Der Autor zeichnet die Entwicklungen des kemalistischen Werte- und Normensystems in der Türkei nach, das im ehemaligen Einparteienstaat zur Konstruktion der Kerngesellschaft der "Nation der westlichen Türken" anstelle der abgeschafften Scharia eingeführt wurde. Ziel der "Sechs Pfeile" war die Entstehung des Glaubens der zu säkularisierenden und zu türkisierenden Beherrschten an die Rechtmäßigkeit der Herrschaft der kemalistischen Staatspartei. Weitere Gründe für das kemalistische Werte- und Normensystem waren die Herbeiführung transethnischer Binnenintegration der zu beherrschenden Bevölkerung zum Schutze vor Abspaltung, die Erschaffung eines türkischen Bürgertums sowie die Herstellung internationaler Souveränität der Türkei zur Sicherung der internationalen Zukunftsfähigkeit. Es wurden darüber hinaus Flagge, Nationalhymne und Atatürk als weitere Identifikationssymbole und Bezugsmerkmale zur Definition der westlich-türkischen Kerngesellschaft zur Konstruktion der modernen türkischen Nation in Abgrenzung von der islamischen oder ethnisch-separatistischen Reaktion benutzt. Aber mit der Einführung des Mehrparteiensystems begann der Wiedereinzug des Islams in Politik und Gesellschaft. Der zunehmende Einfluss des Islams auf die Gesellschaft und Politik, der Zuwachs der pro-kurdischen Bewegung und die von der Europäischen Union verlangten Binnenstrukturreformen hinterfragen die Rolle des Kemalismus heute. (ICI2)
Die Studie untersucht aus einer konstruktivistischen Perspektive die Charta der Grundrechte der Europäischen Union von 1999. Im Zentrum stehen dabei die Kontroversen um die Inhalte der 'sozialen Kategorie' Europa und die zugrunde liegenden Normen und Regeln, die hier methodisch durch die qualitative Inhaltsanalyse von Diskursen erfasst werden. Die Untersuchung gliedert sich in drei Schritte: In einem ersten Schritt wird zunächst der theoretische Rahmen abgesteckt, indem ein zweidimensionales Identitätskonzepts entfaltet und operationalisiert wird. Im zweiten Schritt wird durch eine Textanalyse die Bedeutung internationaler Normen und Verpflichtungen im innereuropäischen Grundrechtsdiskurs anhand von vier ausgewählten Teilfragen der Chartadebatte beleuchtet. Dazu gehören (1) Ziel und Zweck eines Grundrechtskatalogs, (2) internationale Normen als Mindeststandard für Europa, (3) die Auseinandersetzung um die wirtschaftlichen und sozialen Rechte sowie (4) die Rechte von Flüchtlingen. Die Studie offenbart die Bedeutung internationaler Normen, aber auch die besonderen Schwierigkeiten ihrer Verankerung im EU-Kontext: Die globale Orientierung und Einbettung der Menschenrechtspolitik ist ein institutionalisiertes und weitgehend konsensuales Element der internationalen Identität der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, das den Diskurs über Grundrechte - als möglichem Bezugspunkt kollektiver europäischer Identität - begrenzt. (ICG2)
An examination of the changing boundaries of UN Security Council interventions during the 1990s supports UN Secretary-General Kofi A. Annan's contention that there is a "developing international norm" to protect civilians threatened by genocide or ethnic cleansing. Competing theories of the relationship between power & norms are assessed in relation to humanitarian interventions. The significant expansion of the boundaries of legitimate intervention that occurred in Somalia & northern Iraq is pointed out. Although the material power of Western states was instrumental in those cases, a materialist based explanation is seen as inadequate because it fails to consider changed normative context at the domestic level in Western states. Ways in which norms constrain the behavior of states are discussed & the Rwanda case is used to illustrate the moral limits of new norms of protection. The impact of 11 September 2001 on the likelihood that states will use force to protect humanitarian values is explored. Evidence from Afghanistan & Iraq suggest that states will articulate humanitarian rationales to legitimize the use of force against terrorist threats. J. Lindroth
Menschenrechte, insofern sie den Menschen als Person und nicht als Bürgerin oder Bürger eines besonderen Staates schützen, erheben den Anspruch, ein kosmopolitisches und internationales Gesetz zu verkörpern, dessen Autorität sich nicht des demokratischen Willens eines bestimmten Staates versichert. Die Zunahme von Menschenrechtskonventionen und -abkommen in den Jahren nach den Nürnberger Prozessen verstärkte die Spannungen zwischen der Partikularität positiven Rechts und der Universalität ethischer und moralischer Verpflichtungen. In dieser Spannung sieht die Autorin eine fundamentale Herausforderung unserer Zeit. Sie sucht daher nach einer Rechtstheorie, die in der Lage ist, die Universalität der Menschenrechte mit der Partikularität des positiven Rechts zu versöhnen. In den Mittelpunkt rückt sie dabei die Menschenrechte derer, die in einem Staat leben, aber aus dessen politischem Gemeinwesen ausgeschlossen sind - legale und illegale Fremde. Mit ihrer Antwort nähert sie sich Kants Lehre vom Weltbürgerrecht, ausgehend von dessen These: "Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein". Weil Kant (und der Verfasser) zudem der Überzeugung sind, die innere Verfassung eines Staates solle republikanisch sein, überschneiden sich notwendigerweise das Recht der Hospitalität und die demokratische Autorität alltäglichen positiven Rechts. Im vorliegenden Beitrag konzentriert sich der Verfasser auf genau diese Schnittstelle. (ICA2)
Dieser Aufsatz geht der Frage nach, wie das globale Menschenrecht Reisefreiheit von Nationalstaaten umgesetzt wird, d.h. wie Staaten interne Freizügigkeit und den tatsächlichen oder gewünschten Grenzübertritt von Menschen regeln. Seit Mitte der 1990er Jahre lebt der überwiegende Teil der Weltbevölkerung zumindest nominell in Demokratien. Tatsächlich setzt sich die Reisefreiheit nur in sehr ungleicher Weise durch, obwohl dieses Recht - parallel zur Entstehung der Reisefreiheit als Menschenrecht in der Weltgesellschaft - in den Verfassungen von Nationalstaaten verankert wurde. Innerhalb institutionalistischer Ansätze zur Weltgesellschaft wird dieses Problem unter dem Stichwort Theorie-Praxis-Problem schon lange diskutiert. Ziel dieses Aufsatzes ist es, diesen Konflikt von einem normtheoretischen Standpunkt aufzuschließen und dies am Beispiel der Reisefreiheit zu illustrieren. Dabei gehen die Autoren von der Annahme aus, dass institutionelle Gefüge niemals einfach die Umsetzung einer weltgesellschaftlichen Norm darstellen, sondern immer versuchen, vielschichtige, oft konflikthafte Normmuster umzusetzen. Im Anschluss an die Darstellung der wichtigsten Argumente einer institutionalistischen Konzeption der Ausbreitung von Normen und institutionellen Rahmenbedingungen innerhalb der Weltgesellschaft werden allgemeine Probleme der normativen Integration begrifflich bestimmt. Danach wird kurz umrissen, wie globale Normen der Reisefreiheit in internationalen Verträgen definiert wurden. Schließlich werden die Probleme der Umsetzung dieser Normen am Beispiel von Verfassungen verschiedener Staaten illustriert. Der Beitrag schließt mit einigen Überlegungen zur stabilisierenden Funktion normativer Konflikte in der Weltgesellschaft.(ICH2)