In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie: ARSP = Archives for philosophy of law and social philosophy = Archives de philosophie du droit et de philosophie sociale = Archivo de filosofía jurídica y social, Band 104, Heft 3, S. 421-432
In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie: ARSP = Archives for philosophy of law and social philosophy = Archives de philosophie du droit et de philosophie sociale = Archivo de filosofía jurídica y social, Band 107, Heft 2, S. 251-269
ZusammenfassungDer Beitrag vermittelt einen Überblick über die Strafvorschriften betreffend die Prostitution. Im Gegensatz zum sog. "Nordischen Modell" werden die Nachfrage und das Umfeld der Prostitution in Deutschland nicht umfassend kriminalisiert. Stattdessen orientiert sich die strafrechtliche Regulierung an der grundsätzlichen Akzeptanz eigenverantwortlich ausgeübter Prostitution. Kurz: Es geht nicht um den Schutz vor Prostitution, sondern um Schutz in der Prostitution. Gleichwohl fehlt immer noch ein systematisch stimmiges Gesamtkonzept. Abschließend wird der Reformbedarf aufgezeigt.
"Bis heute bringt die Rechtssoziologie für die Rechtsdogmatik, also für die Tätigkeit und die Erzeugnisse der methodisch kontrollierten Auslegung des kodifizierten Rechts, wenig Interesse auf. Ihren Gegenstand sieht die Rechtssoziologie in der Erforschung der empirischen sozialen Rechtswirklichkeit. Die gültigen Regeln der Auslegung des geltenden Rechts sind, sofern sie in der Rechtspraxis Beachtung finden, Bestandteil der Konstitution dieser Rechtswirklichkeit. Dem rechtssoziologischen Desinteresse an der Rechtsdogmatik liegt mithin explizit oder implizit die Annahme zu Grunde, dass die Rechtsdogmatik keinen beachtenswerten Beitrag dieser Art zur Konstitution der Rechtswirklichkeit leistet. Der vorliegende Beitrag untersucht einige Entwicklungslinien der Rechtssoziologie, die dieser Annahme Vorschub geleistet haben. In der Auseinandersetzung mit ihnen wird argumentiert, dass Anlass zu einer veränderten Bewertung der soziologischen Relevanz der dogmatischen Jurisprudenz besteht." (Autorenreferat)
Der Text erläutert die aus der Sicht des Autors negative Entwicklung verlässlicher Rechtsdogmatik durch schwankendes Richterrecht. In das Thema einführend wird zunächst im ersten Kapitel eine Begriffsbestimmung des Schlüsselbegriffes formuliert. Demnach ist Rechtsdogmatik der Versuch, das jeweils geltende Recht widerspruchsfrei und mit rationaler Überzeugungskraft als ein einheitliches Wertungssystem zu erklären. Ihre wichtigste Leistung ist die Erfassung, Ordnung und Systematisierung des gesamten geltenden Rechts in Grundsätzen, die als "gültige" Aussagen Beachtung verlangen und von den zur Rechtsanwendung wie zur Normsetzung berufenen Instanzen nicht beliebig negiert werden dürfen. Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht sodann die Frage, wie Rechtsdogmatik mittels der Gesetze durch die Gerichte entsteht. Anschließend folgt im dritten Kapitel die Beschreibung des Wandels der Dogmatik in der Wende vom Gesetzesstaat zum Richterstaat. Das dritte Kapitel geht der Frage nach, was die Rechtsdogmatik für die juristische Praxis leistet. Hierzu zählen (1) Ordnungs- und Systematisierungsfunktion, (2) Stabilisierungsfunktion, (3) Entlastungsfunktion, (4) Negationsverbot sowie (5) Kritik- und Fortbildungsfunktion. Vor diesem Hintergrund wird im vierten Kapitel schließlich die Rechtsdogmatik mit der Rechtspolitik verknüpft. Unter Rechtspolitik versteht man die Gestaltung gesellschaftlichen und politischen Lebens durch staatlich gesetzte und durchgesetzte Normen. Die Steuerungs- und Gestaltungsfunktion des Rechts wird heute in der Rechtstheorie als die wichtigste Aufgabe des Rechts und jeder einzelnen Rechtsnorm allgemein anerkannt. Abschließend erörtert der Autor im fünften Kapitel, inwieweit nach seiner Ansicht eine Erosion der Dogmatik durch das Richterrecht zu beobachten ist.
'Vielfach wird angenommen, dass Strafdrohungen potentielle Täter von der Tatbegehung abschrecken. Die Richtigkeit dieser Theorie wird jedoch bezweifelt. Zahlreiche empirische Untersuchungen haben unterschiedliche Ergebnisse erzielt. In dem vorliegenden Artikel wird eine Metaanalyse beschrieben, die versucht, die Gründe für die unterschiedlichen Befunde zu ermitteln. Erste Auswertungen deuten darauf hin, dass die Untersuchungsmethoden die Ergebnisse beeinflussen und eine mögliche Abschreckungswirkung des Strafrechts nur mit einem differenzierten Modell angemessen erfasst werden kann.' (Autorenreferat)
Akten, in Serien überliefertes Schriftgut der neueren Geschichte, gelten der Geschichtswissenschaft traditionell als solideste, häufig einzige Datenbasis, um die Genese bürokratisierter Machtausübung zu erhellen. Für strafrechtsgeschichtliche Längsschnitte, für Untersuchungen von Definitionsprozessen, von Kontinuitäten und Brüchen im Zuge der Konstitution von Norm bzw. Abweichung, ist die Aktenanalyse folglich zentral. Darüber hinaus sind Akten geeignete Quellen, ist ihre kontext- und inhaltsanalytische Sichtung ein gangbarer Weg, um den monolithisch erscheinenden Komplex justitieller Definitionsmacht in seiner interaktiven Vielschichtigkeit oder Kontingenz zu erfassen: Querschnittsanalysen von Aktenbeständen aller an der Definition eines Normbruchs beteiligten Instanzen belegen zum einen höchst unterschiedliche, zuweilen konkurrierende Motive und Ziele der legislativ, jurisdiktionell und polizeilich-administrativ Definierenden. Zum anderen können Strafrechtsakten nach Prüfung ihrer rhetorischen Absichten als Ego-Dokumente re-interpretiert werden. Nicht nur in Zitaten und Paraphrasen von Selbstzeugnissen der Inkriminierten, auch durch die Rekonstruktion eines Tathergangs geben sie Aufschluss über die – ebenfalls definitionsmächtige – lebensweltliche Aneignung strafrechtlicher Normen. Am Beispiel legislativer, gerichtlicher und polizeilicher Akten zur männlichen Homosexualität im Paris des 18. Jahrhunderts erläutert der Beitrag diese drei Interpretationsmöglichkeiten strafrechtlichen Aktenmaterials.
"Intergenerationelle Gerechtigkeit verlangt nicht nur bestmögliche Politik und Praxis, sondern auch die Vorbeugung und Unterbindung schädlicher und moralisch verwerflicher menschlicher Verhaltensweisen, welche schwerwiegende Auswirkungen auf die langfristige Gesundheit, die Sicherheit und die Überlebensgrundlagen von Gruppen von Individuen haben. Während viele internationale Straftaten indirekte Folgen für das Wohlergehen gegenwärtiger und zukünftiger Generationen haben, kann man nicht sagen, dass das derzeit bestehende Strafrecht geeignet ist, intergenerationelle Rechte direkt und eindeutig zu schützen. Die Entwicklung eines neuen Typs von internationalen Straftaten, des Verbrechens gegenüber künftigen Generationen, könnte ein vielversprechender Weg sein, intergenerationelle Gerechtigkeit herzustellen. Mit solch einem Verbrechen wären Handlungen oder Verhaltensweisen strafbar, durch die bestehendes internationales Recht in Bezug auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie in Bezug auf die Umwelt ernsthaft verletzt wird." (Autorenreferat)
Der Schutz der Bürger vor Straftaten gehört zu den zentralen Aufgaben des Staates und die präventiven Botschaften müssen, um ihre Wirkungen zu entfalten, bei den Normadressaten ankommen. Doch die betreffenden Bürger lesen weder die Gesetzestexte noch besuchen sie in größerem Umfang die Gerichtsverhandlungen. Es kommt daher entscheidend auf die Vermittlung durch die Massenmedien an, obwohl die Medien weder ein Sprachrohr des Gesetzgebers noch ein verlängerter Arm der Justiz sind. Sie begreifen sich als durchaus selbstständige Einrichtungen, die durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt werden. Bis heute ist ungeklärt, ob und inwieweit die staatlicherseits mit den Strafgesetzen und der Judikatur beabsichtigten Effekte bei der Bevölkerung tatsächlich hervorgerufen werden. Der Autor diskutiert vor diesem Hintergrund die Frage, welche Kongruenz von medialen Tätigkeiten und präventiven Erfordernissen besteht und welche Rolle die Medien in einem kriminologischen Umfeld haben. Seine weiteren kritischen Ausführungen beziehen sich auf die thematischen Einengungen der Medien durch vorgegebene Arbeitsbedingungen und Arbeitsmethoden und auf die Perspektiven einer 'Medienkriminologie'. (ICI2)
'Durch strafrechtliche Sanktionen soll Rückfallverhütung betrieben werden. Ob und in welchem Maße dieses Ziel erreicht wird, war bis vor wenigen Jahren für das deutsche Strafrecht noch weitgehend unbekannt. Durch die Rückfallstatistik wurde erstmals für alle Sanktionen das Maß der Legalbewährung ermittelt. Danach sind - in der Tendenz - die Rückfallraten umso höher, je schwerer die verhängten Sanktionen sind. Da Art bzw. Höhe der Sanktion auch durch das Rückfallrisiko bestimmt werden, ist die Höhe der Rückfallrate kein Beleg für eine kausale Wirkung der Sanktion. Hierzu bedarf es eines Forschungsansatzes, bei dem vergleichbare Tat- und Tätergruppen miteinander verglichen werden, die sich - im Idealfall - nur durch die Art der Sanktion unterscheiden. Durch entsprechende Wirkungsuntersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Annahme, durch härtere Sanktionen die Rückfallraten stärker zu senken als durch Diversion, empirisch nicht bestätigt werden konnte. Diese Ergebnisse sind folgenreich. Denn die eingriffsintensiveren Maßnahmen bedürfen der Begründung ihrer präventiven Effizienz, nicht umgekehrt. Wo - und das ist die Forschungslage - die bessere Wirksamkeit der härteren Sanktion nicht belegbar ist, ist - sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls dagegen sprechen - die mildere Sanktion der jeweils härteren vorzuziehen.' (Autorenreferat)
Abstract: Over two parts, this article explores the wider significance of the peacemaking process on the evolution of international criminal law and international criminal justice. First, it shows that the Paris experience has brought to light two problems which continue to haunt us at the present time: political resistance to the individualisation of responsibility after a conflict between collective entities, and the question of group-based selectivity of criminal proceedings. Secondly, the article explains why the peacemaking process after the Great War constitutes the prologue to, rather than the birth of, international criminal law stricto sensu – this body of international legal rules being understood as providing, on behalf of the international community as a whole, for criminal sanctions in cases of violations of a limited number of fundamental international legal rules of conduct.
In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie: ARSP = Archives for philosophy of law and social philosophy = Archives de philosophie du droit et de philosophie sociale = Archivo de filosofía jurídica y social, Band 95, Heft 1, S. 79-101