"Die Sozialstaatsorientierung wurde in den 50er- und 60er-Jahren zu einem wichtigen Bestandteil des Grundkonsenses der Bundesrepublik, beruhte jedoch auf dem Vertrauen auf ein stetiges Wirtschaftswachstum. Gegenwärtig ist dieser Sozialstaatskonsens brüchig geworden. Beschäftigungsprobleme und steigende Leistungsausgaben zeigen, dass die Rücklagen aufgebraucht sind. Der Reformbedarf ergibt sich auch aus den Veränderungen im Erwerbssystem selbst. Die Einbeziehung aller Formen von Erwerbstätigkeit in die Sozialversicherungspflicht wird - so Diether Döring - zu einer Überlebensfrage des Sozialsystems werden. Nicht zuletzt demographische Veränderungen und die damit verbundene Finanzierung des Generationenvertrags werden zu Einschränkungen auf der Leistungsseite führen. Will der Sozialstaat leistungsstark bleiben, sind Anstrengungen zu einer Verbesserung der Beschäftigungslage unabdingbar. Und dies wiederum verlangt von politischen Entscheidungsträgern langfristige Leitvorstellungen und einen Reformkonsens." (Autorenreferat)
"Der Befund ausgeprägter Strukturkonstanz schien lange Zeit gleichbedeutend mit der Diagnose von Reformblockaden, die die bundesdeutsche Gesundheitspolitik bis in die jüngste Vergangenheit hinein prägten." Aus diesem Grund liegt es nahe, eine Verbindung zwischen Strukturkontinuität und Reformresistenz beziehungsweise politischem Steuerungsversagen zu sehen, insofern die "Binnenstruktur" des bundesdeutschen Gesundheitssektors als ausgesprochener Blockadefaktor zu wirken schien, "also (staatliche) Akteure mit ihrer Absicht der Reform offensichtlicher Strukturdefizite regelmäßig an der besonderen politischen Sperrigkeit eben dieser Strukturen aufliefen." In der von den Autoren vorgenommenen akteurorientierten Fortführung dieser Argumentation rückt die Reaktion staatlicher wie gesellschaftlicher Akteure auf die Widerstände des Sektors gegenüber Versuchen grundlegender Reformen in den Blick. Als staatliche Reaktionsform fällt dabei insbesondere eine Strategie der "Korporatisierung gesundheitspolitischer Interessen" auf, und auf Seiten der gesellschaftlichen Akteure treten die besonderen verbandlichen Steuerungs- und Adaptionsleistungen hervor. Diese Reaktionsformen können die bei aller Reformresistenz vorhandene Anpassungsfähigkeit der vorherrschenden Regulierungsform erklären und damit eine vollständigere Erklärung institutioneller Kontinuität liefern als ein allein auf "institutional inertia" abstellendes Argument. Dabei zeigen die Freiheitsgrade, die die Akteure im strategischen Umgang mit und bei der interessengeleiteten Gestaltung ihrer eigenen institutionellen Handlungsrestriktionen besitzen, daß Strukturkontinuität nicht nur als Resultat einer institutionellen Konfiguration zu verstehen ist, die ausschließlich für Strategien inkrementeller Weiterentwicklung "durchlässig" ist, "sondern auch auf die Orientierungskraft eines gesundheitspolitischen Ordnungsmodells zurückzuführen ist, das den Bereich zulässiger Reformoptionen wirksam abgrenzt." (ICD)
In dem Beitrag, der Bestandteil eines Sammelwerkes zum Umbau des Sozialstaates ist, werden zunächst Konstruktion und Gliederung des Sozialbudgets dargestellt. Dabei wird auch der Strukturwandel des Sozialbudgets im Zeitraum 1965-1985 behandelt und auch speziell auf die Finanzierung des Sozialbudgets nach Arten und Quellen eingegangen. Anschließend wird die Entwicklung der Sozialleistungsquote - dem Verhältnis der Summe der Sozialleistungen zum Bruttosozialprodukt - dargestellt und interpretiert. Zur Kritik des Sozialbudgets wird angemerkt, daß es zur Bewertung der Qualität von Sozialpolitik, zur Messung ihrer Leistungsfähigkeit und zur Bestimmung ihrer Defizite unzureichend ist. Dazu werden entsprechende Verbesserungsvorschläge gemacht. (IAB)
Vor dem Hintergrund einer sozialwissenschaftlich-soziologisch ausgerichteten Darstellung der Entwicklung von Aufgaben, Motiven und Funktionen der betrieblichen Sozialpolitik werden in dem Aufsatz am Beispiel der Deutschen Bundespost die Aufgaben und Wirkungsweisen der betrieblichen Sozialleistungspolitik in der öffentlichen Verwaltung dargestellt. Dabei werden u. a. die betriebliche Zusatzversorgung, verschiedene Betriebskassen wie Postbeamtenkranken-, Postkleider- und Postunterstützungskasse sowie Einrichtungen und Maßnahmen der Erholungsfürsorge und der Sozialbetreuung behandelt. Dabei wird u. a. deutlich gemacht, daß die verschiedenen Sozialleistungen nicht isoliert nebeneinander betrachtet werden können, sondern als gewachsenes und weiter zu entwickelndes betriebliches Sozialleistungsgeflecht zu verstehen sind. (GF)
"Bis 1981 haben die französischen Regierungen ihre Ziele, die sie mit der Gesundheitspolitik verbanden, nicht präzisiert - auch nicht hinsichtlich möglicher Widersprüche mit ihren finanziellen, sozialen und politischen Vorstellungen. Getroffene Entscheidungen waren in der Regel kurzsichtig, wurden nur teilweise verwirklicht und stimmten nur selten mit den Planvorgaben überein. Kurz: sie enthielten keine kritischen Überlegungen über die Ziele und Mittel der Gesundheitsproduktion. Bis 1974 läßt sich diese Konzeptionslosigkeit mit dem bestehenden Pluralismus im Gesundheitswesen und der anhaltenden positiven Wirtschaftsentwicklung erklären. Die steigenden Sozialausgaben konnten ohne größere Schwierigkeiten aufgebracht werden. Die fehlende öffentliche Diskussion über dieses Thema kann dafür als Beleg gewertet werden. Seit 1975 und besonders 1979 besteht das Handeln der Regierung wesentlich darin, Maßnahmen durchzusetzen, die die Kostensteigerung bremsen. Die Eingriffe konzentrieren sich vor allem darauf, den Umfang des Leistungsangebots zu reduzieren. Dieses Vorgehen beruht auf der Vorstellung, daß nur konsumiert werden kann, was produziert wird. Der Staat soll sich darauf beschränken, ein globales und restriktives Budget aufzustellen." (Autorenreferat)
Der Aufsatz stellt Geschichte und aktuelle Lage und Probleme des italienischen Gesundheitswesens dar. Er beschäftigt sich vor allem mit der Organisation und Zielsetzung des Nationalen Gesundheitsdienstes, bietet aber auch statistische Daten zur Gesundheitsversorgung. (MH)
In einer kurzen Replik werden Gutachten zur Lage der Sozialleistungen in den 50er und 60er Jahren und die Diskussionen bzw. Maßnahmen seit Beginn der Weltwirtschaftskrise erwähnt. Der Verteilungskampf zwischen Produktionsmitteleignern und -Nichteignern hat sich weitgehend auf die Arbeitnehmer untereinander verlagert. Auch die 'Neue Soziale Frage' wird in diesem Zusammenhang gesehen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen folgt nun eine breite Darstellung des sozialen Systems und seiner Wirkungsweise in Deutschland. Die Anfänge der Sozialversicherung im Kaiserreich waren selektiv und unsystematisch, und das Fehlen einer sozialpolitischen Konzeption ist bis heute offensichtlich. Sozialpolitik im Sinne sozialer Prophylaxe ist ganz neuen Datums. Aufgabe des nächsten Jahrzehnts wird die Ermittlung einer sozialpolitischen Konzeption sein müssen. Im einzelnen werden die Funktionen (Schutzfunktion, Verteilungsfunktion), Prinzipien (Subsidiaritätsprinzip, Solidaritätsprinzip), Finanzierungsprinzipien, Geld- und Sachleistungen sowie die einzelnen Institutionen und Träger der Sozialpolitik dargestellt. (PF)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, p. 1913-1924
"Das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung hat eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Arzneimitteldistribution in Deutschland. Eine grundlegende Neuerung ist die Zulassung des (Internet-)Versandhandels von Arzneimitteln. In Anbetracht der anstehenden strukturellen Veränderungen wurde in Zusammenarbeit mit der Techniker Krankenkasse Ende des Jahres 2003 eine Versichertenbefragung zum Thema Medikamentenversand durchgeführt. Neben soziodemographischen Merkmalen beinhaltete diese Fragen zur Computer- und Internet-Erfahrung, zum Gesundheitszustand und zum bisherigen Nutzerverhalten bezüglich des Versandhandels von Medikamenten. Die Fragestellung, inwieweit der Arzneimittelversand für die verschiedenen Gruppen von Medikamentenkonsumenten sinnvoll oder überhaupt praktisch möglich ist, wurde in der aktuellen politischen Diskussion in den Hintergrund gedrängt. Es herrscht Konsens, dass der neue Distributionskanal im Rahmen der Akutversorgung aufgrund der Lieferfristen keine Alternative zur stationären Apotheke bieten kann. Es kann jedoch auch nicht davon ausgegangen werden, dass im Bereich der Dauermedikation und der Versorgung chronisch Kranker in allen Fällen eine Versorgung über den Versandhandel möglich ist. Bei einer Betrachtung des Arzneimittelverbrauchs bezogen auf das Alter der GKV-Versicherten zeigt sich z.B., dass die höchsten Ausgaben im hohen Alter anfallen. Es ist fraglich, ob diese Patientengruppe in der Lage ist, den Versandhandel zu nutzen. Eine erste Analyse zeigt, dass gerade bezüglich des Internetversands diese Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer mangelnden technischen Erfahrung und Ausstattung ausgeschlossen ist. Im Anbetracht einer möglichen ungleichen Lastenverteilung in der Gesundheitsversorgung sollen diese Ergebnisse zur Diskussion gestellt werden." (Autorenreferat)
Ziel der Untersuchung ist es, zwischen berechtigten Anliegen und Fehlentwicklungen des Sozialstaats zu unterscheiden. Der Verfasser stellt zunächst die durch eine Ausgabenexplosion verursachte aktuelle Finanzierungskrise des Sozialstaats in der Bundesrepublik dar. Vor diesem Hintergrund wird der Sozialstaat als Rent Seeking Society analysiert. Zentrale These der Untersuchung ist, "daß der Sozialstaat vor allem deshalb in die Krise geraten ist, weil die in Verfolgung der Sozialstaatsidee formulierte Politik und die Praktizierung der im Zuge dieses Ausbaus geschaffenen Institutionen das Postulat der Marktkonformität weithin verletzen". Dies wird am Beispiel der sozialen Sicherung, der Lohnpolitik und des Arbeitnehmerschutzes erörtert. Zur Sicherung der Zukunft des Sozialstaats schlägt der Verfasser Reformen vor, die "im wesentlichen einen Abbau systeminkonformer Regelungen im Bereich der Sozialpolitik und eine Korrektur marktinkonformer Lohnrelationen" umfassen. (ICE)
Ausgehend von einer knappen Diskussion des Regulierungsbegriffs wird der ermittelte Regulierungsbedarf mit den tatsächlich bestehenden Regulierungen verglichen. Dem schließt sich die Suche nach möglichen Deregulierungsmaßnahmen an, die mittels einer ökonomischen Wirkungsanalyse untersucht werden. Den Schwerpunkt der Untersuchung bilden die Krankenkassen in ihrer Funktion als Finanzierungsträger, die kassenärztlichen Vereinigungen in ihrer Schlüsselfunktion für die Versorgung mit Gesundheitsleistungen und die Krankenhäuser als die Leistungserbringer mit dem höchsten Mittelbedarf. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß eine pragmatische Implementation von Wettbewerbsstrukturen möglich und erforderlich ist. "Eine wettbewerblich orientierte, konfliktbereite gemeinsame Selbstverwaltung ist für die heutigen Probleme des Gesundheitswesens adäquat gerüstet. Der Staat kann an sie Aufgaben überantworten, ohne sie ganz seinem Zugriff zu entziehen." (ICG)
In dem Beitrag, der Bestandteil eines Sammelwerkes zum Umbau des Sozialstaates ist, werden zunächst Konstruktion und Gliederung des Sozialbudgets dargestellt. Dabei wird auch der Strukturwandel des Sozialbudgets im Zeitraum 1965-1985 behandelt und auch speziell auf die Finanzierung des Sozialbudgets nach Arten und Quellen eingegangen. Anschließend wird die Entwicklung der Sozialleistungsquote - dem Verhältnis der Summe der Sozialleistungen zum Bruttosozialprodukt - dargestellt und interpretiert. Zur Kritik des Sozialbudgets wird angemerkt, daß es zur Bewertung der Qualität von Sozialpolitik, zur Messung ihrer Leistungsfähigkeit und zur Bestimmung ihrer Defizite unzureichend ist. Dazu werden entsprechende Verbesserungsvorschläge gemacht. (IAB)
Der Beitrag zur Sozialpolitik der Europäischen Union (EU) befasst sich mit der Frage, ob sich die idealtypische Positionslandschaft mit dem Leitbild des männlichen Ernährers von Bedarfsgemeinschaften und ihre realtypischen Verknüpfungen infolge der (neueren) EU-Rechtsentwicklungen und infolge der institutionellen Architektur der EU ändern. Die Beantwortung gliedert sich in folgende Punkte: (1) der 'Sozialbürgerstatus' und Handlungsspielräume im Gewährleistungsstaat, (2) der binäre Code der traditionellen Staatsrechtslehre, (3) das Subsidiaritätsprinzip gemäß Artikel 5 Absatz 2 EGV, (4) der Nationalstaat im Globalisierungsprozess sowie (5) die Formen der Rückwirkung des EU-Rechts auf die Sozialpolitik in Deutschland bzw. Fragen hinsichtlich des Nettonutzens einer EU-Mitgliedschaft für die Schweiz. Da die EU als Binnenmarktregime stark anti-diskriminatorisch und grundfreiheitlich ausgerichtet ist, wird durch die Rechtsentwicklung die Sozialpolitik aller Mitgliedsstaaten stärker grundrechtlich ausgerichtet sein. Das wird erwerbsarbeitszentrierte Sicherungssysteme nicht ersetzen, die selbst durchaus durch rechtlich-institutionelle Ausgestaltungen (wie in der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland) starke Inklusionseffekte erzielen können. Aber das Europarecht stärkt unter Nachhaltigkeitsaspekten den Blick für alle Phasen des Lebenszyklus der Bürger im Zusammenhang mit der Verkettung der Generationen. Dabei wird es zu einer Gemengelage von Arbeitnehmersolidarität und Bürgersolidarität kommen, die Komponenten des Kräfteverhältnisses in der normativ-diskursiven Gemengelage werden sich verschieben können. Insgesamt wird die Situation nach Einschätzung des Autors noch längere Zeit deutlich ambivalent bleiben. (ICG2)
Der Beitrag zu der Gesundheitsreform in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert die Frage, welche Konfliktlinien in der öffentlichen Diskussion hinsichtlich der ungleichen Belastung der Bevölkerungsgruppen sowie der gerechten Gesundheitsversorgung vorherrschen und inwieweit die ökonomische Betrachtungsweise und das entsprechende Instrumentarium hilfreich sein können, diese Konflikte zu lösen. Dabei wird dargestellt, welche Anreize einzelne, in der Öffentlichkeit diskutierte Reformvorhaben auf individueller und kollektiver Ebene setzen, welche Auswirkungen zu erwarten sind und inwiefern die Vorhaben zu einer Effizienzsteigerung beitragen können. Dies wird dann unter Gerechtigkeitsüberlegungen beurteilt. So werden in einem ersten Schritt zunächst die Konfliktlinien der Sozialpolitik beschrieben, und zwar: (1) die Frage der Verteilungsgerechtigkeit, (2) die Rolle des Staates sowie (3) die Problematik der Finanzierung. Der zweite Schritt erörtert anschließend die Lösungsansätze aus theoretischer Sicht, die sich in drei Aspekte gliedern: (1) das Marktversagen auf Gesundheitsmärkten und die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe, (2) die Grundversorgung mit Gesundheitsgütern bzw. (3) das Gesundheitssystem in Deutschland. Vor diesem Hintergrund wird im dritten Schritt die aktuelle Gesundheitsreform erörtert, indem (1) das Ziel des Gesetzes und (2) der Umgang mit den genannten Problemen und die Anreizwirkungen der Reform betrachtet werden. Dazu gehören (1) die Veränderung der Selbstbeteiligungsregelungen im Einzelnen, (2) die Beurteilung der 'neuen' Selbstbeteiligungen, (3) die Privatisierung des Zahnersatzes sowie (4) die Beurteilung der Ausgliederung des Zahnersatzes. Im Fazit stellen die Autoren fest, dass die aktuelle Gesundheitsreform einen erheblichen Einschnitt und höhere Belastungen zu Ungunsten der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt. Die Gesundheitsreform folgt mit den hier beschriebenen Regelungen weiterhin der bislang praktizierten Politik der diskretionären Eingriffe. Erst durch die gesellschaftliche Diskussion, eine langfristige Weichenstellung des Systems und eine entsprechende Ausgestaltung, die es ermöglicht, den unterschiedlichen individuellen Präferenzen Handlungsspielräume einzuräumen und gleichzeitig Effizienzreserven zu mobilisieren, wird es gelingen, ein langfristig stabiles und von der Mehrheit akzeptiertes System zu etablieren. (ICG2)