Über den 'Marxismus ohne Marx' hinaus: transzendierende Momente im Austromarxismus
In: Mitteilungsblatt des Instituts für Soziale Bewegungen, Heft 28, S. 113-126
Abstract
Die ursprünglichen Intentionen des Austromarxismus lagen auf dem Gebiet der Theorie. Gerade hier manifestierte sich am deutlichsten die österreichische Eigenart der Aneignung und Weiterentwicklung des Marxismus, die es ermöglichte, den Austromarxismus als eine besondere "Schule" oder "Richtung" anzusehen. Von den anderen Strömungen des sozialdemokratischen Marxismus vor und nach dem Ersten Weltkrieg unterschieden sich die Austromarxisten sowohl durch einen unkonventionellen Zugang zur marxistischen Theorie als auch durch die besondere Beachtung einiger spezifischer Probleme (Nationalitätenfrage, Verrechtlichung, Erkenntnisgrundlagen, Vergesellschaftung des Menschen). Das bedeutete eine bedeutsame Erweiterung der marxistischen Problemstellungen. Diese Erweiterung implizierte auch ein wichtiges quantitatives, gleichsam transzendierendes Moment, das für den Autor bisher nicht genügend beachtet wird: Die Austromarxisten gingen nicht nur über den sozialdemokratischen Marxismus der Zweiten Internationale, sondern in einigen Fällen auch über das sozialdemokratische Deutungsmuster theoretischer Probleme, die sozialdemokratische Theoriekonzeption überhaupt hinaus. In theoretischer Hinsicht war der Austromarxismus kein Nebenzweig in der Entwicklung der sozialistischen Theorie. Sein Hinausgehen über den Rahmen des sozialdemokratischen Parteimarxismus, sein "Marxismus ohne Marx" wurde eine wichtige Voraussetzung des Übergangs zu einem "Paramarxismus". In den austromarxistischen Positionen kam jene dem Marxismus insgesamt immanente Spannung zwischen Ideologie und Anpassung, Utopie und Erkenntnis, Negation und Integration zum Ausdruck, die sich schließlich als unaufhebbar und unüberwindbar erwies. (ICA2)
Problem melden