nahost-Öl und Kalter Krieg wird untersucht. Die politischen und strategischen überlegungen werden erörtert. Der politische und militärische Zusammenhang zwischen der US-Öl- und Nahostpolitik einerseits, der Serie von Krisen im Nahen Osten und im Mittelmeerraum andererseits wird dann zur Beurteilung der amerikanischen Griechenland-Politik ebenso wie der Auslandshilfepolitik der Nachkriegsjahre herangezogen. Zum Vergleich wird die amerikanische Asienpolitik im Kalten Krieg betrachtet, deren Ziele, Gewichtungen und Verlaufsform zwar anders strukturiert, in Methoden und Instrumentarien aber ähnlich war. Containment und Disengagement als Momente der Außenpolitik werden beschrieben. Abschließend wird gefragt, ob trotz Entspannungspolitik eine zweite Phase des Kalten Kriegs beginnt, die mit Hilfe der ersten analysiert werden kann. (R)
Der Beitrag untersucht aufgrund gedruckter und ungedruckter Quellen soziale und ökonomische Bedingungen von Judentum und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich. Der formalen Emanzipation in den Gesetzen des Norddeutschen Bundes 1869 und des Deutschen Reiches 1871 folgte nicht die reale Emanzipation des Judentums. Die demographische, soziale und berufliche Gliederung der jüdischen Bevölkerungsgruppe hob sich deutlich von der der Gesamtbevölkerung ab. Die jüdische Bevölkerung war demographisch durch Ballung in Großstädten, sozial durch überdurchschnittliche Konzentration im Mittelstand und in der bürgerlichen Oberschicht, wirtschaftlich durch extrem hohen Anteil in bestimmten Branchen gekennzeichnet. Ansatzpunkte antisemitischer Agigation waren die Strukturveränderungen des Industrialisierungsprozesses und die Große Depression sowie der überdurchschnittliche Wohlstand und das Ausbleiben einer Berufsumschichtung bei den Juden. Als Partei blieben die Antisemiten ohne größere Bedeutung, führten aber den Antisemitismus als Mittel der Massenmobilisierung in die Parteien der Rechten ein. Die antisemitische Bewegung war mittelständisch, antimodernistisch, antikapitalistisch, antiliberal und antisozialistisch geprägt und vorwiegend auf protestantische Gebiete beschränkt. Die Juden reagierten auf den wachsenden Antisemitismus mit vollständiger Assimilation, Akkulturation oder Distanzierung durch Emigration, Kulturkritik, Sozialismus und Zionismus. (AM)
Die Untersuchung über Haltung und Verhalten der Arbeiterschaft gegenüber dem Nationalsozialismus wird in drei Hauptaspekte aufgegliedert: (1) die Politik der organisierten Arbeiterbewegung; (2) das Verhältnis der Arbeiterschaft als sozialer Gruppe zum Nationalsozialismus, soweit sich dies vor allem in ihrem Wahlverhalten widerspiegelt; (3) die Mitgliedschaft und Aktivität von Arbeitern in der NSDAP und ihren Unterorganisationen. Es wurde die These aufgestellt, daß die 'Machtergreifung' ohne die weitgehend passive Hinnahme und zugleich auch die aktive Unterstützung durch weite Teile der Arbeiterschaft in dieser fast reibungslosen Form nicht möglich gewesen sei. Die Prämisse, daß die Arbeiterschaft als soziale Gruppe ebenso wie die organisierte Arbeiterbewegung dem Nationalsozialismus so bemerkenswert niedrige Hürden gesetzt hat, bedingte zugleich eine Relativierung von Widerstand, Resistenz und sozialem Protest. Nur unter realistischer Berücksichtigung einer partiellen "positiven Integration" ließ sich erklären, warum das Widerstandspotential der Arbeiterschaft letztlich so gering, das Stabilisierungspotential des NS-Regimes so verheerend erfolgreich war. Dabei wurde auch nach einer möglichen mentalen Nivellierung gefragt - ob es die "Volksgemeinschaft" in der "Volkserfahrung" nicht doch gegeben habe. (HRS)
Die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO) bietet sich als geeignetes Untersuchungsobjekt an, um Tätigkeit, Erfolge und Anhängerschaft des Nationalsozialismus in den Betrieben näher zu durchleuchten. Anhand der publizierten Literatur sowie auf der Grundlage punktuell herangezogener Archivalien werden einige zentrale Aspekte neu diskutiert, wobei häufig genug nur vorläufige Thesen formuliert und Forschungsdefizite aufgewiesen werden können. Thematisiert wurde das Verhältnis des Nationalsozialismus zum Gewerkschaftsgedanken, die in der wissenschaftlichen Literatur schwankende Beurteilung der NSBO als Gewerkschaft oder nationaler Kampfverband, die Zusammensetzung der Mitgliederschaft und die Beurteilung der Politik und Taktik der NSBO in der aktionistischen Phase zwischen 30. Januar und 2. Mai 1933. Abschließende Thesen zum Verhältnis von Arbeiterschaft und Nationalsozialismus 1930/34 wurden unter dem Schlagwort "Repression durch Integration" zusammengefaßt. (HRS)