Zivilgesellschaft ist eine gesellschaftliche Sphäre jenseits des Staates, jedoch nicht des Politischen. Deren Akteure befinden sich in einem intermediären Raum der Öffentlichkeit zwischen Staat, Wirtschaft und Privatsphäre. Der Beitrag skizziert ideengeschichtliche Hintergründe und die aktuelle gesellschaftspolitische Konjunktur des Begriffs.
Der Verfasser verweist eingangs auf die Relevanz des zivilgesellschaftlichen Diskurses, macht auf die theoretische Tradition dieser Debatte aufmerksam und arbeitet wünschenswerte Funktionen einer entfalteten Zivilgesellschaft heraus (Schutz vor staatlichen Übergriffen, Kontrolle staatlicher Macht, demokratische Sozialisation, Artikulation von Interessen jenseits von Staat und Markt, Zivilisierung des Zusammenlebens). Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach Umfang und Vitalität der Zivilgesellschaft in den Entwicklungsländern gestellt Hier zeigt sich, dass ein demokratisierender und wirtschaftlich positiver Effekt von Zivilgesellschaft nicht a priori gegeben ist. Zivilgesellschaft bedarf der Vitalität anderer Agenten des Wandels. In wie weit diese gegeben ist und Zivilgesellschaft die ihr zugeschriebenen Leistungen erfüllt, ist nur empirisch zu klären. (ICE)
Der Verfasser setzt sich kritisch mit dem Gebrauch des Begriffs Zivilgesellschaft im aktuellen politischen und wissenschaftlichen Diskurs auseinander, wobei die politischen Verhältnisse in Lateinamerika die Folie dieser Auseinandersetzung bieten. Er kritisiert vor allem die Verwendung des Begriffs im Dienste der herrschenden Ideologie, wobei er drei zentrale Einwände nennt: (1) Zivilgesellschaft als staatsfeindliche Variante neoliberaler Privatisierungspolitik; (2) Verschleierung sozialer Differenzierungen und Interessen; (3) Verwischung der Unterschiede zwischen nichtstaatlichen Organisationen, die verschiedene Klasseninteressen repräsentieren. Insgesamt plädiert der Verfasser für einen Abschied vom Begriff "Zivilgesellschaft" als einem sozialwissenschaftlichen Konzept. (ICE)
Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit gehören zusammen und müssen im Zuge der Globalisierung aus ihrem nationalen Rahmen genommen werden. Die wissenschaftlichen Debatten thematisierten zum einen den Zustand von Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit, zum anderen deren normative Einordnung. Neben einer Begriffsgeschichte von Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit diskutiert der Autor für die auf den Einzelstaat bezogene Debatte einige für die Normativitätsdebatte wesentliche Positionen. Im einzelnen sind dies 'Strukturwandel und Öffentlichkeit' von Jürgen Habermas, dessen deliberatives Demokratiemodell sowie liberale Demokratiemodelle und Positionen zu Entstehung, Reproduktion und Reichweite von Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit. Im letzten Abschnitt erläutert der Verfasser die Debatten über Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit unter den veränderten Bedingungen der 'postnationalen Konstellation'. Diese betreffen den neuen Regulierungsbedarf internationaler Problemlagen, die Legitimität zivilgesellschaftlicher Intervention auf internationaler Ebene sowie die Folgen der Internationalisierung der Kommunikationsnetze für Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit. (ICC)
In einem bereichslogischen Verständnis lässt sich der Raum der Zivilgesellschaft oder Bürgergesellschaft idealtypisch abgrenzen von den Sphären des Staates, des Marktes und der Privatsphäre. Unter Zivil- oder Bürgergesellschaft wird unter Aufnahme unterschiedlicher Traditionslinien der Begriffsgeschichte die Gesamtheit der öffentlichen Assoziationen, Vereinigungen, Bewegungen und Verbände verstanden, in denen sich Bürger auf freiwilliger Basis versammeln und auch Einfluss auf politische Meinungsbildung nehmen. Der Artikel geht auf das definitorische Verständnis von Zivilgesellschaft/ Bürgergesellschaft ein, betrachtet die Ideengeschichte sowie den neueren Diskurs der Zivilgesellschaft und fragt nach der Aktualität der Zivilgesellschaftsdebatte. Hier werden die Zivilgesellschaftsdiskurse im Rahmen von Demokratietheorie und Sozialkapital skizziert und der Bezug zur aktuellen politischen Diskussion hergestellt. (ICB2)
Die hohe Zahl und Bedeutung nichtstaatlicher Organisationen in Palästina findet ihre Erklärung in der israelischen Besatzung. Ein Blick auf Palästina unter dem Aspekt der Zivilgesellschaft liegt nahe. Der palästinensischen Zivilgesellschaft ist oft eine Schlüsselrolle in einem demokratischen Staatsbildungsprozess zugewiesen worden. Die Palästinensische Autonomiebehörde hat in den 1990er Jahren jedoch eher autoritäre Strukturen ausgebildet. Der Verfasser berichtet über ein österreichisches Entwicklungsprojekt, bei dem die Idee Pate stand, etablierte zivilgesellschaftliche und im Entstehen begriffene staatliche Strukturen zusammenzuführen und so synergetische Effekte nachhaltiger Entwicklung zu initiieren (Management of Agricultural Land and Water Resources). Das Beispiel macht deutlich, dass der Effekt zivilgesellschaftlicher Strukturen auf den Staatsbildungsprozess geringer war als vielfach erwartet. Gründe hierfür sind die fortgesetzte Besatzung, das autoritäre System der Autonomiebehörde und die personalistische Struktur vieler nichtstaatlicher Organisationen. (ICE2)
In: Philanthropie und Zivilgesellschaft: Ringvorlesung des Maecenata-Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, S. 41-53
Der Verfasser zeigt, dass der Begriff der Zivilgesellschaft heute für die wachsende Einsicht in die Grenzen staatlichen Handelns steht. Überall dort, wo die durch den Staat erbrachten Leistungen auf Dauer zu teuer und schließlich unbezahlbar zu werden drohen, werden neben Marktmodellen auch Modelle der Zivilgesellschaft ins Spiel gebracht. Die Zivilgesellschaft stellt gleichsam eine spezifische Form des Zusammenlebens dar, in der die Bürger als die Träger der sozio-politischen Ordnung auftreten. Dabei wird die Frage nach dem Grad des bürgerschaftlichen Engagements thematisiert. Konzepte von freiwilliger Selbstverpflichtung sind heute in der moralphilosophischen wie politiktheoretischen Debatte überzeugender als Modelle, die ausschließlich auf Freiwilligkeit oder Verpflichtung setzen. (ICG2)
"'Zivilgesellschaft' als Begriff und Konzept kann auf eine lange Tradition zurückblicken. In der klassischen Antike war 'societas civilis' Synonym für die ideale Lebensweise von freien Bürgern. Alexis de Tocqueville, ein französischer Adeliger, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Vereinigten Staaten bereiste, war fasziniert von der Dynamik der amerikanischen Zivilgesellschaft mit ihrer Vielfalt von freiwilligen Vereinigungen (Assoziationen, Vereine) und ihrer Bedeutung für friedliches Zusammenleben, Problembewältigung, Demokratie und Selbstorganisation. Tocquevilles Beschreibung der damaligen Gesellschaft in den USA bietet die Blaupause für das Konzept einer 'Zivilgesellschaft', in der die gesellschaftliche Selbstorganisation auf dem Engagement von Bürgern und Bürgerinnen beruht, das sich weder an den Kalkülen des Marktes orientiert, noch sich den Hoheitsansprüchen des Staates widerspruchslos beugt. Seitdem wird eine enge Verbindung zwischen der Fähigkeit einer Gesellschaft zur Selbstorganisation und der Robustheit ihrer demokratischen Verfasstheit gesehen." (Textauszug)
Angesichts der Rehabilitierung der Familie in Empirie und Theorie wird in dem Beitrag die Frage aufgegriffen, inwieweit sich eine demokratische Gesellschaft für eine bestimmte Vision der Familie einsetzen sollte. Dabei geht es auch um deren Wertschätzung für das dauerhafte Zusammenleben eines Paares mit seinen Kindern. Um den geschichtlichen Hintergrund der Fragestellung zu skizzieren, werden Ideen zu Familie, Frau und Kind bei Plato, J. Locke, A. Tocqueville und Ch. Taylor vorgetragen. Schließlich wird auf die (sozial-)liberale Konzeption von Zivilgesellschaft eingegangen, in der Markt, Staat und Familie resp. Freiheit, Gleichheit und Solidarität einer je spezifischen Logik folgen und die Bildung "gemeinnütziger" Vereine aller Art ermöglichen. Es wird die Ansicht vertreten, daß Alternativen familiärer Lebensformen nur von einem sicheren Ort aus entwickelt werden können, so daß diese nicht den Prinzipien eines demokratischen Gemeinwesens folgen sollten. Nach einem Plädoyer gegen eine Remoralisierung per Zwang wird gefragt, wie angesichts der einseitigen Bevorzugung einer Lebensform ein wirksamer Minderheitenschutz erfolgen kann. (ICA)
Der Beitrag greift Sztompkas vier Voraussetzungen für Bürgergesellschaften auf (Unternehmenskultur, Bürgerkultur, Diskurskultur, Alltagskultur) und analysiert ausgewählte Politikfelder, anhand derer überprüft wird, ob sich eine zivilgesellschaftlich politische Kultur in der VR China herauszubilden beginnt. Behandelt werden (1) die Trennung von Staat und Gesellschaft durch Reformprozesse (Differenzierung der Gesellschaft, wachsende soziale und regionale Disparitäten, Entwicklung der KPCh zur Volkspartei), (2) die Entstehung neuer Interessengruppen und -organisationen (Vereinigungen und Verbände, nichtstaatliche Organisationen, (3) die Formierung von Expertengruppen und Think Tanks, (4) Selbstverwaltung und Bürgerrechte auf Basisebene und (5) die Rolle des Internet. Diese fünf gesellschaftlichen Sphären und Formen der Bürgerbeteiligung ergeben ein komplexes Bild einer sowohl ländlichen wie urbanen Gesellschaft. Die Übertragung des Begriffs Zivilgesellschaft auf das gegenwärtige China ist zweifelhaft. Voraussetzungen für eine "freie Öffentlichkeit" fehlen. Auch die von Sztompka genannten Voraussetzungen für Zivilgesellschaft in postsozialistischen Staaten existieren erst in Ansätzen. (ICE)
In: Die neuen deutsch-amerikanischen Beziehungen: nationale Befindlichkeiten zwischen supranationalen Visionen und internationalen Realitäten, S. 229-242
"Jürgen Rüland bilanziert den gegenwärtigen Stand zivilgesellschaftlicher Entwicklungen auf den Philippinen, in Thailand und in Indonesien. Dabei vertritt der Autor die These, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten trotz teilweise widriger Ausgangsbedingungen vor allem in diesen neuen Demokratien Südostasiens zivilgesellschaftliche Strukturen entstanden sind, in denen sich Werte einer demokratischen Bürgerkultur zu habitualisieren beginnen. Gleichzeitig aber sind noch immer undemokratische Schatten innerhalb der Zivilgesellschaft erkennbar, dort nämlich, wo sich Vereinigungen zwar ein zivilgesellschaftliches Antlitz geben, in Wirklichkeit aber Ziele verfolgen, die unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten als hochproblematisch gelten müssen." (Autorenreferat)