Aufsatz(gedruckt)2008

Der Feind in mir: die Wiederkehr von Auschwitz - der Mythos der RAF

In: Vorgänge: Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Band 47, Heft 1, S. 23-29

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Abstract

Dass Baader, Meinhof und Ensslin sich als Köpfe einer Gruppe zusammenfanden, die unter dem wuchtigen Namen Rote Armee Fraktion eine wilde Mischung höchst unterschiedlicher Erfahrungen, Phantasien und Ängste zusammenführte, ist letztlich kontingent - nicht dagegen sind es die Ingredienzien dieses Cocktails: sie bringen, so der Verfasser, exemplarisch intellektuelle Kraftlinien der deutschen Nachkriegskultur zum Ausdruck. Die existenzialistische Spielfreude des narzisstischen Machos Baader gehörte ebenso zu diesem Generationsrepertoire wie Meinhofs und Ensslins messerscharfe protestantische Ethik. Nur blieben diese unterschiedlichen Lebensphilosophien normalerweise durch den Abstand ihrer Ursprungsmilieus strikt voneinander getrennt. So gab es auch wenige Chancen, ihre heimlichen Ähnlichkeiten wahrzunehmen. Zum Beispiel den enormen Kältekern, der sowohl in der existenzialistischen Antimoral wie im protestantischen Gewissenspathos stecken konnte, und vor allem das beide unterirdisch bewegende Thema: der Tod, der nach Weltkrieg und völkischer Vernichtungspolitik eine neue Vorstellungsdimension gewonnen hatte. Eine Verbindung dieser beiden Positionen war der krasse Ausnahmefall, in der nervösen Republik der Jahre 1967 und 1968, in der plötzlich wieder - staatliche und außerstaatliche - Gewalt auf der Agenda stand, wirkte sie wie die Zusammenführung von kritischer Masse und Zünder. Das Codewort für diese Synthese hieß: Auschwitz. Es wird argumentiert, dass das Geheimnis der RAF in dieser Synthese liegt. Denn solche wie Baader, Meinhof und Ensslin gab es damals mehr als man denkt, wenn auch meist weniger grell in Überzeugung und Auftreten. Die Gründer der RAF, so der Verfasser, richteten in Stammheim das geschichtlich verdrängte Potenzial an Destruktivität, dessen Rückkehr doch alle fürchteten, demonstrativ, verzweifelt und eine falsche Realität vortäuschend gegen sich selbst. Der "Mythos", den man der RAF später andichtete, hat hier seinen Ursprung. Die Verschlingung von Tod und Mord, von Täter und Opfer, von Realität und Phantasie gehört ebenso zur mythologischen Rede wie die phantasmatische Verschlingung der Zeiten: Was ist Gegenwart, was Vergangenheit? Unterm Gesetz der exzessiven Gewalt(phantasie) bleibt auch dies unklar, irisierend. Wer das Phänomen RAF verstehen will, muss sich als erstes daran machen, dieses falsche Ineinander aufzulösen. Es geht darum zu trennen, was die Mythografie zusammen zwingt. Es wird die These vertreten, dass die immense sozialpsychologische Bedeutung der RAF für die Bundesrepublik darin liegt, dass mit ihr ein Kapitel der mörderischen Geschichte, die ihrer Gründung vorausging, wieder aufgeschlagen wurde - und ein neues begonnen wurde. Was erst noch begriffen werden soll. Denn die Geschichte der RAF ist sowenig beendet wie ihre Gründer es von der Geschichte des Nationalsozialismus meinten. (ICG2)

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