Sammelrezension zu: 1. Gregor Matjan: Auseinandersetzung mit der Vielfalt. Politische Kultur und Lebensstile in pluralistischen Gesellschaften. Frankfurt/M.: Campus. 1998. 390 S. Preis: 78 DM. ; 2. Karin Priester: Rassismus und kulturelle Differenz, Münster: Lit. 1997. 204 S. 34,80 DM. ; 3. Ingrid Gogolin/Marianne Krüger-Potratz/Meinert A. Meyer (Hrsg.): Pluralität und Bildung. Opladen: Leske + Budrich, 1998. 276 S. Preis: 33 DM. (DIPF/Orig.)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 797-812
Die Erweiterung der Staatsbürgerschaft um eine kulturelle Dimension ist insofern paradox, als sie auf eine Re-Partikularisierung eines inhärent universalistischen Konzepts hinausläuft. In der Theorie lassen sich zwei Varianten der multikulturellen Staatsbürgerschaft unterscheiden: eine radikale Variante, die die universalistischen Bürgerrechte substituieren will, und eine liberale Variante, der es um eine Ergänzung dieser Rechte geht. In der Praxis gibt es eine multikulturelle Staatsbürgerschaft in dem Sinne, dass sich die gesamte Bürgerschaft eines Staates als multikulturell begreift, nur in Kanada und Australien. In Europa ist der Multikulturalismus enger an die Minderheitenrechtsagenda gekoppelt. Insbesondere die britischen und niederländischen Vorzeigemodelle eines europäischen Multikulturalismus sind gegenwärtig auf dem Rückzug. Besonders im Umgang mit islamischen Minderheiten gewinnt die klassische liberale Haltung der staatlichen Neutralität - wie im Kopftuchstreit - und der Privatisierung von kultureller Differenz erneut an Bedeutung, und sie wird vom liberalen Staat seit der sich weltweit vollziehenden Politisierung des Islam auch aggressiver gegen die multikulturelle Alternative vorgebracht. (ICE2)
"Der Begriff Rassismus scheint heute zu einem Passepartout geworden zu sein, unter dem scheinbar jede Benachteiligung des 'anderen' subsumiert werden kann, Anti-Rassismus gleichzeitig aber zu einer moralischen Kategorie, die in der Ausweitung des Begriffs ihren Gegner dann sowohl in Vorurteilen und schlechten Denkgewohnheiten, in Kapitalismus, Nationalismus und schließlich der gesamten Moderne sucht." Die Autorin unterscheidet zunächst Formen des Rassismus (Staatsrassismus, feudaler Klassenrassismus, Antisemitismus und Sklaverei/Kolonialismus) und interpretiert mit diesen Formen sodann den nationalsozialistischen Rassismus. Hieran anschließend werden drei Diskursformen der sozialen Positionszuweisung näher unterschieden und auf die Faschismusdiskussion bezogen: der egalitäre Diskurs, der meritokratische Diskurs und der nativistische Diskurs. Auch wenn der "moderne" Rassismus nicht nur biologisch argumentiert, so die Autorin zusammenfassend, beinhaltet er dennoch eine implizite biologistische Argumentation: denn wären die anderen nur anders, nicht aber minderwertig, so könnte kulturelle Mischung nicht als Überfremdung durch Schlechteres, Ablehnenswertes und als Bedrohung des Eigenen erscheinen. (ICD)
In: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik: ZAR ; Staatsangehörigkeit, Zuwanderung, Asyl und Flüchtlinge, Kultur, Einreise und Aufenthalt, Integration, Arbeit und Soziales, Europa, Band 16, Heft 4, S. 151-158
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 3225-3234
"Eine in der Organisationssoziologie prominent gewordene Sichtweise auf Organisationen ist mit dem Begriff 'Organisationskultur' verbunden. Was man als 'verschieden' beobachten kann, lässt sich in dieser Perspektive als Reproduktion kultureller Unterscheidungen beschreiben - als Mechanismus der Ausdifferenzierung von Organisationen. Von anhaltendem Interesse ist dabei die Frage, auf welche Weise sich das, was hier mit 'Kultur' umschrieben wird, in eine Theorie der Organisation einarbeiten lässt. Der Vorschlag der Verfasserin besteht darin, den Zugriff über kulturelle kognitive Schemata zu wählen. Man landet dann bei einer wissenssoziologischen Neubeschreibung der Organisation, die auf die unentscheidbaren Voraussetzungen des Entscheidens rekurriert." (Autorenreferat)
Der Verfasser geht zunächst auf die Freiheitsbegriffe in der anglo-amerikanischen Tradition ein, um diese dann in Beziehung zu den Rechten indigener Völker zu setzen. Er unterscheidet zwei Freiheitsbegriffe, einen in der Tradition John Lockes und einen in der Tradition John Stuart Mills. Am Beispiel der amerikanischen "Indianer" werden Kohärenz und moralische Nachhaltigkeit beider liberaler Freiheitsbegriffe kritisch überprüft. Es zeigt sich, dass liberale Freiheitsbegriffe nicht ausreichen, um die Erfahrung von Freiheit oder Unfreiheit unter den einheimischen Völkern zum Ausdruck zu bringen. Freiheit muss vielmehr um folgende Dimensionen erweitert werden: kollektive Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Erhaltung eigener Narrative, Multikulturalismus sowie Anerkennung kultureller Rechte. (ICE2)
Die Frage nach der Notwendigkeit kulturspezifischer Kategorien und Konzepte hat in der Vergleichenden Politikwissenschaft in den letzten 50 Jahren zu folgenden Problemstellungen geführt, die im vorliegenden Beitrag näher diskutiert werden: (1) Können vergleichende Ansätze in der Formulierung ihrer Vergleichskonzepte den subjektiven Einfluss ihrer eigenen theoretischen Grundannahmen (Prämissen, Axiome) vermeiden bzw. einschränken, da die Anfangssätze jeder Untersuchung nur von jenem ausgehen können, was dem Betrachter als bekannt gilt? (2) Wie können Forschungskonzepte formuliert werden, welche weit und offen genug sind, um die kulturellen Unterschiede zu vergleichender Untersuchungsgegenstände, z.B. Parteiensysteme, Wahlsysteme und Wahlverhalten, Institutionen etc., angemessen zu erfassen? (3) Welche Begriffe von Kultur werden in vergleichenden Ansätzen verwendet? Ist ein individualisierter Kulturbegriff, wie z.B. in der "political culture"-Forschung ausreichend? Oder erscheint ein politischer Kulturbegriff vielversprechender, der Kultur als gesamtgesellschaftlich konstituierten Lebenszusammenhang begreift? Ist die Kultur im Kontext eines politischen Systems so vielfältig, dass sie nur individuell und/ oder gruppenspezifisch untersucht werden kann? (ICI2)
Die Tatsache, dass der nationale Einheitsdiskurs auf der Verleugnung bzw. Reinterpretation der gesellschaftlichen Unterschiede beruht, macht seine Möglichkeit von Bedingungen abhängig, die zugleich (im Sinne Derridas) Bedingungen seiner Unmöglichkeit sind, die also verhindern, dass sich die anvisierte Einheit einstellt. Einen postkolonialen Erklärungsversuch dieses notwendigen Scheiterns des nationalen Diskurses hat Homi Bhabha in seinem Aufsatz "DissemiNation: Time, Narrative and the Margins of the Modern Nation" entwickelt. Nach Bhabhas These scheitert der Versuch, eine nationale Einheit zu konstruieren, an zwei sich widersprechenden Arten der diskursiven Repräsentation des Nationalen, welche er aber dennoch benutzen muss. Bhabha nennt diese hinsichtlich der Darstellungsformen "pädagogisch" und "performativ", wobei jede eine besondere Zeitkonzeption beinhaltet, die miteinander unvereinbar sind. Durch diese beiden Momente des Pädagogischen und Performativen ist die diskursive Konstruktion nationaler Identität gespalten. Bhabha ist es nach Einschätzung des Autors gelungen, aus einer (post-) kolonialen Analyse heraus Begriffe zu formulieren, die auch für die Kulturtheorie relevant sind, da sie eine Kritik totalisierender Darstellungsformen des Fremden und des Eigenen erlauben. Die Nützlichkeit des Begriffs des "dritten" oder "liminalen" Raums für die Kulturtheorie liegt gerade darin, dass sich mit seiner Hilfe jede Form des reaktionären, konservativen oder progressiven Einspruchs verstehen lässt. (ICI2)