Aufsatz(gedruckt)2011

Missionarische Politik

In: Berliner Debatte Initial: sozial- und geisteswissenschaftliches Journal, Band 22, Heft 1, S. 92-100

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Abstract

Ein definierendes Merkmal missionarischer Gruppen ist ihre Ablehnung der repräsentativen Demokratie, die als falsch und illusorisch verunglimpft wird. Ihr gegenüber steht die Sehnsucht nach einer neuen, direkten Demokratie. Ziel ist weniger die "Zerstörung" der Demokratie, sondern die Erfüllung ihres radikalen (utopischen) Versprechens der Macht für das ganze Volk. In Zeiten der Globalisierung, die sich unter anderem durch den zunehmenden Einfluss transnationaler Körperschaften und Unternehmen auszeichnet, wird dieser Strudel des Ressentiments noch verstärkt. Sie erscheinen dem "Volk" gegenüber nicht nur unnahbar, sondern sogar herablassend und außerhalb jeder öffentlichen Kontrolle oder jeden Zugriffs. In diesem Kontext, in dem Eliten entweder nicht zu wissen scheinen, was sie tun sollen - und die "Wähler" deshalb nicht wissen, wem sie ihre Stimme geben sollen - , oder die von Eliten (Sprecher, Medien, Intellektuelle) verbreiteten Informationen mindestens nicht ganz zutreffend und am wahrscheinlichsten absichtlich irreführend zu sein scheinen, florieren Bewegungen, die für sich in Anspruch nehmen, "das Volk" gegen "die Mächtigen" zu repräsentieren. In genau solchen geschichtlichen Umwelten rufen missionarische Bewegungen nach einer "direkten Demokratie", welche die Kluft zwischen "dem Volk" und den Herrschaft ausübenden Machtstrukturen verschwinden lässt. Wenig überraschend dienen die "wahren Gemeinschaften", die jene missionarischen Bewegungen sich zu eigen machen, als idealisierte Modelle von Bruderschaft und Gefolgschaft, in denen die "Gläubigen" sich durch Nächstenliebe, Liebe zu ihrer Heimat und zu ihren Anführern in eine Wertegemeinschaft stellen. Diese Heilsvision missionarischer Politik hebt den Unterschied zwischen Demokratie als einer Praxis und Demokratie als einer Ideologie auf. (ICF2)

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