Aufsatz(gedruckt)1983

Politik aus der Basis - Herausforderung der parlamentarischen Mehrheitsdemokratie

In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Heft B47, S. 3-10

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Abstract

Das Mehrheitsprinzip ist kein voraussetzungsfreies Formprinzip. Die Herausforderungen durch den wachsenden Bürgerprotest und die schwindende Akzeptanz weitreichender politischer Entscheidungen geben uns Anlaß, die Voraussetzungen, an welche die integrative Kraft und die Rechtfertigungsfähigkeit der Mehrheitsregel gebunden sind, wieder deutlicher ins Bewußtsein zu heben: Damit die Mehrheit für die Gesamtheit entscheiden kann, muß erst ein geeinter, von allen bejahter Verband existieren, welcher Mehrheitsentscheidungen auch für abweichende Minderheiten erträglich macht. Nur fundamentale Gemeinsamkeiten dieser Art, deren Existenz und Erhaltungswürdigkeit von aktuellen Mehrheiten und Minderheiten gleichermaßen anerkannt werden, sichern langfristig die Möglichkeit und Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen. Übergangszeiten, Zeiten des tiefgreifenden Wert- und Orientierungswandels, die mit einem hohen Grad an Ungleichzeitigkeit in der Wahrnehmung und Deutung von Situationen einhergehen, können für die Anwendbarkeit der Mehrheitsregel als Pazifierungsinstrument sehr enge Grenzen ziehen. Wenn eine Gesellschaft sich gleichsam in mehrere Teilkörperschaften aufspaltet, gewinnen regelmäßig zusätzliche Konfliktlösungsstrategien jenseits der Mehrheitsentscheidung an Aktualität. Das Mehrheitsprinzip ist eine notwendige, keineswegs jedoch bereits die hinreichende Bedingung für Demokratie. Nur im spannungsreichen Zusammenwirken mit einer Vielzahl anderer Bedingungen und Prinzipien begründet die Mehrheitsregel Demokratie. Die Berufung auf die empirische Mehrheit wird als Legitimitätsgrundlage brüchig und haltlos, wenn der negativ entscheidungsbetroffene Bevölkerungsteil sich in fundamentalen Interessen wie denen an Überleben, Sicherheit, Freiheit, Glück, Menschenwürde, lebenswerten Umweltbedingungen usw. betroffen wähnt. Mit den 'Mitteln der Normalität' lassen sich politische Konflikte nur dort bewältigen, wo in der Wahrnehmung aller Beteiligten 'die Normalität' nicht suspendiert wird. Die Funktionslogik der Mehrheitsdemokratie setzt nicht nur den Umweltschützern, den Atom- und Nachrüstungsgegnern Grenzen, sondern zwingt auch den politischen Exponenten des forcierten sozialen und technologischen Wandels Rücksichtnahme auf und weist ihnen Schranken, die sie nur um den Preis einer Gefährdung des Prinzips mehrheitlicher Entscheidungsfindung mißachten können." (Autorenreferat)

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