"Der Zufall ist die dunkle Seite der Neuzeit - und zwar (daran erkennt sich die Neuzeit als neue Zeit) nicht mehr nur der geordneten Welt, sondern der sich selbst ordnenden Gesellschaft. Eine geordnete Welt kann den Zufall viel leichter - zum Beispiel als Wunder - integrieren, weil sie ohnehin auf der Unberechenbarkeit (Jenseitigkeit) der ordnenden Instanz beruht; sie wird als überzeitlich stabil (statisch, wesentlich) und als unbezweifelbar gegeben (wirklich) verstanden. Ihre Ordnung wird durch den Zufall also geradezu bekräftigt. Für eine sich selbst ordnende Gesellschaft gilt das Gegenteil; ihre Ordnung wird durch den Zufall bestritten, jedenfalls gefährlich unterbrochen. Gerade deshalb nimmt sie aber den Zufall ernst, so sehr, dass sie Anlass für den Verdacht sieht, vom Zufall fasziniert zu sein und auf ihn zu wetten. Glücksspiel und Wahrscheinlichkeitsrechnung begleiten jedenfalls die Neuzeit seit ihren Anfängen." (Textauszug)
Folgt man Herfried Münklers politischer Gegenwartsdiagnose, so sind die Erwartungen der Bürger an die Politik massiv im Ansteigen, anstatt dass sie mit der schwindenden Steuerungsfähigkeit des Staates sinken. Münkler vermutet hinter diesem Anstieg einen säkularen Veränderungstrend von kognitiven Dispositionen. Was früher als unverfügbar und kontingent begriffen worden ist, wird heute immer mehr als Resultat menschlichen Handelns (oder Nichthandelns) begriffen: An die Stelle von Zufall, Schicksal oder Gott ist die politische Verantwortung getreten und mit ihr, so Münkler, eine notorische Überforderung der Politik. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Rückgriff auf Zufallsentscheidungen beispielsweise durch Lotterie in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen in den vergangenen Jahrzehnten weltweit zunehmend an Attraktivität gewonnen hat. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von neueren Ideen und Vorschlägen, welche das Losverfahren auch in modernen politischen Systemen punktuell wieder zum Zuge kommen lassen wollen, und die der Autor als Beiträge zu einer "aleatorischen Demokratietheorie" bezeichnet. Er nimmt in seinem Aufsatz insbesondere Leo Tolstois ideenpolitisch wirkungsmächtige Darstellung des Oberbefehlshabers der russischen Armee im anti-napoleonischen Krieg, Michael Kutusow, zum Ausgangspunkt für bis in die gegenwärtige Demokratie und Wissenschaftspolitik hineinreichende kritische Betrachtungen über den strategischen Einsatz des Zufalls als Entscheidungsressource. (ICI2)
Die Autoren zeichnen den persönlichen und wissenschaftlichen Werdegang von Hermann Korte nach und verfolgen seinen Weg in die Soziologie, welcher durch zahlreiche Zufälle, aber auch durch eine "engagierte Berufung" gekennzeichnet ist. Als zentrale Figurationen werden die Beziehungen Kortes zu drei Personen dargestellt: zu Wolfgang Fischer, Helmut Schelsky und Norbert Elias. Die Autoren ziehen Verbindungslinien zwischen den Profilen dieser Personen, ihren Werken und den Spuren, die diese in der Biographie und in den Arbeiten von Hermann Korte hinterlassen haben. Auf diese Weise entsteht nicht nur eine exemplarische Studie über Hermann Korte als Angehöriger einer Wissenschaftlergeneration aus der Sicht von zwei ehemaligen Bochumer Studenten, sondern auch ein Beispiel für soziologisches Schreiben von Biographien. (ICI2).
Die Autoren zeichnen den persönlichen und wissenschaftlichen Werdegang von Hermann Korte nach und verfolgen seinen Weg in die Soziologie, welcher durch zahlreiche Zufälle, aber auch durch eine "engagierte Berufung" gekennzeichnet ist. Als zentrale Figurationen werden die Beziehungen Kortes zu drei Personen dargestellt: zu Wolfgang Fischer, Helmut Schelsky und Norbert Elias. Die Autoren ziehen Verbindungslinien zwischen den Profilen dieser Personen, ihren Werken und den Spuren, die diese in der Biographie und in den Arbeiten von Hermann Korte hinterlassen haben. Auf diese Weise entsteht nicht nur eine exemplarische Studie über Hermann Korte als Angehöriger einer Wissenschaftlergeneration aus der Sicht von zwei ehemaligen Bochumer Studenten, sondern auch ein Beispiel für soziologisches Schreiben von Biographien. (ICI2)
Die Studie zu der Bundestagswahl 2002 untersucht die Wahlkampfstrukturen und -strategien der Parteien vor dem spezifischen Hintergrund des Wahlkampfkontextes 2002. Somit steht hier die strategische Flexibilität der Kampagnen, d.h. deren Anpassungsfähigkeit an sich kurzfristig verändernde Kontextfaktoren, im Mittelpunkt. Gerade diese 'elastische Reaktionsfähigkeit' ist, so die untersuchungsleitende Annahme, für den Erfolg der Parteienkampagnen in Bezug auf ihre mediale wie öffentliche Resonanz sowie in Bezug auf das Wahlergebnis 2002 maßgeblich. Die Überprüfung der Hypothese beginnt mit einer Beschreibung der Chronologie des Wahlkampfes 2002 und der sich rasant wandelnden Kontextfaktoren. Dazu gehören (1) die Kanzler-Frage, (2) Möllemann und die 'Karsli-Affäre', (3) Flutkatastrophe, Irakkrise und TV-Duelle. Im Anschluss rücken die Wahlkampfstrukturen und -strategien der etablierten Parteien in den Mittelpunkt des Interesses. Hier gliedern sich die Ausführungen in (1) die Strategien von SPD und CDU/CSU (Personalisierung versus Kompetenzangriff) und (2) die Strategien von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und PDS, die zwischen Fun, Bündnistreue und Positionierungsproblemen angesiedelt sind. Die Untersuchung zeigt, dass der Wahlkampf 2002 für die meisten Parteien ein Schritt in Richtung organisatorischer Professionalisierung ist. Dies äußert sich in zunehmendem Kapitaleinsatz, im Outsourcing sowie in der strategischen Dauerbeobachtung von Gegnern, der Medienberichterstattung und der öffentlichen Meinung. Ferner wird auch ein kritischer Blick auf die Wahlkampfforschung und die Rolle, die sie im Rahmen des Bundestagswahlkampfes spielt, geworfen. (ICG2)
Die Wiederentdeckung des Losverfahrens in der praktischen Politik hinterlässt seit einiger Zeit auch in der politischen Theorie und in der Demokratieforschung neue Spuren. Die Forschungsliteratur bietet hierzu eine bunte Palette, die von der Ideengeschichte über die Entscheidungs-, Demokratie- und Gerechtigkeitstheorie bis zu explizit reformpolitischen Arbeiten reicht. Ihren gemeinsamen Nenner hat sie darin, dass sie das Rationalitätspotenzial von zufallsgeleiteten Entscheidungen betont und dadurch den Zufall nicht mehr nur als Antipode zur Rationalität sieht, sondern zu deren Instrument zu machen sucht. Der Autor wirft zunächst einen sortierenden Blick auf die grundlegenden Argumentationsfiguren, welche sich zur Begründung von Entscheidungen durch das Los im politischen Bereich vorbringen lassen. Die Verbesserung der Demokratie und die Erhöhung von Partizipationsmöglichkeiten ist dabei nur eine von mehreren möglichen Zielsetzungen für den Einbau von Losverfahren in der Politik. In einem zweiten Schritt werden in einem Überblick über die aktuelle Forschungsliteratur verschiedene praktische Einsatzmöglichkeiten von Losverfahren, die auf eine Erweiterung von Partizipationsformen zielen, vorgestellt und diskutiert. Abschließend werden zwei Vorschläge für eine Reform des politischen Systems der EU vorgestellt, bei denen das Losverfahren an unterschiedlichen Stellen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen zur Geltung kommen kann. (ICI2)
Der Verfasser wendet sich gegen Erklärungsmuster der Finanzkrise, die auf große Narrative zurückgreifen oder große Strukturveränderungen diagnostizieren. Er sieht die spezifische Form, das Ausmaß und den Zeitpunkt der Krise als ein unglückliches Aufeinandertreffen von relativ unabhängigen Triebkräften an. Im Mittelpunkt der Krise stehen weniger makroökonomische Umwälzungen, sondern vielmehr die spezifische Rolle von Derivaten. Der Verfasser diskutiert unterschiedliche Formen von Derivaten und deren mangelnde Regulierung. Als weiteres Problemfeld der Finanzkrise wird zudem das Zusammenspiel von Verbriefung und Derivaten behandelt. (ICE2)
Die Bundestagswahl 2002 endete mit einem Wahlerfolg von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, der auf einen "last minute swing" im Sinne eines gouvernementalen Beharrungseffekts zurückging. Das Wahlergebnis ist auch ein Resultat der Besonderheiten des bundesdeutschen Wahlrechts. Die Wahlkampfstrategien der Parteien hatten einen erheblichen Einfluss auf den Wahlausgang. Mit ihrem modellhaften Wahlkampf erbrachte die SPD den Nachweis ihrer Strategiefähigkeit, während vor allem bei FDP und PDS in hohem Maße strategische Fehler zu konstatieren waren. Der Sieg der Koalitionsparteien ging nicht zuletzt darauf zurück, dass die Oppositionsparteien ihre Chance nicht zu nutzen wussten. (ICE)
Die Dramatik der Bundestagswahl 2002 ist in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel. Lange Zeit sahen die Meinungsforschungsinstitute eine Mehrheit für die Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP. Die FAZ beispielsweise titelte noch am 2. August 2002 "Die Zeichen stehen auf Wechsel". Der Umschwung kam erst kurz vor der Wahl. Lange Phasen der Legislaturperiode sah es nicht danach aus, dass die beiden Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen weiterregieren können. Bundeskanzler Schröder stand kurz vor seiner Abwahl. Der vorliegende Beitrag behandelt die Wahlkampfführung der SPD, um Erklärungen für den Wahlausgang zu finden. Im Mittelpunkt stehen strategische Aspekte, nicht Erkenntnisse der Wahlforschung. In welcher Ausgangssituation befand sich die SPD? Welche Rolle spielte die Personalisierung Schröders, die ja kein neues Phänomen ist, sondern bereits in den Wahlkämpfen Adenauers oder Brandts Konturen annahm? Inwiefern spielten "Zufallsereignisse" wie die Flutkatastrophe und die Angst vor dem Irakkrieg, die traditionell den Amtsinhaber begünstigen, den Ausschlag für die Wahlentscheidung? Abschließend wird diskutiert, welches Szenario sich für die SPD durch die im Alleingang vollzogene Ankündigung einer vorgezogene Neuwahlen ergibt. (ICA2)
Im Beitrag geht es um eine Untersuchung des Glücksspiels, das im Rahmen der Unterscheidung von glücklich sein/Glück haben - eudimonia/eutychia, bonheur/fortune oder eben happiness/luck - in den Bereich der Fortuna gehört, der Göttin des Schicksals, die ihre Gaben willkürlich und planlos verteilt. Diese Gaben sind für die Menschen nicht vorhersehbar und treffen sie - als Glück oder Unglück - schicksalhaft. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht dabei die Frage, weshalb Akteure freiwillig in ihrem Handeln den Regeln des Glücksspiels folgen, sich also ohne Zwang dem Schicksal hingeben, statt zu versuchen, das eigene Geschick soweit wie möglich durch überlegte Entscheidungen zu steuern. Im Hintergrund dieser Fragestellung steht die Annahme, dass gerade das reine Glücksspiel auf seine Art erlaubt, die Bedeutung des Zufalls im Leben und Denken einer Gesellschaft zu erkennen. Die Ausführungen zeigen insgesamt, dass Glücksspiele mit ihren Funktionen der Reduktion von Rationalitätsdruck und des Aufbaus von Selbstbestätigungen umso wichtiger für die Individuen werden, je weniger sie den "Ernst des Lebens" rational bewältigen können. Wenn einem der Zufall schon im "Ernst des Lebens" meist mehr oder weniger böse mitspielt und sich damit in seiner ganzen Allmacht zeigt, will man wenigstens in den "Auszeiten" die andere Seite des Zufalls kennen lernen und so auch erfahren, dass man dessen Gunst nicht gänzlich eingebüßt hat. Insofern könnten die geschilderten gesellschaftlichen Entwicklungen ganz im Sinne der Glücksspielindustrie laufen. (ICA2)
In dem Beitrag wird die Notwendigkeit begründet, sicherzustellen, daß dem einzelnen die Früchte seiner Arbeit zufallen und diese dann auch gesichert und geschützt werden. Es wird gezeigt, daß der Schutz der Person wie des Eigentums in der Gesetzgebung in ausreichendem Maße gewährleistet ist. (RW)
Der Autor wirft in seinem Beitrag ein brisantes Thema auf: "Toleranz kann nicht unabhängig von Religion thematisiert werden und die Diagnose [des Autors] lautet, dass es kein Zufall ist, dass in der Pädagogik Toleranz nicht vorkommt, da auch die religiösen Dimensionen nicht gebührend im Fachdiskurs berücksichtigt werden. (DIPF/Orig.).
Der "Volksverein für das Katholische Deutschland" könnte mit seinem Gründungsdatum 1890 als Indiz für eine bewußte Hinwendung des Sozialkatholizismus zur industriegesellschaftlichen Moderne wahrgenommen werden. Doch seine Gründung war einem Zufall zu verdanken, wie im vorliegenden Beitrag festgestellt wird; es war eine politische Notgeburt. Erst nach 1900 und infolge einer Symbiose mit der katholischen Arbeiterbewegung verdiente sich der Volksverein seinen Namen wirklich. Im Bürgertum fand er jedoch wenig Anhang, und die Arbeiterbewegung bedurfte seiner nach 1918 nicht mehr. Er hatte lange schon ausgedient, bevor ihn die Nationalsozialisten 1934 schlossen. (SH2)
Der Verfasser greift auf das zeitdiagnostische Potenzial der Soziologie zurück und problematisiert den Einfluss allgemeiner kultureller Leitbilder auf das Finanzmarktgeschehen. Es ist kein Zufall, dass die großen Geschichten der Wall Street mit den geistigen Repräsentationen einer individualisierten Kultur korrespondieren, die in zunehmendem Maße auf Selbststilisierungen und Selbstüberschätzungen gründet. Die damit einher gehenden Dispositionen lassen sich sowohl in den Finanzerwartungen der Käufer von Wertpapieren wie auch in den geistigen Repräsentationen der professionellen Finanzmarktteilnehmer finden: Vermarktlichung, Entmeritokratisierung, Optionalisierung, Normalitätsdiskriminierung, Narzissisierung und Unkonventionalitätsideologisierung. (ICE2)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 3114-3122
"Die Etablierung der Soziologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin verdankt sich nicht zuletzt der Entwicklung von Theorien sozialen Handelns, die das Individuum in den Mittelpunkt rücken, um gesellschaftliche Phänomene zu erklären. Nicht nur die Soziologie, sondern auch die Handlungstheorie beruht auf Grundideen der Aufklärung und ist damit letztlich ein Produkt der Moderne. Die Vorstellung eines Individuums, das als freier und eigenverantwortlicher Handlungsträger losgelöst von Tradition und Gemeinschaft rational kalkulierend agiert, wäre für vormoderne Zeiten ebenso undenkbar, wie die Idee der gestaltenden Handlungsfähigkeit der selbstbestimmt koordinierten Individuen. Bei aller Kritik die dem homo oeconomicus und dem demokratisch gelenkten Staat immer wieder entgegengebracht wurde, ist doch beides zumindest als Idealtypus nicht aus der Geschichte der Neuzeit wegzudenken. Dass nun beides zugleich - sowohl der Glaube an die 'Trägerschaft' der Handelnden als auch jener an die selbstbestimmte Gestaltungsfähigkeit der Demokratie - schwindet, dürfte kein Zufall sein. Die industrielle Revolution war ebenso wie das gesamte Industriezeitalter von der kollektiven Erfahrung getragen, dass rationales, intentionales, individuelles Handeln wie auch absichtsvoll koordiniertes im Staat es vermag, die Welt zu verändern. Heute schwindet dieses moderne Selbstverständnis mehr und mehr dahin. Der individuelle Lebensweg hängt, so hat man den Eindruck, eher von verschiedensten Zufällen als von den intendierten Handlungen des Einzelnen ab. Die Entwicklung des Staates wirkt mehr von den unentrinnbaren Folgen der Globalisierung gelenkt als vom Volk selbstbestimmt. Das eigene ebenso wie das Schicksal der Gesellschaft scheint sich unabhängig von den Handelnden gemacht zu haben. Damit verlässt man aber die Gedankenwelt der aufgeklärten Moderne, die auf der Überzeugung von der Gestaltbarkeit der Welt durch das handelnde Individuum gründet. Wenn sich nun einerseits so manche Soziologen von der Handlungstheorie abwenden, und andererseits andere zwar an ihr festhalten, aber sie in einem Maße modifizieren, dass sich geradezu eine 'De-Individualisierung' der Handlungsträgerschaft ergibt, dann bildet der Wandel der Sozialtheorie den Spiegel einer 'konjunktiven Erfahrung', wie sie für Mannheim im Mittelpunkt des sozialen Lebens und Denkens steht." (Autorenreferat)