Zwei gegensätzliche Formen sozialer Unsicherheit aus psychotherapeutischer Sicht
In: Paragrana: internationale Zeitschrift für historische Anthropologie, Band 24, Heft 1, S. 109-118
ISSN: 2196-6885
Abstract
Den Ausgangspunkt dieses Beitrags bilden die psychotherapeutischen Erfahrungen mit zwei gleichaltrigen Studenten, die zu Anfang der Therapie eine ähnlich wirkende "Unsicherheit" zeigten. Im fortlaufenden therapeutischen Prozess kristallisierten sich aber immer stärkere Unterschiede zwischen ihnen heraus. Der eine Patient, der als "selbstunsicher" eingeschätzt werden kann, war stark auf sich selbst bezogen und suchte seine soziale Ängstlichkeit mit einer Einzelgänger-Strategie und entsprechender Vermeidung von näheren sozialen Kontakten zu bewältigen, wobei er mit Situationen des Alleinseins und den Anforderungen selbstbestimmten Arbeitens gut zurecht kam. Der andere war beim Arbeiten und Alleinsein von der emotionalen Präsenz anderer und deren Strukturierungshilfen "abhängig"; von seinem Auftreten, seiner gefühlsmäßigen Zugewandtheit und sozialen Bezogenheit her gesehen ließ er aber hohe soziale Kompetenzen erkennen, so dass man bei ihm von einem "aktiv-dependenten" Beziehungsmuster sprechen kann. Der Vergleich zwischen beiden Formen sozialer Unsicherheit lässt sich mit dem anthropologischen Konzept der "Bipolarität zwischen selbst- und objektbezogenen Tendenzen" (Mentzos) in Verbindung bringen.