Was ist religiöser Fundamentalismus?
In: Religiöser Fundamentalismus: vom Kolonialismus zur Globalisierung, S. 13-32
Der Beitrag versucht eine wissenschaftliche Definition des sehr vielfältig gebrauchten Fundamentalismus-Begriffs. Der Autor beschreibt die historische Entwicklung ausgehend vom frühen 20. Jahrhundert, als in den Vereinigten Staaten mit Fundamentalismus eine Allianz orthodoxer protestantischer Gruppe bezeichnet wurde bis zur Ausweitung und politischen Instrumentalisierung des Begriffs in den 80er Jahren. Dabei handelt es sich nicht um eine antimoderne oder schlichte traditionelle Strömung, sondern um eine bewusste Erneuerung der Tradition. Fundamentalismus beinhalt somit sowohl traditionelle als auch moderne Aspekte. Ideologisch bedeutet Fundamentalismus eine Reinterpretation der Tradition, wobei diese häufig radikalisiert wird. Die Ideologie enthält in der Regel mindestens drei Aspekte: Gesellschaftskritik, Entwurf einer idealen Sozialordnung und eine heilsgeschichtliche Deutung der Gegenwart. Der Fundamentalismus unterscheidet sich nicht nur vom Traditionalismus, sondern auch von religiösen Emanzipationsbewegungen, mit denen er aber das Krisenbewusstsein gemeinsam hat. Der Unterschied ist insbesondere im gesetzesethischen Rigorismus des Fundamentalismus begründet. Schließlich ist der Fundamentalismus noch von religiös-nationalistischen Bewegungen zu unterscheiden, obgleich die Übergänge fließend sind. Im Gegensatz zur häufig vertretenen Ansicht, dass der Fundamentalismus eine Reaktion auf die politische, soziale und ökonomische Lage ist, die nur zufällig eine religiöse Ausprägung angenommen hat, vertritt der Autor die Auffassung, dass Fundamentalismus ein genuin religiöses Phänomen ist. Er beschreibt wie religiöser Fundamentalismus die Gemeinschaftsbildung prägt sowie das Weltbild, das durch Manichäismus und Patriarchalismus geprägt ist. Dennoch kann sich Fundamentalismus in einer Vielfalt von Formen organisieren und hat nicht nur politische, militante und terroristische Ausprägungen. So kann Fundamentalismus nicht über die Organisationsform definiert werden, sondern nur über die Ideologie, wie es auch bei anderen Bewegungen, z.B. Faschismus, Kommunismus, Anarchismus üblich ist. Abschließend nimmt der Autor zu Huntingtons These vom Kampf der Kulturen Stellung. (FR)